Das dritte Rom


Wladimir Putin hat vorgeschlagen, in Russland ein Überschall-Passagierflugzeug zu bauen, auf der Basis des Raketenträgerflugzeugs Tu-160. Die Idee ist nicht neu, in der Sowjetunion gab es schon das Überschall-PassagierflugzeugTu-144. Von 1967 bis 1984 gelang es, 16 Exemplare herauszubringen, richtig, aber zu einer kommerziellen Verwendung brachten es nur sieben Maschinen Ungefähr neun Monate lang verkaufte man Tickets dafür. Wonach sich das Projekt ins Archiv verabschiedete.

Die Geschichte der Tu-144 ist ein weiteres Beispiel für jenes technologische Wettrennen, in dem die Sowjetunion versuchte, es mit dem Westen aufzunehmen. Man brachte sie zwei Monate vor der „Concorde“ in die Lüfte und tischte noch so etwas wie ein „Erstgeburtsrecht“ auf. Ein Symbol der sowjetischen Kraft und ein Triumph des Systems. Im Übrigen führten zwei Flugzeugkatastrophen und die Unrentabilität dazu, das kostspielige Projekt sehr schnell als Schrott abzuschreiben. Sein Alter Ego – die französische „Concorde“ – absolvierte noch 19 Jahre lang Flüge. Eine bezeichnende Geschichte.

In der Ukraine liebt man es, das Russland der Zehner-Jahre mit dem Deutschland der 1940er-Jahre zu vergleichen. Aber um der Gerechtigkeit willen muss man anerkennen, dass Wladimir Putin deutlich mehr an Benito Mussolini erinnert.

Auch der italienischen Duce liebte Image-Projekte. Er schuf den Riesendampfer „Rex“, um das „Blaue Band des Atlantiks“ (eine Art Wanderpokal, der an Passagierschiffe für die schnellste Durchquerung des Atlantischen Ozeans vergeben wird) zu erringen. Zu dieser Liste gehören auch: Das weltweit schnellste Wasserflugzeug MC72 oder der Transatlantikflug Italo Balbos (=Flugexperte und Luftfahrtminister unter Mussolini). Alle diese Projekte wurden aus dem Staatshaushalt finanziert. Keinerlei Kommerzialisierung – es ging allein um die Großartigkeit des Staates.

Daran ist überhaupt nichts Erstaunliches. So wie die heutige russische Führung war auch der Duce kein Anhänger der Rassentheorie. Er stand dem Etatismus näher – er glaubte, dass die Hauptaufgabe der Politik die Stärkung des Staates sein sollte. Die Quintessenz seines Ansatzes formulierte Mussolini in einer Rede vor dem Parlament im Mai 1927: „Alles im Staat, nichts gegen den Staat und nichts außerhalb des Staates“. Bis zum Jahr 1935 brachte Mussolini drei Viertel aller Firmen unter staatliche Kontrolle. Banken und Privatpersonen sollten sich zum Vorteil von inländischen Wertpapieren von ausländischen Aktien trennen.

Seine russischen Nachfolger treiben ebenfalls jegliche Aktivität unter einen Staats-Schirm. Das Imperium wird zum höchsten Gut erklärt, die Staatsmacht wird heilig gesprochen, Quadratkilometer sind wichtiger als die Lebensqualität.

Staatsdienst – das ist der einzige soziale Weg nach oben. Die Kinder, die davon träumten, Geschäftsmänner zu werden, sind abgelöst worden von einer Generation, die von Dienstauszeichnungen träumt.

Wladimir Putin ist kein ethnischer Nationalist. Er ist ein imperialer Herrscher sowjetischen Glaubens. In der Russischen Föderation kann ein Mensch mit ukrainischem, deutschem oder tuwinischem Namen Karriere machen. Es reicht, sich zum Wohle des Imperiums von der regionalen Identität zu lösen. Wahrscheinlich liebt Putin sogar die Ukraine – mit der Liebe eines sowjetischen Menschen. Nur dass die Ukraine in diesem Koordinatensystem „Kleinrussland“ sein soll: Zweitklassig, unter Kontrolle stehend, ein Vorhof.

Benito Mussolini entmachtete das Parlament, dem das Recht entzogen wurde, die Aktivitäten des Duce zu kontrollieren. Lokale Wahlen fielen unters Messer, sogar die Bürgermeister wurden letztlich durch vorherbestimmte Verwaltungsleiter ersetzt. Presse, Bildungseinrichtungen und Kino verbreiteten die Idee, dass der Faschismus die wichtigste Alternative zum Liberalismus sei. Die Opposition löste sich ins Nichts auf. An der Spitze des Staats schotteten sich das Innen-, Verteidigungs- und Korporationenministerium, das Ministerium für die Kolonien und das für Öffentliche Arbeiten ab.

Auf genau die gleiche Art konnte der russische Präsident jegliche Institutionen beseitigen. Die einzige Ausnahme in der Russischen Föderation – das ist noch nicht einmal die Institution des Präsidenten, sondern die Institution Wladimir Putin. Die Opposition ist marginalisiert, die Wahlen wurden missbraucht, und überhaupt fehlt im Machtapparat ein System, um Einhalt zu gebieten und Gegengewichte zu schaffen.

Mussolini erschuf eine „italienische Welt“. Zu seiner Einflusssphäre zählte er das Mittelmeer. 1923 eroberte er Korfu und installierte in Albanien ein Marionettenregime. Der vorletzte Erwerb Italiens vor dem Krieg wurde das besetzte Äthiopien. Der letzte Albanien, das er innerhalb von fünf Tagen im Jahre 1939 eroberte – exakt am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. In all dieser Zeit sprach Mussolini davon, aus Italien ein „weithin geachtetes“ Land zu machen, mit dem Europa und die Welt zu rechnen hätten. Und genau so hat sich das heutige Russland die Losung auf die Fahnen geschrieben, sich von den Knien zu erheben. Die „russische Welt“ als Rechtfertigung, um die Nachbarn zu überfallen.Das Reden von den „traditionellen Einflusssphären“ als Vorwand zum Kampf mit einem anderen Staatsgebilde.

Moskau, das unzufrieden ist mit seinem Platz, strebt danach, die Welt in Turbulenzen zu stürzen, um in dem neuen Chaos einen neuen Platz zu finden. Und zwar den, den es nach der Meinung seiner Führung, verdient. Und seine antiwestliche Haltung wird genau so begleitet vom Reden über nationale Größe.

Wir sind daran gewöhnt, dass erfolgreiche Staaten nach ein und demselben Rezept aufgebaut werden. Aber die To-do-Liste erfolgloser Staaten unterscheidet sich davon auch nicht gerade durch Vielfältigkeit. Darauf stehen immer staatliche Größe und das In-die-Pflicht-Nehmen der Wirtschaft. Propaganda und Expansion. Zentralisierung und Kritik am Westen. Und als Sahnehäubchen obendrauf Image-Projekte. Bisweilen, so scheint es, dreht sich die Geschichte im Kreise.

18. Februar 2018 // Pawel Kasarin

Quelle: Ukrainskaja Prawda

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