In die Zukunft - ohne Swoboda
Kürzlich rief mich eine lange bekannte Fernseh-Journalistin an und schlug mir vor, zu ihrer Diskussionssendung mit Fachleuten zu kommen, wo es darum gehen sollte, der Propaganda des Kremls eine verdiente Abfuhr zu erteilen. Ich stimmte zu, dass man Propaganda aufdecken und auseinandernehmen müsse, machte dabei auch darauf aufmerksam, dass Gegenpropaganda eine völlig undankbare und von vorneherein verlorene Sache sei.
Statt dessen müsse man, um sich in der Gegenpropaganda einzuüben, seine eigene kompetente und möglichst wahrheitsgemäße Analyse des Gegenstandes vorlegen, das heißt vor allem sich selber nicht belügen. Wenn man in der letzten Zeit die internationalen Medien las oder durchschaute, so stieß man beständig auf für Ukrainer unerfreuliche Thesen oder gar Interpretationen. Der durchschnittliche ukrainische Leser schreibt dies alles entweder der Unkenntnis der westlichen Journalisten oder womöglich einfacher russischer Bestechung zu. Diese Vermutungen mögen sicher ihren Platz haben, aber nicht immer und überall.
Das Sichtbarwerden von Swoboda
Zu einer Zeit zog sich eine marginale politische Partei, um Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen, ihrem dürren Leib den „Ruhm“ des deutschen Nationalsozialismus über, indem sie nicht nur den umformulierten Namen der alten deutschen nationalsozialistischen Partei übernahm, sondern sich reichlich die Ästhetik des deutschen Nationalsozialismus umhängt. Aus Mangel an Zeit und Raum halte ich es nicht für notwendig, eine detaillierte Analyse der Programm-Punkte der SNPU (Sozialnationalistischen Partei der Ukraine), ihrer Strategien und Taktiken vorzunehmen. Sie waren eine gewöhnliche graue Widerspiegelung der deutschen Nationalsozialisten, aber dies hinderte die Partei nicht, sich als die letzte Hoffnung der weißen Rasse und der Menschheit im Allgemeinen zu erklären. Solche historischen Analogien mögen kurzfristige Wählerunterstützung bewirken, sind aber zu Marginalität und Isoliertheit verurteilt. Da sie erkannte, dass das „Potenzial“ historischer Verortung erschöpft war, beschloss die Parteiführung der SNPU sich zu modernisieren. Dieses Mal wurde Vorbild der ukrainischen Sozial-Nationalen nicht mehr die deutsche Geschichte, sondern österreichische Realität. Beeindruckt von dem politischen Erfolg der österreichischen rechtsextremen Populisten Jörg Haider von der SPÖ beschlossen die ukrainischen Sozial-Nationalisten einen entsprechenden Weg zu gehen und wählten für sich den gleichen Namen.
Der neutralere Name der Partei erlaubte es den ehemaligen Sozial-Nationalisten, ein breiteres politisches Feld in der Ukraine zu betreten. Obwohl weder das vorherige Parteiprogramm noch das novellierte beinahe keinerlei praktische Wege zur Entwicklung der Ukraine enthielten, haben eine radikale populistische Rhetorik und ein Spiel mit Stereotypen die Swoboda in einigen Gebieten der westlichen Ukraine zur regierenden Partei gemacht. Und die Ausnutzung der Proteststimmung in der Bevölkerung erlaubte ihr, bei den Parlamentswahlen von 2012 bis zu 10,44 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Dies ist wenig verwunderlich, da die Swoboda-Politiker ihrem Wahlvolk versprachen, einen kompromisslosen Kampf mit dem regierenden Regime zu führen, obgleich dann in der Praxis herauskam, dass sie sich bloß darum drängten, sich mit denjenigen zu rangeln, die oben waren.
