In der Geschichte mit der letzten Entscheidung des Verfassungsgerichts haben die Richter, Selenski, ja und Moskau ihre eigenen Ziele. Worin bestehen diese?
Die am skeptischsten gegenüber der Tätigkeit des Selenski-Teams Eingestellten haben erneut einen Grund für die Bestätigung ihrer Erwartungen erhalten. Das Verfassungsgericht der Ukraine ist ein weiteres Mal über die Antikorruptionsinfrastruktur „rübergerollt“. Der Nachricht des Ex-Abgeordneten Sergej Leschtschenko [Serhij Leschtschenko] nach stimmten die Richter auf der geschlossenen Sitzung am Dienstag, den 27. Oktober, für die Aufhebung der Paragrafen über unrichtige Deklarierung, gesetzwidrige Bereicherung und ebenfalls zur elektronischen Deklarierung und Teilen der Vollmachten der Nationalen Agentur zur Korruptionsprävention. Der Entwurf wurde am Morgen des 27. Oktobers ausgegeben und sofort darüber abgestimmt. Wie Leschtschenko anmerkte, gab es so etwas nicht einmal bei Janukowitsch [gemeint ist der vierte Präsident Wiktor Janukowytsch, A.d.Ü.]. Dagegen traten lediglich vier Richter auf. Lemak, Perwomaiski, Kolesnik und Golowaty. Letztendlich ist diese Folgerichtigkeit der Richter des Verfassungsgerichts komplett verständlich, denn die Diener der Femida des entsprechenden Instituts gehen bereits mehrere Monate zielgerichtet an der Leine der prorussischen Kräfte, denen die neuen Antikorruptionsorgane und die entsprechenden Mechanismen wie eine Gräte im Halse hängen.
Jedoch ist nicht alles so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Tatsächlich haben nicht nur die Vertreter des Kreml-Willens im Verlaufe vieler Jahre versucht, das neu geschaffene Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine, die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, das Staatliche Ermittlungsbüro wenn nicht zu vernichten, so dann doch unter ihre Kontrolle zu nehmen oder die Zusammensetzung des Obersten Antikorruptionsgerichts selbst zu bestimmen. Allgemein bekannt ist, dass die westlichen Partner der Gewährung der Visumsfreiheit [mit dem Schengenraum] oder makrofinanzieller Hilfe erst nach der Bindung an reale Reformen zustimmten und nicht an mythische Versprechungen. Die Antikorruptionsrichtung war eine der Prioritäten in Brüssel und Washington. Der Kampf wurde buchstäblich um jeden Millimeter Reform geführt. Zuerst um die Schaffung von Nationalem Antikorruptionsbüro und Spezialisierter Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, dabei wurden spezifische Normen in das Gesetz „Über das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine“ und Änderungen im Gesetz „Über die Staatsanwaltschaft“ durchgesetzt. Mit der Zeit, was nicht verwundern sollte, versuchte das Team von Poroschenko [gemeint ist der fünfte Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, A.d.Ü.] auf die Chefposten der entsprechenden Organe unter eigener Kontrolle stehende Leute zu setzen. Wenn es mit dem Direktor des Nationalen Antikorruptionsbüros, Artjom Sytnik [Artem Sytnyk] nicht gelang, so war es, der Meinung von Aktivisten nach, durchaus möglich sich mit dem Chef der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft Nasar Cholodnizki [Nasar Cholodnyzkyj] in einer Reihe von Fragen zu einigen. Vom Staatlichen Ermittlungsbüro werden wir nicht reden, das Team von Pjotr Alexejewitsch [Petro Olexijowytsch Poroschenko] begriff die eigenen Fehler während der Wahl von Sytnik und Cholodnizki klar, daher war die Schachpartie bei der Auswahl des Direktors des Staatlichen Ermittlungsbüros, Roman Truba, und seiner zwei Stellvertreter – Olga Wartschenko und Alexander Burjak, bedeutend leichter zu gewinnen. Mit dem neu geschaffenen Obersten Antikorruptionsgericht gelang es nicht, das zu tun, denn die Aufmerksamkeit der westlichen Geldgeber war kolossal und das bedeutet, dass die bedeutende Mehrheit der Richter nach Prinzipien der Integrität und Professionalität ausgewählt wurde.
