Wahrscheinlich gibt es nur wenige Menschen, die die herausragenden politischen und analytischen Talente von Dmytro Rasumkow bestreiten würden. Ein Mann, 1983 geboren, der zwei Hochschulabschlüsse, die erfolgreiche Führung der Präsidentschaftswahlkampagne Wolodymyr Selenskyjs und eine steile Karriere bis zum Posten des Chefs des ukrainischen Parlaments hinter sich hat. Seien wir ehrlich, Dmytro Rasumkow, gelangte in jungen Jahren problemlos in den Bereich der politischen Analyse und Polittechnologie nicht nur dank seiner persönlichen Qualitäten, sondern auch wegen seines Familiennamens. Und nicht nur, weil sie vom Wort „rosum“ [dt. Verstand] herrührt, sondern auch dank des Andenkens an seinen bekannten Vater. Und eben mit der Geschichte des Vaters sind die Karriereetappen des jungen Dmytro oft verbunden.[Vater Olexander Rasumkow war in den 1990ern im ukrainischen Politbetrieb aktiv und beriet unter anderem Präsident Leonid Kutschma. Das von ihm gegründete und nach ihm benannte Rasumkow-Zentrum gilt bis heute als eines der einflussreichsten Analysezentren der Ukraine, A.d.Ü.] Hingegen geht es jetzt nicht darum, sondern um die Politik Dmytro Rasumkows und seine ambitionierten Pläne.
Ich denke, das es sehr leicht ist sich daran zu erinnern, dass Dmytro Rasumkow nicht nur Organisatior und Ideengeber der Präsidentschaftswahlkampagne von Wolodymyr Selenskyj war, sondern auch der Chef, der im Namen des Präsidentschaftskandidaten sprach. Der Grund für eine solche Rollenteilung waren, so scheint es, Zweifel daran, ob „sein Junge“ Selenskyj nicht Überflüssiges in einem Ausbruch von Ehrlichkeit und Offenheit sagt. Und ob er nicht das Kinovorbild Holoborodko [Wassyl Holoborodko ist die Figur des Präsidenten in der TV-Serie Diener des Volkes, die Selenskyj am Ende zum realen Präsidenten machte. A.d.Ü.] mit seinen KWN-Improvisationen [KWN – Klub wesjolych i nachodtschiwych / Klub der Lustigen und Einfallsreichen; aus Sowjetzeiten stammender Humorwettbewerb im Fernsehen, über den Selenskyj und sein Team bekannt wurden. A,d.Ü.] verdirbt. Daher wurde jenem vorgeschlagen zu schweigen und das Wort wurde dem klugen Rasumkow gegeben. So war es sicherer, denn der erfahrende Polittechnologe Rasumkow konnte trocken aus jeder Informationspfütze herauskommen.
Dazu konnte Rasumkow, der auf die östliche Wählerschaft abzielte, es sich erlauben in russischer Sprache zu reden. Doch für Patrioten fand er eine sehr vorteilhafte Ausrede: ich werde öffentlich russisch reden, insofern ich damit zeige, dass der Feind keinen Anlass für Aggressionen hat, um die Rechte der Russischsprachigen in der Ukraine zu verteidigen. Diese Ausrede hatte einen doppelten Boden und belegte bereits damals, dass Rasumkow tatsächlich ein Mensch der russischen Kultur ist, der Karriere in einem zerrissenen Land machen möchte. Und er lässt sich nicht in einfache Fallen locken.
Rasumkow erklärte bereits vor dem offiziellen Gang in die Politik klar, dass für ihn die Ideen der Orangen Revolution [von 2004] fremd sind. Dass er Wiktor Juschtschenko kategorisch nicht unterstützte und danach trat er sogar in die Partei der Regionen ein und arbeitete eng mit Serhij Tihipko zusammen.[Tihipko war bei den Präsidentschaftswahlen 2010 Drittplatzierter und bekam danach den Posten eines Vizeministerpräsidenten in der Regierung Mykola Asarow. A.d.Ü.] Doch als 2010 bei den Präsidentschaftswahlen Wiktor Janukowytsch siegte, trat Dmytro Rasumkow aus der Partei der Regionen aus. Es war klar, dass der intelligente Rasumkow mit dem groben Fuhrparkchef nichts gemein hat, doch die Idee mit der prorussischen Wählerschaft zu flirten gab er nicht auf.
Selenskyj hatte kein derartiges Privileg, denn alle Aufmerksamkeit des patriotischen Segments war auf seine Unkenntnis der ukrainischen Sprache, seinen „falschen“ Ton und seine häufigen Sprachfehler gerichtet. Daher sprach bei den vielfältigen Fernsehshows im Namen Selenskyjs und an seiner statt Rasumkow. Oft herablassend, mitunter sarkastisch, doch fast immer klar und argumentierend. Auf den Vorschlag Selenskyj die Gelegenheit sich zu zeigen zu geben, redete er sich scherzend heraus. Doch war bereits damals zu sehen, dass ihn die Rolle im Namen Selenskyjs zu sprechen nicht zufriedenstellte. Es war zu sehen, dass Dmytro Olexandrowytsch [Rasumkow] sich bemühte, die Zeit zu ertragen und so schnell wie möglich er selbst zu sein, indem er einen staatlichen Posten einnimmt. Und von dort ist es zum ersten Posten im Staat nicht mehr weit. Rasumkow begriff damals, dass seine Zeit als Präsident zu kandidieren noch nicht angebrochen war. Nicht umsonst erklärte er im April 2018 zerknirscht, dass die Ukrainer noch nicht bereit sind, für ihren Macron zu stimmen. Dabei ist klar, dass er unter Macron nur sich selbst versteht.
