Der IWF gibt Geld ohne Reformen


Es wird keine Staatspleite geben.

Alle hohen Persönlichkeiten des Landes haben den Abschluss der Arbeit der IWF-Mission in der Ukraine gleichzeitig zum Anlass genommen, öffentliche Reden zu halten. An demselben Tag haben Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, die Chefin der Zentralbank Walerija Gontarewa und Finanzministerin Natalja Jaresko beschlossen, der Öffentlichkeit über die Arbeit mit dem Fonds zu berichten.

Insbesondere hat Jazenjuk versprochen, ganze vier Jahre lang werde die ukrainische Regierung Reformen mit den in Aussicht gestellten 25 Milliarden Dollar verwirklichen.

Einige Vertreter der ukrainischen Seite gaben sich dabei originell. So haben Natalja Jaresko und Walerija Gontarewa ihre Reden vor den Medien auf Englisch begonnen. Der Sinn dahinter ist nicht klar, denn über 90 Prozent aller Anwesenden in der Halle waren Journalisten der ukrainischen Presse.

Man kann vermuten, dass dies eine Reverenz in Richtung des Chefs der IWF-Mission in der Ukraine Nikolaj Georgijew (Nikolay Georgiev) gewesen ist. Es ist aber kaum anzunehmen, dass Georgijew eine Aufklärung zu den Bedingungen der Zusammenarbeit mit dem IWF nötig hatte, die er selbst vereinbart hatte.

Seitens Jaresko und Gontarewa sah es eher wie ein Teil der eigenen Publizitätskampagne und eine Demonstration ihrer eigenen Personen als Investmentbanker und Europäer. Ob diese Geste angemessen war, ist Geschmackssache.

Über den versprochenen Kredit weiß man bislang nicht viel, nur allgemeine Details, die die Fantasie überschlagen lassen.

Beispielsweise hält die IWF-Präsidentin Christine Lagarde es für möglich, dass die Ukraine im Verlauf von vier Jahren vom IWF und anderen Kreditgebern bis zu 40 Milliarden Dollar erhalten könne. Darunter werden 17,5 Milliarden Dollar vom IWF stammen. Wie schon erwähnt, hatte Jazenjuk von über 25 Milliarden Dollar gesprochen.

Offiziell sind die Verhandlungen schon zu Ende. Die Mission war in Kiew vom 8. bis 12. Februar tätig. Jetzt ist es notwendig, dass das IWF-Direktorium den getroffenen Vereinbarungen zustimmt.

Die Parteien haben sich über eine Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Fonds im Rahmen eines vierjährigen erweiterten Finanzierungsprogramms (Extended Fund Facility /EFF) geeinigt. Das neue Programm soll die bis jetzt geltende Bereitschaftskreditvereinbarung (Standby-Kredit) ersetzen. Die EFF sieht vor, der Ukraine einen Kredit in Höhe von 12,35 Milliarden SDR (Sonderziehungsrechte) (etwa 17,5 Milliarden Dollar, bzw. 15,5 Milliarden Euro) bereitzustellen.

Durch den IWF-Kredit soll die Ukraine den Zugang zu Finanzmitteln anderer internationaler Kreditgeber erhalten.

Doch in Wirklichkeit werden die Gespräche noch weitergeführt. Bei den Verhandlungen mit dem IWF wird die Ukraine noch viele Lanzen brechen müssen, um die versprochenen Gelder zu bekommen.

Wie unsere Quelle berichtet, glauben die IWF-Vertreter (und sie liegen da unserer Ansicht nach vollkommen richtig), dass unser Präsident und unsere Regierung sich nicht zu sehr beeilen, die von ihnen zuvor gemachten Versprechungen umzusetzen. Es ist eine philosophische Frage, ob die Schuld daran dem Krieg oder der mangelnden Bereitschaft zuzuschreiben ist, heftige Veränderungen durchzuführen.

Unsere Beamten verstehen, dass man mit dem Geld des IWF rechnen kann, denn widrigenfalls wäre eine Staatspleite mit ihren unangenehmsten Folgen unvermeidlich. Die Währungsreserven der Zentralbank sind unter ein kritisches Niveau gesunken und internationale Kredite sind die einzig mögliche Quelle für Devisen – wenn man natürlich andere wilde Varianten ausschließt, wie etwa eine Zwangsverstaatlichung von Bankkonten der Bevölkerung, die in Fremdwährung geführt werden.

