IWF: Neue Mission und alte Fragen
Wird die Ukraine vom IWF Kredite erhalten? Heute ist dies nicht nur für den Finanzmarkt, sondern für das gesamte Land von äußerstem Interesse. Strategisch betrachtet, ist die Antwort auf diese Frage für den Staat unter Umständen nicht minder bedeutend als die auf die Frage, in welche Richtung sich die Ukraine bewegen wird – Richtung Zollunion oder EU. Oder wie sich beispielsweise die Angelegenheit um Jewgenij Schtscherban entwickeln wird…Diese Dinge sind nicht nur hinsichtlich ihrer Tragweite vergleichbar, sondern auch miteinander verknüpft. Sollte der IWF Kiew kein weiteres Darlehen gewähren, erhöht sich das Risiko, dass sich die Ukraine in Richtung des autoritären Ostens bewegen wird – weiter weg von europäischen Normen und Werten. Wie werden hierbei die Bewegungen der Hrywnja aussehen?
Bekanntermaßen wird am Dienstag, den 29. Januar, eine Gesandtschaft des IWF unter der Leitung von Christopher Jarvis in Kiew eintreffen, um die Gespräche über ein neues Stand-By-Abkommen wieder aufzunehmen. Die Mission wird bis zum 12. Februar tätig sein.
Wie der erste stellvertretende Ministerpräsident Sergej Arbusow anmerkte, rechnet die Ukraine damit, 15 Mrd. US-Dollar vom IWF zu bekommen. Im Rahmen des vorherigen Vertrages, der bis zum 27. Dezember 2012 gültig war, erhielt die Ukraine lediglich zwei Kredittranchen von zusammen 3,4 Mrd. US-Dollar aus der vereinbarten Summe von insgesamt 15,5 Mrd. USD.
Im Verlauf des vergangenen Jahres hat die Ukraine dem Fonds 2,43 Mrd. SDR (3,74 Mrd. US-Dollar nach aktuellem Kurs) zurückgezahlt. In diesem Jahr sollen die Zahlungen noch höher ausfallen – 3,66 Mrd. SDR (etwa 5,63 Mrd. US-Dollar). Für unseren Staat wäre eine optimale Lösung, diese Zahlungen durch neue IWF-Kredite zu refinanzieren.
Im vergangenen Jahr haben einige Repräsentanten der Machtspitze gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit dem Fonds für die Ukraine zwar eine nützliche, aber nicht dringliche oder gar obligatorische Angelegenheit sei. Ähnliche Verlautbarungen sind auch jetzt zu hören, wenngleich mit weniger Bravade. Wie unter anderem Nikolaj Asarow unterstrich, seien 9 Mrd. US-Dollar der in diesem Jahr vom Staat zu tilgenden Auslandsverschuldung „im Haushalt verplant und verteilt“. Angeblich würde es auch ohne den IWF gehen. Möglich, dennoch stellt sich die Frage: Entsprechen die Budgetvorhersagen und die auf deren Grundlage berechneten Pläne der Realität?
Der ukrainischen Wirtschaft und den Staatsfinanzen geht es definitiv besser als in den Jahren 2008 bis 2009. Offensichtliche Ursachen (sowohl inländische als auch ausländische) beispielsweise für einen 15-prozentigen Rückgang des BIP und eine 60-prozentige Abschwächung des Hrywnja sind nicht erkennbar. Die Mehrheit der Fachwelt tendiert zu der Auffassung, dass sich das ukrainische BIP nach Jahresabschluss 2013 im „Plusbereich“ bewegen wird, wenn auch minimal (Weltbank: 2,2 %, EBRD: 1 %, S&P: 2,5 %). Man rechnet mit einer moderaten Abschwächung der Hrywnja (um 10 Prozent), die einerseits die Exporteure stützen und ihre Position (gegen eine Währungsabwertung in den Ländern, die Schlüsselpartner und –konkurrenten darstellen) stärken und andererseits den Finanzsektor nicht destabilisieren sollte.
