Mariupoler Metallkombinat: Zwei Versionen eines Krieges
Die aktive Phase des Kampfes um das Mariupoler Iljitsch-Metallkombinat (MMK) wurde so lange erwartet, dass sie, wie es scheint, alle überrumpelte.
Obendrein klammerten sich anstelle der erwarteten mächtigen Strukturen von Rinat Achmetow und Igor Kolomojskij, die seit langem gierig auf diese Fabrik schauten, die Gruppe der unklaren zypriotischen Offshorefirmen, die von den ehemaligen Leitern der Strukturen Wadim Nowinskijs und Oleg Deripaskas geleitet werden, an die Trophäe.
Und hinter ihrem Rücken brachte das Kombinat die Figur des stark abgemagerten Michail Brodskij ans Licht.
Das Kombinat befindet sich in einem Zustand des „pustest du es an, so fällt es um“. Dass, der „Iljitsch-Bojko Sozialismus“ aus allen Nähten platzt, war noch vor der Krise klar. Die Fabrik hat einen Haufen von nicht dem Profil entsprechenden Strukturen angesammelt und die Angestelltenzahl mit den Agrarwerken überstieg 90.000 Personen. Sogar in der Fabrik selbst beläuft diese Zahl sich derzeit auf 47.000. was dreimal mehr ist, als im benachbarten und derzeit mehr Metall produzierenden „Asowstal“.
Im Ergebnis blieben im Werk, sogar nach den letztjährigen Entlassungen, nicht wenige Menschen, für die es einfach keine Arbeit gibt. Vor dem Hintergrund der äußerst schwierigen Situation bei den Bestellungen gibt es auch kein Geld für die Auszahlungen des normalen Gehalts.
Eben am Vorabend der Attacke hat das Management sich trotzdem ein Herz gefasst und erstmalig davon erzählt, dass es ewig so nicht weitergehen kann und das „man plant im Bestand des Unternehmens weniger als 20.000 Menschen zu belassen … die Restlichen sind von einer Reorganisation betroffen“.
Jetzt wurde diese Erklärung schnell zum „Unsinn“ erklärt, doch was mit dem Werk getan werden soll, weiß niemand. Das Problem muss unter jedem Management und bei jeder Entwicklung der Ereignisse gelöst werden. Zur gleichen Zeit sind Massenentlassungen am wenigsten für die Stadt notwendig. Es ist eine Übergangperiode erforderlich und je länger sie dauert, um so besser.
Im Übrigen sieht es sehr danach aus, dass dieses Problem bereits von der neuen Führung gelöst werden muss. Das Werk wurde mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bereits verkauft.
Am Mittwoch, den 26. Mai, fand eine Pressekonferenz der Vertreter zweier vorher niemandem bekannten Offshorefirmen statt. Deren Leiter sind einem engen Kreis bereits bekannt – das sind Boris Podolskij (hob sich hervor im Kampf um den Chersoner Hafen, derzeit vertritt er die zypriotische Formigos Holdings Ltd.) und Ilja Gorn (Vertreter der Revain Ltd., kämpfte seinerzeit bereits um das Schwarzmeer Schiffbauwerk). Vom Direktorenposten wurde er im letzten Jahr mit einem kleinen Skandal entfernt.
Den Journalisten wurde folgende Version verlautbart. Beide Unternehmen vertreten „eine große russische finanzindustrielle Gruppe, welche das Unternehmen vom Vorstandsvorsitzenden des MMK, Wladimir Bojko, gekauft hat“. Welche Gruppe dies ist, wurde nicht gesagt, doch versprach man dies innerhalb von zwei bis drei Wochen zu sagen. Der Version von Podolskij nach „hat vor einem Jahr das (russische) Unternehmen, welches wir vertreten, 100% der Aktien von ‘Iljitsch-Stal’ gekauft, welches ihrerseits 90,4% des Kombinates besitzt … In den Verträgen zwischen dem Verkäufer und dem Käufer wurde ein Jahr für die Nichtverkündung des Geschäfts zugrunde gelegt“.
Für ihr Erscheinen vor der Presse wählten die Vertreter einen äußerst menschenfreundlichen Anlass – „ es tauchte eine Information über die Pläne der Leitung des MMK im. Iljitscha auf, das Arbeitskollektiv auf 30.000 Personen zu verringern“.
