Wovon die "Grenze" zur Krim lebt
Was denken die Menschen, die auf die Halbinsel fahren, die LKW Fahrer und Grenzer
Am 18. März, als in Moskau der Jahrestag der Annexion der Krim bejubelt wurde, bewegten die Menschen, die auf die Halbinsel fuhren, ganz andere Fragen.
„Fahren Sie bis Armjansk?“, , suchte eine etwa vierzigjährige Frau einen Reisegefährten im Zug. Man muss sich zusammentun. Solche Bequemlichkeiten hat man den Menschen bereitet!
Sie sorgt sich sehr: zum ersten Mal fuhr sie auf die Krim, seit die Ukraine Ende Dezember direkte Passagierverbindungen mit der Halbinsel strich, wie die Eisenbahn, so auch die Busverbindungen.
Die Frau springt aus dem Zug und rennt zum Linientaxi mit der Tafel „Simferopol“, die man später zwecks Konspiration gegen „Unregelmäßige Überfahrten“ austauscht.
Sie hätte sich nicht beeilen müssen – im Linientaxi, das ein Mal am Tag fährt, waren viele freie Plätze. Die Fahrpreise sind gesalzen: zur Grenze 200 Hrywnja (etwa acht Euro), bis Simferopol 400.
Der Taxifahrer ist durchaus kein Monopolist. Mit ihm konkurriert der Besitzer eines neunsitzigen Minivans. Genau so viele Passagiere lässt man auf einmal durch über die Grenze, die Klassifikation „bis neun Plätze inklusive Fahrer“ fällt unter die Regelung der Straßenverkehrsordnung. Der Fahrer des Minivans begann am Taxi zu „betteln“: „Gib mir wenigstens ein paar Passagiere!“
Um die Verbote herum
Die Chersoner Linientaxifahrer, deren Seite bei „VKontakte“ mit der Erklärung „Wir sind für eine Welt ohne Grenzen“ beginnt, erwiesen sich als deutlich proukrainisch.
„Alle hoffen auf ein Wunder, dass die Krim zur Ukraine zurückkehrt“, erzählte mir Sascha, der Fahrer des Linientaxis.
Er hat eine Antwort darauf, warum die Fahrt auf die Krim so teuer ist: „Das ist wegen des Diesels, nicht wegen des Verbots.“
Nach seinen Worten haben sich die Chersoner Linientaxifahrer einfach mit denen aus Simferopol zusammengetan: die Einen fahren die Passagiere bis zum Kontrollpunkt, dort gehen sie zur Fuß über die Grenze, und von dort bringen sie die Busfahrer der Krim in einem anderen Bus zum Ziel.
Im Linientaxi gibt es einen „Kontrolleur“, seine Aufgabe ist es, die Leute zu begleiten und zu zählen, damit niemand verloren geht. Das Geld teilen sich die Chersoner und Simferopoler Fahrer jeweils hälftig.
Unbequem wurde es für die Passagiere vor allem wegen der Streichung der Züge.
Am Kontrollpunkt „Kalantschak“ spreche ich mit einem Grenzer. Parallel dazu beobachte ich meine Mitreisenden aus dem Linientaxi. Sie stehen schon über eine Stunde mit ihren Taschen verloren im Wind im „neutralen“ Streifen: der russische Zoll hat den Bus von der Krim, der sie hier abholen sollte, nicht durchgelassen.
Der Sicherheit wegen
„Ja, wir haben die Anweisung, keine Transportmittel mit mehr als acht Passagieren durchzulassen“,erklärt Oberleutnant Artjom Kornejew, der stellvertretende Vorgesetzte des Kontrollpunkts „Kalantschak“.
Offiziell hängt dies mit den Sicherheitsbestimmungen zusammen. Die Staatsorgane haben den Verdacht, dass Diversanten in organisierten Gruppen über die Grenze kommen könnten. Zu Fuß durch den Kontrollpunkt zu kommen, ist für Gruppen schließlich schwierig. Ich sehe nach der Gruppe aus dem Linientaxi. Selbst von weitem kann man erkennen, wer wie viele und welche Taschen hat, wie viel Frauen und Männer in der Gruppe sind.
Wer selbst von den prinzipienlosesten Ukrainern fährt auf diese Weise auf die Krim zur Erholung? Mit Kindern zum Beispiel? Ich frage unseren Grenzsoldaten:
„Ist die Streichung der öffentlichen Verkehrsverbindungen nicht verbunden mit einer wirtschaftlichen Blockade?“
Die Frage verwundert den stellvertretenden Kommandierenden:
„Wir fertigen Menschen sehr schnell ab. Und Waren lassen wir auch durch. Übrigens entsteht die ganze Schlange, die sie hier sehen, durch das Handeln der russischen Seite.“
h2. Zwei Wochen an der Grenze
Ich frage Trucker, Fahrer und Passagiere, die regelmäßig über die „Grenze“ fahren. Alle bestätigen, dass die Verzögerungen aus dem langsamen Handeln der Russen resultieren.