Der IWF besteht trotzdem auf einem entschlossenen Vorgehen der Ukraine. Der Fonds fordert Reformen, Reformen und nochmals Reformen, die die größten Unausgeglichenheiten in der Wirtschaft beseitigen sollen. Konkret soll es eine Steigerung der Energiepreise geben.

Die ukrainische Seite versteht, dass ihre Position nicht so aussichtslos ist. Deswegen stellt sie Gegenbedingungen wie etwa die Preise für Energieträger nicht sofort drastisch zu erhöhen.

Eigentlich bestehen die Verhandlungen mit dem IWF in einer Suche nach Kompromissen, in den Fällen, wo klar ist, dass die Ukraine etwas machen muss, es aber nur stufenweise machen will.

Der aktuelle Stand ist, dass die IWF-Vertreter bereits einige Zugeständnisse gemacht haben, insbesondere, was die Erhöhung des Gaspreises anbelangt. Endgültige Vereinbarungen gibt es noch lange nicht, deshalb geben die Beamten nur wenige konkrete Details.

Trotz des augenscheinlich positiven Signals hat die Hrywnja ihren Fall fortgesetzt. Zum Jahresende hatte der Dollarkurs fast 27 Hrywnja erreicht.

Dieser scheinbare Widerspruch ist leicht zu erklären. Auch wenn die Regierung und die Zentralbank die Milliarden vom IWF bekommen sollten, würde kein Cent davon an den Interbankenmarkt fließen. Im Bankensystem wird weiterhin Chaos herrschen, ausgelöst durch den Krieg, die Abwertung der Währung und die nicht ganz legalen Finanzschemata. Dies alles führt zu einem endgültigen Vertrauensverlust in Banken, weiteren Abflüssen von Einlagen und Bankenpleiten. Und als Folge dessen werden die Bevölkerung und die Geschäftswelt wie bisher versuchen, vorhandene Hrywnja-Bestände in Dollar umzutauschen.

Im Austausch für Reformen

Im Moment ist Folgendes bekannt:

“Heute hat der IWF dem Programm der wirtschaftlichen Reformen zugestimmt, welche die ukrainische Regierung im Laufe der nächsten vier Jahre durchzuführen vorhat”, teilte Natalja Jaresko optimistisch mit.

Die Reformen sollen in vier Bereichen umgesetzt werden.

Der erste ist die Fiskalpolitik. Eine der wesentlichsten Änderungen ist die Revision des Staatshaushaltsdefizits von 3,7 Prozent auf 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Diese Revision hat einen sozialen Hintergrund. Die Regierung will einkommensschwache Bürger vor dem Hintergrund steigender Tarife für kommunale Dienstleistungen, insbesondere für Gas, finanziell unterstützen. Die Folge davon ist, dass sich das Defizit des Staatshaushalts um 12,5 Milliarden Hrywnja erhöhen wird.

Parallel dazu sollen die Haushaltsausgaben gesenkt werden. Unter anderem durch eine Optimierung der Institutionen im Staat und eine Revision der Höhe von Sonderrenten.

Am beunruhigendsten erscheinen die Pläne der Ministerin, “die Progression der Einkommenssteuer für natürliche Personen stärker auszugestalten”. Im Gespräch mit Journalisten wollte Natalja Jaresko nicht erklären, was darunter verstanden werden soll. Stattdessen bevorzugte sie, sich wohlklingenderen Aussagen wie der “Verbesserung des Steuerverwaltungsmechanismus” und der “Perfektionierung des Steuersystems” zu widmen.

Im Licht einer solchen Rhetorik waren die Aussagen von Nikolaj Georgijew sachlicher. “Die erreichten Vereinbarungen müssen durch den IWF-Exekutivrat bestätigt werden. Es wird erwartet, dass die Entscheidung darüber innerhalb der nächsten Wochen getroffen wird”, so Georgijew.

