Leibeigenen ist das Wissen nicht geboten
Natürlich ist es nach dem geheimnisvollen Treffen der Präsidenten Russlands und der Ukraine in Sotschi nicht mehr nötig, sich irgendwelche Gedanken darum zu machen, was während der Minsker Versammlung passierte.
Ja, in Minsk hat die russische Seite demonstrativ ein Vorbereitungstreffen der Präsidenten abgesagt, woraufhin auch das Abendessen abgesagt wurde, während dessen sich Putin und Janukowitsch unterhalten sollten – und wir wissen nicht, ob das Mittagessen zustande kam, auf das das Treffen des Abends verlegt worden war. Ja, in Minsk stritten Janukowitsch und Putin öffentlich – der ukrainische Präsident antwortete bei seinem Auftritt vor der GUS Versammlung auf die russische Position, die bei der Pressekonferenz der Führung der Länder der Zollunion dargelegt wurde. Aber sagen Sie mir, welche Bedeutung das hat, wenn am folgenden Tag Janukowitsch nach Sotschi flog, dort mit Putin sprach – und über diese Unterhaltung kein Wort verlor; wie übrigens auch sein russischer Kollege. Das ist das schrecklichste an unserer heutigen Situation – wie übrigens auch an der heutigen Situation der Russen. Es geht nicht um eine Verbesserung oder Verschlechterung des russisch – ukrainischen Verhältnisses, nicht um „Handelskriege“ und die Verluste von Kolomojskij und Pintschuk, es geht nicht einmal darum, ob Moskau Janukowitsch unterstützen möchte, die Präsidentenwahlen 2015 zu gewinnen oder gar bereit ist, einen seiner Konkurrenten zu unterstützen. Es geht darum, dass diese Leute miteinander sprechen, wie Zaren – und uns behandeln wie ganz gewöhnliche Leibeigene.
Das Treffen von Putin und Janukowitsch in Sotschi stellt ein durchaus außergewöhnliches Ereignis dar. Es bleiben nur noch wenige Wochen bis zur möglichen Unterzeichnung der Vereinbarung über die Assoziation mit der Europäischen Union. Die Position Russland bezüglich der Unterzeichnung ist hinreichend bekannt und zum wiederholten Male von Putin in Minsk verkündet worden – Russland wird seinen Markt schützen und die Ukraine faktisch aus der Freihandelszone der GUS Staaten ausschließen. Die Position der Ukraine besteht darin, dass sie niemand aus irgendetwas hinaus werfen muss, im Gegenteil, man sollte gemeinsam die vorherrschende Assoziation nutzen, darüber sprach Janukowitsch bei seinem Auftritt vor der Versammlung. Und dann vollziehen die Träger diametral entgegengesetzter Ansichtspunkte das erste Treffen seit vielen Monaten – von niemandem geplant, kurzfristig und offensichtlich sehr wichtig. Was passiert nach dieser Begegnung?
Nichts. Uns speist man mit wenigen kurzen Zeilen der Presseagenturen ab – keine Auflistung der behandelten Fragen, keine Presseerklärung, kein Interview im Flugzeug, nichts. Diese Leute sind schon so daran gewöhnt, dass wir sie nicht kontrollieren, dass sie vom hohen Turm auf uns hinab spucken.
Was bedeutet das in der Praxis? Nur, dass wenn Janukowitsch noch einmal in zwei Tagen – oder zwei Wochen – nach Sotschi oder Moskau fliegt und dann sagt, dass Russland damit einverstanden ist, für uns die Gaspreise zu senken, und wir beschlossen haben, den „schweren Weg in die Zollunion“ zu beginnen, was geschieht dann am nächsten Tag? Nichts passiert. Die Befürworter der europäischen Integration beginnen in den Parteibüros und sozialen Netzwerken zu erörtern, wie sie es erreichen können, die Staatsfähigkeit nicht zu verlieren, die Liebhaber der Zollunion werden die Regierungsschläue Janukowitschs in den Himmel loben und der Großteil der Bevölkerung, dem traditionell alles egal ist und der fest daran glaubt, dass von der Politik in seinem schweren und komplizierten Leben wenig abhängt, versucht herauszufinden, was wir von Russland erhalten und ob das mehr wäre als das, was wir von Europa erhalten würden, oder weniger. Und die ukrainische Unabhängigkeit endet, wie nicht selten die Geschichte von Staaten endet, die nicht infolge eines angestrengten Kampfes für die Freiheit entstehen, sondern als Resultat imperialer Verwesung und Zerfall.
Damit dies nicht geschieht, müssen wir unbedingt verstehen: wenn der Präsident unseres Landes wichtige, vielleicht schicksalhafte Treffen mit Führungen anderer Staaten unternimmt – und danach schweigt wie ein Fisch – ist das nicht normal. Es ist gefährlich; das ist eine direkte Bedrohung der nationalen Sicherheit und unserer gemeinsamen Zukunft. Und wenn wir nicht lernen uns als Bürger zu fühlen, die für die Kontrolle der Staatsmacht verantwortlich sind, dann bleiben wir Leibeigene des Gutsherren in Meshigorje (Wohnsitz Janukowitschs).
26. Oktober 2013 // Witalij Portnikow
Quelle: lb.ua