Allerdings bedeutet dies ganz und gar nicht, dass sich die Ukraine auf ihren Lorbeeren ausruhen könne. Erinnern wir uns: Infolge der ersten Krisenwelle entsprachen die Währungsreserven am 1. Oktober 2008 einem Gegenwert von etwa 37,5 Mrd. US-Dollar, am 1. Januar 2012 aber nur noch 24,55 Mrd. US-Dollar. Traditionell ist ein Rückgang der Reserven unter den Gegenwert des dreimonatigen Importvolumens unerwünscht.
Dagegen sei nach dem Abteilungsleiter der „Raiffeisen Bank Aval“, Dmitrij Sologub, ein solches Kriterium nicht unanfechtbar. Eine größere Bedeutung habe die Suffizienz der Währungsreserven, die als Verhältnis zur kurzfristigen Auslandsverschuldung berechnet wird. Diese beträgt für die Ukraine bei einem Optimalwert von 100 Prozent 40 Prozent. Wenngleich hier berücksichtigt werden muss, dass weite Teile der Auslandsverschuldung, insbesondere des Unternehmenssektors, Verpflichtungen gegenüber Konzerngesellschaften sind. Daher sollte hier nicht überdramatisiert werden.
Die Gespräche der Ukraine mit dem IWF sollten schwierig werden. Angesichts seiner Erfahrung mit unerfüllten Verpflichtungen seitens seiner ukrainischen Partner (vor allem des Staates – sowohl der momentanen Machtspitze als auch der Vorgänger) wird der Fonds kaum eine Herangehensweise nach dem Motto „Heute Abend Geld und morgen früh Gespräche“ kaufen. „Der IWF hat bereits gelernt, zwischen Versprechungen, Plänen, Gesetzen und deren Realisierung zu unterscheiden“, konstatiert der Manager des Investment- und Rentenfonds „KINTO“, Nikolaj Mjagkij.
H1. “Unser Lied ist gut, fange von vorne an”
Die Mehrheit der Fachwelt tendiert zu der Annahme, dass die Ukraine und der IWF die Verpflichtungen, denen die Ukraine früher nicht nachgekommen ist, ins neue Kooperationsabkommen übernehmen werden. Hierbei handelt es sich um die Anhebung der „Gas“-Tarife, die Konsolidierung des Haushalts, die Erhöhung der Flexibilität der Hrywnja.
Die Tariferhöhung für Gas und Heizenergie. Das Ministerkabinett hat im Haushaltsplan-2013 vorgeschlagen, zur Kompensation der Differenz zwischen den Importpreisen für Gas und den durch die Versorgungsunternehmen für Heizenergie realisierten Preisen 21,5 Mrd. UAH an NAFTOGAZ zu transferieren. Bereits am 9. Januar verabschiedete die Regierung einen Beschluss zur Kapitalerhöhung der AG um 8 Mrd. UAH mit Hilfe von Staatsanleihen. Weitere 13,5 Mrd. UAH sind zur Tilgung der Schulden für den Energieverbrauch durch industrielle Verbraucher, für Kompensationen aus Investitionsprojekten und Dividendenausschüttungen von„Ukrnafta“ für die Jahre 2006-2009 erforderlich.
Hier scheint ein kleiner Rückblick angemessen. 2011 begann die Regierung nicht, wie vorgesehen, die Tarife um 30 % (Marktpreis) und um 58 % für kommunale Energieversorger (mit vollständiger Umlagerung dieses Preisanstiegs auf den Endverbraucher – die Bevölkerung) zu erhöhen, was der eigentliche Grund für das „Einfrieren“ der IWF-Kooperation mit Kiew war. Hierbei merkte Finanzminister Jurij Kolobow im vergangenen Jahr in einem Interview an, dass der Fonds in der „Tarif“-Frage anscheinend nicht mehr so fundamental und rigid wie früher sei.
