Der Export ukrainischer Gastarbeiter nach Europa


Wenn die ukrainischen Gastarbeiter nicht ins Ausland zurückkehren, könnten sie die ukrainischen Eliten zu Fall bringen.

Der Export von Gastarbeitern ist der Hauptexportartikel der ukrainischen Wirtschaft. Nach Angaben der Nationalbank der Ukraine beliefen sich die Überweisungen von Ukrainern ins Ausland im Jahr 2019 auf 12,8 Milliarden Dollar. Das übersteigt das Nettoeinkommen des gesamten Exports der Ukraine. Immerhin wird der ukrainische Export im Jahr 2019 auf insgesamt 50 Milliarden Dollar geschätzt. Der durchschnittliche Nettogewinn aus dem Export kann ungefähr 20 Prozent erreichen. Daher verdiente das ukrainische Business 2019 im Export „netto“ rund zehn Milliarden Dollar.

Die Coronavirus-Epidemie ruiniert die Gastarbeiter als Hauptartikel der ukrainischen Ökonomie. Hunderttausende ukrainische Gastarbeiter kehrten ins Heimatland zurück. Schon zwei Monate lang können die Ukrainer nicht zur Arbeit fahren. Ukrainische Einzelhandelsketten, Bauherren, Beamte, Ärzte, Schullehrer, bezahlte Abteilungen der Hochschulen, Tutoren, kommunale Dienstleister, Hersteller von Bekleidung, Transportunternehmen usw. werden im Jahr 2020 keine Milliarden Dollar erhalten. Die Wirtschaft des Landes könnte um zusätzliche 20 bis 25 Prozent sinken.

Die ukrainischen Inlandspreise für Lebensmittel, Versorgungseinrichtungen, Kleidung usw. basieren auf dem Einkommen der Gastarbeiter und nicht auf den lokalen „offiziellen“ Gehältern. Die ukrainischen Lebensmittelproduzenten und -händler agieren nach dem Prinzip, dass die Familien der Gastarbeiter für Lebensmittel nicht weniger als in der EU bezahlen müssen. Die Preise für Lebensmittel im Zentrum der Ukraine, zum Beispiel in Dnipro, ähneln plus/minus jenen in Moskau oder Berlin. Nur dass vielleicht lokale Früchte billiger sind. In der EU kann Qualitätsmilch ohne Palmöl für ungefähr das gleiche oder billiger gekauft werden. Milch ist in Spanien, Tschechien, der Slowakei, Portugal, Ungarn und Polen billiger. Im teuren Holland ist es offiziell etwas teurer, doch in Wirklichkeit habe ich sie in Den Haag fast um ein Drittel billiger gekauft als in der Ukraine. Wenn in der Ukraine das Geld der Gastarbeiter für Einkäufe zu derartigen Preisen nicht vorhanden ist, wird mindestens die Hälfte der Ukrainer einfach anfangen zu hungern.

Arbeitsplätze für die Gastarbeiter gibt es in der Ukraine nicht, selbst wenn sie sich dazu bereit erklären würden, „ukrainische“ Löhne zu erhalten. Die Quarantäne warf Hunderttausende Ukrainer auf die Straße, die im Land arbeiten. Inländische Gehälter ermöglichen es den Ukrainern im besten Fall, ohne das Recht, ernsthaft zu erkranken, zu überleben. „Ukrainische“ Löhne reichen nicht einmal aus, um durchschnittlich komplexe Behandlungen zu bezahlen. Auf der Website des Nikopoler „Interpipe“-Werks von Pintschuk [Wiktor Pintschuk, Milliardär, Schwiegersohn von Ex-Präsident Leonid Kutschma. A.d.R.] gibt es Informationen über ein Durchschnittsgehalt im Werk von 104.000 Hrywnja pro Jahr vor Steuern oder 8.700 Hrywnja [etwa 300 Euro] pro Monat brutto. Das Werk und die Stadt allein sind gesundheitsschädliche genug. In Bezug auf die Löhne und das Bruttoinlandsprodukt der Ukraine verdient eine ukrainische Rentnerin, die sich irgendwo im Norden Italiens um ältere Menschen kümmert, ungefähr 1.000 Euro und schickt Geld nach Hause und gibt der Wirtschaft der Ukraine fast 1,5 bis 2 junge Arbeiter in der schädlichen Produktion von „Interpipe“. Gleichzeitig hat sie in der Ukraine praktisch keine Chance, einen mehr oder weniger anständigen Lohn zu erhalten.