Nach dem Machtwechsel 2019 schien es, dass das Team von Wladimir Selenski [Wolodymyr Selenskyj] die Beziehung der obersten politischen Führung auf ein Funktionieren der Antikorruptionsorgane umorientiert. Vor allem, zu guter Letzt, begruben sie das Kriegsbeil zwischen Nationalem Antikorruptionsbüro und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft. Natürlich gab es auch äußerst fragwürdige Fälle, doch global gesehen, hörte der Konflikt zwischen Sytnik und Cholodnizki auf derart „blutig“ zu sein. Einige gemeinsame Handlungen riefen sogar Achtung hervor, wie die Festnahme einiger Funktionäre beim Versuch Schmiergeld in Höhe von sechs Millionen Dollar für die Einstellung des Verfahrens gegen den Ex-Umweltminister aus der Regierung Asarow, Nikolaj Slotschewski [Mykola Slotschewskyj] zu geben. Es gab auch andere Fälle, darunter die Einstellung des Verfahrens in der Sache bezüglich des „Rotterdam+“-Schemas. [Staatliche Preisfestlegung für Importkohle nach dem Preis in Rotterdam plus der Transportkosten in die Ukraine. A.d.Ü.] Obgleich das Oberste Antikorruptionsgericht die entsprechenden Ermittlungen später wieder erneuerte. Insgesamt funktionierte das Schema im Interesse des Unternehmen DTEK, das Rinat Achetow gehört. Ebenso ertönten Vermutungen, dass am Schema ebenso Ex-Präsident Pjotr Poroschenko interessiert war.
Doch Anfang des Jahres 2020 begannen Prozesse abzulaufen, die schwerlich ohne Details und handelnde Personen zu erklären sind. Das Team von Selenski wurde von einigen Personen verlassen, welche die Situation in Balance hielten. Die Rede ist vom Leiter des Präsidentenbüros, Andrej Bogdan [Andrij Bohdan] und Generalstaatsanwalt Ruslan Rjaboschapka. Der Wechsel der Orientierungspunkte wirkte sich auch auf die Versuche zur Vernichtung der Antikorruptionsinfrastruktur aus. Vor allem wurde das Verfassungsgericht der Ukraine unglaublich aktiv. Warum das? Die Erklärung ist äußerst banal. 226 Stimmen in der Werchowna Rada [Parlament] zusammenzubekommen ist wesentlich schwerer, als auf die nötige Zahl der Richter des Verfassungsgerichts Druck auszuüben. Und, wie man sagt, begann es. Unter den maßgeblichen Ereignissen war die Prüfung des Aktes individueller Handlung über die Ernennung von Artjom Sytnik zum Direktor des Nationalen Antikorruptionsbüros.[Das Verfassungsgericht urteilte, dass die Ernennung des Direktors des Nationalen Antikorruptionsbüros durch den Präsidenten verfassungswidrig sei. A.d.Ü.] Wir haben bereits erwähnt, dass dieser Prozess keinerlei juristische Bedeutung hat. Früher hat das Antikorruptionsgericht nie Akte individueller Handlung auf ihre „Verfassungsmäßigkeit“ überprüft. Die nächste Etappe: die Überprüfung einer Reihe von Normen des Gesetzes über das Nationale Antikorruptionsbüro auf Übereinstimmung mit der Verfassung. Wieder fand der Prozess augenblicklich statt. Obgleich man nicht sagen kann, dass die Verfassungsrichter das ganze Gesetz „getötet“ haben. Es gab dort tatsächlich problematische Momente, beispielsweise das Recht auf die Ernennung und Entlassung des Büro-Direktors durch den Präsidenten der Ukraine. Das sollte beseitigt werden. Und die letzte bezeichnende Episode ist die Aufhebung des Paragrafen 366-1 des Strafgesetzbuches der Ukraine (über unrichtige Deklarierungen), die Beschränkung der Vollmachten der Nationalen Agentur zur Korruptionsprävention, die Liquidierung der eDeklarierungen. [Unter den Deklarationen sind öffentlich einsehbare Einkommens- und Vermögenserklärungen von allen Staatsangestellten zu verstehen, die als großer Schritt bei der Korruptionsbekämpfung gefeiert wurden, aber letztendlich keinerlei Auswirkungen hatten. A.d.Ü.]