Die ersten Menschen in der Autoschlange standen dreißig Minuten auf der Seite der Ukraine, das ist viel weniger als an der Grenze der „Schengen“-Staaten. Aber an der „Grenze“ der russischen Seite sitzen die Leute stundenlang fest.
Am längsten von allen warten Fernlastfahrer. Das erste, was einem bei der Einfahrt zum Kontrollpunkt ins Auge sticht, ist die zweireihige Aufstellung von „Fuhren“ bis zum Horizont.
„Zur Zeit beschränkt sich die Wartezeit auf sieben Tage. Früher waren es zwölf bis dreizehn Tage“, sagt Kornejew.
Die Ukraine wird in der Geschwindigkeit der Abfertigung von einem einfachen Faktor begrenzt: man kann die „Fuhren“ nirgendwo im „neutralen Streifen“ mehr parken. Deshalb müssen die ukrainischen Grenzer und Zollbeamten warten, bis der russische Zoll ein Fahrzeug durchlässt, um das nächste auf der eigenen Seite abzufertigen.
Die Fernfahrer verhalten sich stoisch oder apathisch. Sie werden für die „Standzeit“ sowieso bezahlt. Viele Firmen wechseln die Fahrer: ein paar Tage wartet der eine, ein paar Tage ein anderer. Mit dem Wechsel der Fahrer bringt man auch Essen. Am Kontrollpunkt selbst steht nur ein einziger Café-Container.
Da es noch kalt ist, müssen die Fahrer der „Fuhren“ die Motoren anwerfen, um die Kabinen zu heizen, in denen sie schlafen.
„Mir erzählte einer aus Nikolajew, dass er dreizehn Tage wartete und so 180 Liter Diesel verbrauchte“, sagt Taxifahrer Alexander.
Der Stillstand kommt vor allem in den Preisen für die Lieferung von Lebensmitteln für die Krimbewohner zum Ausdruck. Im Preis sind die Bezahlung für den Fahrer und der Preis für den verheizten Dieselkraftstoff eingeschlossen.
Die PKW-Fahrer sagen, dass sie an der Grenze stehen, weil es den Russen „scheißegal“ ist. Man sagt, die Ukraine fertigt PKW an einem eigenen Schalter schnell ab, aber sie müssen trotzdem einige Stunden auf der Seite der Krim warten.
„So machen die Russen durch diesen Stillstand selbst alle Waren bei Euch teurer?“, prüfe ich bei einem prorussisch gestimmten Krimbewohner nach, der die ganze Nacht wegen der Wartezeit am Zoll nicht geschlafen hat.
„Ja. Ich habe versucht, irgendwie mit ihnen zu sprechen. Es ist so, dass sie auf unseren Aksjonow sowie auf unsere Autonomie pfeifen“, sagte er.
Früher waren wir verbrüdert
Bis zur notwendigen Errichtung eines Kontrollpunktes an der Verwaltungsgrenze diente Kornejew an anderen zwischenstaatlichen Durchlassstellen, darunter auch mit Russland. Vor der Annexion der Krim und dem darauffolgenden Konflikt in 2014 war nach seinen Worten alles anders.
„Es kam auch vor, dass wir unaufmerksam waren und einen Grenzverletzer durchließen, aber die Russen hielten ihn auf und übergaben ihn uns zurück. Und wir taten das Gleiche für sie. Wir hielten gemeinsame Besprechungen ab.“
Das Gleiche erzählt Oberleutnant Artjom Bratanjuk, Oberst der Grenzeinheiten.
Bratanjuk diente nach seinen Worten an allen Grenzen der Ukraine. Im Detail war er einer von jenen, die im Sommer zwangsweise die Grenze zu Lugansk verlassen mussten. Aber darüber möchte Bratanjuk nur sehr ungern reden:
„Ja, früher waren wir Brüder, aber jetzt kann dass Verhältnis so sein, dass, wenn du dich auf 200 Meter der Grenze näherst, sie dir im Schützenpanzer entgegenkommen. Und wir verhalten uns ihnen gegenüber genauso.“
Wo ist die Garantie, dass du uns nicht erneut verrätst?
