Wiktor Janukowitsch sollte an den Debatten teilnehmen
„Wiktor Janukowitsch wird unbedingt eine Debatte mit dem Kandidaten führen, welcher die zweite Runde erreicht. Noch ist nicht klar, ob Julia Timoschenko diese zweite Runde erreichen wird. Deshalb wäre es heute verfrüht, darüber zu sprechen, ob diese Debatten mit ihr stattfinden werden.“
So ein Zitat Anna Germans vom 29. Dezember letzten Jahres.
Zum Glück oder zum Unglück verpflichten die Versprechungen der engen Weggefährtin und ehemaligen Pressesprecherin des Parteichefs Wiktor Janukaowitsch selbst zu nichts. Das sind nur Worte.
Wiktor Janukowitsch ist ein freier Bürger und hat, in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Ukraine, das volle Recht, vor der Wahl von einer Teilnahme an Debatten mit Julia Timoschenko abzusehen. Nichts und niemand kann ihn dazu zwingen, zu einem direkten Duell mit seiner Gegnerin während einer Live-Sendung anzutreten.
Die einzigen Kriterien, von denen sich ein jeder Anwärter auf den höchsten, staatlichen Posten leiten lassen kann und soll, sind seine persönlichen Ansichten und seine Überzeugung von einer offenen, demokratischen Gesellschaft und offener, politischer Konkurrenz.
Und eben deshalb ist seine Ablehnung öffentlicher Debatten weder zu verstehen noch hinzunehmen. Die von ihm und seiner Mannschaft öffentlich vorgebrachten Argumente stehen in keiner Beziehung zu Demokratie, Offenheit oder öffentlicher, politischer Konkurrenz.
Das erste Argument des Janukowitsch-Lagers
Julia Timoschenko ist eine Demagogin, sie lügt und wir wollen nicht an einem solchen „Lügenwettbewerb“ teilnehmen, „hier wird sie wahrscheinlich gewinnen“, sie hat „keine anderen Themen als Meschgorje (staatliche Datscha, die sich Janukowitsch angeblich widerrechtlich angeeignet hat) und Mützen, die Janukowitsch angeblich irgendwem heruntergerissen hätte…“
Die zahlreichen Sendungen unter Teilnahme Janukowitschs, seine Pressekonferenzen und sogar persönliche Treffen zeigen, dass weder Meschgorje, noch „Mützen“ oder irgendwelche Vorstrafen ihn aus dem Gleichgewicht bringen können.
Warum kann sich der Kandidat der Partei der Regionen vor Journalisten auf die Entscheidungen der Generalstaatsanwaltschaft, das Nichtvorhandensein gerichtlicher Sanktionen und Dokumente, die seine Vorstrafen beweisen könnten, berufen, nicht aber bei einem Vier-Augen-Duell mit Julia Timoschenko?
Und haben denn Janukowitsch und sein Lager selbst keine solchen offenen Fragen an Julia Timoschenko – zum Bespiel über die kriminellen Angelegenheiten im ukrainischen Energiesystem, die Sache „Losinskij“ (Abgeordneter des Blocks Julia Timoschenko, der einen wahrscheinlichen Mord als „Jagdunfall“ verkaufte) und der „Pädophilen“ (Kindesmissbrauch im Ferienlager Artek unter Beteiligung von Abgeordneten des Blocks Julia Timoschenko), über ihr eigenes Vermögen und das ihrer Familie?
Die Teams der Kandidaten täuschen sich tief, wenn sie die Wähler für dummes Vieh halten, dass auf die kompromittierenden Mantras reagieren wird. Umso weniger betrifft dies die Mehrheit der Wähler, die ihre Stimme Janukowitsch oder Timoschenko gegeben haben.
Auf der anderen Seite könnten die Regeln der Debatten von beiden Seiten vorher abgestimmt werden. Die Diskussion könnte in mehreren Etappen über vorher streng festgelegte Themen stattfinden. Raum und Sendezeit würde zweifellos jeder nationaler Kanal zu Verfügung stellen.