Der zweite (Grund) war mehr geerdet und offensichtlich der hauptsächliche – „das Verhalten von Wladimir Semjonowitsch (Bojko) als Verkäufer der Aktien des Kombinats ist unkorrekt. Von ihnen wurde die Prozeduren nicht vollständig erfüllt, die mit den Unternehmensrechten verbunden sind. Uns wurde keine Möglichkeit gegeben am Managementprozess des Unternehmens teilzunehmen. In Verbindung damit trafen wir die Entscheidung uns als Käufer zu erkennen zu geben, damit fernerhin im rechtlichen Bereich die Handlungen vollzogen werden, die unmittelbar auf die Kombinatsleitung ausgerichtet sind“. Die Handlungen selbst wurden dabei nicht konkretisiert.
Im Übrigen ist bereits bekannt, dass es einen Beschluss des Komsomolsker Kreisgerichts der Stadt Cherson und des Chersoner Berufungsgerichts gibt, Gorn an die Leitung des Schlüsselaktionärs des Metallkombinats zu lassen – die SAO (Geschlossene Aktiengesellschaft) „Iljitsch-Stal“.
Dem Kollektiv des MMK selbst wurde großzügig ein Leckerli versprochen – „die Gesellschaft, die wir vertreten, hat bedeutende Ressourcen für die Lösung jeglicher Fragen. Sie ist hinreichend sozial orientiert und begreift, dass alle Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitskollektiv, unabhängig davon, von wem sie gegeben wurden, erfüllt werden müssen“.
Leckerlis versprach man auch dem „bewussten“ Teil des Managements zu geben: „Wir wissen, dass es im Unternehmen einige Dutzend erfahrene Manager gibt und hoffen darauf mit ihnen ohne jegliche Probleme zusammenzuarbeiten“.
Die Reaktion des Kombinats selbst erwies sich als am Rande der Panik: Maschinenpistolen an den Eingängen und die heldenhafte Nachtwache der Leitung an den Hallen zeigten, dass alles sehr ernst ist.
Die Grundposition verlautete Bojko, dabei sagend, dass „ die Attacke auf das Unternehmen bereits mehr als ein Jahr geht und wir sogar eine Aktionärsversammlung nicht durchführen können“.
Das ist die Wahrheit. Noch am 12. Mai 2009 fasste unversehens eines der Gerichte einen Beschluss, der Operationen mit den 3,5 Mrd. Aktien des Kombinats verbot. Im Ergebnis dessen und der nachfolgenden Verbote hängt der Status der Leitung des Kombinats in der Luft – die Frist des fünfjährigen Vertrages ist bereits abgelaufen.
Bezüglich des Fakts des Verkaufs erklärte der langjährige Direktor des Kombinats kategorisch, dass er „die 100% der Aktien der SAO ‘Iljitsch-Stal’ nicht verkauft hat. Und wenn ich dies hätte tun wollen, so hätte ich es nicht gekonnt, da die Eigentümer des Unternehmens 37.000 unserer Mitarbeiter sind“.
Offen gesagt, ist das nicht ganz die Wahrheit. Oder nicht die ganze.
Gemäß den Berichten, ist die SAO „Iljitsch-Stal“ sehr originell eingerichtet und besteht aus zwei Subjekten: dem ersten – der Organisation der Pächter des MMK im. Iljitscha und dem zweiten … der SAO „Iljitsch-Stal“ selbst.
Dabei existiert eine juristische Form, wie die „Pächterorganisation“, die bereits seit Langem nicht mehr in den Gesetzen vorhanden ist. Das ist ein sich hinziehendes Überbleibsel der 90er Jahre. Der rechtliche Status dieser Organisation ist mehr als zweifelhaft, doch das ist das Schicksal von mehr als einem Dutzend tausend Leuten … Die Existenz als Aktionär selbst, ist ebenfalls eine interessante Sache, doch hier wurde ein Schlupfloch ausgenutzt – einem Unternehmen ist es gestattet im Verlaufe eines Jahres die eigenen Aktien in der Bilanz zu halten. Danach werden sie schnell weiterverkauft – gekauft von ebenjener Pächterorganisation, so kann man am Ende noch ein weiteres Jahr weitermachen. Damit beschäftigte man sich im Kombinat seit dem Jahre 2004.
Insgesamt wurden große Aktienpakete mehr als 20 mal gekauft und verkauft. Jedoch war die folgende Tendenz bei allen Verkäufen offensichtlich: der Anteil der Pächterorganisation (d.h. der Mitarbeiter des Kombinats) fiel beständig und der Anteil der SAO „Iljitsch-Stal“ stieg mit jedem Mal kontinuierlich weiter. Wenn am Ende von 2004 der Pächterorganisation 87,4% der Aktien gehörten, dann nach fünf Jahren bereits nur noch 49,5%. Alle übrigen zogen ohne großen Lärm zur SAO „Iljitsch-Stal“ um.
