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Tomasz Konicz: Vorwahlkampf in der Ukraine

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Voraussichtlich im Januar wird es in Kiew einen neuen Präsidenten geben

Es war einer jener in der Ukraine seltenen Momente weitgehender parlamentarischer Einigkeit, als am 1. April 2009 das ukrainische Parlament, die Rada, mit 401 von 450 Stimmen die kommenden Präsidentschaftswahlen auf den 27. Oktober dieses Jahres festlegte. Doch mitten im bereits anlaufenden Vorwahlkampf konnte der derzeitige Präsident Viktor Juschtschenko einen seiner inzwischen rar gesäten Erfolge feiern: Mitte Mai verwarf das oberste Gericht in Kiew diesen Termin als verfassungswidrig. Juschtschenko berief sich bei seiner Klage auf Regelungen der neuen, seit 2006 geltenden Verfassung. Die Rada hingegen ließ den Wahltermin gemäß der alten ukrainischen Verfassung ansetzen, da der derzeitige Präsident bereits 2005 sein Amt antrat.

Der neue Wahltermin wird aller Voraussicht nach der 17. Januar 2010 sein. Somit gewinnt nicht nur der derzeitige Staatschef eine knapp dreimonatige Galgenfrist; auch ein frischgebackener Shootingstar der ukrainischen Politik, der gerade 35jährige Arsenij Jazenjuk, erhält wichtige Zeit zur weiteren Profilierung. Der ehemalige Außenminister und getreue politische Wegbegleiter Juschtschenkos konnte bereits im April in einer von dem Meinungsforschungsinstitut FOM durchgeführten Umfrage zu der derzeitigen Regierungschefin Julia Timoschenko aufschließen. Demnach würden Jazenjuk 14 Prozent aller Befragten ihre Stimme geben, während Timoschenko auf 15 Prozent Zuspruch hoffen kann. Die Umfragen führt allerdings der Chef der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch an, für den 22 Prozent aller Wähler stimmen würden. Der derzeitige Staatschef hat hingegen kaum noch Aussichten auf eine Wiederwahl, da gerade zwei Prozent aller Ukrainer sich eine zweite Amtszeit Juschtschenkos wünschen.

So bleibt dem Staatsoberhaupt nur noch die Möglichkeit, alle Hoffnung auf seinen politischen Zögling zu setzen. Jazenjuk, der derzeit Abgeordneter der Präsidentenpartei »Unsere Ukraine« ist, arbeitete 2006 in der Präsidialkanzlei und war kurze Zeit Wirtschaftsminister sowie kommissarischer Zentralbankchef, bevor ihn Juschtschenko 2007 zum Außenminister machte. Auch etliche der führenden Oligarchen des Landes unterstützen den aufstrebenden Politiker. Finanzielle Zuwendungen sollen an Jazenjuk unter anderem von Viktor Pintschuk fließen, dem laut Forbes-Liste reichsten Mann der Ukraine, der – aus der Nomenklatura stammend – sich inzwischen für eine Westintegration der Ukraine stark macht. Auch Dmitrij Firtasch, zu dessen Besitztümern unter anderem mit Inter-TV einer der größten Fernsehkanäle des Landes zählt, läßt Jazenjuk in diesem sehr viel Sendezeit einräumen.

Es ist durchaus wahrscheinlich, daß die kommenden ukrainischen Präsidentschaftswahlen in einem Dreikampf zwischen Timoschenko, Janukowitsch und Jazenjuk entschieden werden. Dabei scheint die Partei der Regionen des in den Umfragen führenden Viktor Janukowitsch mit Spaltungstendenzen zu kämpfen. Inna Bogoslowskaja, eine ehemals führende Funktionärin dieser in der russisch geprägten Ostukraine beheimateten Partei, kündigte dieser Tage ihren Parteiaustritt an, um eigenständig an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen zu können. Unklar ist indes noch, ob dieser Austritt ernsthafte Konsequenzen für die Wahlchancen Janukowitschs haben wird.

Der rußlandfixierten Partei der Re­gionen wird ihre Wählerschaft im Vorwahlkampf vor allem von Julia Timoschenko streitig gemacht, da die umtriebige Regierungschefin sich ebenfalls um gute Kontakte zu Rußland und im postsowjetischen Raum bemüht. Dabei hat Timoschenko durchaus Erfolge vorzuweisen: Während eines Gipfels der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) im kasachischen Astana schlug der russische Regierungschef Wladimir Putin seiner ukrainischen Amtskollegen vor, eine Vorauszahlung der russischen Transitgebühren für das durch die Ukraine nach Westen fließende Erdgas zu leisten. Die Gebühren für fünf Jahre könnten laut Putin unverzüglich an Kiew überwiesen werden, um die Zahlungsfähigkeit des ukrainischen Gasversorgers Naftogas aufrechtzuerhalten. Beobachter gehen davon aus, daß es sich bei diesem Angebot um eine indirekte Wahkampfunterstützung für Timoschenko handelt, vermittels derer die Zahlungsfähigkeit von Naftogas über den Wahltermin hinaus gesichert werden soll. Ein Bankrott von Naftogas mitsamt Lieferausfällen und einer möglicherweise vom Kreml angestrebten Übernahme des ukrainischen Pipelinesystems durch den russischen Gasmonopolisten Gasprom sollen so bis zur Amtsperiode eines neuen Präsidenten – oder einer neuen Präsidentin –hinausgezögert werden.

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Der Autor ist freier Journalist und berichtet über Osteuropa und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Seine Texte finden sich unter der Adresse im Netz.

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