Als Reaktion auf ihren Beitrag zur ukrainischen Wirtschaft haben die Gastarbeiter das volle Recht, staatliche Unterstützung und die Verteidigung ihrer Rechte zu fordern. Zuallererst können sie verlangen, dass der Staat damit aufhört, sie als Wirtschaftskriminelle zu betrachten, und ihr Recht darauf legalisiert, keine ukrainischen Einkommenssteuern im Ausland zu bezahlen. Gastarbeiter zahlen nicht, haben niemals und werden niemals ukrainische Steuern auf ihr ausländisches Gehalt zahlen. Die Ebene des Patriotismus hat keine Bedeutung. Die Steuern zahlen nicht die Landarbeiter, zahlen nicht die Programmierer, zahlen nicht die Kellnerinnen, zahlen nicht die Stipendiaten und Dozenten der Lwiwer Hochschulen – „der Zitadellen des ukrainischen Nationalismus“, die Vorlesungen im Ausland halten.

Mein Bekannter, ein Universitätsdozent aus Lwiw, teilte seine Eindrücke von der Reaktion der Kollegen auf seine grundsätzliche Position, Steuern auf ausländisches Einkommen zu zahlen. Er legt tatsächlich eine Erklärung vor und zahlt. Keiner seiner Kollegen, welche ebenfalls ein Einkommen im Ausland erhalten, tut das. Die Reaktion auf seine Position ist die eine: „Weshalb brauchst du das?“ Und die Frage ist, warum sie diese Steuern auf ausländische Einkünfte bezahlen sollten, wenn der gesamte große und bedeutende Teil der mittelständischen Unternehmen in der Ukraine die ukrainischen Steuern mittels Offshoring gesetzlich „optimieren“?

Wenn Gastarbeiter offiziell im Ausland arbeiten, zahlen sie alle lokalen Steuern sowie Beiträge an die Rentenfonds. Ein Teil der Ukrainer erhält bereits – wenn auch nicht große, aber verdiente – italienische Renten. Ukrainische Steuern auf das in eben jenem Italien Verdiente zu zahlen, bedeutet doppelte Steuern zu zahlen. Viele Ukrainer arbeiten inoffiziell im Ausland. Steuern in der Ukraine zu zahlen ist gleichbedeutend mit einer offenen Anerkennung eines Verstoßes gegen die EU-Gesetzgebung.

Ein Teil der ukrainischen Staatsbürger kann seine ausländischen und sogar legalen Einkünfte nicht melden, weil sie in der Ukraine als kriminell angesehen werden können. Dieselben ukrainischen Frauen, die legal in den Rotlichtvierteln in Amsterdam oder auf der Reeperbahn in Hamburg arbeiten können. Lassen Sie sie versuchen, den ukrainischen Behörden zu melden, wo sie arbeiten… In der Ukraine gibt es keinen rechtlichen Bereich für Sexdienste. Wenn sie einen Teil ihres Einkommen in die Ukraine schicken, bringen sie dem Heimatland deutlich mehr Nutzen als Zehntausende der gleichen ukrainischen Buchhalter, die an Plänen zur Geldwäsche und an Geschäften mit Offshoring beteiligt sind. Ganz zu schweigen von der bemerkenswerten Anzahl von Politikern, Beamten, Abgeordneten, Staatsanwälten, Richtern und so weiter.

Die ukrainischen Gastarbeiter können ganz realistisch die Schaffung eines Status der individuellen Exporteure persönlicher Arbeit in der Ukraine einfordern. Schließlich bezahlt das ukrainische Business keine Mehrwertsteuer auf Exportverkäufe? Zumal die Gastarbeiter und ihre Familien Steuern auf ihre Einkäufe in der Ukraine zahlen. Der ukrainische Staat kann natürlich die Kontrolle über die Ausgaben der Gastarbeiter in der Ukraine verschärfen. Dies kann nur zu einem Rückgang der Geldüberweisungen in die Ukraine führen. Die legal im Ausland arbeitenden Ukrainer werden versuchen, mehr Geld dort zu lassen und ihre Familien aktiv aus der Ukraine herausbringen. Durch die doppelte Besteuerung wird es für einen Teil der Gastarbeiter rentabler sein, ihre Verwandten im Ausland zu halten und zusätzlich zu den europäischen nicht noch ukrainische Steuern zu zahlen.

