Abschied von der Demokratie
„Dies ist eine sorgfältig geprüfte Methode von Diktaturen, und heute beginnt Janukowitsch sie einzusetzen“ Julia Timoschenko, Mai 2010
„Wer hat Ihnen denn gesagt, dass Menschen keine Diktatur wünschen?“
Julia Timoschenko, September 2009
Literatur und Folklore lehren uns, dass wenn man einen Pakt mit dem Teufel schließt, man die Ohren offen halten muss. Normalerweise erfüllt der heimtückische Satan die menschlichen Wünsche jedoch mit einem Trick: Das Ergebnis steht in vollem Einklang mit dem Wortlaut, hat jedoch einen zum Wunsch gegenteiligen Effekt.
Angesichts dessen können die ukrainischen Widrigkeiten als ein gutes Thema für eine lehrreiche mystische Parabel dienen.
Stellen wir uns vor, dass ein überzeugter National-Patriot mitten in der Wirtschaftskrise sich dazu entschieden hat, seine unsterbliche Seele dem Wohle des Vaterlandes zu opfern und einen Pakt mit dem Teufel eingeht. „Das verfaulte liberale Regime wird die Ukraine zerstören! Wir brauchen eine starke Regierung, die Ordnung in das Land bringt!“ – hat unser Held gewünscht. „Es wird erfüllt!“ – lächelte der schlaue Teufel, und machte Wiktor Janukowitsch zum Präsidenten…
Die Geschichte hat in der Tat einen grausamen Scherz mit unseren Landsleuten gespielt, indem man ohne Grund an Pilsudski, Franco, Pinochet und Stepan Andrejewitsch Bandera erinnert hat.
Bewusste Ukrainer, die von einer starken Hand geträumt haben, haben sie erhalten. Und dann das Pech: Diese lang erwartete Hand wird nicht von nationalen Symbolen verziert, sondern vom Georgsband made in Russia.
Die Bürger, die den georgischen Präsidenten Saakaschwili für die Vertreibung der oppositionellen Demonstration lobten und die von ihrem eigenen Micho geträumt haben, können zufrieden sein: jetzt gibt es auch auf der Hruschewskij – Straße tapfere Jungs in Uniform. Dabei gibt es jedoch einen kleinen Haken: die disziplinierten Kommandos sind nicht dazu bereit mit Gummiknüppeln “die fünfte Kolonne Moskaus“, sondern ihre empörten Gegner auseinanderzujagen.
Die Hurra- Patrioten, welche eine strikte Informationspolitik gewünscht haben, haben sie erhalten. Nur die gefesselten ukrainischen Medien zeigen dem Zuschauer irgendwie keine nationalen Werte, sondern loben Janukowitsch und senden über die unverbrüchliche Freundschaft zwischen Kiew und Moskau.
In der Ukraine bildet sich rasant ein autoritäres pro-russisches Regime. Für jemanden ist es zutiefst verhasst, und einige wiederum unterstützen es mit beiden Händen. Aber zur gleichen Zeit sowohl für die ersten als auch für die anderen gilt nicht das Wort „autoritär“, sondern das Wort „pro-russisch“ als Schlüsselwort.
Wenn in der Ukraine Autoritarismus mit nationaler Voreingenommenheit an die Macht gekommen wäre, wäre die Reaktion der unversöhnlichen Gegner diametral entgegengesetzt.
Ein Milizionär, der einen Demonstranten mit dem Stock verprügelt, ein Zensor, der einem Journalisten nicht zu schreiben erlaubt, ein Richter, der politisch motivierte Entscheidungen trifft – diese lebensfrohen Bilder rufen aus sich heraus keine Ablehnung bei der überwiegenden Masse der Ukrainer hervor.
Alles hängt davon ab, wer geschlagen wird, wem es nicht erlaubt wird zu schreiben und wer aus politischen Gründen beurteilt wird – einer von uns oder ein Fremder, ein tapferer Patriot oder ein verächtlicher Knecht des Kreml, ein böser Banderowez oder der edle Kämpfer für die slawische Einheit.
Janukowitsch und Co. haben nur zwei Monate dafür gebraucht, um alle demokratischen Errungenschaften der letzten fünf Jahre zunichte zu machen. Nun, wie gut die Errungenschaften sind, so ist auch die Geschwindigkeit ihrer Beseitigung. Der schnelle Donezker Blitzkrieg wurde deshalb möglich, weil die Demokratie als zufälliger Gast in unserem Land war und keine wirkliche Verankerung in der ukrainischen Gesellschaft hatte.
Ein akuter Mangel an demokratischer Kultur kann nicht mit lauten Tiraden über die europäische Wahl kompensiert werden. Die Orange Revolution hat die Ukrainer gelehrt, ihre Rechte zu verteidigen, aber vermittelte keinen Respekt für andere.
Das klassische Prinzip „Meine Freiheit mit den Armen zu fuchteln endet dort, wo die Nase meines Nachbarn beginnt „ klingt unter den heimischen Bedingungen anders: „Je mehr fremde Nasen gebrochen werden, desto mehr Demokratie haben wir“
Als Folge davon wurden in den Jahren 2005-2009 nicht die klaren Regeln ausgearbeitet, die die Erhaltung des demokratischen Systems in den zivilisierten Ländern garantieren.
