Der Käse in der Mausefalle


“There is always free cheese in a mousetrap”, – diesen Ausspruch schreibt man oft der Baroness Margret Thatcher zu, die ihren 88. Geburtstag im Oktober 2013 nicht mehr erlebt.

Hierzulande schätzt man die verstorbene Maggie, aber den kostenlosen Käse liebt man noch mehr. Das Kostenlose bleibt für die ukrainische Gesellschaft etwas Heiliges. An kostenlose Medizin, kostenlose Bildung und kostenlose Wohnungen erinnern ununterbrochen die Fans der UdSSR.

Ebendiese Freude spiegelt sich bis heute in der ukrainischen Gesetzgebung wider. Und in progressiven Gesellschaften gibt es selten Wagehälse, die gegen die kostenlosen Leistungen auftreten. In diesem Fall kann man jederzeit auf das sozialistische Europa verweisen, nach dem die Ukraine strebt. Natürlich sind wir noch weit entfernt vom sozialen Standard der EU. Das einfache Volk beschwert sich, dass man in der Ukraine von „kostenloser Medizin“, kostenloser Bildung“ oder „kostenlosem Wohnraum“ nur in Anführungszeichen sprechen kann – faktisch ist das Fiktion. Übermäßige Abgaben erblühen sogar im Haushaltsbereich und mit ihnen traumhafte Bedingungen. Freigiebigkeit müssen sowohl die ukrainischen Kranken als auch die Eltern ukrainischer Schüler ausüben, und selbst der Erhalt eines kostenlosen Wohnraums erscheint völlig wie etwas Fantastisches.

Was soll‘s, mit unserem Land ist alles klar. Aber lohnt sich überhaupt das wörtliche Verständnis ohne Anführungszeichen? Wir werden logisch vorgehen. Wirklich kostenlose Medizin – das sind Ärzte, die keine Bezahlung für ihre Arbeit erhalten. Das sind medizinische Präparate, die aus dem Nichts entstehen und keine Produktionskosten erfordern. Das ist neuartige medizinische Technik, die sich auf wundersame Weise materialisiert. Wirklich kostenlose Bildung – das sind Lehrer und Professoren, die kostenlos arbeiten; Schulen und Universitäten, die von irgendwo her auftauchen. Entsprechend sind kostenlose Wohnungen auch solche, die sich ohne irgendwelche Ausgaben von selbst bauen.

O weh, etwas Ähnliches gab es noch nicht einmal in der Welt vom buckligen Pferdchen, dem Tischlein-Deck-Dich und dem Apfel der Jugend. Aber in unserer rauen, materialistischen Welt existiert keine Zauberei – wie auch keine kostenlose Medizin, Bildung oder Wohnung. In jeder beliebigen gesellschaftspolitischen Ordnung müssen all diese Vergnügen bezahlt werden. Die Frage ist nur, durch wen und wie sie bezahlt werden.

„Für alles zahlt der Staat!“ – sagt der einfache Spießbürger. Aber der Staat – das sind Beamte, die in ihren Büros sitzen und keine materiellen Güter produzieren. Woher nehmen sie die Mittel, medizinische oder Bildungseinrichtungen zu schaffen? Besonders in einem Land wie der Ukraine, das nicht vom Öldollar- Regen geplagt ist?

Weiter fortgeschrittene Bürger erklären, dass die Menschen in den Haushalt einen Teil ihres Gehalts einzahlen und der Staat diese Mittel für gemeinschaftliche Aufgaben verwendet, darunter die Bildung, Medizin und sozialen Wohnraum. Die Illusion der „Kostenlosigkeit“ löst sich hier schon auf – es ist offensichtlich, dass beliebige staatliche Wohltaten von der Bevölkerung bezahlt werden.

Betrachten wir diesen Mechanismus genauer. Anstelle der selbstständigen Bezahlung für die Ausbildung ihrer Kinder oder den Abschluss einer Krankenversicherung tragen sie das Geld in einen gemeinsamen Haushaltstopf – durch direkte und indirekte Steuern. Und dann entscheidet der Staat, welche Einrichtungen und in welcher Form uns vorgesetzt werden. Das Schema ist ziemlich ungenau. Und wenn man ihre Budgeteinzahlungen ihren Bedürfnissen gegenüberstellt, verliert es jeden Sinn. Das geht doch sehr viel einfacher und billiger ohne die Vermittlung des Staates.

Tatsächlich gibt es Hoffnungen auf fremde Rechnung zu leben. Ökonomen lieben es über den sogenannten „Trittbrettfahrer-Effekt“ zu sprechen, wenn ein Empfänger staatlicher Wohltaten versucht, sich deren Bezahlung zu entziehen. Normalerweise wird dieser Begriff benutzt, um habgierige Geschäftsmänner zu entlarven, die ihre Einkünfte vor dem Staat verheimlichen. Doch worin besteht dieses besondere Interesse am „Kostenlosen“?

Das ist die typische Psychologie des Schwarzfahrers, der auf Kosten der Mitbürger fahren möchte. An „kostenloser Medizin“ oder „kostenloser Bildung“ können nur die Menschen gewinnen, die mehr erhalten, als sie für die gemeinsame Sache einzahlen. Anders lohnt sich die scheinbare „Kostenfreiheit“ für sie einfach nicht.