Gleichzeitig veröffentlichte der IWF im Oktober des vergangenen Jahres den Bericht „Die Gaspreispolitik der Ukraine: Die Auswirkungen der Preiserhöhungen“, in welchem betont wurde, dass eine Tariferhöhung um 20 % 0,2 % des BIP für die gezielte Unterstützung hilfsbedürftiger Bürger durch den Wegfall der ungerechtfertigten Subventionierung reicher Haushalte freisetzen würde. Ebenso wies der Fonds darauf hin, dass infolge der unterschiedlichen Tarife in der Ukraine ungesetzlich Gas für industrielle Zwecke verbraucht wird, das nach Tarifen für Privathaushalte abgerechnet wird. Eine Anhebung der Tarife würde derartige Geschäftemacher demotivieren…
Im Januar des bereits laufenden Jahres hat der Regierungschef Nikolaj Asarow bereits zweimal öffentlich erklärt, dass in der Ukraine voraussichtlich ein differenziertes Tarifsystem implementiert wird, das eine Tariferhöhung für die begüterten Schichten der Gesellschaft vorsieht. „Wir sind bereit für diejenigen, die über europäische Gehälter und Einkommen verfügen, Tarife einzuführen, die den Produktionskosten dieser Waren entsprechen… Ein sozial gerechtes System, dem entgegenzustehen einfach Unsinn wäre“, merkte der Premier an.
Gemäß den Prognosen des Vorstandsvorsitzenden der Gruppe „Investmentkapital Ukraine“ (ICU), Walerij Gontarewij, wird sich der IWF mit einer sukzessiven Erhöhung der Gastarife, „mit anfänglich 20 %“ einverstanden” erklären. Sollte die Regierung aufzeigen können, dass sie das in diesem Jahr defizitäre „Naftogaz“ im folgenden Jahr in ein Unternehmen ohne Defizit verwandeln kann, wird der IWF dies trotz des ziemlich großen Defizits billigen“, fügt der leitende Analyst des Internationalen Zentrums für moderne Forschung, Aleksandr Sholud, hinzu.
Haushaltskonsolidierung. Offiziell beträgt das Staatsdefizit 2013 3,2 % vom BIP (50,4 Mrd. UAH). Nach Schätzungen von Dmitrij Sologub könnte das Gesamtdefizit (nicht nur unter Berücksichtigung der Finanzmittel für Naftogaz, sondern auch des Defizits des Renten- und Agrarfonds u.a.) die für den IWF nicht wirklich komfortable Marke von etwa 5 % erreichen. Wird der Fonds bereit sein, davor die Augen zu schließen? „Der IWF wird kaum mit einem solch hohen Defizit einverstanden sein, die Gesandtschaft des Fonds wird wahrscheinlich eine Reduzierung des Defizits auf 2,5 bis 3 % des BIP fordern“, mutmaßt Dmitrij Sologub. „Der IWF könnte mit einem Defizit von 5 % einverstanden sein, wenn die Regierung aufzeigen kann, dass sie an der Reduzierung dieses Defizits in den folgenden Jahren arbeiten wird“, konstatiert hierbei Aleksandr Sholud.
Theoretisch könnte der unlängst Griechenland eingeräumte Kredit in Höhe von 4,3 Mrd. USD – trotz der Tatsache, dass die Ausgaben die Einnahmen des Staatshaushaltes um etwa 5,2 % des BIP übersteigen – weiteren Grund für Optimismus in der Ukraine geben. Und in Irland, das ebenfalls finanziell unter die Arme gegriffen wird, ist die geplante Kennzahl noch höher – 7,6 %. In der Pressemitteilung des IWF zur Bewilligung der geplanten Kreditrate für Griechenland wurde betont, dass die Entscheidung unter der Annahme außergewöhnlicher Umstände getroffen wurde.
