Kirchenpolitik und politische Kirche
Wir haben uns noch nicht bis in alle Tiefen die Bedeutung des Maidan 2013-2014 klar gemacht. Wir warten auf Reform, Lustration und Integration in Europa und lassen dabei eine außerordentlich wichtige Sache außer Betracht. Auf dem Maidan besiegten in offener Auseinandersetzung Menschen, die bereit waren zu sterben, Menschen, die bereit waren zu töten. Von denen, die im Namen der Ideale ihr Leben opferten, gab es außergewöhnlich viele. Kritisch viele, wenn man es mit den bezahlten Mördern vergleicht. Für das Land und die Gesellschaft ist dies ein definitiver Pluspunkt. Einen riesigen Beitrag zum Sieg leisteten die Kirchen insgesamt und insbesondere ein großer Teil des Klerus. Sie inspirierten die Menschen, stärkten ihren Glauben an die Gerechtigkeit. Und natürlich gewannen sie großen Respekt in der Gesellschaft. Wie nutzen die ukrainischen Kirchen diesen Vertrauensvorschuss?
Die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche stellte erneut die Frage nach der Teilnahme oder genauer erinnerte wieder an die Unerwünschtheit der Teilnahme von Priestern an Agitationen im Vorfeld von Wahlen. Die Bischofssynode der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche bestätigte die „Instruktion über das Verhalten der Priester während politischer Wahlkampagnen“. Dies war eine logische Reaktion auf die ungesunde Praxis von „Hilfe“ einiger Politiker für Gemeinden, um die öffentliche Fürsprache der Geistlichen am Vorabend der Wahlen zu gewinnen. Es bleibt zu hoffen, dass diese ausgewogene Position sich nicht nur den lokalen Klerus beziehen wird, sondern auch auf die leitenden Hierarchen. Und auch für die Ukrainische Katholische Universität wäre es nicht schlecht, Schlussfolgerungen zu ziehen aus der unlängst erfolgten Verhaftung des einstigen Mäzenaten Dmytro Firtasch und in Zukunft akribischer bei der Spendenannahme vorzugehen.
Die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, die, vorsichtig formuliert, eine zurückhaltende Politik während der Auseinandersetzungen in Kiew an den Tag legte, wandte sich an den Leiter der Russischen Föderation Wladimir Putin mit der Bitte, „die Trennung des ukrainischen Staates zu verhindern und bewaffnete Konflikte zwischen unseren Völkern nicht zuzulassen“. Die Formulierung war natürlich vage, ausgleichend bis angepasst, aber für die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats war dies bereits ein großer Fortschritt. Die Abwesenheit von Fortschritt bestand in anderem: Die Bischöfe sprechen traditionsgemäß weiterhin nicht mit den Menschen, sondern mit Staatsmännern, denn sie riefen nicht das russische Volk zu Frieden und christlicher Versöhnung auf. Diese alte byzantinische Praxis, der für beide Seiten vorteilhaften Koexistenz mit dem Staat führt zu einem Minimum resultierender Anstrengungen des orthodoxen Klerus. Vor allem weil der „Oberkommandierende“ der Russischen Orthodoxen Kirche und der wichtigster Nachfolger der byzantinischen Traditionen Patriarch Kyrill nicht die Absicht hat, den Kurs vom Imperium zum Christentum umzuschwenken. Die Ukrainische Griechisch-katholische Kirche, die er als ein Spionage-Projekt des Vatikans ansieht, macht es ihm schwer, einen Dialog mit Rom zu führen und “sie zieht durch verschiedene Ministerien der USA”, und so verkündet er auf dem Schlachtfeld von Stalingrad eine allgemeine russisch-orthodoxe Mobilisierung angesichts der Bedrohung der Heiligen Rus’.
Der Wunsch, staatliche Ressourcen für sich zu nutzen – gesprochen wird hier im Großen und Ganzen weniger von Finanzierung als vielmehr von symbolischer Unterstützung – gibt keinen nüchternen Blick auf die jetzige Situation der Hierarchen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kyjiwer Patriarchats. Was kann der Kirche als einer Gemeinschaft von Christen die Teilnahme von Patriarch Filaret an der Vorstellung Julia Tymoschenkos als Kandidatin auf den Präsidentenposten geben? Das Engagement der Gemeindemitglieder ist unwahrscheinlich, wohl aber ergibt sich leicht die Möglichkeit der Umwandlung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kyjiwer Patriarchats in die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats, vergleichbar der Epoche des späten Janukowytsch. Einen Unterschied wird es nur in der Rhetorik geben, die stärker patriotisch sein wird. So ist die Natur dieser Struktur, die sich bereits seit den Zeiten der Errichtung der Desjatinen-Kirche auf Kosten des Fürsten und nicht der Kirche selber an den Staatsapparat anlehnt. Die orthodoxe Kirche ging leider zu oft in der Geschichte auf einen Kompromiss mit der Regierung ein, mit der ukrainischen und der sowjetischen. Und jetzt läuft sie auch Gefahr, einen Fehler zu wiederholen unter dem Schlagwort „Ein solider HERR für solide Herren“. [Zitat aus Viktor Pelewin, Generation P, Seite 169 der dt. Ausgaben]
Angesichts der Erfahrung des Maidans und der Stimmung der Menschen bedeutet die Teilnahme der Kirchen an politischen Projekten nicht nur die Gefahr, ihren Ruf zu schädigen, sie ist eine Anleitung, wie sie ihr gesamtes Ansehen unter den Gemeindegliedern verlieren kann. Die Kirche kann von Partnerschaften mit staatlichen Behörden auf lange Sicht nichts Gutes erwarten und es gibt keine Gründe, eine Änderung des Trends zu vermuten. Und wenn man auch noch die bedauerliche Tatsache bedenkt, dass die aktuelle ukrainische Politik fest in den Ideen und Konzepten der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts verfangen ist, so ist es ein großes Risiko, an überkirchlichen Diskussionen der Suche nach Varianten, wie die Kirche „bei der Errichtung des Staates helfen“ könne, herumzubauen. Ebenso die Rückkehr zur Publizistik der Art des Beginns des 20. Jahrhunderts „wie die Kirchenpolitik in der unabhängigen Ukraine auszuschauen habe“.
