Asarows Erbe
Was für eine Ökonomie hat Asarow seinen Nachfolgern hinterlassen? Keine.
Das großzügige Angebot Wiktor Janukowytschs an die Opposition, die Regierung zu bilden und die Verantwortung auf ihre Schultern zu nehmen, birgt offenkundige Stolpersteine. Der am 28. Januar zurücktretende Nikolaj Asarow hinterlässt Ruinen und wer auch immer die Regierung nach ihm übernehmen wird, riskiert in seinen beruflichen Werdegang schreiben zu müssen – Zusammenbruch der Wirtschaft.
„Dieses Ministerkabinett zu führen, ist so gut wie hinter einer Maschine zu stehen, die Stromschläge verteilt und deren Teile abfliegen. Wir haben ein unentwirrbares Knäuel makroökonomischer Probleme“, sagt der Leiter der analytischen Abteilung der Investmentgesellschaft ICU Alexander Waltschischen.
Ein unrealistischer Haushalt, ein abschreckendes Investitionsklima, ein riesiges Leistungsbilanzdefizit, eine Staatsverschuldung von über 40 Prozent des BIP, eine Nationalbank, die die Regierung mit Krediten finanziert, beschädigte Beziehungen zum IWF und ein fragiler Frieden mit Russland – das ist bei weitem nicht die vollständige Liste der Probleme, die Nikolaj Asarow dem nächsten Vorsitzenden des Ministerkabinetts übergibt.
Das Schlüsselproblem für den neuen Ministerpräsidenten ist der Haushalt. „Die geplanten Haushaltseinnahmen sind unrealistisch, während viele Ausgabenposten unbegründet sind“, sagt die leitende Ökonomin der Investmentgesellschaft Dragon Capital Jelena Belan. Im Haushalt-2014 ist im Vergleich zu den realen Zuflüssen des Vorjahres in die Staatskasse eine 16,5 prozentige Steigerung der Einnahmen vorgesehen. Die Ausgaben übersteigen die des Vorjahres um 10,9 Prozent. Selbst bei einem höchst optimistisch angenommenen Wachstum des BIP von 3 Prozent würde das Haushaltsdefizit 71 Mrd. UAH (ca. 6 Mrd. Euro) bzw. 4,3 Prozent des BIP betragen. Dies ist ein rekordverdächtiger Indikator für das Primärdefizit des Haushalts. Und wenn man berücksichtigt, dass das reale BIP-Wachstum nicht mehr als 1,5 Prozent betragen wird, fehlen dem Haushalt weitere 20-30 Mrd. UAH (ca. 1,7 Mrd. Euro – 2,6 Mrd. Euro), sein reales Defizit wird gemäß den Berechnungen von Dragon Capital insgesamt 7 Prozent des BIP betragen. Angesichts dessen, dass in den beinahe vier Jahren, in denen Asarow das Ministerkabinett leitete, das reale Defizit fast immer mehr als 5 Prozent des BIP betrug, kann das System der Staatsfinanzen als von Grund auf zerrüttet bezeichnet werden.
“Wenn der neuen Regierung gelingen sollte, den Haushalt zu korrigieren, diesen an realistische Kennzahlen heranzuführen und das Defizit auf wenigstens 3 Prozent des BIP zu senken, würde dies die Situation in Bezug auf die Stabilisierung der Finanzmärkte und der Haltung der Investoren gegenüber den landesspezifischen Risiken verbessern“, vermutet der Leiter der analytischen Abteilung der Alfa Bank Ukraine Alexej Blinow. „Aus politischer Sicht ist eine Kürzung der Ausgaben zum jetzigen Zeitpunkt allerdings schwierig.“ Jelena Belan glaubt ebenfalls nicht, dass die Abgeordneten zu Haushaltskürzungen übergehen werden, die Regierung werde gezwungen sein, ungedeckte Haushaltposten wie beispielsweise Investitionsausgaben und verschiedene Subventionen sowie Transferleistungen an kommunale Haushalte stark unterzufinanzieren.
Neben den permanenten Haushaltsproblemen hinterließ Asarow seinem Nachfolger mit den Vereinbarungen mit Russland ein Damoklesschwert. Das Finanzministerium und die Nationalbank sollen in diesem Jahr etwa 9,7 Mrd. USD an Auslandsschulden tilgen. Ohne russische Gelder sind diese Zahlungen fraglich. Ein IWF-Kredit könnte helfen, aber dies würde den politischen Willen erfordern, die Gaspreise für die Bevölkerung zu erhöhen.
