Ein Mord fürs Vaterland
Der ehemalige Leiter der Außenüberwachung der Miliz, Alexej Pukatsch, gab gestern den Mord an dem Journalisten Georgij Gongadse/Gongadze zu und nannte die Namen der Auftraggeber des Verbrechens. Unter diesen waren der zweite Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, und der Ex-Leiter seiner Administration und derzeitige Vorsitzende der Werchowna Rada, Wladimir Litwin. Der Angeklagte Pukatsch erklärte ebenfalls, dass die Observation des Journalisten gesetzeskonform war und er selbst meint, dass Georgij Gongadse ein CIA-Agent war und einen Staatsstreich vorbereitete. Als üble Nachrede und Verleumdung bezeichneten die Verteidiger des Ex-Präsidenten die Äußerung Alexej Pukatschs und versprachen, dass sich bald davon alle Ukrainer überzeugen können.
Gestern wurde im Petschersker Stadtbezirksgericht in Kiew, das die Angelegenheit in Bezug auf den ehemaligen Leiter der Abteilung der Hauptverwaltung der Kriminalpolizei (GUKP, betreibt Außenobservationen) des Innenministeriums, Alexej Pukatsch, untersucht, mit der Befragung des Angeklagten begonnen.
Bekanntlich wird Alexej Pukatsch des Mordes am Journalisten Georgij Gongadse, der Überschreitung der Amtsvollmachten in Bezug auf den zivilgesellschaftlichen Aktivisten Alexej Podolskij und ebenfalls der Vernichtung von Dokumenten über durchgeführte Außenobservationen bei dem Journalisten beschuldigt. Der Prozess begann Ende April und gemäß einer Gerichtsentscheidung finden die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, da die die Anklageschrift Informationen enthält, die Staatsgeheimnisse betreffen (der “Kommersant-Ukraine” berichtete am 29. Juli zum letzten Mal darüber).
Die gestrige Sitzung war keine Ausnahme – die wenigen Journalisten, die sich im Innenhof des Petschersker Gerichts versammelt hatten, erfuhren die wenigen Einzelheiten der Verhandlung von den Teilnehmern des Prozesses. „Er (Alexej Pukatsch) war, als er mich verprügelte, der größte und stärkste der Milizionäre, die mich entführt hatten. Jetzt ist er merklich gealtert und runzlig geworden“, teilte Alexej Podolskij dem “Kommersant-Ukraine” seine Eindrücke mit, der im Jahr 2000 von Mitarbeitern der GUKP entführt und brutal verprügelt wurde. „Heute hat er lange davon erzählt, dass Georgij Gongadse ein CIA-Agent war, wodurch ich den Eindruck bekam, dass er sich rechtfertigen möchte: denn, ich habe nicht nur einfach getötet, ich habe einen Spion zum Nutzen des Staates getötet“.
Eben Podolskij informierte die Journalisten als erster darüber, dass der Angeklagte Pukatsch während der Befragung die Auftraggeber des Mordes an Georgij Gongadse genannt hatte. „Er hat deutlich gesagt, dass dies Kutschma war und er nannte Litwin, Dshiga (Nikolaj Dshiga, im Jahr 2000 Erster Stellvertreter des Leiters des Innenministeriums, derzeit Vorsitzender der Winnizjaer Oblastadministration) und Krawtschenko (Jurij Krawtschenko, im Jahr 2000 Innenminister, wurde im März 2005 tot aufgefunden)“, erklärte Alexej Podolskij. Seinen Worten nach erzählte Alexej Pukatsch vor Gericht davon, dass man sie danach, als er und seine Helfershelfer Georgij Gongadse umgebracht hatten, ins Arbeitszimmer von Jurij Krawtschenko rief. Dort befanden sich angeblich bereits der Minister selbst, Wladimir Litwin, Nikolaj Dshiga und Eduard Fere, der zum Zeitpunkt des Mordes an Gongadse den Apparat des Innenministeriums leitete. „Pukatsch teilte mit, dass Krawtschenko Litwin sagte: ‘Das ist jener Bursche, Leiter unserer Aufklärung, der Gongadse hinausfuhr und umbrachte“, worauf Litwin sagte: ‘Ich weiß das sehr genau‘“??, übermittelte Alexej Podolskij die Aussage des Angeklagten. „Krawtschenko versicherte Litwin, dass ‘wir dem Präsidenten ergeben sind und jeden seiner Befehle ausführen’. Und Litwin nickte angeblich nur ständig mit dem Kopf“.
Das Opfer teilte ebenfalls mit, dass Alexej Pukatsch in seinen Aussagen vor Gericht angab: „Als ich von Krawtschenko die Order zu Gongadse bekam, berief er sich auf den Präsidenten“. „Krawtschenko sagte, du begreifst, worum die Rede geht, der Präsident hat persönlich die Anweisung gegeben“, übermittelte Alexej Podolskij die Worte des Angeklagten, dabei hinzufügend, dass „all diese Informationen in den Materialien der Strafsache stehen“.