Warum kann man im Rahmen dieser Regeln nicht festlegen, dass eine und dieselbe Frage nicht wiederholt werden darf. Das macht eine Umgehung von längeren Spekulationen über bestimmte Themen möglich. Außerdem zeigt das manische, beharrliche Wiederholen einer bestimmten Episode durch einen der Kandidaten nur seine fehlende Konstruktivität und wird ihm kaum Stimmen einbringen.
Das zweite Argument
Fernsehdebatten mit Julia Timoschenko sind für niemanden interessant, denn sie spricht nicht zur Sache.
Dieses Argument löst noch größeres Unverständnis und Befremden aus. Viele Wähler sehen gar keinen Unterschied zwischen Timoschenko und Janukowitsch. Dies betrifft häufig sogar jene, die ihre emotionale Wahl schon getroffen haben.
Die Schlüsselversprechen beider Kandidaten – angefangen bei der russischen Sprache und endend bei den berüchtigten 1000 Griwna – wurden schon lange gebrochen. Ihre Programme sind nahezu identisch und die sommerlichen Gespräche über eine gemeinsame Erklärung und sogar eine Koalition haben die Gemeinsamkeiten in den Ansichten beider Lager gezeigt.
Wiktor Janukowitsch und Julia Timoschenko unterscheiden sich lediglich in ihrer persönlichen – und nicht in jener ihrer Mannschaften, nicht in Anna Germans oder Oleg Ljaschkos – Ansicht darüber, wohin sich die Ukraine entwickeln soll. So kommst es, – und das haben wir schon im Falle Wiktor Juschtschenkos gesehen – dass nicht die Programme der Kandidaten entscheidend sind, sondern ihre persönlichen Ansichten, Komplexe, Ängste und Überzeugungen.
Im Gegensatz zu 2004 steht die Ukraine heute nicht vor einer Wahl zwischen Weltanschauungen, nicht vor der Wahl zwischen Russland und dem Westen, sondern in erster Linie vor der Wahl zwischen persönlichen Qualitäten der Kandidaten.
Warum nimmt ein Kandidat den Wählern auf eigenen Wunsch die Möglichkeit, Ansichten, Positionen und persönliche Eigenschaften zu vergleichen und einen besseren Eindruck – nicht aus Pressemitteilungen oder Mitteilungen der „Sprachrohre“, sondern auf dem Wege der direkten und offenen Auseinandersetzung der Konkurrenten – zu bekommen?
Die besondere Absurdität in der Ablehnung Janukowitschs besteht darin, dass alle oben aufgezählten Argumente ihn und seine Mannschaft über ein halbes Jahr nicht daran gehindert haben, mit Timoschenko Gespräche über eine Vereinigung zu führen.
Im Übrigen kann der Verzicht Janukowitschs auf öffentliche Debatten zum wiederholten Male darauf hinweisen, dass der Parteichef seit 2004 nur gelernt hat, auf Fehler der Konkurrenten zu warten und nicht selbst für sein Recht zu kämpfen, das Land auf allen Ebenen zu führen.
Die heutigen Argumente Wiktor Janukowitschs unterscheiden sich nicht besonders von jenen Thesen, die er 2004 aufstellte:
„Wenn meine Opponenten, die sich selbst Demokraten nennen, vom ersten Tage an, noch vor Beginn der Wahlkampagne, mich mit Schmutz übergossen, besonders mich und jetzt schlägt man mir vor, dass ich mich mit ihnen an einen Tisch setze – wozu?“ „Lasst sie reden und ich werde arbeiten“.
Ironischerweise unterstützte Janukowitsch durch seinen Verzicht 2004 auch seinen Weggefährten Bogdan Gubskij, heute Abgeordneter des „Block Julia Timoschenko“, der nun gezwungen ist, einige andere Ansichten zu vertreten. Vor zehn Jahren sagte er in einer Diskussion mit Nikolaj Katerintschuk im öffentlichen Radio:
„Bezüglich dessen, ob es eine Liveübertragung, einen direkten Dialog geben wird, hat Wiktor Janukowytsch seine Meinung zu dieser Sache geäußert, wir kennen sie, sie ist öffentlich – seiner Ansicht nach war es nicht unbedingt tolerant, wie der Wahlkampf von Seiten Wiktor Andrijowytsch Juschtschenko geführt wurde was die Nutzung von schmutzigen Technologien betrifft“
„Ein solches Treffen im Fernsehen wird erst danach möglich, so wie es eine öffentliche Entschuldigung bezüglich dessen gibt, dass die Anschuldigungen, die geäußert wurden, ausgeglichen werden. Erst danach kann es, der Meinung Wiktor Janukowytschs nach, eine entsprechende Sendung geben“
Über öffentliche Entschuldigungen sprach auch der Stabschef der „Regionalen“, Sergej Tigipko.