Ganz im Gegenteil, bei voller Zustimmung der Wähler haben eifrige Politiker die Rechtsordnung zerstört, was schließlich den Weg für Janukowitschs unbegrenzte Macht ebnete.
Die Blüte der ukrainischen Demokratie wurde in der Zeit der orangen fünf Jahre zu einer Illusion.
In der Tat waren unsere demokratischen Institutionen ohne jegliches Fundament bereit, bereits beim geringsten Druck zu bröckeln. All diese Jahre wurden sie nur von einem gerettet: die Schwäche von Wiktor Juschtschenko als politischem Akteur.
Aber als klar wurde, dass statt des Träumers aus Chorushiwka ein ernsthafter Führer – der Hausherr aus Jenakijewo oder die Hausherrin aus Dnepropetrowsk – an die Macht gelangt, konnte man die Demokratie in der Ukraine komplett vergessen.
Und wer braucht sie in der Ukraine wirklich? Seien wir ehrlich: einem engen Kreis von liberalen Intellektuellen, für welche die Demokratie eine notwendige Voraussetzung für die eigene Selbstverwirklichung ist. Die restlichen Kämpfer für Demokratie waren nur zufällige Mitläufer.
Demokratischen Prinzipien nimmt derjenige als alte Lumpen auf, der unglücklich und gedemütigt ist. Heute sind es empörte National – Patrioten, darunter viele, die kürzlich noch von einem ukrainischen Pinochet geträumt haben.
Und gestern haben sich Janukowitschs Wähler an die Demokratie geklammert und bereitwillig über die Menschenrechte, die Freiheit der Wahl, die Unzulässigkeit der Brechung von Bürgerrechten etc. diskutiert. Wie zu erwarten verdampfte augenblicklich nach dem Sieg von Janukowitsch die vorübergehende Demokratiebegeisterung seiner Anhänger. Die liberalen Fetzen wurden, da sie nicht mehr notwendig waren, in den Müll geworfen.
Niemand spuckt mehr in das Gesicht der Bewohner des Donbass und der Krim – im Gegenteil, der siegreiche Süd-Osten hat vielmehr die Möglichkeit erhalten, in das Gesicht der Galizier zu spucken. Daher beobachten die südöstlichen Wähler mit Zustimmung die Demontage der demokratischen Institutionen und die plumpen Versuche von Janukowitsch zu einem ukrainischen Putin zu werden.
Doch ist es unwahrscheinlich, dass aus Wiktor Fjodorowitsch ein Wladimir Wladimirowitsch werden wird – selbst dann, wenn der fleißige Wiktor Fjodorowitsch Janukowitsch einen malerischen Kimono anprobiert und verspricht, alle seine Gegner in der Latrine zu ersäufen.
Für eine Transformation in einen zweiten Putin ist das nicht genug. Denn Putins Modell ist nicht die Unterdrückung, die empörten Menschen aufgezwungen wurde. Es ist eine autoritäre Macht, die von der absoluten Mehrheit der Russen unterstützt wird.
Präsident Putin hat nicht nur die Demokratie abgeschafft, sondern hat auch die russische Gesellschaft um sich konsolidiert, indem er den Landsleuten das „Aufstehen von den Knien“ – die geopolitische Revanche für die Niederlage von Moskau im Kalten Krieg – versprochen hat
Präsident Janukowitsch kann den Ukrainern nur die Revanche eines Teils des Landes gegenüber einem anderen anbieten. Seine Popularität im Süd-Osten wird von der Demütigung und der Entrüstung der westlichen Ukraine abhängen. Und deshalb wird sich mindestens ein Drittel der ukrainischen Bürger in natürliche Feinde des Regimes verwandeln.
Dabei werden die Gegner von Wiktor Janukowitsch nicht in der Masse seiner Anhänger verschwinden, wie die russischen „Nichteinverstandenen“, sondern werden sich in bestimmten Regionen des Landes konzentrieren und gleichzeitig als lebendes Damoklesschwert bleiben.
Die Bankowaja (der Sitz des Präsidenten) wird die Gegner mit administrativen Ressourcen, Zensur und der Generalstaatsanwaltschaft zerquetschen, aber eine solche Taktik würde nur zu einem unvermeidlichen Ergebnis führen – die ukrainische Opposition wird sich zunehmend radikalisieren.
An die Stelle der respektablen Intellektuellen aus den Zeiten von RUCH tritt eine aggressive Jugend, die in der Lage ist, die feindlichen Wangenknochen im Namen der nationalen Idee zu zerbrechen. Leider, ist es schwer eine andere Reaktion auf das Anziehen der Schrauben nach Donezker Art zu erwarten.
Die Vorstellungen von Wiktor Janukowitsch von Stabilität sind schlicht und einfach – damit der Kessel nicht dämpft, muss man einen festeren Deckel wählen, ihn fester drücken und sich obendrauf setzen.
Bis zu einer gewissen Zeit wird diese einfache Methode arbeiten, indem sie eine sichtbare Ordnung schaffen wird. Jedoch danach wird es eine Explosion geben, die nicht nur für Janukowitsch, sondern auch für unser gemeinsames Land fatal werden könnte.
14.05.2010 // Michail Dubinjanskij
Quelle: Ukrainskaja Prawda