Im Unterschied zu Bratanjuk dient Kornejew am Kontrollpunkt „Kalantschak“. Die Chersoner Einheit begann bei null, weil das Gebiet Cherson früher kein Grenzgebiet war. Der Großteil derer, aus denen die Einheit zu Beginn gebildet wurde, sind Grenzbeamte, die nicht nach Russland übergelaufen sind:
„Zum Beispiel hatten wir einen stellvertretenden Oberst… Als „grüne Männchen“ ihre Basis in Simferopol besetzten und sie zwangen, entweder auf die russische Seite überzulaufen oder unbewaffnet wegzugehen, verschweißte er nachts vor dem Weggehen alle Läufe der Maschinengewehre.“
Jetzt sind in der Chersoner Einheit nach den Worten des Leiters ihres Pressedienstes Maxim Soroki schon Menschen aus der gesamten Ukraine. Leider wollte niemand von den vertriebenen Krimbewohnern, die nicht auf die russische Seite übergelaufen sind, sprechen: Sie haben alle noch Verwandte auf der Krim.
Diejenigen, die bei der Okkupation auf die russische Seite übergelaufen sind, schätzt man weder in der Ukraine noch in Russland. Bratanjuk erzählt mit Kornejew um die Wette eine schon bekannte Geschichte: „Normalerweise essen Offiziere alle gemeinsam Mittag, getrennt von den Soldaten. Jetzt wollen die russischen Offiziere mit den Verrätern aus der Ukraine nicht an einem Tisch essen. Sie sagen, wenn du einmal verraten hast, wo ist die Garantie, dass du nicht noch einmal überläufst?
Praktisch genau diese Geschichte erzählte mir früher der zusammen mit den Schiffen von der Krim entkommene Jurij Alejnikow: „Niemand braucht Verräter“.
Alles ist schon aufgenommen
„Macht es nichts, dass ich alles von oben fotografiere?“, verwundert mich der Vorschlag Kornejews, ein Übersichtsfoto zu machen.
Er machte „hm“ und winkte mit der Hand:
„Von hier aus sind sowieso keine echten Verteidigungseinrichtungen zu sehen. Und außerdem ist sowieso schon alles aufgenommen.“
Die genaue Linie der Abgrenzung zwischen Chersoner Gebiet und der Krim wurde erst im letzten Jahr festgelegt; früher hatte sie verständlicherweise nicht so eine praktische Bedeutung.
Und in diesem ganzen Jahr flogen von Zeit zu Zeit genau an dieser Linie russische Hubschrauber. Zumindest überschreiten die Hubschrauber diese Linie nicht. Aber Drohnen überschreiten sie manchmal. Nach den Worten Kornejews fliegen sie dabei auf einer Höhe von mehr als 3 km, so dass man sie nicht herunterholen kann.
Man muss mehr Radau machen!
Als eine buntere Gestalt erwies sich der 55jährige Walentin, der als Wächter vor dem Kontrollpunkt arbeitet.
„Ich glaube“, die Hand aufs Herz und den grauen Bart legend, strich er sich über den Bart und zeigte auf die Reihe der „Fuhren“, „wenn wir schon mit Russland Krieg führen, dann sollten wir diese alle nicht durchlassen. Wenn wir Krieg führen, dann nichts hinüber und herüber. So.“
Er duldete keinen Widerspruch.
„Und was denken Sie?“, verdächtig schaute mich Walentin an, und als ich ziemlich lange die Nuancen überdachte, schlug Walentin vorausschauend vor: „Ah, dass sowohl ihre als auch unsere, ja?“
„Nun, ich bin einfach nicht sicher, ob man die Bürger aushungern muss…“
„Man hätte mehr mehr Lärm schlagen müssen!“
„Aber einige haben doch Lärm geschlagen…“
„Man muss mehr Lärm machen!“
„Das heißt, sie denken, jetzt sollte man sie aushungern?“
„Sollte man, damit sie sich wehren!“
Ich hatte schon beschlossen, Walentin auf die Seite der proukrainischen Bürger zu schreiben, als er mit seiner nächsten Behauptung zum wiederholten Mal daran erinnerte, dass sich Menschen nur in Schablonen in zwei Kategorien einteilen lassen. Tatsächlich haben alle ihren Spleen.
„Wissen Sie“, bekannte Walentin, „Ich würde weder zu Russland noch nach Europa wollen. Wissen Sie, wem ich mich anschließen würde?“
„Nun?“, und insofern als ich auch solche schon getroffen habe, kam mir in der Sekunde der Gedanke, als Walentin sagte:
„Zu Bazka (Alexander Lukaschenko – Anm. d. Übers.)! Der Bazka würde für Ordnung sorgen.“
19. März 2015 // Artjom Tschapaj
Quelle: The Insider