Tatsache bleibt: mehr als zehn Prozent der Stimmen gewann bei den Parlamentswahlen eine Partei, die fest auf Grundsätzen des ethnischen Nationalismus basiert, sich zum ukrainischen Isolationismus bekennt und das Schwergewicht nicht auf Demokratie, sondern auf Natiokratie legt. Sich in einem multinationalen Staat vom Prinzip des ethnischen Nationalismus leiten zu lassen, gleicht Selbstmord. Auch wenn wir die „technische“ Seite des Problems außer Acht lassen (die Unmöglichkeit zu bestimmen, wer ein ethnischer Ukrainer ist und wer nicht, vor allem wenn man sich vorstellt, welche Einrichtung eine solche Autorität verleihen könnte, oder gar selbst noch die „Instrumentarien“ für die Durchführung eines solchen verfahren), dann wird es für die „Ausmesser“ der ukrainischen Identität nicht genug Grundlagen geben, auch nur eine einzige Region einzunehmen. Für wen also dann dieses Mantra? Und vor allem: wohin führen diese Vorhaben? Die Antwort auf diese Frage ist überraschend einfach. Wenn Sie versuchen, mindestens einen Artikel aus den Grundsätzen des ethnischen Nationalismus in die Praxis umzusetzen, müssen Sie für immer Abschied nehmen von einem souveränen Staat Ukraine.
Viele Experten wissen, dass Swoboda keine proeuropäische Partei ist. Sie gehört vielmehr zu den überzeugten Euroskeptikern. Was also machte sie auf dem Euromaidan? Märchen darüber, dass Swoboda breite Kontakte mit gleichgesinnten Menschen in Europa habe, und deren spezifischen Plan für eine europäische Zukunft für die Ukraine, sind vor kurzem verschwunden „wie Tau in der Sonne“. Swoboda verkehrte lange Zeit mit rechtsextremen europäischen Bewegungen: der französischen Front National, mit der österreichischen FPÖ und sogar mit der ungarischen Jobbik. Alle diese Kräfte aber unterstützten zur Zeit der Revolution in Kyjiw und insbesondere im Moment der Aggression Russlands gegen die Ukraine einstimmig die Politik Putins. Swoboda musste ihren Verbündeten von eben noch böse Briefe schreiben.
Die Linken und die Liberalen aus dem Europäischen Parlament hatten schon früher die ukrainische demokratische Opposition vor dem Festhalten an der Zusammenarbeit mit der Swoboda gewarnt. Nun hat diese Partei überhaupt keine Verbündeten in Europa. Daher ist das einzige, worauf unsere besondere „nationalistische“ Partei zählen kann, die Politik der nationalen Isolierung. Und genau dies erwartet Putin von der Ukraine. Ohne westliche brüderliche Unterstützung wird er die Ukraine schlucken und daran nicht ersticken.
Über die Natiokratie in der Ukraine hat es überhaupt keinen Sinn anzufangen zu reden. Diesen Begriff kann man einzig nur als Schreckgespenst und als Zerstörer der neuen ukrainischen politischen Nation verwenden. Es ist kein Geheimnis, dass seit Jahrzehnten eine starke Propagandamaschine daran arbeitete, um in der Ukraine die Bildung einer überethnischen politischen Nation zu verhindern. Und endlich gewann sie Gestalt. Im Angesicht der Aggression von außen, und vor allem – im Gleichklang gegen das kleptokratische Regierungssystem begannen die Bürger der Ukraine endlich als Patrioten ihres Staates gehört zu werden. Dieses Mal ohne Ansicht einer Volkszugehörigkeit, von gesprochener Sprache oder Konfessionszugehörigkeit. Und wieder eine „Überraschung“. Oleh Tjahnybok betritt die Tribüne des Parlaments und beginnt, den „ethnischen“ Ukrainern der südlichen und östlichen Ukraine Schutz versprechen. Es scheint, dass ein so erfahrener Politiker nicht alle Gefahren versteht, die aus der Anwendung des ethnischen Prinzips zum Schutze der Bürger des Staates entstehen können. Aber die Prinzipien des ethnischen Nationalismus verlassen diese Partei nie, denn sie machen ihr Wesen aus. Erst dann, wenn sie aufhört zu existieren.
