Die Ministerpräsidenten von Belarus und Russland klärten wieder einmal lautstark ihr Verhältnis. Dieses mal wegen ukrainischer Lebensmittel.
Ende des vergangenen Jahres beendete die Russische Föderation die Möglichkeit des Reexports russischen Flüssiggases, Benzins und Dieselkraftstoffs in die Ukraine über Belarus. Jetzt versucht die russische Regierung den umgekehrten Weg zu versperren, die illegale Lieferung von ukrainischen Lebensmitteln über Belarus nach Russland.
Gegenseitige Beschuldigungen
Am ersten Februar fand in Kasachstan, in Almaty die Versammlung des Eurasischen zwischenstaatlichen Rates statt, eines der höchsten Organe der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU). Dort wurde der Ministerpräsidenten Sergej Rumas aus Belarus durch den russischen Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedjew buchstäblich mit Vorwürfen wegen des Problems der Lieferung sanktionierter Lebensmittel über Belarus überzogen.
Später erzählte der Wirtschaftsentwicklungsminister der Russischen Föderation Maxim Oreschkin Journalisten: „Ebenso war eine der Fragen, die beim Treffen im engeren Kreis aufgeworfen wurden, die der Lieferung sanktionierter Waren über graue Kanäle, über das belarussische Territorium auf den russischen Markt. Der Ministerpräsident von Belarus zog in Zweifel, dass so etwas geschieht. Als Antwort darauf stellte Dmitrij Anatolewitsch der belarussischen Seite Material vor, das konkret die Waren und Firmen aufzeigt, die darin verwickelt sind. Deshalb wird auch dieses Problem gelöst werden.“
Wir erinnern daran, dass die russische Regierung am 7. August 2014 das „Gegensanktionen“ genannte Verbot der Lieferung eines Großteils an Nahrungsmitteln aus westlichen Ländern einführte. 2016 traten analoge Sanktionen für Lebensmittel aus der Ukraine in Kraft.
Buchstäblich von Beginn der „Gegensanktionen“ an begann Russland Belarus des Verstoßes dagegen zu beschuldigen, darunter, dass über belarussisches Territorium der Schmuggelstrom für in Russland verbotene Lebensmittel verläuft. Offizielle Personen – hochgestellte Beamte der Russischen Föderation – zogen in öffentlichen Auftritten die effektive Arbeit des Systems der staatlichen Veterinär- und Pflanzenhygienischen Aufsicht in Belarus in Zweifel. In inoffiziellen Gesprächen und in Publikationen russischer Massenmedien spricht man mehr davon, dass der gesamte Schmuggel die belarussische Regierung kuriert, die daran ihren Anteil hat.
Als Antwort erklärt man in Belarus, dass die tatsächlichen Organisatoren des Schmuggels einflussreiche russische Geschäftsleute seien, die von hochrangigen Grenzbeamten gedeckt werden. Am 17. Juli 2018 erklärte Alexander Lukaschenko bei einem Treffen mit dem Chef des staatlichen Zollkomitets Jurij Senko: „Das bereitet uns Kopfschmerzen. Wir leisten ungeheure Arbeit im Interesse Russlands, und wie hier Zollbeamte und Andere berichten, gibt es dort einen ständigen Kampf: Irgendwer bestellt irgendwelche Artikel in den Medien. Sie beginnen Vorwürfe gegen uns zu erheben. Statt Dankbarkeit beginnt man hie und da auf uns zu zeigen, dass wir hier in Bezug auf die sanktionierten Waren schlecht arbeiten.“
Es war deutlich, dass das Geschehen bei der Beratung extra für die Zuschauer aus der Russischen Föderation vor der Kamera inszeniert war. Der belarussische Präsident erörterte: „Ist diese Frage geklärt? Wenn dem nicht so ist, müssen wir mutiger darüber sprechen, weil nach Informationen der Spezialeinheiten, die mit all diesen negativen Prozessen befasst sind, mit den „Sanktionen“ und anderen Fragen Firmen und Gesellschaften der Russischen Föderation in Verbindung stehen, mitunter große, hinter denen große Ermöglicher mit schweren Schulterklappen stehen. Man muss sich nicht scheuen auch darüber zu sprechen. Nicht mit den russischen Zöllnern, sondern die Regierung und den Präsidenten der Russischen Föderation darüber informieren, damit sie das bei sich klären. Ich spreche mit Putin sehr oft darüber. Aber man muss die Fakten darlegen.“
Als Antwort führte Jurij Senko ein konkretes Beispiel an: „Gestern wurden in Richtung Mogiljow zwei LKW aufgehalten, die mit sogenannten sanktionierten Waren unter gefälschten Papieren aus Belarus nach Russland fuhren. Diese zwei LKW wurden von einem Bürger aus Russland begleitet, der per internationalem Haftbefehl gesucht wurde. Der Bürger wurde verhaftet.“ Darauf antwortete Lukaschenko: „Sie fälschen Dokumente, fahren selbst, und geben uns dann die Schuld.“
Belarussischer Transit – für die Ukraine und für alle Interessenten
Die belarussische Führung, kann, wenn sie will, auch virtuos sein, wie dieses „über einen Kamm scheren“ aller Russen. Bemerkenswert auch die erklärte Ursache, nach der ein beispielloser Strom von Schmuggelware über belarussisches Territorium fließt. Der Grund, es sei eine liebe Gewohnheit des „großen Bruders“ konfiszierte polnische Äpfel mit Bulldozern zu zerquetschen und französische Gänsepastete in Krematoriums-Öfen zu verbrennen, die an der Grenze beschlagnahmt wurde, bringt alle zurechnungsfähigen Menschen dazu, sich an den Kopf zu fassen.