Aber sogar in diesen Tagen fasste Janukowitsch, ungeachtet der unruhigen Situation und unter dem Druck der revolutionären Stimmung in der Öffentlichkeit, den Entschluss, an den Debatten teilzunehmen.
„Was die Teledebatten betrifft, so habe ich viele Briefe von Wählern erhalten und ich meine, dass sie recht haben – trotz allem geben Teledebatten die Möglichkeit zu sehen, wer wer ist und ich etwas mit dem ich zu den Fernsehdebatten gehen kann. Ich habe trotz allem die Entscheidung getroffen die Emotionen beiseite zu legen und zu den Fernsehdebatten zu gehen. Ich gehe zu den Teledebatten“.
Die Übertragungen der Debatten von 2004 hatten die höchsten Ratings in der Geschichte der Ukraine (bei der ersten Debatte mit einer Einschaltquote von 38,1% und einem Marktanteil von 71,4%, bei der zweiten 46,9% und 89% Marktaneil). Sie wurden von angesehenen, internationalen Medienanstalten übertragen – BBC, Financial Times, Daily Telegraph, Independent, Times. Und keine von ihnen stellte den unbedingten Sieg Wiktor Juschtschenkos in Frage.
Und wenn man der Wahrheit ins Auge sieht, hätten diese Debatten ohne die Zustimmung Janukowitschs nie stattgefunden.
Sechs Jahre später liegt das Schicksal der Fernsehdebatten erneut in den Händen des Chefs der Partei der Regionen. Und es ist völlig unverständlich, dass er und seine Mannschaft sich weigern, diese Tradition im politischen Leben der Ukraine zu stärken.
Was Live-Treffen zwischen Janukowitsch und Timoschenko betrifft, so konnten wir solche Debatten ja schon im Oktober 2008 sehen.
Im Ergebnis war er für seine Anhänger und auch für einige seiner Gegner – bei all seinen Unzulänglichkeiten und bei all seiner Unsicherheit – doch überzeugender als Timoschenko. Gründe hierfür waren seine Offenheit und Aufrichtigkeit. Er las keine Phrasen vom Zettel ab und improvisierte am Ende sogar. Besonders beeindruckte damals sein erzürnter Monolog über die Bergarbeiter.
Und schlussendlich zum Argument aus der Umgebung Janukowitschs, dieser würde das „Reden nicht lieben“ und „beherrsche es nicht sehr“.
Erstens sollte man sich eingestehen, dass das Problem nicht bei Janukowitsch selbst liegt. Das Problem besteht im Fehlen eines geschlossenen Teams. Wenn im Falle vom Block Julia Timoschenko ein jeder Abgeordneter im Vorbeigehen drei bis fünf Schlüsselfiguren nennen kann, die für die Öffentlichkeitsarbeit Timoschenkos zuständig sind, so verliert man sich bei der Partei der Regionen schon bei der Frage, wer der Pressesekretär Janukowitschs sei.
Und unabhängig davon, ob Janukowitsch nun Präsident wird oder nicht, ist die derzeitige Wahlkampagne ein einziges Fiasko von Seiten seines Stabs.
Es kann nicht ein und derselbe Mensch verantwortlich sein für die Vorbereitung, das Vortragen und die Kommentierung der Thesen Janukowitschs. Es ist lächerlich, wenn der Parteichef seinen Pressesekretär zitiert und dies als seine eigene Position darstellt.
Alle Probleme und Unzulänglichkeiten Wiktors Janukowitschs in der Öffentlichkeitsarbeit haben ihren Ursprung in den Phobien und dem Unprofessionalismus seines Apparats. Es wäre eben ihre Aufgabe gewesen, jene Eigenschaften ihres Führers zu finden und zu entwickeln, welche man der beredten Art Julia Timoschenkos hätte entgegenstellen können.