Und hier muss man an dem ersten für die Westukrainer frustrierenden Aspekt haltmachen. Es stellte sich heraus, dass die jüngste Swoboda-Wählerschaft sich bequemte, sich hinter der These zu verstecken: „Wir haben nicht für die Programm-Ordnung von Swoboda gestimmt und wissen überhaupt nichts von Prinzipien eines ethnischen Nationalismus“, „wir sind nicht einverstanden mit den Aktionen und Aussagen von Swoboda in Hinblick auf Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, wir betrachten sie nur als Nationalisten, und Nationalist zu sein bedeutet seine Heimat zu lieben.“ Allein eine vorgetäuschte politische Trägheit und den Wunsch, der brutalen Partei der Regionen im Parlament Widerstand zu leisten mit ihren nicht weniger brutalen Nationalisten ermöglichte den Aufstieg der Partei Swoboda in die öffentliche Politik. Dies ist nicht nur eine Frage der niedrigen politischen Kultur der Ukrainer. Wir haben es hier mit der Realität zu tun, die zeigt, dass ein wesentlicher Teil der ukrainischen Gesellschaft für Formen des Autoritarismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus anfällig ist. Man muss endlich ehrlich mit sich selber sein und beginnen sich zu reinigen.
Wenn nach einem „Besuch“ im Kindergarten und Diffamierung von Kindern mit russischen Namen einer der Wahlkreise von Lwiw für Iryna Farion mehr als 68 Prozent der Stimmen abgibt, dann sollte man nicht nur Farion Fragen stellen, sondern auch ihren Wählern. Überhaupt sollten Soziologen, Politologen und Sozialpsychologen genau erforschen, warum die westukrainische Wählerschaft so leicht auf soziale nationalistische Rhetorik und Ästhetik reinfällt. Auch wäre es eine Überlegung wert, was der Haupt- und was der Nebengrund ist: die neonazistischen Liebäugeleien von Swoboda oder die Verwendung von Fakten ihrer Aktivitäten durch die Kreml-Propaganda.
Die Allianz der Partei der Regionen und Swoboda
Populistische Parolen waren für Swoboda nur zur Zeit des Wahlkampfes nötig, aber einmal an der Macht in einigen Gebieten, entstand die Überzeugung, dass Swoboda nicht nur die alten Korruptionsmuster nicht beseitigte, sondern sie noch öffentlicher und brutaler betrieb. In dieser Situation konnte man staunen, dass das verbrecherische Janukowytsch-Regime nicht nur träge die Aktionen der westukrainischen „Nationalisten“ verfolgte, sondern ihnen ganze Gebiete zum Ausverkauf überließ. Indem es zum Sieg der Swoboda in der Westukraine beitrug, erhielt das regierende Regime sehr viele Dividenden. Zunächst: Die Westukraine offenbarte sich selber als eine Art nationalistische Enklave, wo demokratische Normen nicht eingehalten werden, wo Xenophobe, Antisemiten und Rassisten den Ball spielen.
Freundlicherweise hat Swoboda diesen Anschein geschickt mit unbewussten Aktionen und Aussagen bekräftigt. Relevanz haben davon nur die Kapriolen von Iryna Farion im Kindergarten, ihre Urteile über feindliche Religionen und Nationen, ihre Aufrufe, die Rechte von Personen, die nicht Ukrainisch sprechen oder einen nicht-ukrainischen Vor- und Nachnamen haben, zu beschränken. Und auch von ihrem Wesen her rassistischen Bemerkungen des Jurij Syrotjuk über die Sängerin Gaitana. Die massive „intellektuelle“ Aktivität Jurij Mychaltschyschyns im Bereich der Propaganda für den Sozial-Nationalismus vermischt mit Angriffen auf die sowjetischen Veteranen am 9. Mai in Lwiw gehören auch zu diesem Schlag
Man kann also sagen, dass das regierende Regime von Janukowytsch mit Swoboda eine ungeschriebene Allianz knüpfte, um im öffentlichen Bewusstsein der Bürgers der Ukraine die Überzeugung zu festigen, dass ihr westlicher Teil durch und durch nationalistisch im Sinne des Verständnisses von Neonazis sei. Dadurch wurde es möglich, die Ukraine in zwei vereinbarte Regionen aufzuteilen, die angeblich einander gegenüberstehen. So legt sich eine zweite Schlussfolgerung nahe: diese Taktik der Macht lenkte nicht nur von den drängenden Problemen der ukrainischen Gesellschaft ab, sondern erlaubte es auch, die verschiedenen Regionen der Ukraine gegeneinander aufzustellen, und damit eine beinahe ewige Herrschaft des kleptokratischen Regimes in Kyjiw zu gewährleisten.
