Der faulende Westen
Eurasier haben ihren eigenen Stolz und der verkommene Westen ist für sie kein Gesetz!
Sollte sich der unberechenbare Janukowitsch endgültig mit Brüssel und Washington zerstreiten, so ist es nicht schwer zu erraten, in welche Richtung sich der neue geopolitische Vektor bewegen wird. Die aktuellen Probleme der westlichen Welt sind für die Propagandisten des alternativen eurasischen Weges ein Geschenk von unschätzbarem Wert. Die Bourgeois aus dem Westen, Verteidiger der „kriminellen Julija“, haben eine weltweite Finanzkrise verursacht. Sie haben mit einem leblosen Markt, dem wirtschaftlichen Zusammenbruch, hilflosen Regierungen und Volksaufständen gegen die zwanghafte und ungerechte Ordnung zu kämpfen.
Bei uns herrschen slawische Brüderschaft, Sorge um die Menschen, ein starker und fürsorglicher Staat, die Wiedergeburt der humanistischen sowjetischen Traditionen.
Wem soll nun die Ukraine folgen?
Die progressive Intelligenz wird sich auf Facebook natürlich bis zum Letzten für den europäischen Weg einsetzen. Die Tiraden über europäische Werte dürften den Durchschnittsbürger, der noch nie in Europa war, jedoch regelmäßig das Fernsehprogramm in Athen, London und Rom verfolgt, allerdings kaum begeistern.
Leidenschaftliche Verächter des Westens freuen sich nicht nur über die Nöte des Gegners, sondern legen diesen auch die passende ideologische Begründung bei. Nun ist der unausweichliche Kollaps einer seelenlosen und unmenschlichen Gesellschaft, die unter der Last ihrer eigenen Sünden zusammenbricht, eingetreten.
Vielleicht würde es sich tatsächlich lohnen, diese Version einmal ernsthaft zu untersuchen, wenn da nicht ein wohlhabendes Land wäre. Die Rede ist vom guten alten China, das nun schon drei Jahre dem Ebenbild ökonomischer Effektivität entspricht. Eine Auswahl typischer Nachrichten aus dem Reich der Mitte sieht in etwa so aus:
„Eine halbe Million Chinesen sterben jährlich an Überarbeitung. Die Mehrheit der Bewohner des Landes arbeitet 15 Stunden am Tag, ohne Urlaub. Sie erholen sich lediglich am chinesischen Neujahr für eine Woche. Nach Meinung der Soziologen schonen sich die Chinesen bei der Arbeit nicht und versuchen, Geld fürs Alter anzusparen, denn in der VRC gibt es Rente nur für Beamte.“
„Die größte Deponie der Welt für Elektronikmüll befindet sich in der chinesischen Provinz Guang Dung. Eine dreiköpfige Familie, deren Mitglieder in der Sortierung von Elektronikmüll arbeiten, verdient mit Mühe 700 bis 800 Yuan im Monat. Dieses Geld reicht lediglich für die primitivsten Lebensmittel. Doch der Ansturm derer, die in der Sortierung von Elektronikmüll arbeiten wollen, nimmt kein Ende. Im Reich der Mitte zählt man dutzende Millionen von Bauern, die ihre Provinzen verlassen haben und zu inneren Emigranten geworden sind. Die Kinder solcher chinesischen Gastarbeiter helfen ihren Eltern bereits im Alter von sieben bis acht Jahren beim Suchen und Sortieren von Müll. Um das Geld für Wohnraum zu sparen, bauen sich ihre Eltern direkt neben der Deponie ihre Hütten.“
„Die Zahl der Milliardäre erhöht sich in China stetig. 2011 gab es in China 271 Menschen im Besitz von Milliardenwerten, was ein Wachstum von einem Drittel gegenüber dem Vorjahr und eine Verdopplung gegenüber dem Jahr 2009 bedeutet.“
Das heutige China ist ein Land gnadenloser Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung und ein Land krasser sozialer Kontraste. Folgt man der Logik hysterischer Propheten, so müsste China eher als alle anderen Länder in die Unterwelt versinken. Die VRC entwickelt sich jedoch selbstsicher zu einem neuen Leader in der Welt. Und die westliche Welt hängt in einem Sumpf der Depression fest, aber nicht etwa, weil sie schlechter ist, sondern weil sie viel besser ist.