An die Macht gelangend, waren Selenskyj und sein öffentlicher Sprecher fest überzeugt, dass sie einander in die höchste Liga der ukrainischen Politik brachten. Gründe für derartige Annahmen gab es bei beiden. Ohne den Sieg Selenskyjs hätte Rasumkow kein hoher Posten in der Ukraine gewinkt. Und ohne das polittechnologische Talent Rasumkows hätte Selenskyj nicht so schnell an die Spitze der Staatspyramide gelangen können. Dass Rasumkow sofort Chef der Werchowna Rada wurde, gab seinen auch ohnehin himmelhohen Ambitionen Auftrieb. Und das Vertrauen der Bürger in Selenskyj erlaubte es ihm, eine Einparteienmehrheit zu bilden. Hier hätten auch die neuen Politiker vierhändig arbeiten können. Doch leider führte alles ins traditionelle ukrainische Szenario.
In die große Politik gehend, glaubte Selenskyj aufrichtig, dass allein guter Wille reicht, um das oligarchische System zu zerschlagen und die Korruption zu besiegen, ohne sich daran zu beteiligen. Den Krieg zu beenden, ohne zurückzuschießen, doch dabei das Land vor einem Angriff zu schützen. Dass alle, die er an die Macht brachte, überzeugte Gleichgesinnte sind und nicht auf hinterhältige Angebote der Leute des Systems eingehen. Er dachte, dass ihm eine Amtszeit reicht, um das Land aus den Klauen der Oligarchie zu reißen und dass es sich weiter selbst auf zivilisiertem Wege bewegen wird. Die Äußerung über eine Amtszeit wurde zu seinem größten Fehler. Denn solche Politiker wie Rasumkow erhielten ein direktes Signal zum Start der eigenen Kampagne.
Rasumkow wurde sich dessen bewusst, dass er der nächste Präsident sein sollte. Dass er weiter nicht die Vertonung dieses aufrichtigen, doch, wie er meint, nicht sehr weitsichtigen Krywyj Riher Burschen sein muss. Dass er, der ukrainische Macron, sich mit den einflussreichsten Menschen dieser Welt einigen wird und die Ukraine nicht auf dem folkloristisch-ethnografischen (national-patriotischen) und nicht dem Weg des Liebäugelns mit dem Volk (Diener des Volkes), sondern seinem nur ihm bekannten Pfad führen werde.
Und auch hier sind die Wohlmeinenden rechtzeitig eingetroffen. Fingen an zu erzählen, dass der beschränkte Schauspieler ein kurzzeitiger Kalif ist. Dass es keine andere Möglichkeit zur Figurenverschiebung an der Macht gab. Dass der Dampfkessel wegen der Unzufriedenheit des Volkes jeden Augenblick hätte in die Luft fliegen können. Dass jetzt seine Zeit gekommen ist – des gebildeten und weisen Dmytro Rasumkow. Der mit allen Einflussgruppen in der Werchowna Rada übereinkommen könne: mit [Ex-Präsident Petro] Poroschenko, [dem Oligarchen Ihor] Kolomojskyj, [Innenminister Arsen] Awakow, [Ex-Ministerpräsidentin Julija] Tymoschenko und sogar mit [dem prorussischen Wiktor] Medwedtschuk.
Alles, was diese Leute im Kampf gegen Selenskyj brauchten, konnten sie leicht mit dem Kauf von Abgeordneten von [Selenskyjs Partei] Diener des Volkes und schmeichelnden Gesprächen und Versprechen für Rasumkow erreichen. Und prompt startete Dmytro Rasumkow seine Präsidentschaftskampagne. Er begann sich mehr von Selenskyj zu distanzieren. Begann das sogenannte Turboregime zu sabotieren. [Mit dem Turboregime sind schnelle Abstimmungen ohne großartige Diskussionen aus der Anfangszeit des aktuellen Parlaments im Herbst 2019 gemeint. A.d.Ü.] Besonders klar zeigte es sich, als die durch Urteile des Verfassungsgerichts verursachte Krise entstand. Das Verfassungsgericht begann eine wirkliche Konterrevolution gegen die Antikorruptionsreformen, indem es die Strafen für Falschangaben bei den Einkommens- und Vermögensdeklarationen aufhob. [Gemeint ist eine der hochgelobten aber letztendlich wirkungslosen Neuerungen, die Staatsangestellte zu jährlichen Angaben über ihre Einkommens- und Vermögenssituation zwang und wieder zwingt. Das Verfassungsgericht kritisierte dabei, dass die Prüfung der Angaben von Richtern durch Strafverfolgungsorgane und nicht durch ein unabhängiges Organ erfolgte, was die Richter durch die Exekutive erpressbar machen und damit die Gewaltenteilung gefährden würde. A.d.Ü.] An der Reihe sollte die Rücknahme der Freigabe des Bodenmarkts sein. Über derartige Urteile des Verfassungsgerichts und die völlige Sabotage der Gegenmaßnahmen vonseiten des Präsidenten der Werchowna Rada (lies Rasumkows) sollten zum Entzug der westlichen Finanzhilfen führen und [den Präsidenten] den Oligarchen ausliefern oder sogar zum Kotau vor Russland führen.
