Die Deutschen werden die Ukraine aus einem neuen Blickwinkel sehen, doch nicht in der Frage der NATO


Ein neuer Minister ist nicht immer mit einer neuen Politik gleichzusetzen

Aktuell wird in der Ukraine viel über die zukünftige Verbesserung der deutschen Politik gesprochen. Der Grund liegt darin, dass es einen neuen Außenminister in Deutschlands geben wird, nämlich Guido Westerwelle – den Vorsitzenden der Freien Demokraten. Es hängt hauptsächlich damit zusammen, dass er der erste deutsche Politiker ist, in dessen Programm klar die europäische Integration der Ukraine eingeschrieben ist.

Ich würde jedoch nicht sagen, dass die Politik in Deutschland besser wird. Aus einem banalen Grund: Deutschland hat immer eine gute Haltung gegenüber der Ukraine gezeigt und versucht, eine wichtige Rolle in der Region zu spielen. Genau damit lässt sich erklären, warum Kanzlerin Angela Merkel das Projekt der „Östlichen Partnerschaft“ unterstützt hat. Dieses Programm der Europäischen Union umfasst sechs postsowjetische Länder – die Ukraine, Georgien, Weißrussland, Aserbaidschan, Armenien und Moldawien.

In Kyjiw könnte man sich natürlich gekränkt fühlen, dass Berlin die Gewährung des Aktionsplans bezüglich der Mitgliedschaft bei der NATO für die Ukraine nicht unterstützt hat. Wenn es der Hauptindikator für die Verbesserung der ukrainisch-deutschen Beziehungen gewesen ist, dann, fürchte ich, muss ich all jene Experten enttäuschen – Berlin wird seinen Standpunkt diesbezüglich in naher Zukunft wohl kaum ändern. Und Westerwelle wird hier nicht helfen.

Die Tatsache, dass seine Partei die europäische Perspektive von Kyjiw unterstützt, wird natürlich neuen Wind in die Diskussion über die Grenzen der Europäischen Union bringen. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Ukraine die Mitgliedschaft in der Europäischen Union in naher Zukunft erreicht. Kyjiw kann in dem Punkt sicher sein, dass Berlin die aktive Zusammenarbeit mit der Ukraine unterstützt. Die deutsche Führung versteht, dass die Ukraine auf keinen Fall in einer grauen Zone oder Ungewissheit gehalten werden sollte. Die Freien Demokraten wollen eigentlich sagen, dass wenn die Ukraine alle Kriterien erfüllt und wenn Kyiw dem Lissaboner- Vertrag zustimmt, dann ist die Europäische Union einfach verpflichtet zu erklären: die Ukraine hat eine Chance, der Europäischen Union beizutreten.

Die Freien Demokraten haben in der Tat die frühere deutsche Regierung und die anderen europäischen Regierungen sehr dafür kritisiert, dass sie der Ukraine keine Perspektive eröffnen, der Europäischen Union beizutreten. Die Freien Demokraten haben die Politik der Forderungen als ungerecht bezeichnet: erfüllen Sie das und danach jenes und dann passen Sie die Rechtsgrundlage an die europäischen Standards an, anschließend ändern Sie bitte das System, nur dann werden wir sehen. Damit es kein „wir werden sehen“ mehr gibt, wollen die Freien Demokraten in dem zukünftigen Dokument zwischen der Europäischen Union und der Ukraine die Position klar definieren: Wenn die Ukraine alle Kriterien erfüllt, dann hat sie eine Chance, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Deshalb kann es einige Änderungen in den deutsch-ukrainischen Beziehungen geben.

Berlin wird wie früher große Aufmerksamkeit der Zusammenarbeit mit Russland schenken. Die russisch-deutsche Beziehungen sind in vielerlei Hinsicht durch das Geschäft gekennzeichnet – Handelsbeziehungen, energetische Allianz sowie Bankenbeziehungen. Wenn Russland seinen Markt für den Westen weiter öffnet, dann wird Deutschland unter den ersten sein, die dort Fuß fassen wollen.