Die Geschichte der Menschheit kennt nichts humaneres, als die zeitgenössische westliche Zivilisation. In der westlichen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sind die ewigen Träume aller Idealisten am weitesten verwirklicht worden – allgemeiner Wohlstand, Sorge um jeden einzelnen Menschen, Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit den Problemen anderer, Unterstützung der Schwachen. Die um sich greifende Güte müsste den Westen eigentlich stärken. Doch bedauerlicherweise beobachten wir das Gegenteil. Denn die edlen Ideale von Christus und Thomas Moore haben mit der wirklichen Natur des Menschen wenig gemein. Bei der Konfrontation mit der Psychologie des Homo Sapiens fördert der westliche Humanismus ungewollte, aber absolut gesetzmäßige Effekte zutage.
Nehmen wir zum Beispiel die vielfach zitierte Arbeitslosenhilfe in den Blick. Die Initiatoren dieser Einrichtung verfolgten die allerbesten Ziele. Die Unterstützung war als Rettungsring geplant, der die Betroffenen davor bewahren sollte, bis auf den Grund abzusinken und ihnen helfen sollte, sich zu halten, aufzutauchen und wieder ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu werden. Niemand hätte sich auch nur im Traum vorstellen können, dass die Menschen jahrelang von staatlicher Unterstützung leben würden und nicht einmal versuchen würden, Arbeit zu finden. Mit der Zeit wurde der Rettungsring zum Floß, und dann zu einem bequemen Boot, woraufhin der Sinkende entschied, dass man ihm eine komfortable Yacht zur Verfügung stellen solle …
Sorgt euch in dieser Art um den bengalischen Tiger und die Population dieser Tierart wird wieder wachsen. Sorgt euch um alleinstehende Mütter und ihre Zahl wird sich drastisch erhöhen. Sorgt euch um die Immigranten und der Zustrom von Immigranten wird sich um ein vielfaches erhöhen. Sorgt euch um die ökonomisch inaktive Bevölkerung und ihr Anteil an der Gesellschaft wird unaufhaltsam zunehmen.
Je mehr man dem Menschen gibt, desto mehr fordert er. Das ist ein integraler Bestandteil seines Wesens.
Wer hat das aktivste Protestverhalten in der heutigen Welt entwickelt? Die gnadenlos ausgebeuteten asiatischen Lohnarbeiter? Nein. Es sind die stolzen Helenen, die bei minimaler Produktivität der Arbeit mit maximalen sozialen Sicherheiten ausgestattet sind. Es sind die nicht arbeitenden Migranten, denen es mehr Gewinn bringt, in der EU arbeitslos zu sein, als in ihrer Heimat zu arbeiten. Es ist das Pack in London und Rom, das noch nie gearbeitet hat und auch nie gewillt war zu arbeiten, das dafür aber mit Begeisterung Geschäfte plündert und Autos anzündet.
Die neue Klasse, die in ökonomischer Abhängigkeit lebt und die von der westlichen Politik der Nächstenliebe erschaffen wurde, reagiert besonders heftig auf wirtschaftliche Probleme und ist bereit ihren Schöpfer und Wohltäter zu vernichten. Und nichts anderes hätte man erwarten dürfen.
Dieser Egoismus scheint unmoralisch zu sein. Wir sollten doch altruistisch handeln, an die Nächsten denken und ihnen einen Teil unseres Einkommens abgeben. Das wäre der Weg zu einer glücklichen und harmonischen Gesellschaft.