„Die gesamte makroökonomische Stabilität steht und fällt ausschließlich mit der russischen Bereitschaft, weitere 12 Mrd. USD zur Verfügung zu stellen und die Gaspreise zu senken. Sollte Putin plötzlich umschwenken, kann eine starke Abwertung zu einem Zusammenbruch des Finanzsystems und einem Absturz der Wirtschaft führen”, – sagt der stellvertretende Direktor einer der größten Banken.
“Die primäre Aufgabe der Regierung besteht in der Verlängerung der Kredit- und Gasvereinbarungen mit Russland. Danach kann man den Haushalt korrigieren und die Wiederaufnahme des IWF-Programms anbahnen“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Investmentgesellschaft Capital-Time Eric Naiman.
Trotz des rasanten Wachstums der Staatsausgaben, gelang es der Regierung nie, ein Wirtschaftswachstum zu initiieren. Das BIP fällt seit beinahe 1,5 Jahren.
„Die Regierung verfügte schon immer über sehr wenige Hebel für einen direkten Einfluss auf die Wirtschaft. Das kurzfristige BIP-Wachstum hängt zu 70 Prozent von Außenfaktoren, und nicht von der Politik der Regierung ab. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren praktisch keine Reformen durchgeführt, weshalb der Einfluss der Regierung auf die Wirtschaft noch geringer ist. Die Außenfaktoren sind in erster Linie die Entwicklungen auf den Exportmärkten und der Wärmegrad der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit Russland“, sagt Blinow.
Eine grundlegende Ursache für die Stagnation betseht darin, dass die Privatwirtschaft nicht an eine Zukunftsaussicht der Geschäftstätigkeit in der Ukraine glaubt. Die Kapitalanlagen gingen im letzten Jahr um 15 Prozent zurück, der Zufluss an Auslandsinvestitionen stürzte doppelt so hoch ab. Die Hauptgründe für das sich zusehends verschlechternde Investitionsklima sind der wachsende administrative Druck auf die Geschäftswelt und die enormen Probleme beim Schutz des Eigentumsrechts. Probleme, die nicht in kurzer Zeit gelöst werden können.
„Das neue Ministerkabinett kann der Geschäftswelt eine Reduzierung des administrativen Drucks und stabile Spielregeln versprechen, und sollte die Regierung ihr Wort halten, könnte dies zu einer sukzessiven Belebung der Wirtschaftsaktivitäten führen“, glaubt Belan.
Aber der Geschäftswelt „etwas Luft“ zu verschaffen, stößt wiederum auf den aufgeblasenen Haushalt. Um ein kritisches Wachstum des Defizits zu vermeiden, wird die neue Regierung eine restriktive Fiskalpolitik verfolgen und maximalsten Druck auf die Geschäftswelt ausüben müssen. Darüber hinaus wurde während des Maidans die Hörigkeit des Justizsystems deutlich und niemand liegt mehr der Illusion eines Schutzes des Eigentums auf. Das vielleicht beeindruckendste Beispiel für den politischen Einfluss auf nicht nur einige Richterstühle, sondern das gesamte Justizsystem ist der Fall mit den Teilnehmern des Autokorsos nach Meshigorje. Die Gerichte entzogen gesetzeswidrig Hunderten Autofahrern, die in der Nähe der Residenz des Präsidenten beobachtet wurden, die Fahrerlaubnis.
Die Regierung Asarow hat sich bis zur Vollendung die Finanzierung des Haushalts durch die Nationalbank, die fleißig Hrywnja emittierte, zu eigen gemacht. Ein Verfahren, in welchem Staatsbanken bei der Regierung inländische Staatsanleihen kauften, die beinahe unmittelbar von der NBU (Zentralbank) mit eben diesen Staatsanleihen als Sicherheit refinanziert wurden, kam einem Perpetuum mobile gleich. In den letzten vier Jahren wuchsen die inländischen Staatsanleihen im Portfolio der Nationalbank auf beinahe 100 Mrd. UAH. Der Ansatz, die Sozialausgaben nicht zu kürzen und diese mithilfe der Geldpresse der NBU zu finanzieren, könnte regierungsnahen Kandidaten bei der kommenden Präsidentschaftswahl einen bösen Streich spielen. In der stagnierenden Wirtschaft wächst die Geldmenge um 17 Prozent jährlich. Sollte die Geldmenge weiterhin in diesem Tempo oder gar schneller wachsen, könnte dies die Inflation der Waren beschleunigen, die für die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten bedeutend sind. Was wiederum die Wirkung steigender Sozialleistungen aufheben würde.
29. Januar 2014 // Boris Dawidenko
Quelle: Lewyj Bereg