Die nächste Reform, die die Ukraine umsetzen muss, betrifft den Energiekonzern Naftogas Ukrainy, dessen Arbeit bis 2017 defizitfrei werden soll. Dies soll durch eine stufenweise Erhöhung der Tarife und eine Reduzierung der Haushaltsausgaben für den Energiesektor erreicht werden.

Die Erhöhung der Tarife blieb bis zum letzten Moment umstritten. Die Ekonomitscheskaja Prawda hat Einzelheiten der Verhandlungen erfahren.

“Der Minister für Energie und Kohleindustrie Wladimir Demtschischin und die Nationale Kommission für staatliche Regulierung in den Bereichen Energie und Kommunaldienstleistungen haben auf einem milderen Zeitplan, einer Deregulierung und der Gewährung von direkten Subventionen bestanden”, erzählt eine Quelle, die den Verhandlungen nahesteht. Es ist aber schwer gewesen, eine Einigung mit dem Finanzministerium zu erzielen.

“Das Finanzministerium bevorzugte eine schärfere Tarifpolitik – mit einer schnelleren Erhöhung der Tarife innerhalb der kürzestmöglichen Zeit. Das Hauptrisiko dieser Option ist die Frage, ob das Subventionssystem es schaffen wird”, erläuterte Gesprächspartner der Zeitung.

Das dritte Reformpaket sieht ein Festhalten an der flexiblen Wechselkurspolitik vor. Darüber hinaus soll die Inflation 2016 wieder in den einstelligen Bereich zurückgebracht werden.

Nicht zuletzt soll auch das Bankenwesen reformiert werden. Insbesondere wird geplant, die Obergrenzen für Darlehen an verbundene Personen zu erhöhen (gegen die bestehenden Regelungen wurde in vielen Fällen verstoßen) und die Bilanzwerte der Banken zu stärken (aufgrund der Abwertung der Hrywnja haben sie sich bei allen Banken verschlechtert). Auch aufsichtsrechtliche Kontrollen sind nicht ausgeschlossen. Darunter versteht man das System von Maßnahmen zur Bewertung der allgemeinen Finanzlage, der Tätigkeitsergebnisse und der Verwaltungsqualität in Banken.

Der Haushalt in Erwartung von Änderungen

Die Berichte der ersten Beamten des Landes über die Verhandlungen mit dem IWF brachten mehr Fragen als Antworten.

Unter welchen Bedingungen wird die Restrukturierung der Schulden durchgeführt werden? Wie wird letztlich der Zeitplan der Tariferhöhungen aussehen? Mit welchem Dollar-Kurs rechnet das Finanzministerium für das laufende Jahr? Wie groß wird die erste Tranche des Kreditgebers sein?

Wann soll sie erwartet werden? Auf viele dieser Fragen gibt es heute keine Antworten.

“Es wird sich herausstellen, nachdem der Exekutivrat des IWF eine Entscheidung zum Programm fällt”, sagt Jaresko.

Nach Aussage des Exekutivdirektors der Internationalen Bleyzer Stiftung Oleg Ustenko, kann Kiew die erste Tranche gleich nach der Revision des Haushaltsplans erwarten.

“Von Januar bis April belaufen sich die Zahlungen zu Staatsschulden auf etwa 3 Milliarden Dollar. Außerdem bleibt das Risiko für die Ukraine bestehen, dass Russland seine Forderung geltend macht, die Eurobonds im Wert von drei Milliarden vorfristig zurückzahlen zu lassen”, gibt der Experte einen Ausblick. Russland hat bereits verkündet, von Restrukturierung könne keine Rede sein.

Im besten Fall wird die Ukraine diese Eurobonds im Dezember dieses Jahres tilgen müssen, so Ustenko. “Um das Schrumpfen der Gold- und Devisenreserven zu vermeiden, brauchen wir die erste Tranche im März”, ist er sicher.

Es sieht so aus, dass die Finanzhilfe auch tatsächlich erfolgen wird. Wie unsere Quellen in der Zentralbank berichten, sollen 4,8 Milliarden Dollar bereits im März an die Ukraine fließen. Drei Milliarden davon soll direkt der Staatshaushalt erhalten.