Eine Legalisierung ausländischer Einkünfte der Gastarbeiter erlaubt es ihnen, Geld gesetzeskonform zu überweisen, legal auszugeben, ihr Einkommen auf Konten bei ukrainischen Banken einzuzahlen und nach Wunsch zu investieren. Ohne eine Einkommensbescheinigung wird dieselbe Oschtschadbank [staatliche Sparkasse der Ukraine] keine nennenswerte Summe von Ihnen akzeptieren. Am 28. April trat ein Gesetz zur Stärkung der Kontrolle über Bankzahlungen und Barabrechnungen in Kraft. Wenn es tatsächlich funktioniert, werden es ukrainische Gastarbeiter in der Ukraine schwer haben. Der Staat Ukraine wird seinen Hauptexportartikel einfach noch mehr in die Schattenwirtschaft drängen.

Abgesehen von einer Legalisierung haben die ukrainischen Gastarbeiter das volle Recht, von der Ukraine die Anrechnung ihres Ruhestands für ihre Arbeit im Ausland zu verlangen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass sie monatlich Geldüberweisungen auf ihr ukrainisches Konto oder an ihre Verwandten tätigen. Sie verdienen tatsächlich für ihre ukrainische Rente. Der Beitrag der Gastarbeiter zum ukrainischen Rentensystem ist durch indirekte Steuern in Wirklichkeit erheblich höher als bei vielen Ukrainern, die im Inland arbeiten und Lohnsteuern zahlen.

Als Hauptartikel des ukrainischen Exports haben die ukrainischen Staatsbürger das volle Recht, auch vom Staat zu verlangen, ihre Rechte gegenüber ausländischen Behörden zu schützen, die Rückkehr zu Arbeitsplätzen im Ausland unter den Bedingungen der Quarantäne zu organisieren und finanzielle Unterstützung vom Staat zu erhalten. Finanzielle Unterstützung kann in Form von Ermäßigungen auf Krankenversicherungen im Ausland, dem kostenlosen Erhalt von Auslandsreisepässen, der Erstattung von Visagebühren, zinsfreie oder zinsgünstige Kredite für die Reise und die Ausgaben im Ausland bis zum Erhalt des ersten Gehalts erfolgen. Die Gastarbeiter sind das profitabelste Exportgeschäft der Ukraine und sie haben das volle Recht auf die Unterstützung des Staates – nicht weniger als regierungsnahe Unternehmer.

Wenn der Staat den Gastarbeitern angesichts der Krise nicht entgegenkommt, ist es durchaus möglich, sie in einer oder mehreren Gewerkschaften zu vereinen. Die ukrainischen Gastarbeiter können einen Kandidaten bei der nächsten Präsidentschaftswahl oder ukrainische Parteien unterstützen, die versprechen, ihren Forderungen nachzukommen. Das alles ist nur Politik und in der Ukraine kann nur mittels Forderungen, „politischer Erpressung“ und Druck, aber nicht durch demütigende Bitten oder rationale Vorschläge etwas erreicht werden. Die ukrainischen Behörden verstehen nur die Sprache der Stärke und des Geldes.

Es klingt zynisch, doch für die ukrainischen Politiker und Beamten ihrerseits lohnt es sich, den Gastarbeitern zu helfen, um ihre Macht zu wahren. Den Gastarbeitern muss geholfen werden und sie müssen wieder nach Europa „zurückgeschmissen“ werden. Die Gastarbeiter sind nicht nur der Hauptartikel des ukrainischen Exports, sondern auch der mobilste, aktivste, entschlossenste und mutigste Teil des ukrainischen Volkes. Bis zum Ende der Welt zu fahren, nicht „auf dem Hintern sitzen zu bleiben“ im eigenen erbärmlichen Sumpf, ohne einen Atemzug zu buckeln, die Gesundheit und oft das Leben zu riskieren, können wirklich nur starke und mutige Menschen. Wenn ihnen nicht die Möglichkeit gegeben wird, zu gehen und Geld zu verdienen, werden sie einfach keine „faulen ukrainischen Eliten“ tolerieren. Sie werden sie stürzen. In Galizien und Wolhynien ist das bereits geschehen.

4. Mai 2020 // Klymentij Fedewytsch

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Agnes Poitschek  — Wörter: 1488

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