Blanker Populismus


Was verspricht man nicht alles für den erträumten Abgeordnetenposten. Der russische Politiker Wladimir Schirinowski, bekannt für seine anmaßende Art, versprach seinerzeit „jedem Weib einen Mann und jedem Mann ein Weib“. Allerdings geriet sein Versprechen nach den Wahlen in Vergessenheit. Aber wie hätte er es ja überhaupt umsetzen sollen? Etwa durch die Verpflichtung der Parteigenossen unverheirateten Russinnen Besuche abzustatten und umgekehrt, um ihr wenig freudiges Alltagsleben zu verschönen?

Aber sogar bei einer Entwicklung würden die Kapazitäten der Partei nicht ausreichen, um alle Alleinstehenden und Vergessenen zufriedenzustellen. Politiker, die gerade das versprechen, was die Wähler gerne hören wollen, nennt man Populisten. Es scheint ein gutes Wort zu sein – wortwörtlich in die ukrainische Sprache übersetzt heißt es „narodowzi“1, dennoch stimmt etwas mit diesem Wort nicht. Dieses „stimmt etwas nicht“ liegt in der Dissonanz zwischen der Leichtigkeit, mit der das Versprechen ausgesprochen wird und den Ressourcenkapazitäten des Versprechenden sowie den bestehenden Bedingungen für die Umsetzung dieses Versprechens.

Die Kinder des Leutnants Schmidt2

Großzügige Versprechen im Wahlkampf zur Werchowna Rada (ukrainisches Parlament) haben ihre Besonderheiten. Die Regierungspartei, die den Ukrainern nichts vorzuweisen hat, beschuldigt ihre Vorgänger üblicherweise aller Übel und beteuert, dass es ihr gelungen ist, dies oder jenes zu stabilisieren oder sogar zu verbessern. Leider kann außer dem Verbesserer selbst kein Mensch diese Besserungen wahrnehmen. Die kritische Bemerkung eines Arbeiters der Autofabrik in Saporischschja gegenüber Premierminister Mykola Asarow , dass der Lohnsatz in der Fabrik unter dem von Asarow versprochenen Lohnsatz liegt, endete für den Arbeiter im totalen Fiasko. Nun ja, Herr Asarow weiß eben besser, wer wie viel und für was bekommen soll…

Ihrerseits verspricht die Vereinigte Opposition ununterbrochen, dass sie SIE (die Funktionäre der Regierungspartei) zu stoppen weiß. Allerdings erwähnt sie mit keinem Wort, was passieren würde, nachdem sie dies vollzogen hat. Würde sie es sich etwa in den Regierungssesseln bequem machen und anschließend ihre Vorgänger beschuldigen? Zwei derartige Mannschaften wird Bolivar nicht mehr aushalten können.

Aber im Westen des Landes zeigt die Allukrainische Vereinigung Batkiwschtschyna (Vaterland) eine gewisse Originalität. Nun geht sie aber nicht über die Versprechen bezüglich der Sprache, Geschichte und Kultur hinaus. Mit einem Wort, alle haben sich zum direkten Nachfolger von ОUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) und UPА (Ukrainische Aufstandsarmee) erklärt. Die Nachkommen der ruhmreichen und heroischen Tradition sind bei uns eben nie Mangelware gewesen, weil dies keine Kosten verursacht: sobald sich einer zum alleinigen Nachfolger, beinahe zur Reinkarnation von Stepan Bandera oder Roman Schuchewytsch erklärt hat, herzlich willkommen in der (Werchowna) Rada. Allerdings sind die Nachkommen dieser gloriosen Traditionen ebenso zahlreich wie die Kinder des Leutnants Schmidt, und leider wollen sie alle nur das eine – Abgeordneter werden.

Beinahe alle, sowohl die vereinten und abgestimmten Kandidaten als auch die Kandidaten der kleineren Parteien, die nicht das Glück hatten, sich zwischen den starken Nachkommen der Helden durchzuquetschen, als auch die parteilosen summen in den westukrainischen Gebieten dasselbe nationalpatriotische Lied. Dabei ist kein Kandidat mit einer Zugehörigkeit zur Regierungspartei zu verzeichnen, wenn man den Informationen auf den Werbeboards den Glauben schenkt. Einzig der Farbpalette der Werbeboards kann man die Zugehörigkeit des Kandidaten zur Regierungspartei entnehmen. Aber auch diese Methode ist nicht fehlerfrei. Es gibt auch abgestimmte Kandidaten vom WKD (Widerstandskomitee gegen die Diktatur), die aus unbestimmten Gründen die Farbpalette benutzen, die von der Vereinigten Opposition in ihrer Wahlkampagne verwendet wird.