So also konnte man das Kontrollpaket leicht und ungezwungen verkaufen. Was, eigentlich, auch verkündet wurde – von der SAO „Iljitsch-Stal“ selbst.
Am 23. Februar des letzten Jahres meldete die SAO, dass sie im April von den Aktionären 133,6 Mio. Aktien oder 55,76% des Stammkapitals des Unternehmens kauft. Dabei wurden die Aktien „mit dem Ziel ihres baldigen Weiterverkaufs“ aufgekauft.
Damals meinten alle, dass der Aufkauf zum Nutzen der Stärkung der Gruppe Wladimir Bojkos fortgesetzt wird. Aber, wie es aussieht, erwies sich alles als ernster. Es tauchte die Information auf, dass dieses Mal die Rede nicht von einem weiteren, wie es scheint, dem 23. Weiterverkauf ging, sondern von einem realen Verkauf des Pakets.
Die Situation Anfang 2009 war aufgrund der Krise sehr schwierig. Der Wert der Aktien des Kombinats fiel im Vergleich zum Höchststand fast auf ein Zehntel und der Anreiz aus dem Geschäft auszusteigen, so sah es aus, überwog trotzdem. Damals tauchte auch das Protokoll vom 4. April 2009 über die Organisation des Verkaufs aller 100% der Aktien der SAO auf. Für diese Version spricht auch die unklare Erklärung vom Donnerstag, über die stattgefundene Übernahme der Registrierungsfirma. Dabei bestätigte die Registrierungfirma diese Erklärung nicht. Alles dies ging am Donnerstag vor sich.
Doch am Freitag wendete sich die Position des Kombinats um 180 Grad. Es tauchte eine Mitteilung des Presssedienstes auf, dass „ein pflichtvergessener Broker, der über die formale Vollmacht verfügte, in der Zeit der Vorbereitung der Kombinatsleitung auf die Personifizierung der Aktien und deren Umschreibung innerhalb der Pächterorganisation, insgeheim ein Geschäft über den Verkauf der Aktien der OAO ‘MMK im. Iljitscha’ durchführte“.
Jedoch tauchen hier eine Reihe von Fragen auf. Das Geschäft über den Verkauf des Kombinats wurde vor einem Jahr vollzogen. Es geriet in den Bericht der Staatlichen Kommission für Wertpapiere und Aktienbörsen und rief keinerlei Reaktionen hervor. Zumal die Leitung von „Iljitsch“ bereit war „bis zum letzten Pulsschlag zu kämpfen, die Leute zu erheben“, Beschwerde beim Präsidenten der Ukraine einzureichen, dem Premierminister, dem Vorsitzenden der Werchowna Rada, der Generalstaatsanwaltschaft und dem Sicherheitsdienst der Ukraine, doch nicht bei der unmittelbaren Leitung des erwähnten Brokers. Den Tatsachen nach ist es eine vielsagende Anerkennung der Authentizität der Verkaufsdokumente.
Eigentlich wurde die Echtheit der Verkaufsdokumente der Aktien auch von dem öffentlichen Schlagabtausch mit dem Leiter der Staatlichen Kommission für Unternehmertum, Michail Brodskij, bestätigt, der die Echtheit der vorgelegten Papiere verkündete und Wladimir Bojko riet „vor Gericht zu gehen und zu beweisen, dass er seine eigene Unterschrift unter den Dokumenten über den Verkauf von ‘Iljitsch-Stal’ nicht wieder erkennt“. Zumal dem „Serkalo Nedeli“ Dokumente vorliegen, wo Wladimir Bojko und der Leiter der Gewerkschaft den Verkauf der 100% der Aktien der SAO persönlich gestatten.
Den Angaben der Zeitung „Ekonomitscheskije Iswestija“ nach fand noch vor dem Treffen der „Russo-Zyprioten“ mit Journalisten am 25. Mai in Mariupol die staatliche Registrierung des „ neuen Bestands der SAO ‘Iljitsch-Stal’ in der Zusammensetzung vom 28. April 2009 statt“. Gemäß diesem ist der erwähnte Ilja Gorn Direktor des Unternehmens.