„Mann kann die Situation in der Ukraine nicht mit der in den EU-Staaten vergleichen”, kommentiert Dmitrij Sologub „Zum ersten war das anfängliche Defizitniveau in Ländern wie Irland oder Griechenland außergewöhnlich hoch, weshalb dessen Reduzierung in den letzten Jahren als nicht unwesentlicher Fortschritt zu bewerten ist. Wohingegen das faktische Haushaltsdefizit in der Ukraine bereits zum vierten Mal in Folge 5 % des BIP überschreiten wird (wenn man für 2013 einen Wert von 5 % annimmt). Zum zweiten wird der Staatshaushalt in Ländern wie Portugal, Griechenland und Irland im wesentlichen Maße durch die Tilgung der Auslandsschulden belastet, während das Primärdefizit (ohne Tilgung der Auslandsverschuldung) minimal ist bzw. sogar einen Überschuss ausweist“, resümiert der Repräsentant der „Raiffeisen Bank Aval“.
Darüber hinaus nennt die leitende Ökonomin bei Dragon Capital, Jelena Belan, weitere „defizitäre“ Kennzahlen der Ukraine. Nach Schätzung der Expertin sieht das Haushaltsgesetz für 2013 einen Defizitabbau bei der öffentlichen Verwaltung auf 3,3 % des BIP im Vergleich zu den 3,7 bis 4 %, die nach dem Jahresabschluss 2012 zu erwarten sind, vor. Die Expertin ist der Meinung, dass tatsächlich einige „Anstrengungen“ zur Eindämmung des Ausgabenwachstums seitens der Regierung sichtbar seien. So wolle sie die Kapitalausgaben senken, indem sie einen Abbau der Ausgaben für Lebensmittel und kommunale Dienstleistungen vorsieht. „Ebenso wurden einige Sozialleistungen von der Finanzierung abhängig gemacht”, fügt die Expertin hinzu.
Dennoch bleibt gemäß den Worten der Expertin die Frage offen, ob der geplante Defizitabbau aus Sicht des IWF ausreichend sein wird, wenn berücksichtigt wird, dass die im Haushaltsgesetz festgesetzte Obergrenze für Staatsgarantien 50 Mrd. UAH bzw. 3,2 % des BIP beträgt und der IWF früher eine Reduzierung dieser Summe auf 15 Mrd UAH gefordert hatte. „(Die Aufregung resultiert auch) aus der Forderung nach einem Sondergesetz, das der Regierung erlaubt, Mehrwertsteuerausfälle mit Hilfe von Staatsanleihen zu kompensieren“, bemerkt die Expertin.
Im Gegenzug macht der Leiter der Analyseabteilung der Investmentfirma Concorde Capital, Alexander Paraschtschij zusätzlich auf das Defizitwachstum des Rentenfonds selbst nach den Rentenreformen aufmerksam, was gemäß dem Experten ganz sicher Fragen seitens des IWF auslösen wird. „Das Rentendefizit ist ein Ergebnis des Populismus im Vorfeld der Wahlen, weshalb hier schwerlich mit einer nachsichtigen Haltung seitens des IWF zu rechnen ist“, schätzt der Analytiker. Dafür schließt der Leiter der Analyseabteilung bei IFK „Art Capital“, Igor Putilin, nicht aus, dass im Falle einer Wiederaufnahme der Kooperation mit dem IWF ein Teil der Kredite nicht nur in die Reserven der Zentralbank, sondern auch in den Haushalt fließen könnten (wie das bereits unter der Regierung Asarows und auch Timoschenkos geschehen war)…
Aber inwieweit werden sich dem IWF kritische Fragen hinsichtlich der Realisierbarkeit der geplanten Einnahmen des ukrainischen Fiskus stellen? „2012 sind die Haushaltseinnahmen um 10 Prozent gestiegen, aber für 2013 ist lediglich ein Zuwachs von 4,9 % geplant. Nur im Falle eines kontinuierlichen moderaten Wirtschaftswachstums und einer gemäßigten Inflation sieht dies realistisch aus“, konstatiert Aleksandr Paraschtschij. Wenngleich Nikolaj Mjagkij in diesem Zusammenhang dazu auffordert, die Risiken des Einnahmeplans des Haushaltes nicht zu unterschätzen. “Obgleich die Prognose ziemlich zurückhaltend ist, kann sich die wirtschaftliche Rezession als nachhaltig erweisen und sich entsprechend bei den Einnahmen niederschlagen“, resümiert der Finanzanalyst.
Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass nach den Angaben der Staatlichen Statistikbehörde die industrielle Produktion im Dezember 2012 gegenüber Dezember 2011 um 7,6 % und gegenüber November 2012 um 3,9 % zurückgegangen ist. Im Jahresvergleich 2012 gegenüber 2011 ist sie insgesamt um 1,8 % zurückgegangen. Bislang hat die Staatliche Statistikbehörde nicht veröffentlicht, wie überhaupt die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine im letzten Jahr aussah. Nach Schätzung der Weltbank wuchs das BIP um 1 Prozent, bei der EBRD geht man von einem nullprozentigen Wachstum aus.
Im Staatshaushalt-2013 wird ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 3,4 % prognostiziert, was heute viel zu optimistisch scheint. Bedeutet dies nicht gleichzeitig, dass der Einnahmenteil hinsichtlich der Realisierung anzuzweifeln ist? Anscheinend haben sich diejenigen, die das Dokuments ausgearbeitet haben, abgesichert, indem sie ein Einnahmevolumen (361,5 Mrd. UAH, was lediglich um 4,48 % höher ist als nach Jahresabschluss 2012) vorsehen, das auch bei einem nullprozentigen Wachstum des realen BIP möglich wäre – durch die Inflation (diese wird auf 4,8 % prognostiziert).
Der Leiter der Analyseabteilung der Gruppe „Investment Capital Ukraine“ (ICU) Aleksandr Waltschischen konstatiert, dass eine verstärkte Ausgabenkontrolle im stärkeren Maße zur einer Wiederaufnahme der Kooperation mit dem IWF beitragen würde, als beispielsweise Maßnahmen, die zu zusätzlichen Einnahmequellen für die Staatskassen führen sollen und im Kabinett angekündigt wurden.
Erhöhung der Flexibilität der Hrywnja. Dies ist ebenfalls eine der „graubärtigen“ Forderungen des IWF. Aus formaler Sicht hat die Zentralbank diese auch scheinbar erfüllt, indem sie erlaubte, dass der Marktkurs vom nominellen abweicht, allerdings grundsätzlich um nicht mehr als 2 Prozent (was übrigens im Agreement mit dem IWF vereinbart wurde).
Dennoch fassten und fassen nicht wenige Markteilnehmer (wenn nicht die Mehrheit) dieses Verhalten der Zentralbank wie eine Orientierung an der nicht mehr existierenden Bindung der Hrywnja an den Dollar auf. In diesem Zusammenhang werden gewöhnlich politische Motive für dieses Verhalten herangezogen, die insbesondere vor den Parlamentswahlen aktuell waren. Dies bedingte wiederum eine ziemlich strikte Geldpolitik der Zentralbank, die aus Sicht der Kritiker darauf zielte, dem Bankensystem die liquiden Mittel zu entziehen – zur Eindämmung von Volatilitäten auf dem Devisenmarkt. Ein Nebeneffekt dessen stelle die gebremste Kreditierung dar.
Solche Bemerkungen konterten Zentralbank-Sprecher faktisch im Verlauf des gesamten letzten Jahres (insbesondere in der zweiten Jahreshälfte) mit der Behauptung, dass keine fundamentalen Gründe für eine Abwertung der Hrywnja vorliegen würden – ungeachtet des „Loches“ in der Handelsbilanz, überstieg der Devisenzufluss ins Land den Abfluss. Und ohne die äußerst hohe Nachfrage der Bevölkerung wäre die Zahlungsbilanz positiv gewesen.
Im November 2012 verwies der damalige Ratsvorsitzende der Zentralbank und heutige Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Handel, Igor Prassolow, darauf, dass der Hrywnjakurs in der Ukraine flexibel sei. Und diesen zu einem floatenden (im Sinne eines vollkommen „freien Floatens“) zu machen, beabsichtige die Zentralbank nicht.