Allerdings werden weder die Ukraine noch Russland zu den Prioritäten der Außenpolitik von Berlin zählen. Es gibt viel dringendere Probleme, die allen Deutschen Sorgen bereiten. Das hochaktuellste Problem betrifft die deutsche Friedensmission in Afghanistan.

Die ukrainischen Experten, glaube ich, weisen dem Einfluss des zukünftigen Außenminister Deutschlands Guido Westerwelle eine große Rolle zu, als ob er der einzige Mensch sei, der die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland bestimmt. Man soll dabei jedoch nicht vergessen, dass Angela Merkel weiterhin als Kanzlerin bleibt. Und besonders sie hat das entscheidende Wort, wenn es um die außenwirtschaftliche Vorgehensweise geht. Dieses hierarchische Modell ist mit dem amerikanischen Modell vergleichbar, wonach die Entscheidungen bei der strategischen Fragen der Außenpolitik nicht von Hillary Clinton, sondern von Barack Obama getroffen werden.

Natürlich kann Westerwelle versuchen, die Position von Merkel zu beeinflussen, um seine eigene Unabhängigkeit zu demonstrieren. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er sich so für die Ukraine einsetzen wird. Vielmehr wird es wieder um Afghanistan oder um die Abrüstung gehen. Er hat sich bereits gegen die Aufstellung von amerikanischen Atomraketen auf dem deutschen Boden ausgesprochen. Merkel ist im Gegensatz dazu der Meinung, dass sie weiterhin erhalten bleiben sollen.

Aber das bedeutet nicht, dass die Ukraine für deutsche Politiker uninteressant ist. Im Gegenteil, sie ist sehr interessant, weil die Ukraine das einzige demokratische Land unter den GUS – Ländern ist. In Deutschland bleibt noch die ziemlich positive Wahrnehmung der vor fünf Jahren stattgefundenen Ereignisse vorhanden – der Orangen Revolution, welche die Ukraine aus der kommunistischen Vergangenheit gerissen und auf den echten europäischen Weg gestellt hat. Viele der europäischen Politiker erinnern sich immer noch an diese romantische Sicht der Ukraine. Deshalb hat Kyjiw noch die Chance, der Europäischen Union zu gefallen. Außerdem schätzt Deutschland die Ukraine als einen wichtigen Handelspartner. Deutsche Investoren sind an der Verbesserung des Investitionsklimas in der Ukraine interessiert.

Andererseits gibt es viele, die von Wiktor Juschtschenko in gewisser Weise enttäuscht wurden. Er galt als Symbol der Orangen Revolution. Aber er konnte seine Versprechen innerhalb der letzten fünf Jahre nicht einhalten – es waren nur leere Worte. Im wirtschaftlichen Bereich hat sich auch kaum etwas geändert, denn er wird nicht als starker Politiker angesehen.

Aktuell wird Julia Timoschenko aufmerksam beobachtet. In Deutschland gibt es viele, die eben auf sie setzen. Die Kanzlerin Angela Merkel hat sich bereits zweimal mit ihr getroffen, obwohl sie zunächst diese Treffen verweigert hatte.

Aber ich denke, im Falle eines Wahlsieges von Wiktor Janukowitsch wird man auch mit ihm einen normalen Dialog führen. Das Wichtigste ist, dass die Präsidentschaftswahlen unter dem Zeichen der Demokratie verlaufen, dass es keine Manipulationen geben wird und dass niemand die administrativen Ressourcen nutzt. Wenn die Wahl ohne Betrug verläuft, dann wird die Ukraine noch einmal der Welt ihre Einstellung gegenüber den demokratischen Werten zeigen.

13.10.2009 // Alexander Rahr
ist Programmdirektor Russland/Eurasien bei der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik e.V.

Quelle: GlavRed

Übersetzerin:   Ilona Stoyenko  — Wörter: 965

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