Unseren Daten nach wurde der Skandal im Metallkombinat auch eine Überraschung für Schlüsselfiguren in der Regierung. Jedoch wurde der Zorn entweder von Dokumenten oder von einer Instanz über der Zentralregierung abgekühlt. Im Ergebnis des Treffens zwischen Bojko und Asarow kam es zu keinem Resultat.
Daran, dass das Werk verkauft wurde, blieben praktisch keine Zweifel. Die Frage ist eine andere: vollzog Bojko das Geschäft hinter dem Rücken der Beschäftigten, das Werk als seines ansehend oder hinter Bojkos Rücken einer seiner Top-Manager, der sich mit den Käufern einigte und ihm die fatalen Dokumente mit den „fremden“ Offshore-Unternehmen unterschob.
Allgemein begann man im Markt abzuschätzen, wie viel dies hätte kosten können.
Bislang wurde nur die Summe von 239 Mio. Hrywnja (ca. 24,6 Mio. €) ans Licht gebracht, d.h. der strenge Nominalwert der Aktien der SAO „Iljitsch-Stal“. Eben diese versuchten vier Offshore-Unternehmen durch die staatliche russische Wneschtorgbank als Bezahlung gemäß dem Kaufvertrag vom 27. April 2009 für die Wertpapiere auf das Konto des Kombinats „durchzujagen“ und eben dieses Geld hat das Kombinat sofort „zurückgeschossen“. Jedoch liegt die reale Summe sicherlich höher.
Sogar am Tiefpunkt kosteten die Aktien des Kombinats etwa 400 Mio. Dollar. Falls man die Standardberechnungsmethoden für diese Geschäfte anwendet, dann geht die Rede etwa von einer Milliarde Dollar. Ungefähr ebenso hoch wird es derzeit vom Markt bewertet.
Übrigens, die Arbeitnehmer selbst interessiert etwas anderes mehr: Was geschah mit ihren Aktien? „Man kann nur schwer Brodskij nicht zustimmen, der erklärte, dass im Falle eines Verkaufs ‘faktisch ein Entzug der Aktionärsrechte des Arbeitskollektivs“ stattfand. Die Pächterorganisation ist nach geltendem Recht eine Sache, die juristisch nicht existiert. Tatsächlich hatte Boris Podolskij auf der Pressekonferenz folgendes versprochen: „Die Situation analysierend, die bei den Auszahlungen existiert, welche den Arbeitern vom Kombinat für die Aktien in Abhängigkeit von der Arbeitsbeteiligung versprochen wurde, können wir davon reden, dass die Summe dieser Auszahlungen 10.000 Dollar, für jeden Arbeiter, erreichen könnte“. Ein Minus ist, dass das Versprechen bislang niemanden stark verpflichtet, da dieses vom Vertreter einer Betreibergesellschaft gegeben wird – von Eintagsfliegen im Namen eines ungenannten Eigentümers. Man hätte sich wenigstens irgendetwas mehr oder weniger reales gewünscht.
Die erste Kampfesrunde um das MMK hat Wladimir Bojko offensichtlich verloren, auch wenn vorerst „nach Punkten“. Am Ende der Woche gab das Kombinat alles, was am Anfang der Woche dementiert wurde, zu. Nicht das erfolgversprechendste Ergebnis für das Management.
Gleichzeitig zeigte der Konflikt die neue Kraftverteilung in der Metallwirtschaft – in den Markt begannen massenhaft russische Gesellschaften mit Unterstützung russischer Staatsbanken einzutreten. De-facto kauften oder kaufen die Russen sicherlich alle metallurgischen Unternehmen, die über keine eigene Rohstoffbasis verfügen.
Es begann mit dem Kauf von Werken durch „Jewras/Evraz“, der nächste Schritt wurde der Verkauf des Aktienpaktes der ISD (Industrieunion Donbass – nach inoffiziellen Informationen bezahlte dieses die russische staatliche Wneschekonombank), derzeit sind Russen am Geschäft um das Iljitsch-Kombinat beteiligt.
In dieser Woche tauchte eine Information über den Kauf der Aktien von „Saporoshstal“ auf, wo alle durch eine Gruppe wach gerüttelt wurden, die von eben jener Wneschekonombank angeführt wird. Dabei wurden die ukrainischen Oligarchen von der Metallwirtschaft weggedrängt. Offen gesagt, das Resultat ist unerwartet und beeinflusst die zukünftige Kräfteverteilung stark … Übrigens sieht es so aus, als ob die Hauptüberraschungen noch vor uns liegen.
Igor Maskalewitsch
Quelle: Serkalo Nedeli