Die Ukraine war in den letzten 25 Jahren immer ein Zentrum für Partnervermittlungen, die ledige und alleinstehende ukrainische Frauen an Männer aus wohlhabenderen Regionen, besonders Westeuropa und die USA, vermitteln. War in Deutschland vor dem Fall des Eisernen Vorhangs diese Art der Partnersuche vorwiegend auf asiatische Länder und deren Frauen beschränkt, wandelte sich dies mit Beginn der 90er Jahre entscheidend: ukrainische und russische Frauen standen bei Männern, die sich auch eine ausländische Ehefrau vorstellen konnten, ganz oben auf der Wunschliste. Das immer noch mit einer ausländischen Frau verbundene Stigma ist seitdem zumindest optisch nicht mehr sichtbar, was vielen Männern entgegenkommt. Ebenso kommen die Frauen aus einem ähnlichen Kulturkreis, was die Eingewöhnung und Integration einfacher macht.
Mit Ausbruch der Unruhen in der Ukraine im Jahr 2014 und dem kurz darauf folgenden Krieg, kommen die Frauen nun aus einem Kriegsland, das außerdem noch eine veritable Wirtschaftskrise zu verarbeiten hat. Die Inflation in der Ukraine erreichte im Jahr 2015 ihren Höhepunkt mit Raten von bis zu 60 Prozent, die Einkommen hingegen sanken und liegen aktuell immer noch nicht auf Vorkrisenniveau. Welche Auswirkungen haben nun diese drastischen Ereignisse auf die internationale Partnersuche, auf Agenturen und auf die partnersuchenden ukrainischen Frauen und deren zukünftige Ehemänner aus dem Westen? Die Migration ukrainischer Bürger in einige Staaten der EU ist 2015 sprunghaft angestiegen, besonders viele Ukrainer wanderten nach Polen aus. Hierbei handelt es sich aber vorwiegend um Arbeitsmigration, in geringerem Maße beantragten Ukrainer auch den Flüchtlingsstatus.
Für die sogenannte Heiratsmigration gibt es leider kaum brauchbares statistisches Material. Es gibt aber keinen Grund nicht anzunehmen, dass die Heiratsmigration nicht auch angestiegen ist, denn die Migrationsgründe für die verschiedenen Migrationsarten sind zwar nicht identisch, aber ähnlich. Ukrainische Frauen, die einen Partner im westlichen Ausland suchen, versprechen sich natürlich auch ein materiell angenehmeres Leben führen zu können, als dies aktuell in der Ukraine möglich ist. Das zu leugnen wäre naiv. Auch bei Frauen, die sich bei uns über Eurodamen anmelden, ist das so. Bei differenzierter Betrachtung wird jedoch schnell klar, dass es meistens jene Frauen sind, die relativ bald eine Familie gründen wollen. Viele Frauen möchten ihre Kinder aber nicht unter den gegenwärtigen Bedingungen in der Ukraine großziehen. Sie bevorzugen für sich und ihre Kinder ein stabiles Wirtschaftsumfeld mit guten Bildungs- und Berufschancen. Kann man den Frauen vorwerfen, dass sie für sich und ihre Kinder ein möglichst gutes „Nest“ suchen?
Der Krieg im Osten der Ukraine hat nun dazu geführt, dass viele Frauen die Hoffnung auf eine Besserung der Lage verloren haben, auch wenn sie nicht unmittelbar von den Kriegsauswirkungen betroffen sind. Die hohen Preise im Supermarkt oder die stark gestiegenen Kosten für Strom und Gas machen vielen ukrainischen Familien das Leben schwer, ukrainische Frauen, die noch nicht verheiratet sind, nehmen davon natürlich Notiz und orientieren sich möglicherweise auch bei der Partnerwahl in Richtung Ausland.
Dazu kommt die immer noch grassierende Korruption im Land, die ja einer der Gründe für den Maidanaufstand war und wie eine Steuer der Schattenwirtschaft wirkt. Dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Heiratsmigration und Lebensstandard gibt, zeigt die Entwicklung in Russland. Im Gegensatz zur Ukraine ist der Lebensstandard des ölreichen Landes beständig gestiegen. Parallel dazu ist die Anzahl der Agenturen und Partnervermittlungen, die russische Frauen an Männer im Westen vermitteln, stark gesunken. Örtliche, alteingesessene inhabergeführte Agenturen findet man in St. Petersburg oder Moskau nur noch selten. Diese Agenturen haben in den 90er und Nullerjahren den Großteil der Kundschaft bedient, heute sind es meistens internationale Datingportale, die von den USA aus ihr Geschäft betreiben. Dabei ist es kein Geheimnis, dass gerade die kleineren Agenturen die beste Arbeit ablieferten und der Dating-Scam damals noch kein großes Thema war.
Aber es liegt auch am traditionellen Rollenverständnis des ukrainischen Mannes. Viele Frauen beklagen sich darüber, dass der ukrainische Ehemann sich nicht um die Belange der Familie kümmert. Tatsächlich ist es so, dass die Alltagsarbeit im „Familienbetrieb“ die Frauen zu erledigen haben. Das ist so in Russland und auch in der Ukraine. Es ist nicht nur die Arbeit, sondern auch die Verantwortung für wichtige Entscheidungen die Kinder betreffend (Schule, Ernährung, soziale Probleme) die bei den Frauen hängen bleiben. Dieses tief sitzende veraltete Rollenverständnis hat seine Wurzeln im russischen Domostroi, einem alten Gesetzeskodex aus dem 16. Jahrhundert, der Regeln für das gesellschaftliche Miteinander beinhaltet und die Frauen dazu anhält sich alleine um die Familienangelegenheiten zu kümmern, der Mann soll nur die Rolle des Ernährers einnehmen. Diese vormodernen Regeln habe es tatsächlich bis ins 21. Jahrhundert geschafft und prägen die ukrainische Gesellschaft bis heute. Viele ukrainische Frauen beklagen deshalb die Unselbständigkeit ukrainischer Männer, böse Zungen unter ihnen beklagen die Faulheit der Männer in Familiendingen.
Solange die Ukraine grundlegende Probleme der Wirtschaft (Korruption, Inflation, Rechtssicherheit) und des gesellschaftlichen Zusammenlebens (Rollenverständnis des ukrainischen Mannes, Gesundheits- und Bildungssystem) nicht löst, wird die Heiratsmigration ukrainischer Frauen nicht abnehmen.
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