In diesem Chaos, in dieser Brownschen Bewegung sind die Kandidaten gezwungen, auf die verschiedensten Tricks zurückzugreifen, um damit die Konkurrenz auf der steilen Kurvenüberhöhung hinter sich zu lassen: für den Status der Sprache nachträglich hungerstreiken, „Freiheit für Julia“ verlangen, Priester auf der Bühne auftreten lassen, die mit ihrer einschmeichelnden Stimme die Mäzenaten lobpreisen, die Geister der Saporoger Kosaken herbeirufen, die „sagen, dass Bohdan unser Knecht ist und ihnen gleichgültig ist, was für ein Abgeordneter aus ihm wird, wichtig ist, dass seine Mutter ihn als Patrioten erzogen hatte“. In dieser Wahlkampagne sind sie gezwungen die unterschiedlichsten Gestalten anzunehmen. Was für eine schlechte Meinung müssten sie vom Kulturniveau ihrer Wähler haben?

Die Reinkarnation von Juschtschenko

Ähnlich wie der Phönix aus der Asche oder eher aus den hintersten Ecken der Staatsdatscha erschien vor den Wählern unser politischer Messias – Wiktor Juschtschenko. Erschien und zwitscherte von der Nachtigallsprache, die er vor jeglichen Übergriffen schützen und hüten wird. Indessen suggeriert sein Surschyk3 folgerichtig die Frage danach, ob er die ukrainische Sprache nicht etwa vor sich selber schützen will? Oder will er etwa seinen Sohn mit Ehefrau mit der starken Stimme dazu bringen, dass die beiden endlich ukrainisch reden? Nein, er ist ja kein Diktator und greift nicht auf Gewaltmethoden zurück. Kurzum: das Thema der Nationalsprache ist lediglich nur ein Wahltrick. Sonst nichts.

Allerdings will Wiktor Juschtschenko nicht nur die ukrainische Sprache schützen, denn er hat noch weitere Trümpfe in der Hand. Der größte Trumpf dabei ist der Wirtschaftsnationalismus. An der Stelle sei es angebracht, den Herren Juschtschenko zu fragen, warum er so lange gezögert hat, die Ukraine mit diesem Heilmittel zu beglücken? In seiner Präsidentschaft hatte er wunderbare Möglichkeiten für die Umsetzung dieses Programms gehabt. Leider sprach er damals permanent ausschließlich von der freien Marktwirtschaft, dem Beitritt zur Welthandelsorganisation und den ausländischen Investitionen. Verhielt er sich etwa wie ein Partisan, der kein Wort verliert, aber gleichzeitig an die Autarkie dachte? Allerdings würde das Autarkieregime unter den aktuellen Gegebenheiten, wo ganze Wirtschaftszweige entweder vollständig weggefallen sind oder sich in der totalen Krise befinden, keine positiven Auswirkungen haben. Zweifelsohne werden Qualitätswaren wieder zu Mangelware werden, was konsequnterweise zu einem mehrfachen Preisanstieg führen würde. Als Kolchosenbuchhalter müsste Wiktor Juschtschenko ganz genau um die Risiken des Autarkieregimes wissen und man muss offen sagen, dass er Alexander Lukaschenko gar nicht gleichkommt. Wahrscheinlich die einzige Ähnlichkeit zwischen den beiden liegt darin, dass sie beide ihre Karriere in einem Kolchos begonnen hatten. Lediglich in einem Punkt verrechnete sich der Buchhalter Juschtschenko nicht: indem er auf die Unterstützung der leichtgläubigen Patrioten gesetzt hat. Eben diese zwei Prozent, die er mühsam aber sicher zusammenbekommen würde, könnten der Opposition für den Sieg bei der anstehenden Wahl fehlen. Deshalb ist seine Reinkarnation wahrscheinlich nicht gerade unentgeltlich und in „gegenseitigem Einvernehmen“.

Die unerschütterlichen Kämpfer für heitere Vergangenheit

Die Mehrzahl der soziologischen Studien belegt, dass in den ehemaligen Gebieten Galiziens die Allukrainische Vereinigung „Swoboda“ („Freiheit“) einer der Spitzenreiter der Sympathien unter den Wählern ist. Dem Anschein nach hätte diese Partei, die bei den vergangenen Kommunalwahlen von den Wählern mit den wirtschaftlichen Angelegenheiten beauftragt wurde, eindeutig gezeigt, dass sie außer Straßenreigen nichts hervorbringen könne. Dennoch hatten weder große Korruptionsskandale noch die absolute Inkompetenz der Parteikader vor Ort Auswirkungen auf den Wähler in Galizien. Möglicherweise haben die Wähler in den Handlungen der Partei etwas erkannt, was die Politikwissenschaftler und politische Analytiker außerstande sind wahrzunehmen? Möglicherweise hat die Allukrainische Vereinigung „Swoboda“ ein neues „Programm des ewigen Glücks“ für die Ukrainer ausgearbeitet? Gehen wir dem Programm dieser politischen Kraft nach.