Insgesamt zielt das Urteil des Verfassungsgerichts auf die Immunität der Richter im direkten und übertragenen Sinne ab. Doch wurde ein grobes Mittel eingesetzt – als verfassungswidrig wurden alle Positionen des Gesetzes „Über die Korruptionsprävention“ bezüglich der Tätigkeit der Nationalen Agentur zur Korruptionsprävention erklärt, die der Meinung des Verfassungsgerichts nach den Prinzipien der richterlichen Unabhängigkeit widersprechen. Wie der bekannte Professor Nikolaj Chawronjuk hervorhob, widersprechen von der Sache alle Positionen diesem Prinzip, die „Unbehagen bei Richtern und den Richtern des Verfassungsgerichts“ hervorrufen können. Mit anderen Worten, die Richter haben einfach die Ursache ihrer Probleme beseitigt, um weder ihren Vermögensstand, noch ihren Lebensstil erklären zu müssen.
Ebenso muss angemerkt werden, dass einzelne Richter, welche die Aufhebung der Funktion der Nationalen Agentur zur Korruptionsprävention und der Beseitigung des Paragrafen 366-1 des Strafgesetzbuches nicht unterstützten, eine umfassende Erklärung abgaben. Beispielsweise hat Sergej Golowaty [Serhij Holowatyj] in seiner abweichenden Meinung hervorgehoben, dass es für ein derartiges Urteil keinerlei juristische Grundlage gab. Die Zuweisung einzelner Kontrollfunktionen und -vollmachten an die Nationale Agentur zur Korruptionsprävention in Bezug auf alle Subjekte, einschließlich der Richter des Systems der Rechtsprechung und der Richter des Verfassungsgerichts, kann nicht als Kontrolle über die Judikative angesehen werden. Durch das Gesetz bestimmte Vollmachten der Nationalen Agentur zur Korruptionsprävention sind keine Einmischung in die professionelle Tätigkeit der Richter, sondern auf die Erreichung eines legitimen Ziels gerichtet: die Verhütung von Korruption im Staat. Seiner Meinung nach ist das ein äußerst notwendiger Prozess in einer demokratischen Gesellschaft.
Die Nationale Agentur zur Korruptionsprävention veröffentlichte ihrerseits eine offizielle Position: In Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichts vom 28. Oktober wird der Zugang zum Einheitsregister der eDeklarationen geschlossen. Daher haben Staatsorgane und die Öffentlichkeit keinen rund um die Uhr offenen Zugang zu den eDeklarationen der Staatsbediensteten mehr und die Nationale Agentur zur Korruptionsprävention stellt deren Prüfung, Speicherung und Veröffentlichung ein. [Inzwischen ist der Zugang wieder offen, A.d.Ü.]
Auch das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine blieb nicht unbeteiligt, das gemäß Paragraf 216 des Strafprozessgesetzbuches bei Verbrechen zu unrichtigen Deklarationen ermittelt. Dort wurde das Urteil des Verfassungsgerichts als politisch bezeichnet und veröffentlichte eine umfangreiche Statistik zu entsprechenden Verfahren. Zum Stand 27. Oktober befanden sich 110 Verfahren in Arbeit und die Detektive ermittelten 180 Fakten von absichtlich falschen Angaben in eDeklarationen von Staatsbediensteten. Dabei wurden sieben Personen, darunter drei Ex-Parlamentsabgeordneten, Verdachtsmitteilungen überreicht. 34 Verfahren wurden vor Gericht gebracht und bei 13 Personen gibt es bereits Gerichtsurteile (sechs Verurteilungen, bezüglich sieben Personen wurden die Verfahren aufgrund von nichtrehabilitierenden Ursachen geschlossen). Doch aufgrund des skandalösen Urteils des Verfassungsgerichts müssen all diese Verfahren geschlossen werden und die Staatsbediensteten, die des Missbrauchs ertappt wurden, entziehen sich der Verantwortung.
Zum finalen Akkord, der diese tragische Melodie der Zerstörung der Antikorruptionsinfrastruktur beenden könnte, wurde die Information von den Investigativjournalisten des Programmes „Schemy“. Ihren Informationen nach hat der Chef des Verfassungsgerichts, Alexander Tupizki [Olexander Tupyzkyj] 2018 ein Grundstück im Ort Koreis [Korejis] auf der besetzten Krim erworben, dabei einen Kaufvertrag nach russischen Gesetzen ausfüllend. Dabei „vergaß“ er diese Information in das Einheitsregister der eDeklarationen einzutragen. Und jetzt noch einmal: der Vorsitzende des Verfassungsgerichts der Ukraine kauft zuerst Land auf besetztem Gebiet, deklariert es nicht und ist nachher an der Zerstörung der Funktion des Organs beteiligt, welches das Einheitsregister der eDeklarationen administriert, führt den Prozess der Liquidierung des genannten Registers an und unterstützt die Verfassungswidrigkeit des Paragrafen im Strafgesetzbuch, wegen dem er zur Verantwortung gezogen werden sollte. Es schien so, als ob die Ukrainer in den fast 30 Jahren der Unabhängigkeit alles gesehen haben. Doch dieser Fall reicht an den neunten Höllenkreis von Dante heran, in den unter anderem Vaterlandsverräter gerieten.