„Ein floatender Wechselkurs ist dort möglich, wo eine entwickelte Wirtschaft, große Marktvolumen existieren. Wir können nicht die Politik eines floatenden Wechselkurses realisieren. Einige Entwicklungsländer wie Südamerika versuchten diesen Ansatz und schufen ein Chaos in ihrer Wirtschaft. Weshalb sie bald wieder davon abgelassen haben”, konstatierte der Beamte.
Wie dem auch sei, aber im November 2012 wurde ein Bericht veröffentlicht, in dem es hieß, dass der Hrywnjakurs gegenüber dem US-Dollar überbewertet sei. Eine Abwertung der nationalen Währung um 13 % würde der Ukraine erlauben, eine Zahlungsbilanz ohne Defizit zu erzielen.
Auf die Vorteile einer gewissen Abwertung der Hrywnja verwiesen auch andere Experten, nicht nur inländische, sondern auch ausländische. Das Schlüsselwort hier ist „gewisse“ im Sinne einer „minimalen“.
“Eine leichte Devaluation würde der realen Ökonomie nützen, während eine zu große Devaluation das Finanzsystem erschüttern und ein noch größeres Wachstum der Ausgaben für die Bedienung der Auslandsschulden des Landes bedingen würde“, bemerkt in den Kommentaren von ZN.UA unter anderem der Spezialist der Abteilung für Staats- und zwischenstaatliche Finanzen bei Fitch Ratings, Charles Seville.
Liebe kann man nicht erzwingen
Verständlicherweise hängen die Chancen für eine Kreditgewährung seitens des IWF nicht nur von der Flexibilität der ukrainischen Seite ab, sondern auch von der „Verhandlungsfähigkeit“ des Fonds selbst, von seiner Bereitschaft auf einen Kompromiss einzugehen, angemessenen Erklärungen zuzuhören, die ukrainische Spezifik zu berücksichtigen usw.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass der „Kreditor der Kreditoren“ wenn auch nur Schritt für Schritt, aber letztlich doch die Flexibilität seiner Politik erhöht. Man muss sich nur an den jüngsten Bericht des IWF-Vorstands erinnern, in dem es hieß, dass beispielsweise die vollständige Liberalisierung der Finanzströme nicht als unbestreitbares Dauerziel für alle Wirtschaftsräume gelten kann. Noch zu Beginn des vergangenen Jahres hat die Direktorin des IWF, Christine Lagarde, angemerkt, dass der Fonds nicht ausnahmslos zu einer fiskalen Konsolidierung auffordern werde: „Für einige Länder ist dies unumgänglich, aber viele können auch ohne harte Sparmaßnahmen zurechtkommen, andere Wege im Kampf gegen die Schuldenkrise suchen“.
Ob die Ukraine zu den genannten „einigen Ländern“ gehört, hängt unter anderem von politischen Faktoren ab. Trotz der ganzen offiziellen Rhetorik. Gegensätzliche Überzeugungen werden durch die bereits oft zitierten Worte (die im vergangenen Jahr geäußert wurden) des stellvertretenden Außenministers der USA Philip Gordon widerlegt: „Auch wenn Demokratie kein formales Kriterium des IWF ist, denke ich, dass es richtig ist zu sagen, dass die internationale Gemeinschaft weniger geneigt ist, ein Land zu unterstützen, das sich nicht an demokratische Prinzipien hält“.
Andererseits versteht man im IWF und im Westen allgemein sehr gut, dass eine Verweigerung der Finanzierung bedeutet, dem offiziellen Kiew einen Schubs in die Umarmung des Kremls mit den entsprechenden Konsequenzen für demokratische Werte zu versetzen. Inwiefern dies unvertretbar ist (vor allem für die Hauptkapitalgeber des IWF – die USA und EU) wird bereits bald deutlich werden. Konkreter vorherzusagen, wann genau – ist bislang schwierig. Beispielsweise gaben die Analytiker von Standard & Poor’s zu bedenken, dass sich die Gespräche zwischen der Ukraine und dem IWF über mehrere Monate hinziehen könnten… Nun, dort, im Westen, weiß man dies besser.
25. Januar 2013 // Wassilij Passotschnik
Quelle: Serkalo Nedeli