Wie Selenskyj Galizien retten kann: Galizische Patrioten warten auf eine Revanche


Die Amtszeit von Wolodymyr Selenskyj als Präsident nähert sich allmählich ihrem „Äquator“ – und dies ist ein weiterer Grund, im medialen Raum an sein Wahlversprechen zu erinnern, „nur auf eine Amtszeit zu kommen“. Als ob alle erwachsenen Menschen, alle alles verstehen, doch der Wunsch seiner Gegner, daran zu glauben, dass dieses Lockmittel erfüllt wird, erweist sich als stärker als das logische Denkvermögen. Darum sagt man auch zu diesem Versprechen, dass es für Ertrinkende im Allgemeinen typisch ist, nach einem Strohhalm zu greifen.

Ein ähnlicher Strohhalm half bei den letzten Kommunalwahlen durchaus, den Konkurrenten von Andrij Sadowyj [Bürgermeister von Lwiw, A. d. Ü.] unterzugehen. Die Worte über die „Müdigkeit von der städtischen Haushälterin“ wurden durch die Rekordamtszeit von Andrij Iwanowytsch bestärkt [Sadowyj ist seit dem 25. April 2006 ununterbrochen Bürgermeister von Lwiw, A.d.R.], so dass viele einfach an sein „Ausscheiden“ von der Kommunalpolitik glauben wollen. Und sie glaubten, träumten, teilen das Fell des nicht erlegten Bären und verteilten zukünftige Trophäen.

Und hier nähern wir uns der Hauptfrage, die sich damals für Lwiw stellte und in zwei Jahren für die Ukraine aktuell werden wird [Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte ursprünglich versprochen nur für eine Amtszeit anzutreten. A.d.R.] – „und wer kommt an seiner Stelle“? Der Frage, die ein derartiges Gewirr von Unsicherheiten mit sich zieht, dass auch schon niemand auf die Verletzung des Versprechens achtet, „nicht zu kandidieren“. [Sadowyj hatte im März 2019 angekündigt, nicht noch einmal als Bürgermeister in Lwiw anzutreten. A.d.R.]

Kandidaten mit hohen Umfragewerten für die Präsidentschaft gibt es bisher auch noch nicht so viele. Genauer gesagt zwei: Petro Poroschenko und Jurij Bojko. Und beide sind dank hoher Ablehnungswerte ideale Sparring-Partner für den Ausgang in der zweiten Runde. Da ist Witalij Klytschko, der seine Ambitionen einst zugunsten eines garantierten Sieges in Kyjiw aufgab, aber verhinderte, dass die Partei „Udar“ [dt. „Schlag“, Ukrainische demokratische Allianz für Reformen, A. d. Ü.] vom Block Petro-Poroschenko absorbiert wurde. Es gibt noch bedingt junge Politiker, die – wenn sie nicht den Trick von Selenskyj wiederholen wollen – zumindest danach streben, zu versuchen, in die große Politik nach dem Modell „Holos 2.0“ einzusteigen.[Anspielung auf die von den Oligarchen Wiktor Pintschuk und Tomas Fiala gesponserte „prowestliche“ und „liberale“ Holos-Partei. A.d.R.] Oder nach dem alten Schema „jung, aber professionell“, wie Dmytro Rasumkow. Nun auch die Alteingesessenen aus dem Studio von Sawik Schuster [populäre Freitagabendtalkshow, A.d.R.]: Hrojsman, Ljaschko und andere erfahrene Demagogen, für die das Dasein im Fernsehen / an der Macht eine Lebenseinstellung und täglich Brot ist.

Unter solchen Voraussetzungen gibt es zwei Optionen. Entweder dieses mächtige Häuflein wird untereinander streiten und dann wird der Mangel an Einigkeit zum Grund für die Niederlage erklärt. Oder ein erheblicher Teil davon wird sich in einer belieben Kombination „zusammenschließen“ und dann wird die Vereinigung der Ablehnungswerte jede der ausgewählten Persönlichkeiten zu Boden ziehen.

Und hier bekommt unser seliges Galizien dann endlich seinen erträumten Frieden. Es wird in die Zeiten des stilles Sumpfes Ende der Neunziger, Anfang der Nullerjahre zurückkehren.

Als die patriotische Opposition aktiv protestierte, aber aus irgendeinem Grund nicht die am lautesten Schreienden unterdrückte, und allgemein irgendwo dort, hinter dem Sbrutsch [Nebenfluss des Dnister, der die Grenze zwischen dem Habsburgischen Galizien bzw. später der II. Rzeczpospolita und dem Russischen Reich bildete – A. d. Ü.]. Als Patriot zu sein nicht nur ehrenhaft war, sondern auch Vorteile brachte. Als es möglich war, „bei der Macht“ zu sein, aber angeblich nicht „an der Macht“, das heißt, zahlreiche private Angelegenheiten zu lösen, aber für die Lösung öffentlicher Probleme reichten die Befugnisse nicht aus. Als es überhaupt nicht notwendig war, sich anzustrengen, weil die Anwesenheit wahrer Patrioten irgendwo in Abgeordnetenkreisen bereits ein ordentlicher Erfolg für das gesamte denkende Ukrainertum war.

Für die Finanzeliten ist es auch um vieles bequemer, sich alle Vorzüge des Feudalsystems vor Ort zunutze zu machen und gleichzeitig eine bequeme patriotische Position einzunehmen.

Gewiss kann man im weiter gefassten Sinne argumentieren, dass die Situation jetzt in etwa dieselbe ist. Aber es fehlt etwas. Ja, als ob die Epoche von Janukowytsch weiter andauern würde und nicht jene des späten Kutschma. Wie man bei uns sagt – „das passt nicht“.

In der Tat bleibt nur noch ein unbedeutender Schritt – Selenskyj muss in der zweiten Runde gewinnen, nicht Poroschenko (wieder wegen dieses verdammten psychologischen galizischen Unbehagens). Er muss Bojko besiegen. Und die Ukraine retten, wie sie einst Kutschma vor Symonenko [Gemeint ist der Chef der Kommunistischen Partei der Ukraine, Petro Symonenko, der bei den Präsidentschaftswahlen 1999 Leonid Kutschma in der Stichwahl unterlag. A.d.R.] gerettet hat. Dann wird das patriotische Galizien endlich die unnötigen Rituale verwerfen und sich in die Arme der Zentralregierung stürzen können. Nicht zum ersten Mal.

Damit Lokaldichter ihre Kindergedichte endlich wirklich zahlungskräftigen Kunden widmen können. Damit sich die kreative Intelligenz und die Stammgäste der Kundgebungen nicht in den Ecken verstecken und mit den „Dienern“ verhandeln. Und vor allem – damit die wahre Elite an ihre Plätze zurückkehrt, die vorübergehend von zufälligen Leuten aus dem grünen [Selenskyj-]Team besetzt wurden.

Aber unsere einfachen Leute sind klug. Sie werden wie immer verstehen, dass die Ukraine in Gefahr ist und es nicht an der Zeit ist, Streit anzuzetteln …

22. September 2021 // Nasar Kis

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Agnes Poitschek  — Wörter: 862

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