Welche Rolle spielt in diesem Schema aber das Objekt unserer Fürsorge – der arbeitsfähige Empfänger des sozialen Bonus? Der Idee nach müsste er jede Hilfe selbstbewusst ablehnen, um seine Nächsten, die Steuerzahler, nicht zu belasten. In der Realität aber nimmt er die Hilfe als etwas selbstverständliches an und fordert noch mehr. Warum? Weil er ein typischer Egoist ist, dazu aber mittelmäßig, faul und initiativlos. Bedauerlicherweise fördern die humanistisch veranlagten, um das Allgemeinwohl besorgten Altruisten, die Verbreitung dieses Egoismus. Alle westlichen Experimente des Welfare state haben vor Augen geführt, dass eine realistische Wahl zwischen Egoismus und Altruismus nicht existiert. In Wirklichkeit kommt es darauf an, zwischen zwei Formen des Egoismus zu wählen – dem konstruktiven und dem destruktiven Egoismus. Der konstruktive Egoist strebt nach persönlichem Wohlstand, er versteht aber, dass er seiner Umwelt dafür etwas als Gegenleistung erbringen muss. Solche Egoisten werden von der verfluchten Realität des Marktes hervorgebracht.
„Hier musste man arbeiten, durfte nicht innehalten, musste sich schnell umorientieren, durfte nicht träumen. Hier war Initiative unabdingbar. Die Stadt forderte vom Menschen das Beste, was in ihm steckte, zu geben. Andernfalls wendete sie sich einfach von ihm ab.“
Diese harten Zeilen von Theodore Dreiser waren für das Chicago am Ende des 19. Jahrhunderts aktuell und sind es in genauso für das Schanghai am Beginn des 21. Jahrhunderts. Nicht sehr human, aber dafür durchaus produktiv.
Was tut der destruktive Egoist – das Kind des Sozialstaates? Er strebt nach dem persönlichen Wohlstand und ist überzeugt, dass seine Umwelt diesen gewährleisten muss.
Der Staat muss mir eine Arbeit anbieten. Nicht, weil ich vielleicht etwas für die Allgemeinheit nützliches tun kann, sondern weil ich eine Arbeit brauche. Solange es keine interessanten Angebote gibt, ist die Gesellschaft verpflichtet, mich auszuhalten. Denn ich muss mich ja kleiden, ernähren und fortpflanzen. Die Früchte meiner Arbeit werden von niemandem gebraucht? Na und? Ich verschwende trotzdem meine Zeit und Kraft! Deswegen fordere ich eine entsprechende Entschädigung! Nachdem all meine Bedürfnisse erfüllt sind, lohnt es sich nun nicht mehr für mich, zu arbeiten. Meine Arbeitskraft ist auch nicht konkurrenzfähig. Das ist nicht mein Problem, darüber sollen sich die Arbeitgeber und der Gesetzgeber die Köpfe zerbrechen.
Es versteht sich von selbst, dass derjenige ökonomische Mechanismus, der auf diesen Prinzipien aufgebaut ist, nicht auf Dauer existieren kann. Damit eine Wirtschaft des destruktiven Egoismus trotzdem funktioniert, muss eine der beiden folgenden Bedingungen erfüllt sein:
1) Die Fontäne der Öldollars muss unaufhörlich sprudeln, weil sie alle Ausgaben kompensiert.
2) Der ständige Missbrauch von Fiat-Geld, Anhäufung von Staatsschulden und Förderung der Kreditabhängigkeit.
Der Westen ist den zweiten Weg gegangen und im Laufe der Zeit ist die Blase so weit geschwollen, dass sie geplatzt ist. Die Versuche, diesem Prozess entgegenzuwirken, indem man Bankrotteure vor dem Bankrott rettet und die Wirtschaft immer wieder mit öffentlichen Geldern stimuliert, verzögern die Krise nur. Das ist der Preis für den wunderschönen Traum von der humanen Gesellschaft und das gemeinsame Glück.
Der heutige Westen steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Doch mutet die anti-westliche Kritik von Seiten der Prediger des Eurasismus, die sich über die Menschenliebe, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Wohlstand ergehen, eher amüsant an. Denn die hauptsächliche Schwäche des Westens ist ja das Streben nach der Verwirklichung derjenigen Ideale in der Praxis , die den Gegnern des Westens heilig sind.
28. Oktober 2011 // Michail Dubinjanski
Quelle: Ukrainskaja Prawda