Alle Versuche das Wahlprogramm der Allukrainischen Vereinigung „Swoboda“ im Netz zu finden sind missglückt.4 Noch vor kurzem las der Autor dieses Kunststück der politischen Meinung und staunte die ganze Zeit darüber, wie konnte das Justizministerium eines zivilisierten Landes so etwas überhaupt registrieren lassen. Momentan befinden sich alle öffentlichen Webseiten der Partei im Zustand „technischer Rekonstruktion“ und sind somit unzugänglich. Es wirft sich die Frage auf, warum die Allukrainische Vereinigung „Swoboda“ in dieser so wichtigen Zeit ihr Wahlkampfprogramm vor den anderen verheimlicht? Möglicherweise ist der Grund für diese Blockade ein Gerichtsurteil aufgrund einer Klage der Kommunistischen Partei? Wenn die ukrainischen Nationalisten keine Angst hatten, solche Punkte zu einem Teil des Parteiprogramms zu machen, warum machen sie nun einen Rückzieher? Glücklicherweise bin ich auf der Webseite einen Sympathisanten der Partei auf das „Schutzprogramm der Ukrainer“ gestoßen. Zugegeben, es ist nicht das, was auf der Webseite von „Swoboda“ in unverhohlener Schönheit zu finden war, aber Basispostulate sind hier gut wahrnehmbar, sogar wenn auch beschönigt.

Zum großen Teil besteht das Programm aus geschichtlichen Deklarationen. Hier beeindruckt die Allukrainische Vereinigung mit Konsequenz und Sturheit. „Swoboda“ ist der Meinung, dass wenn alle Parlamente der Welt das Faktum des Genozides an den Ukrainern anerkennen, die kommunistische Ideologie verurteilt wird, alle Symbole des russischen Imperiums entfernt und die Henker des ukrainischen Volkes verurteilt werden, die OUN-UPA Kombattantenstatus bekommt und Russland alle Verbrecher des Kommunismus gestehen wird, dann bricht für die Ukraine ein neuer Zeitalter an. Aber solange das alles noch nicht eingetreten ist, stehen Wirtschaftsfragen bei der führenden politischen Kraft im alten Galizien nicht auf der Agenda. Allerdings ist das Ganze nicht so einfach wie es scheint…

Es stellte sich heraus, dass das zukünftige ukrainische Wirtschaftswunder ebenso in der historischen Vergangenheit verankert ist. Russland muss nicht nur die Verbrecher der UdSSR gestehen, sondern auch der Ukraine eine unermessliche Kompensation auszahlen, „nicht weniger als für die Holocaustopfer“. Dazu soll dieses Geld für den Triumph historischer Gerechtigkeit verwendet werden. Gewiss wird ein Teil davon für die Kompensation für die „deportierten Ukrainer vom Kuban, der Gegend des heutigen Chełm, Podlachien, dem Land der Lemken“ ausgegeben werden. Aus diesen Mitteln werden höchstwahrscheinlich die Renten für die Kämpfer der UPA und die finanzielle Entschädigung für all die Jahre der Nichterkennung als Veteranen bezahlt. Die Summe der russischen Reue wird so groß sein, dass sie auch für die Auszahlungen all den Opfer der technogenen Katastrophen in der Ukraine ausreichen wird. Was für ein wunderbares Leben! Allerdings bleibt eine kleine Frage: was würde passieren, sollte Russland keinen einzigen Rubel zahlen wollen? Wie würde es dann um dieses wunderbare Programm stehen?

In diesem Falle wird man anscheinend mit den eigenen Ressourcen auskommen müssen. Nun hat „Swoboda“ auch für diesen Fall ein wunderbares Szenario. Die Partei wird Bedingungen dafür schaffen, dass Millionen von ukrainischen Wirtschaftsmigranten auf dem schnellsten Wege in die Ukraine zurückkehren, wobei ihr Eigentum und Finanzen zur steuerfreien Investitionen in die ukrainische Wirtschaft erklärt werden. Zwar fragt sich keiner, ob diese Menschen überhaupt zurückkehren wollen, ebenso wenig interessiert man sich dafür, ob die Leute ihr Kapital eben in die ukrainischen Wirtschaftszweige investieren möchten. Sind die Arbeitsmigranten bereit, die Zukunft ihrer Kinder zu riskieren und dorthin zurückzukehren, von wo sie die nackte Not weggetrieben hatte? Auch auf diese Frage hat „Swoboda“ eine Antwort parat. Partei verspricht „den Hauptgrund für die Arbeitsmigration zu beseitigen: für jede ukrainische Familie das Verfassungsrecht auf Wohnung zu sichern“. Sie fragen sich etwa, auf welche Weise? Ganz einfach. „Swoboda“ „verpflichtet Baumonopole zum Bau von Sozialwohnungen zur erschwinglichen Preisen. Aber wenn die Bauunternehmen sich weigern, das Geld für Sozialbauten auszugeben, was passiert dann? In diesem Fall wird „Swoboda“ zur Protektionismuspolitik zu Gunsten der ukrainischen Nation übergehen. So haben wir mit einer Art des Wirtschaftsnationalismus zu tun.