Es lohnt sich nicht, unsere Gesellschaft undifferenziert einer parasitischen Schwarzfahrerlaune zu bezichtigen. Viele Ukrainer verstehen einfach nicht, wie das Steuersystem funktioniert und glauben, das Geld in der Staatskasse erscheint von selbst. Andere sind arbeitsunfähig, allein und können die Zugfahrt nicht bezahlen. Die Dritten sind tatsächlich nicht abgeneigt, auf Kosten der Nachbarn schwarz zu fahren. Aber die Träume sind eine Sache, die Realität etwas völlig anderes.

Das undurchsichtige System der staatlichen Umverteilung sorgt sogar im gebildeten Europa für Ausfälle. Aber in der Ukraine mit ihrer bürokratischen unbeschränkten Macht und unaufhaltsamen Unterschlagungen steht die Sache besonders schlecht. Niemand gestattet den Ukrainern Schwarzfahrer zu werden. In der Praxis sind wir genötigt ein Ticket kaufen, müssen aber dann zu Fuß gehen.

Für alle „kostenlosen“ Güter, die der Staat garantiert, zahlen die ukrainischen Bürger zweifach. Das erste Mal als Steuerzahler, um das Budget aufzufüllen. Das zweite Mal als Privatmensch, der Geld zurücklegt für notwendige medizinische Behandlung, qualitative Ausbildung oder angemessene Wohnverhältnisse. Heute ist das staatliche Simulakrum der „Kostenlosigkeit“ für den Großteil von uns verheerend. Aber nicht jeder bemerkt das, zumal die Steuern, vor allem die indirekten, unbemerkt aus seinen Taschen fließen.

Manche verstehen alles, geben sich aber Träumen von ehrlichen Mächten und einer hellen, sozialen Zukunft hin. Und manche sind schon beim elementaren Liberalismus angekommen und bereit zu erklären: „Ich brauche nichts kostenloses! Befreit mich von meiner Steuerlast und ich werde alles selbst zahlen!“ Eine solche Handlungsweise erscheint sehr schlau. Nur dass die ukrainische Regierung sie nicht akzeptiert. Sie wollen für alles selbst zahlen? Bitte! Sie wollen nicht mit dem Heimatland teilen? Dann eben nicht! Der Staatsapparat weiß auch ohne Sie, wofür er ihr Geld ausgibt – allem voran für den Selbsterhalt. Die endgültige Absage der Ukraine an „kostenlose Medizin“ und „kostenlose Bildung“ ist sehr wahrscheinlich, sogar unausweichlich. Aber der Staat hört nicht auf, die Bürger mit dem Tribut an frühere Maßstäbe einzuhüllen. Er hört nur auf so zu tun, als ob er diese Mittel für etwas „kostenloses“ einsetzt.

Solche Tricks sind für den Staat eine ganz normale Sache. Als eine der ersten direkten Steuern in der Geschichte Europas zählt die das sogenannte „Datumsgeld“. Dieses einzutreiben begann man in England im 10. Jahrhundert um sich von den kriegerischen skandinavischen Wikingern loszukaufen. Mit der Zeit wandelte sich die außerordentliche Sammlung zu einer regelmäßigen Abgabe und die angelsächsischen Herrscher begannen, die Mittel für verschiedene Verteidigungsmaßnahmen zu verwenden. Doch dann wurde England von den Normannen besiegt und die neuen Machthaber fuhren fort, das „Datumsgeld“ einzuziehen, gaben es aber völlig willkürlich aus…

Das ist das Prinzip der Mausefalle. Darauf hereinzufallen ist einfach – es finden sich immer irgendwelche guten Zwecke, die Sammlungen im Volk notwendig machen. Aber von dort wieder herauszukommen ist schwierig: Die Staatsmaschinerie kommt nach Belieben und beginnt, Geld einzutreiben, ohne weiter gute Zwecke vorzuschieben.

In der Ukraine hält man immer noch an der Illusion der kostenlosen Güter fest, was eher ein Ritual ist als von praktischer Bedeutung. Aber mit jedem Jahr wird es schwieriger, die Komödie zu entlarven.

Früher oder später muss man es auf den Punkt bringen. Dem ukrainischen Steuerzahler, der sich auf eigene Rechnung behandeln und bilden lassen muss, wird man offiziell verkünden, dass das so sein muss. Das wird nicht die Abschaffung des „Kostenlosen“ sein, aber die Legitimierung der faktisch vorhandenen Lage.

Der gewöhnliche Bürger verliert nichts, gewinnt aber auch nichts. Er hat schon vor Langem alles verloren: als er in die Mausefalle der staatlichen Umverteilung geriet. Das symbolische Stück Käse ist aufgegessen, die gefangene Maus ist sicher verwahrt, und niemand schickt sich an, die Falle zu öffnen.

Freitag, 4. Oktober 2013 // Michail Dubinjanski

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Übersetzerin:   Anja Blume  — Wörter: 1208

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