Jedoch muss man es darüberhinausgehend betrachten, denn es ist klar: das Se[lenski]-Team möchte sich die Antikorruptionsstrukturen unterordnen. Das Staatliche Ermittlungsbüro befindet sich unter der Kontrolle der Bankowaja [Sitz des Präsidenten, A.d.Ü.] aufgrund der Kontrolle über das Büro vonseiten der Generalstaatsanwältin Wenediktowa [Iriyna Wenediktowa], die davor das Staatliche Ermittlungsbüro leitete. Irina Walentinowna [Iryna Walentyniwna Wenediktowa] orientiert sich ausschließlich am Präsidentenbüro. Die Spezialisierte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft erhält bald einen neuen Leiter und die Methoden der Bildung der Auswahlkommission berücksichtigend, wird sich die Person höchstwahrscheinlich am Willen der Bankowaja orientieren. Auf das Nationale Antikorruptionsbüro ist erneut eine Serie von Attacken gerichtet worden. Daher mussten gerade lediglich die Nationale Agentur zur Korruptionsprävention eingeschränkt, die eDeklarationen und die gesetzwidrige Bereicherung „getötet“ werden. Natürlich ist Präsident, Wladimir Selenski, mit einer offiziellen Botschaft aufgetreten, dass er bereit ist, per Gesetzesinitiative eine Rückkehr der eDeklarationen zu erwirken.[Seine eigentliche Initiative zielt gerade auf eine verfasssungswidrige Auflösung des Verfassungsgerichts per einfachem Parlamentsbeschluss und eine Rücknahme des Verfassungsgerichtsurteils ab. A.d.R.] Doch Juristen verstehen klar, dass alle derzeitigen Fälle über Verstöße gegen die eDeklarationen, bei denen gemäß Paragraf 216 des Strafgesetzbuches das Nationale Antikorruptionsbüro ermittelt, für die Katz sein werden. Das wurde bereits beim Nationalen Antikorruptionsbüro hervorgehoben. Mit anderen Worten, wird man erst bei neuem Missbrauch bei den eDeklarationen jemanden zur Verantwortung ziehen können. Natürlich nur, wenn es die nächsten Änderungen im Gesetz „Über die Korruptionsprävention“ in diesem Teil gibt. Justizminister Denis Maljuska [Denys Maljuska] hat bereits erklärt, dass ein entsprechender Gesetzentwurf ausgearbeitet wird, in dem die Richter aus der Zuständigkeit der Nationalen Agentur zur Korruptionsprävention herausgenommen werden und für sie ein neuer Kontrollmechanismus geschaffen wird. Dabei hob er hervor, dass eine erneute Einführung von strafrechtlicher Verantwortung für unrichtige Deklarationen nicht zu erwarten ist.
Die gesamte Geschichte erinnert an einen billigen provinziellen Zirkus. Das SeTeam versucht juristische Äquilibristik zu betreiben, mit Antikorruptionsnormen zu jonglieren, bringt verschiedene Clowns in die Arena des Politzirkus, die angeblich lustige Tricks aufführen. Doch sowohl inländische Experten als auch die westlichen Partner begreifen, dass das reiner Schwindel, Augenwischerei und einfach politisch-rechtlicher Betrug ist. Dieses Verhalten kann zum weiteren Fall der Umfragewerte für die Partei Sluga Naroda [Sluha Narodu, Diener des Volkes] (siehe die Ergebnisse der Kommunalwahlen), den Verlust des Vertrauens der westlichen Partner und fehlender makrofinanzieller Hilfe von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Union und der Weltbank führen. Jedoch, wie wir sehen, sorgt man sich auf der Bankowaja nicht sehr in strategischer Hinsicht, denn im Showbusiness ist man es gewohnt, lediglich in taktischen Schritten in kurzfristiger Perspektive zu denken.
29. Oktober 2020 // Alexander Lemenow, Experte der NGO Statewatch
Quelle: Serkalo Nedeli
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