Eine weitere Bedrohung des „Byzantinismus“ für das kirchliche Leben ist die ewige Suche nach Alternativen zu westlichen Prinzipien und Normen. Kurz gesagt die Suche nach dem „dritten Weg“. Die Voraussetzungen für die besondere Einstellung und den besonderen Status für sich selber stammt auch aus dieser Oper, und sie sind Orthodoxen und Griechisch-Katholischen gemeinsam. Die Ideen der Kirche sui iuris (nur für die Kirche, nicht des Staates oder einer gesellschaftlichen Gruppe) sind natürlich für den Fall, wenn sie helfen, die Evangelisierung durchzuführen, den Wunsch der Gemeindemitglieder widerspiegeln. Und diesbezüglich ist jetzt in der Ukraine alles in Ordnung. Dagegen verwirren Versuche, die Kirche zu instrumentalisieren, sie zu einem weiteren Instrument der „Bildungspolitik“ des Staates zu machen, beunruhigt die „staatliche“ Überlegung „menschliche Seelen zu fischen“.
Die Suche nach einem „dritten Weg“ fanden ihre Widerspiegelungen im Projekt einer „ukrainischen Welt“ durch die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche, das diese im Gegensatz zur „Russischen Welt“ Moskaus entwickelte. Letzten Endes klingt dies für eine Struktur, die als katholische Kirche für die Ukrainer des östlichen Ritus wirkt, logisch. „Eine ukrainische Welt“ kann helfen, Gemeindeglieder außerhalb des Landes zu behalten, macht es allerdings unmöglich, Evangelisation unter Nichtukrainern zu betreiben. Eine seltsame Position für eine Kirche, die erklärt, das „galizische“ Getto verlassen zu wollen.
Mit der Suche nach einem großen ideologischen Projekt hat die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Kyjiwer Patriarchats eine ähnliche Situation entwickelt. In den letzten Jahren wurde oft das Thema Kyjiw als eines „Zweiten Jerusalem“ aufgeworfen, – wiederum im Gegensatz zur „Russischen Welt“ mit ihrem „Dritten Rom“ Moskaus. Diese Positionierung harmoniert auch mit den Projekten Julia Tymoschenkos, die bei ihrer Vorstellung als Kandidatin für den Präsidentenposten vorgebracht werden. Man spricht von einer „neuen Zivilisation“ und vom „geistlichen Zentrum Europas“. Es ist nicht auszuschließen, dass die Unterstützung Patriarch Filarets für die Kandidatur Tymoschenkos auf diesem Fundament gründet.
In der Tat blasen religiöse und weltliche Politiker in die Ohren der „Herde“ das, was sie hören wollen. Insbesondere Thesen von der Einzigartigkeit und Besonderheit. Und wenn es für die Kandidaten, die bei der zentralen Wahlkommission registriert sind, normal ist, und niemand etwas anderes erwartet, dann sieht das für Hierarchen, die für den Dienst geweiht sind, als nicht sehr akzeptabel aus. Vor allem in einem Land, das an der Peripherie der europäischen Zivilisation liegt und in den letzten Monaten für das Recht kämpft, endlich zur anderen Seite des Eisernen Vorhangs zu gelangen. Es gibt außer der ukrainischen andere Gesellschaften mit alter orthodoxer Tradition, die sich außerhalb des Orbits der „Russischen Welt“ zurechtfinden, ihm nicht gehorchen oder sich zum Ziel setzen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Sie ignorieren sie, und diese Taktik scheint viel effektiver. Man muss nicht notwendigerweise auf jeden russischen propagandistischen Unsinn mit einem ähnlich umfangreichen ukrainischen Projekt antworten. Besser seine eigene Arbeit tun und das Recht zu ausschließlichem antirussischen Trolling dem Außenministerium zu überlassen, das in letzter Zeit sich hierin nicht schlecht verhält.
17. April 2014 // Nasar Kis
Quelle: Zaxid.net