Zur Erinnerung: im März hatte der Erste Stellvertreter des Generalstaatsanwaltes, Renat Kusmin, erklärt, dass in Bezug auf Leonid Kutschma ein Strafverfahren eingeleitet wurde und er „der Beteiligung an ungesetzlichen Handlungen und der Ermordung des Journalisten Georgij Gongadse und ebenfalls der ungesetzlichen Handlungen in Bezug auf den Journalisten Alexej Podolskij verdächtigt wird“ (Ausgabe des “Kommersant-Ukraine” vom 24. März). Gestern erklärte der Anwalt des Ex-Präsidenten, Wiktor Petrunenko, dem “Kommersant-Ukraine”, dass die Aussagen Alexej Pukatschs keine ernsthaften Folgen für Leonid Kutschma nach sich ziehen. „Die Aussagen von Pukatsch muss man kritisch werten und die Motive begreifen, aus denen heraus er diese Angaben macht. Er verleumdet eine Reihe von Persönlichkeiten in der Hoffnung einer harten Bestrafung zu entgehen, die für die Ermordung Georgij Gongadses möglich ist“, erklärte Petrunenko dem „*Kommersant-Ukraine*“, dabei versprechend, dass „die Verleumdung widerlegt wird“.
Die von Alexej Podolskij dargelegten Informationen wurden später von Walentina Telitschenko bestätigt, welche die Interessen der Witwe des Journalisten, Miroslawa Gongadse, vertritt. „Er (Alexej Pukatsch) nennt die Familiennamen, die er früher bereits nannte“, erklärte sie zum Ende der Gerichtsverhandlung. „Das sind Kutschma, Krawtschenko, Litwin und Dshiga“.
Die Vertreterin von Miroslawa Gongadse erklärte ebenfalls, dass die Überwachung des Journalisten, den Worten des Angeklagten nach, gesetzeskonform durchgeführt wurde und Alexej Pukatsch meint, dass er, indem er den Journalisten umbrachte, die Ukraine gerettet hat. „Während der Befragung fütterte Pukatsch uns mit der Mär darüber, dass Georgij Gongadse, Alexej Podolskij und Aljona Pritula (Chefredakteurin des Internetportals „Ukrainskaja Prawda“) beginnend von 1997 an einen Staatsstreich planten und er (Pukatsch) die Ukraine rettete, indem er einen der Organisatoren tötete“, sagte sie, unterstreichend, dass „Pukatsch fühlte, dass ihn jemand schützt“. „Er fühlt sich auch weiterhin als Held, muss man leider zugeben“, setzte Telitschenko fort. „Um ihn wird ein großes Gewese gemacht. Er wird an einem Platz festgehalten, der vom Gesetz nicht vorgesehen ist, und mit einer Wache von mehreren Personen und Mittagessen aus dem Krankenhaus des SBU (Sicherheitsdienst der Ukraine) versorgt“.
Die Chefredakteurin der „Ukrainskaja Prawda“, Aljona Pritula, verzichtete gestern auf Kommentare. Ebenso ging auch Nikolaj Dshiga vor. „Alles, was diese Sache betrifft, möchte ich nicht erläutern und schon gar nicht am Telefon“, erklärte er dem “Kommersant-Ukraine”. Alexej Pukatschs Worte kommentierte auch Wladimir Litwin nicht, der übrigens vorher mehrfach die Information über seine Beteiligung an der Ermordung des Journalisten zurückgewiesen hat.
Der ehemalige Generalstaatsanwalt und jetzige Parlamentsabgeordnete Swjatoslaw Piskun (Partei der Regionen) vermutet, dass die Generalstaatsanwaltschaft eine Prüfung der Äußerungen Alexej Pukatschs machen muss. „Wenn seine Worte unbewiesen sind und nicht von den Materialien der Strafsache belegt werden, dann ist es eine Verleumdung. Falls sie von den gesammelten Materialien bestätigt werden, dann müssen Ermittlungen in Bezug auf die Personen durchgeführt werden, die er nannte und die Frage ihrer Strafverfolgung gelöst werden. Nach einer Aussage wird niemand die Leute verurteilen”, erklärte Piskun dem “Kommersant-Ukraine”.
„Pukatsch nannte die Leute, die bei ihm den Mord bestellt haben und sie sollten als Zeugen in einem offenen Prozess aussagen. Es ist unmöglich das Schuldniveau Pukatschs ohne die Positionen der Leute zu bestimmen, die er als Auftraggeber bezeichnet“, sagte gestern die Witwe des Journalisten, Miroslawa Gongadse, dem “Kommersant-Ukraine”. „Wenn Pukatsch von einem Staatsstreich spricht, wenn man ihm so die Notwendigkeit der Ermordung Gijas (Georgij Gongadses) darstellte, dann kann diese Sache nicht ohne Beteiligung von Geheimdiensten gewesen sein. Pukatsch sollte man eindeutig eine lebenslange Haft geben, doch prinzipiell muss es auch eine Bestrafung der Auftraggeber und Initiatoren des Mords geben“.
Walerij Kutscherk, Olga Kurischko
Quelle: Kommersant-Ukraine