Allerdings beweisen im Jahr 2014 erhobene Daten: Die belarussische Führung verwandelte den Transit von „Sanktionsware“ in eine sehr einträgliche Quelle verschleierter Aufstockung des Staatshaushalts. Wenn man den Charakter der Verhältnisse innerhalb des Landes betrachtet, indem sich absolut alles unter strenger staatlicher Kontrolle befindet, ist es schwer vorstellbar, dass irgendjemand in Belarus ein heimliches Schmuggelgeschäft im Gegenwert von hunderten Millionen Dollar betreiben kann, und das am Staat vorbei.
Hier einige Beispiele. Belarus hat 2015 573.000 Tonnen Äpfel und Pilze nach Russland eingeführt, was die Ernte in Belarus um das Fünffache übersteigt, erklärte der stellvertretende Generalstaatsanwalt Russlands Wladimir Malinowskij auf der Versammlung der vereinigten Generalstaatsanwälte beider Länder. „Für die Einfuhr nach Russland verbotener Waren werden nicht selten mit Hilfe gefälschter Warenbegleitpapiere und agrarhygienischer Papiere zugestellt. So importierte Russland zum Beispiel im Jahr 2015 573.000 Tonnen belarussischer Äpfel und Pilze. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Belarus, übersteigt das die Ernte um das Fünffache“, zitiert TASS Malinowskij.
Und im nächsten Jahr wurde Belarus zum Hauptimporteur für ukrainisches Obst. Nach Angaben des russischen Staatlichen Fiskaldienstes vom November 2016 kauften gerade belarussische Firmen 99 Prozent des exportierten ukrainischen Obstes im Wert von 554.000 USD auf. Die wichtigsten Posten des ukrainischen Obstexportes nach Belarus waren Äpfel, Pflaumen, Birnen, Pfirsiche, Aprikosen, Wassermelonen und Honigmelonen.
Damals verheimlichten alle Marktteilnehmer nicht einmal besonders, dass die belarussischen Firmen nur Zwischenhändler sind und diese Früchte einfach als belarussische Früchte nach Russland weiter verkauften, mit den entsprechenden Papieren. Und oft auch, ohne sich überhaupt um entsprechende Zertifizierungen zu bemühen. Die Bestätigung dessen ist die Erklärung der russischen Landwirtschaftsaufsichtsbehörde vom Dezember 2016 darüber, dass die Behörde 2016 445 Partien illegaler Gemüse und Früchte festgestellt hat, die aus Belarus nach Russland kamen.
„Tatsächlich ist das System einfach, wenn man sich mit dem Obst befasst. Es gibt Betriebe in Belarus, die Äpfel von nahegelegenen Gartenbau-Kolchosen kaufen. Dieser zählt – in Russland – als belarussischer Lieferant von Äpfeln aus eigener Produktion“, erzählte der belarussische Unternehmer Witalij Malaschonok, der sich mit Importen von Waren aus der Ukraine befasst, Lewyj Bereg. „So ein Betrieb erhält, sagen wir, drei Waggons Äpfel aus der Ukraine. Er gibt drei Eimer eigener Äpfel dazu, verpackt sie und schickt sie nach Russland als 100 Prozent belarussische Produktion. An den Äpfeln kann man nicht wirklich erkennen, wo sie gewachsen sind.“
Nach Daten des ukrainischen staatlichen Statistikamts hat sich die Exportmenge ukrainischer landwirtschaftlicher Produkte nach Belarus im Vergleich zu 2013 bis 2017 fast vervierfacht. Es handelt sich dabei vor allem um Fleisch, Milchprodukte und Gemüse.
Man könnte unterstellen, dass die ukrainischen Bauern nach den Handelsbeschränkungen durch Russland einfach einen neuen Absatzmarkt finden mussten. Und teilweise fanden die Produkte ukrainischer Bauern tatsächlich Verbraucher in Belarus. Aber eine Vervierfachung des Bedarfs in Belarus hat in diesen wenigen Jahren sicher nicht stattgefunden, und die örtliche Wirtschaft produziert auch ausreichend Gemüse, Fleisch und Milch. Es handelt sich um heimliche Reexporte ukrainischer Waren nach Russland, da es zwischen der Russischen Föderation und Belarus keine gesicherte Grenze gibt und die russische Landwirtschaftsaufsicht nur eingeschränkte Möglichkeiten hat den Schmuggel zu bekämpfen.