Die Ablehnung von Fernsehdebatten ist eine erzwungene Maßnahme, diktiert von der fehlenden Erfahrung, Progressivität und Kreativität seiner engeren Umgebung. Im Stab der Partei der Regionen gibt es keine Spezialisten, die Janukowitsch auf eine öffentliche Debatte, nicht einmal mit dem politischen Gegner, sondern selbst mit Journalisten vorbereiten könnten.
Das ist, milde gesagt, unprofessionell und nicht hinnehmbar für eine Partei, die sich um die Macht bewirbt. Und es ist kaum verständlich, dass man hohe Honorare an amerikanische Spezialisten zahlt, wenn nach sechs Jahren Arbeit eines der Schlüsselattribute bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen – offene Debatten – Janukowitsch immer noch fremd ist.
Zweitens ist es im Prinzip absurd, vor seinen Konkurrenten zuzugeben, dass er das Sprechen nicht „beherrscht“ und auch nicht „wünscht“. Er ist verpflichtet, das zu können! Es ist ja auch Teil seiner Arbeit, seine Gedanken zusammenhängend und logisch darzulegen und unabhängig davon, wer ihm gerade in welcher Art gegenübersteht, seine Position dem Wähler näher zu bringen.
Das haben sich weder die Amerikaner noch die Russen ausgedacht. Und auch im Stab Julia Timoschenkos hat man die Grundlagen der öffentlichen Diskussion nicht erfunden. Das sind Traditionen, die ihren Anfang schon im alten Griechenland, auf den Plätzen Athens haben.
In vielen Ländern – Deutschland, Finnland, Schweden, Italien und Japan – ist die Teilnahme der Premierminister-Kandidaten an öffentlichen Fernsehdebatten gesetzlich vorgeschrieben. In der Ukraine gibt es eine solche Verpflichtung nicht, so wie auch in den USA. Aber eine Tradition ist umso wertvoller und bedeutender, wenn sie nicht aus einer gesetzlichen Verpflichtung entsteht, sondern aus dem inneren Wunsch der Politiker selbst.
Im Verlaufe der letzten sechs Jahre ist es Wiktor Janukowitsch nicht gelungen, das Image des undemokratischen, nicht offenen Politikers abzulegen. Weder in der öffentlichen Rhetorik, noch im Kreise von Journalisten oder jenseits der ukrainischen Grenzen. Deshalb hätte seine Zusage zur Teilnahme an einer Fernsehdebatte umso mehr symbolischen Charakter.
Und letztlich hat Janukowitschs Stab durch seine hartnäckige Ablehnung öffentlicher Debatten Timoschenko nur eine weitere Möglichkeit zu Vorwürfen in seine Richtung geschenkt. Wie sich das im Wahlergebnis niederschlägt, ist noch nicht abzusehen.
Es ist klar, dass der Verzicht auf Fernsehdebatten für den Politiker und noch mehr für den Menschen Janukowitsch eine Niederlage ist. Die Niederlage besteht nicht in seiner Feigheit oder Unsicherheit, sondern darin, dass er sich als Bewerber auf den höchsten, staatlichen Posten gegenüber den Argumenten seines Gegners als kraftlos erwiesen hat.
Selbst wenn Janukowitsch sich als fähig erweisen sollte, ein offenes, zusammenhängendes und konstruktives Gespräch zu führen, so ist sein Verzicht auf Fernsehdebatten mit Timoschenko aus dem Grund, dass sie nicht „zur Sache“ spricht oder „lügt“, ein persönliches Eingeständnis des Sieges von Populismus über konstruktive Rhetorik.
Denn unabhängig davon, ob Janukowitsch Präsident wird oder nicht, bleiben Lügen und Populismus im Selbstverständnis von Millionen Menschen ein Schlüsselinstrument für politischen Erfolg, dem man nichts entgegensetzen kann.
Mustafa Najem
Quelle: Ukrajinska Prawda
Zur Information: Die Zentrale Wahlkommission hat für den 1. Februar ein Fernsehduell zwischen Tymoschenko und Janukowytsch angesetzt, welches vorher für den 5. Februar vorgesehen war. Bislang weigert sich Janukowytsch an diesem Duell teilzunehmen.