Mit den Fristen der Haushaltsrevision hingegen ist nicht alles so klar, wie man sich wünschen würde. Das Ministerkabinett muss den Haushaltsplan in neuer Fassung bis zum 15. Februar ins Parlament einbringen. Und es sieht so aus, dass das Finanzministerium darauf eingestellt ist, dies zu tun. Ob das Ministerium es schafft und wie die neuen Haushaltsparameter aussehen werden, ist ebenfalls fraglich.

Vor Neujahr wurden die Haushaltsparameter für 2015 sowie die Änderungen am Steuergesetzbuch und am Haushaltsgesetzbuch mit den Fraktionsvorsitzenden der Koalition und mit den Mitgliedern der einschlägigen parlamentarischen Fachausschüsse diskutiert.

Heute gibt es kein solches Format.

“Wir haben unsere Vorschläge für den Haushalt 2015 beim Finanzministerium eingereicht. Dessen Haltung besteht heute darin, dass die Abgeordneten das Projekt der Korrekturen nach einer Abstimmung der Bedingungen und einer Feststellung des Programms mit dem IWF erhalten sollen. Mit uns hat es bislang keine Vorbesprechungen gegeben”, präzisierte der Vorsitzende des parlamentarischen Haushaltsausschusses Andrej Pawelko in einem Kommentar an Ekonomitscheskaja Prawda.

Das Finanzministerium und die Staatliche Fiskalbehörde (SFB) bereiten Änderungen am Steuergesetzbuch vor, die einen einheitlichen Sozialbeitrag und Förderabgaben betreffen.

“Der Sinn besteht darin, den Einheitssozialsteuersatz proportional zur Vergrößerung des Arbeitsvergütungsfonds pro Arbeitnehmer gerechnet zu senken. Derzeit wird der Satz am gesamten Arbeitsvergütungsfonds des Unternehmens angeknüpft”, erklärte die Direktorin der Abteilung für Besteuerungsmethodik bei der SFB Nelja Priwalowa.

Ein Gesetzentwurf, welcher der Rhetorik der SFB ziemlich genau entspricht, ist im Parlament auf Initiative der Abgeordnetengruppe unter der Leitung von Andrej Schurschij (erster Vize-Vorsitzender des Ausschusses für Steuer- und Zollpolitik von der Partei “Samopomitsch” – ukr.: “Selbsthilfe”) registriert worden.

Das Finanzministerium bevorzugt es, seine Pläne in Bezug auf Förderabgaben vorläufig geheim zu halten. Doch allem Anschein nach sind solche Änderungen am Steuergesetzbuch im Moment nicht vorrangig.

“Die öffentliche Diskussion des Zahlungsmechanismus von Förderabgaben wird ab März dieses Jahres beginnen, damit der Mechanismus selbst ab 2016 in Kraft treten kann”, sagte Natalja Jaresko. Sie versicherte, für die nähere Zukunft seien keine wesentlichen Veränderungen des Besteuerungssystems vorgesehen.

Wie die Ministerin mitteilte, wird der Löwenanteil der geplanten Änderungen am Haushaltsplan technisch sein. Eine der wichtigsten Korrekturen sei die Veränderung der Zentralbankbeiträge an den Haushalt.
“Es ist alles einfach. Es wird einen Satz geben, dass der Mindestbetrag sich auf 60,5 Milliarden Hrywnja belaufen soll, und alles darüber hinaus geschieht nach den Befunden der Wirtschaftsprüfer”, konkretisierte unser Gesprächspartner aus dem Ministerkabinett.

Gontarewa ist aber nicht bereit, Jaresko entgegenzukommen. Seit einigen Wochen läuft im Ministerkabinett ein Gerücht um, dass die Zentralbank sich hartnäckig weigert, die in den Haushalt einkalkulierten 65 Milliarden Hrywnja an diesen zu überweisen. Es scheint, dass der einzige Weg diese Gelder zu bekommen ist, durch den IWF Druck auf die Zentralbank auszuüben.

13. Februar 2015 // Galina Kalatschowa, Sergej Ljamez

Quelle: Ekonomitscheskaja Prawda

Übersetzerin:    — Wörter: 1926

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