So nahm die Behörde Ende 2017 an, dass bis zu einem Viertel des Rohfleisches auf dem russischen Markt aus ukrainischer Produktion stammen könnte. Der Experte der höheren Wirtschaftsschule (Moskau) Andrej Susdalzew bemerkte, dass die belarussische Regierung am Schmuggel nach Russland, vor allem mit ukrainischen Lebensmitteln, bis zu einer Milliarde Dollar im Jahr verdient.
Sein Kollege Dmitrij Bolkunjez erklärte noch vor einem Jahr in einem Gespräch mit Journalisten von Lewyj Bereg, dass Moskau eine gewisse Zeit die Augen vor den Reexporten sanktionierter Waren aus der Ukraine verschlossen hat, aber die antirussische Demarche des Präsidenten Lukaschenko zwangen Moskau dazu, die Quellen dieser Lieferungen genauer zu verfolgen. „Sehr schnell versiegte der Zustrom der Schmuggelware in das System. Solche Machenschaften sind unmöglich ohne Kontrollen vonseiten des [belarussischen] KGB und der Grenzbehörden des Landes“, sagte Bolkunjez, „das heißt, dass die obere Führung des Landes nicht nur über das Geschehen im Bilde ist, sondern auch an der Organisation und der Vertuschung beteiligt ist.“
Irgendwann wurde das Problem des „belarussischen Schmuggels“ sehr akut, und in den Jahren 2016/2017 unternahm die russische Landwirtschaftsaufsicht einige Anstrengungen zur Bestätigung der Echtheit der agrarhygienischen Zertifikate, die den unter die russischen Einfuhreinschränkung stehenden Produkte beilagen, die über Belarus russisches Territorium erreichten. Im Ergebnis war die russische Agraraufsicht genötigt, die Lieferung über Belarus einzuschränken und erlaubte für Lebensmittel aus 33 Ländern nur die direkte Einfuhr über Grenzübergänge, die auf dem russischen Teilstück der EAWU-Grenze liegen.
Wie sich herausstellte, erklärten Bangladesch, Benin, Burkina-Faso, Guinea, Jemen, Jordanien, Kongo, Nigeria, San Marino, Tansania und zig andere Länder gegenüber Russland, dass sie keine Lebensmittel nach Belarus lieferten, aber nach Russland wurden aus Belarus Lebensmittel mit „Zertifikaten“ dieser Länder eingeführt. „Die russische Agraraufsichtsbehörde hat alle Gründe anzunehmen, dass Obst- und Gemüseprodukte, die über Belarus als Produktionen dieser Länder eingeführt werden, tatsächlich in der EU und der Ukraine produziert wurden“, erklärte man in der russischen Behörde. Und führten ein Beispiel an: Eine Überprüfung der russischen Agraraufsicht bei Produzenten frischer Äpfel in Belarus, die diese nach Russland exportieren, von Dezember 2017 bis Februar 2018 ergab, dass bei 31 Betrieben im Prinzip keine Äpfel vorhanden sind.
Mit dem Fleisch ist es das Gleiche. Am 6. Februar 2017 verbot Russland die Lieferung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen aus dem Minsker Gebiet in Belarus wegen der Lieferung für die Einfuhr verbotener ukrainischer Produkte durch belarussische Betriebe. Nach Angaben der Agraraufsicht reexportierte Belarus bis dahin mindestens 15.000 Tonnen ukrainisches Rindfleisch in die Russische Föderation.
Als die Lieferung aus dem Minsker Gebiet eingeschränkt wurde, stieg die Einfuhr aus Mogiljow steil an, um 30 Prozent. Im Frühling 2017 erklärte die Abteilung der russischen Agraraufsicht für das Brjansker und Smolensker Gebiet, dass sie bei der Föderalen Regierung die Einführung von Begrenzungsmaßnahmen in Bezug auf die Lieferung von Rohstoffen aus Tierhaltung im Mogiljower Gebiet aus Belarus beantragt, im Detail für Rindfleisch. Der Grund sei die mehrfache Aufdeckung von Einfuhren ukrainischen Fleisches als belarussische Produktion aus diesem Gebiet.
Ein Jahr später wiederholte sich die Geschichte: Ende Januar 2018 erklärte die russische Agraraufsicht, dass 25 Prozent der Rohfleischprodukte auf dem russischen Markt aus ukrainischer Produktion stammen könnten. In der Behörde meint man, dass die wegen des Handelsembargos verbotenen Produkte in Belarus umgepackt und als Rohfleisch aus Mazedonien und dem Iran eingeführt werden.
Und hier kommen nun erneut die lautstarken Klärungen zwischen den Ministerpräsidenten von Russland und Belarus. Ein guter Beweis dafür, dass Lebensmittel aus der Ukraine weiterhin auf Nachfrage in Russland treffen.
5. Februar 2019 // Andrej Paliwoda, Journalist
Quelle: Lewyj Bereg
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