Hier muss man den neuen Sympathisanten von Swoboda einige unangenehme Fragen stellen. Wenn sie eine so unverhohlene Unterstützung der Regierung für Swoboda sahen (Ausschluss Tymoschenkos von den Wahlen, im Verhältnis zum Status der Partei unangemessene finanzielle Ausgaben für Werbung auf der Straße und im Fernsehen), warum haben sie da nicht darüber nachgedacht, was diese großzügigen Sponsoren von ihnen erwarten? Wer sind sie und warum sind sie so sorgfältig getarnt? Warum hat die Wählerschaft von Swoboda überhaupt nicht reagiert, als die Swoboda-Politiker ein konsequentes und systematisches Bild ukrainischer Aktivisten als Fremdenhasser, Rassisten und Antisemiten schufen? Oder haben wirklich die Aktionen von Tjahnybok, Farion, Mychaltschyschyn, Miroschnytschenko, Illjenko, Mochnyk und anderen völlig und umfassend die politischen Überzeugungen ihrer Wähler wiedergegeben?
Sollte dem so sein, dann darf man nicht über die anti-ukrainische Propaganda des Kreml klagen, der Swoboda so regelmäßig ideologische Munition liefern. Dann müssen wir zugeben, dass wir wirklich die körperliche Bestrafung des «Moskowiter» Pantelejmonow (Interimschef des ukrainischen Staatsfernsehens) unterstützen, wie Tjahnybok denken wir, dass unsere Großväter und Urgroßväter wirklich „Judenheit“ und „Moskowiter“ geschlagen haben, und wir beabsichtigen, das gleiche zu tun. Wir müssen Iryna Farion darin unterstützen, dass alle Mädchen namens Lisa und die Jungen namens Mischa die Ukraine sofort verlassen und nach Moskau geschickt werden müssen. Vielleicht müssen wir Jurij Mychaltschyschyn folgend öffentlich Oden auf die Hamas singen und gemeinsam den Staat Israel verurteilen.
Wenn man auf öffentliche Aktivitäten der Swoboda-Aktivisten im Laufe der gesamten Zeit von der Gründung bis zum heutigen Tag rückblickt, so bestehen sie fast ausschließlich aus antiukrainischen Provokationen. Dies ist eine durchgängige Idee in der ukrainischen Politik des Sozial-Nationalismus, in der antisemitischen Rede Oleh Tjahnyboks auf dem Berg Jaworyna und in den fremdenfeindlichen Äußerungen Miroschnytschenkos. Auch das Schüren anti-polnischer Hysterie und das russophobe Mantra der Iryna Farion gehören hierhin. Die Liste dieser „Heldentaten“ mag sehr lang sein, aber ein paar Beispiele genügen, um zu schließen: Swoboda geht es nicht um die Ukraine, ihr geht’s nur um eines: Macht.
Eine Zwangs-Mesalliance
Ihren Wahlerfolg errang Swoboda, indem sie sich nach ihrem Programm, ihrer Strategie und Taktik als gute Ukrainer zeigte. Daher setzte sie fort, nach bewährtem Stil zu agieren. Ins Parlament gelangt verlangte sie, dass der Rest der Oppositionsparteien als gemeinsame Front auftreten müsse. UDAR und die Vaterlandspartei hatten in der Situation keine Wahl. Um nicht ihre Kräfte zu zerteilen, mussten sie eine ungleiche Ehe eingehen. Diese Ehe kostete die demokratischen Parteien die politische Unterstützung im Osten und Süden [des Landes], und außerdem Reputationsverluste in Europa und weltweit. Die Anwesenheit von Swoboda in der demokratischen Opposition wurde seinerseits zu einer Art von Marke der gesamten Oppositionsbewegung.