Selenskyj erwies sich als für alle nachteilig, für Poroschenko und die Patrioten, denn er wagte es den national-patriotischsten Präsidenten mit riesigem Abstand zu besiegen, für Kolomojskyj, dem er die Hoffnung einflößte ihn zu seiner persönlichen Marionette zu machen, um ungehindert die Ukraine auszuplündern. Für Medwedtschuk, dem er den Sieg im Osten und Süden der Ukraine aus den Händen riss. Damit einen weiteren Versuch Russlands beerdigend die Ukraine über demokratische Wahlen an die russische Seite zu bringen. Und jetzt versuchen sie alle, einschließlich der mächtigsten russischen Fernsehsender, auf jede erdenkliche Weise die Beliebtheitswerte Selenskyjs zu senken. Ihm die Unterstützung der Bürger zu entziehen, dank derer er sich an der Macht hält. Sie versuchen seine Beliebtheit zu vernichten, indem sie ihn als unfähig, unbedarft und hilflos darstellen. Und alles dafür, um den Weg für einen angeblich perfekten, doch für die Oligarchen und Russland bequemen Rasumkow freizumachen.
Rasumkow hat dieses Spiel angenommen. Dabei sogar begreifend, dass es um die Vernichtung Selenskyjs geht. Daher gab er sich, statt Selenskyj dabei zu helfen die „Verfassungskrise“ zu überwinden, zeitnah die notwendigen Gesetze zu verabschieden und Änderungen einzubringen, der offenen Sabotage und der Verwässerung der Antikorruptionsgesetzgebung hin. Die letzte „Überraschung“ von Rasumkow war das alternative Gesetz zu unrichtigen Angaben in den Deklarationen, das praktisch alle Top-Korrupten des Landes vor Strafe bewahrt und was die Arbeit vieler Antikorruptionsorgane substanzlos macht.
Dass Rasumkow seinerzeit nicht beim Gespräch des Präsidenten mit den G7-Botschaftern, tatsächlich den Finanzsponsoren der Ukraine, anwesend sein „konnte“, zeugt davon, dass er sein eigenes Spiel begonnen hat, das auf die Übernahme der Wählerschaft abzielt, die an das Märchen der „ausländischen Lenkung“ und die Fähigkeit der Ukraine nur mit Binnenressourcen auszukommen glaubt. Das heißt, Rasumkow zeigte sich komplett auf der Seite derjenigen, welche die Ukraine als schutzloses Objekt zur Ausplünderung sehen. Eine Emklave, auf der Antikorruptionsgesetze nicht gelten und auf der es keine Hoffnung auf wenigstens irgendeine Verbesserung gibt. Denn nur der Einfluss der westlichen Partner über die Finanzhebel kann die Ukrainer vor den habsüchtigen Oligarchen und den aggressiven Plänen Russlands schützen.
Und über die Zukunft. Leider kann man den Einfluss einer mächtigen Informationsressource nicht ausschließen, die in der Lage ist die Ukrainer von der Unterstützung Selenskyjs abzubringen. Und diese auf den „anpassbareren“ Rasumkow umzuorientieren. Besonders, wenn Wolodymyr Selenskyj sich weiter ausschweigt und in den wichtigsten Angelegenheiten nicht an seine Bürger appelliert. Wenn er mit seiner Autorität den Abgang Rasumkows und [der Generalstaatsanwältin] Wenediktowa deckt. Wenn er auf [den Leiter des Präsidentenbüros] Jermak hört und [dessen Stellvertreter] Tatarow auf dem Posten belässt, der mit seiner Äußerung [über die Steuerung der Ukraine von außen] die Autorität Selenskyjs untergraben wollte und dessen Unselbständigkeit und fehlenden Einfluss zeigen wollte. Selenskyj muss begreifen, dass seine Stütze und Verbündeten die Bürger sind, die ihm vertrauen und weiter auf Änderungen und eine Verbesserung des Lebens hoffen. Er muss die Mitglieder seines Teams vergessen, für die er als Trägerrakete in die große Politik diente. Und er möge Rasumkow für dessen Eitelkeit und maßlosen Ehrgeiz danken, die diesen zu einem Fehlstart veranlassten. Fortsetzung folgt.
11. Dezember 2020 // Wassyl Rassewytsch
Quelle: Zaxid.net
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