Indessen unterscheidet sich der Nationalismus von „Swoboda“ grundlegend von dem Nationalismus von Wiktor Juschtschenko. Es liegt daran, dass „Swoboda“ ethnischen Nationalismus predigt. Sein Kern liegt in der Blutsverwandschaft: alle, die keine reinen Ukrainer sind, gehören nicht zur Titularnation und sind somit nicht gleichberechtigt mit ihr. Sie sind dazu verdammt, ewig als Menschen zweiter Klasse zu gelten, sich mit dem Status einer nationalen Minderheit abzufinden. So gesehen wollen die Mitglieder von „Swoboda“ ihre Exklusivität in der Verfassung verankern. Für die Umsetzung dieses Vorhabens benötigen sie nicht viel: die Wiedereinführung der obligatorischen Nationalitätsangaben im Pass, die Verabschiedung eines „Gesetzes über den die proportionale Vertretung von Ukrainern und Vertretern ethnischer Minderheiten in den Regierungsorganen“, die Revision der Rechtmäßigkeit der Privatisierungen aller großen Unternehmen (anscheinend mit der anschließenden Übergabe an reine Ukrainer).

Ein interessantes Programm, wobei man wieder eine Frage hat. Wer sollte das Recht besitzen, die Blutreinheit feststellen? Wird es einen besonderen Ausschuss bestehend aus Naturwissenschaftlern, Ärzten und Anthropologen geben, oder werden es alte und bewahrte Ideologiekämpfer von „Swoboda“ sein, die nach Augenmaß den Inhalt des ukrainischen Blutes ermitteln werden? Diese Frage sollte man auf keinen Fall als nebensächlich ansehen und dem Ermessen der noch unbekannten oder korrupten Personen überlassen, denn unser Wirtschafts- und Sozialsystem soll ab diesem Moment auf dem Prinzip des „richtigen“ Blutes basieren.

Nun will ich dem Leser den Kopf nicht länger mit derartigem Unsinn vollreden. Ohnehin verstehen alle sehr gut, dass die Ukraine ein multinationaler Staat ist, in dem die Bürger die ukrainische Zugehörigkeit nicht durch Blut, sondern durch ihren Pass besitzen. Als Ausdruck einer korrekten Position der Bürger in einem solchen Land kann nur Staatspatriotismus aber nie ethnischer (radikaler) Nationalismus sein. Widrigenfalls gehen wir das Risiko eines Bürgerkrieges ein, oder alles, was hier abgespielt wird, ist nur eine billige populistische Spielerei.

Postskriptum

Abschließend möchte ich anmerken, dass die Abgeordnetenkandidaten keine Marsmenschen sind, sie sind unser eigen Fleisch und Blut. Sie sagen das, was wir, abhängig von der Region, hören wollen. Unsere politische Kultur lässt sich nicht schnell ändern, aber eine Übung in Nachsicht könnte folgenschwer sein. Deswegen muss man auf jeden Fall seine Stimme bei der Wahl abgeben. Davor muss man alle Versprechen der Kandidaten gründlich abwägen und danach, wie unsere moralischen Autoritäten sagen, seinem Gewissen folgen.

1 sozialpolitische Richtung unter der gebildeten Jugend in der Westukraine, die in den 60er Jahren 19 Jh. in Galizien ins Leben gerufen wurde und Bildungsarbeit im Volk betrieb

2 Anspielung auf den Roman «Zwölf Stühle»

3 Mischsprache auf der Grundlage der ukrainischen und russischen Sprachen. Dabei müssten ehemalige Staatsangestellte die Literatursprache beherrschen und anwenden können

4 Anmerkung der Redaktion: das Wahlprogramm von Swoboda stand war die ganze Zeit bei der Zentralen Wahlkommission einsehbar

18. Oktober 2012 // Wassyl Rassewytsch

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Ljudmyla Synelnyk  — Wörter: 2183

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