Die Propaganda des Kreml und der Partei der Regionen hat schon lange ein Szenario vorbereitet, nach dem durch eine Allianz mit der Swoboda die gesamte ukrainische Oppositionsbewegung das Etikett „Neo-Nazis“, „fremdenfeindlich“ und „antisemitisch“ erhielt. Die Swoboda-Anhänger bestätigten regelmäßig durch ihr Handeln diese Propaganda-Klischees. Darüber hinaus gaben sie sich alle erdenkliche Mühe, um den gesamten Euromaidan als das Ergebnis ihrer Bewegung herauszustellen, und bekräftigten auf verschiedene Weisen, dass sie die entscheidende Rolle in der Revolution spielten. Dies erklärt insbesondere der Hauptsponsor von Swoboda Ihor Krywezkyj, diese These propagieren die russischen und deutschen Medien. Keine dieser Publikationen, die nicht mit einem Wort die wahren Antriebskräfte der ukrainischen Revolution verleumdete. Ironischerweise spielten weder politische Parteien noch traditionelle politische Aktivisten eine besondere Rolle auf dem Maidan. Dafür, dass die ukrainische Revolution stattgefunden hat, müssen die Ukrainer der ukrainischen Zivilgesellschaft danken.
Die reale Bedeutung der politischen Parteien auf dem Maidan schwankte im Bereich zwischen 1,8 und 3,9 Prozent. Nach Angaben der Stiftung Demokratische Initiativen namens Ilko Kutscheriw standen am 8. und 9. Dezember, als die Umfragen stattfanden, vier Prozent Parteimitglieder und 3,5 Prozent Angehörige von Bürgervereinigungen auf dem Maidan. Infolge ihrer Parteizugehörigkeit kamen nur zwei Prozent der Demonstranten auf den Maidan, hingegen 92 Prozent kamen aus eigenem Antrieb. Ausgesprochen wurden auch Gründe für den Entschluss, zum Protest auf die Straße zu gehen. Für 53,5 Prozent war dieser Grund die Weigerung, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. 69,6 Prozent kamen als Zeichen des Protests gegen das brutale Auseinandertreiben der Studenten auf dem Maidan. 39,1 Prozent bzw. 49 Prozent gingen auf den Maidan, um die Regierung in der Ukraine zu ändern und das Leben im Staat. Nur 5,4 Prozent antworteten, sie seien auf den Aufruf der Oppositionsführer hin gekommen.
Zugestanden, nach diesen soziologischen Daten erscheinen die Versuche der Swoboda-Funktionäre, den gesamten Maidan ihrer Rhetorik und Symbolik zu unterwerfen, als ausgesprochen seltsam. Nicht weniger seltsam erschienen die Aktionen russischer Propaganda, die ebenso hart daran arbeitete, die gesamte ukrainische Revolution auf einen Aufstand zweier rechtsextremistischer Kräfte zu reduzieren, der Swoboda und des Rechten Sektors: Geschieht dies nicht darum, um der Ukraine die internationale Unterstützung zu rauben, was unter den gegenwärtigen Umständen den kompletten Zusammenbruch des Staates bedeuten würde? Erneut erhebt sich die Frage, an Swoboda und nun auch an den Rechten Sektor: Warum schreibt Ihr, die Ihr doch Euren wahren Beitrag an der Revolution kennt, gemeinsam mit der Propaganda des Kremls Euch fortwährend die Erfolge selber zu? Seltsamerweise demonstrieren sowohl Swoboda als auch der Rechte Sektor beharrlich vor den Fernsehkamera, dass die ukrainische Revolution Anarchie und Banditentum bedeutet, dass die Übergangsregierung die Situation im Lande nicht kontrolliert. Für wen und wofür produzieren sie diese Bilder? Besonders im Fall von Swoboda, die aus der Regierungskoalition stammt? Und die wichtigste Frage: Warum tolerieren die gegenwärtigen oberen Behörden so still solche Aktivitäten?
Eine Geiselaffäre
Dass in der Ukraine eine ernsthafte Krise des Parteiensystems besteht, sehen vielleicht nur die nicht, die nicht sehen wollen. Das Ansehen der Parteien war selbst während der Revolution gering. Aber wir verstehen alle, dass eine unstrukturierte Menschenmenge nichts tun kann. Daher hat der Maidan auf stillschweigende Weise den Oppositionsparteien aufgetragen, eine neue technische Regierung und eine neue exekutive Vertikale der Regierung zu bilden. Man muss betonen, dass die Regierung nur technisch und für die Übergangszeit sein sollte. Allerdings geschah dies nicht so wie vorgesehen. Die drei ehemaligen Oppositionsparteien (völlig unverständlich ist dabei die Position von UDAR) formten eine Regierung ausschließlich nach Parteiquoten, versteckten sich wie hinter einem Feigenblatt hinter mehreren (symbolischen) Posten, die sie den Aktivisten vom Maidan gaben. Wie sich herausstellte, befinden sich diese Posten und insbesondere Strukturen in der Regel außerhalb des Rechtsgebiets der Ukraine.
Die Regierung teilten untereinander tatsächlich zwei Parteien auf: Swoboda und die Vaterlandspartei. Hierbei dachte freilich niemand daran, über welches Führungspotenzial diese Parteien verfügten. Swoboda erhielt einen Teil des Machtblocks, den sie überraschend mit wenig qualifiziertem Personal besetzt. Die damalige Postenbesetzung des hochverehrten Verteidigungsministers Admiral Tenjuch zog mit sich die Ernennung von Swoboda-Leuten als Leiter der militärischen Aufklärung und Gegenspionage nach sich. Die Folgen einer solchen Führungs-„Vervollständigung“ der Verteidigungsaufklärung kann man bereits lange in der Ukraine bemerken.
Seltsam erschien auch die Ernennung des Swoboda-Manns Oleh Machnizkyj für den Posten des Generalstaatsanwalts der Ukraine. Der Herr Staatsanwalt hat es noch nicht gelernt, deutlich seine Meinung vorzutragen, sein Berufsweg zeigt, dass er in dieser Sphäre Dilettant ist. Daher hat die Generalstaatsanwaltschaft, dem sich in dieser verantwortungsvollen Zeit besondere Herausforderungen stellen, keinen einzigen aufregenden Fall beendet. Hauptaufgabe des Generalstaatsanwalts waren Ernennungen von Leitern in den Gebieten, die oft Unmut und Zorn hervorriefen, da die alten Sünden durch die Neuernennungen wiederholt wurden.
Das Prinzip der Parteiquoten wurde angewendet auf der gesamten Vertikale der Macht in den Gebieten. So ist fast die gesamte westliche Ukraine in den Händen von Swoboda. Dies erhöht nur noch die Spannung in den Regionen.
Ein Rätsel bleibt noch, warum die Führer der Vaterlandspartei gerade in die Koalition mit Swoboda eingestimmt haben. Vielleicht weil es die einzige Partei war, die so leicht dem Quotenprinzip zugestimmt hat? Wenn ja, so wurde die Vaterlandspartei Geisel eines leichtgläubigen Geschäftes, und jetzt kann sie sich nicht aus diesen festen (vielleicht sogar korrupten) Umarmungen herauswinden. Daher sollte die neue ukrainische Führung sich besonders auf ernsthafte innere und äußere Provokationen und Missverständnisse vorbereiten. Die Weltpresse wird weiterhin über Neonazis in der ukrainischen Regierung schreiben, die Propaganda des Kremls wird in allen Medien Swoboda-Abgeordnete mit ihrer finsteren Arbeit auf dem Felde der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus vorführen, der ukrainischen Diplomatie hingegen wird es allein obliegen, hieraus oder auf anderen Informations-Spuk zu reagieren, den die Koalitionsmitglieder reichlich liefern werden.
Die neue ukrainische Regierung kann man verstehen, als Vermächtnis erbte sie statt eines Staates Requisiten. In dieser Situation können die Ukrainer nur auf zweierlei zählen: auf ihre eigene Stärke und auf die solidarische Unterstützung der demokratischen Welt. Auf die Unterstützung aller sollte die neue ukrainische Regierung nicht hoffen, da sie einen Weg besonderer Vereinbarungen eingeschlagen hat, das heißt wegen der üblichen Manipulation. Die Unterstützung seitens der demokratischen westlichen Welt könnte sich nach dem Verhalten von Swoboda in der Regierung richten. Insbesondere wenn man daran denkt, was uns an diesem 9. Mai erwartet. Möge dieser Tag dank von Swoboda nicht zu einem neuen informativen Anlass oder gar zum Vorwand für folgende aktive Handlungen Wladimir Putins werden.
PS: Wenn Swoboda wirklich eine patriotische Partei wäre, so würde sie in der gegenwärtigen Situation ganz leise dem Beispiel von Admiral Tenjuch folgen. Und dann müsste die neue ukrainische Regierung sich nur um den Austausch der neuen vakanten Posten mit parteilosen Experten kümmern.
27. März 2014 // Wassyl Rassewytsch
Quelle: ZAXID.NET