Mythen und Wahrheit: Einige Fragen und Antworten zum Euromaidan und zur Ukrainekrise - aktualisiert


Nachfolgend eine Sammlung von Mythen der russischen Propaganda über die Ukrainekrise und die dazugehörigen Gegenargumente. Ziel dieses Textes, der bereits zur Zeit des Euromaidans begonnen und jederzeit fortgeschrieben werden kann, ist es, einen Argumentationsleitfaden aufzubauen, um der allzu allgegenwärtigen russischen Propaganda sachliche Argumente entgegensetzen zu können.

Die Vorgeschichte des Maidan

Das Assoziierungsabkommen war eine Kriegserklärung der EU an Russland.

Das Assoziierungsabkommen stand nicht im Widerspruch zu dem seit den 90er Jahren bestehenden Freihandelsabkommen zwischen Russland und der Ukraine und wurde bereits seit 2007 mit dem Wissen und ohne Einwände Russlands verhandelt. Erst mit der völlig überraschenden außenpolitischen Kehrtwende nach Putins umstrittener Wiederwahl im Jahre 2012 wurde die EU als konkurrierende Macht und somit zum Feind Russlands erklärt, da diese dem Aufbau eines russisch geprägten Staatenbundes, der Eurasischen Union, entgegenstand.

Das Konzept der Eurasischen Union ist stark protektionistisch geprägt und somit laut Timothy Snyder nur in einem “Club der Diktatoren” funktionsfähig, nicht jedoch innerhalb einer demokratischen Wertegemeinschaft. Ein Beitritt der Ukraine in diese Eurasische Union würde also für die Ukraine zu einer wirtschaftlichen, wie auch politischen Sackgasse.

In den letzten Jahren immer häufiger auftretende politisch motivierte, russische Handelsblockaden gegenüber der Ukraine, sind nicht nur auf Grund des existierenden Freihandelsabkommens nicht zulässig, sondern sie widersprechen auch den Grundsätzen der WTO. Somit zeigt sich, dass Russland ein unzuverlässiger Partner ist. Gerade deshalb ist eine Annäherung an die EU für die Ukraine zwingend erforderlich.

Es macht keinen Sinn, ein Land das so geteilt ist, wie die Ukraine in die EU zu integrieren

Natürlich gibt es starke regionale Unterschiede und ist im Osten bis heute eine gewisse Sowjetnostalgie anzutreffen. In den Großstädten des Ostens wird in der Tat fast ausschließlich russisch gesprochen. Das heißt jedoch nicht, dass man sich dort als Russe versteht. Vielmehr sieht man sich dort als russisch sprechender Bürger der Ukraine, dem – allein schon aus wirtschaftlichen Gründen – an einem guten Verhältnis mit Russland gelegen ist. Als Garant hierfür wurde bei den Wahlen in der Vergangenheit Wiktor Janukowytsch gesehen. Dass sich die Massenkundgebungen des Euroamaidans fast ausschließlich auf die Westteile des Landes beschränkten, heißt nicht, dass im Osten alle Menschen mit der Regierung zufrieden waren. Man fühlte sich allerdings abgeschreckt durch die auf dem Euromaidan vorherrschende UPA-Rhetorik, mit der man nichts zu tun haben wollte. Zudem war politisches Engagement im Osten ungleich gefährlicher für Leib und Leben als im Westen des Landes.

Ein verstärktes Zugehen auf den Osten ist gerade auch von westukrainischer Seite aus zwingend erforderlich, die faktische Zweisprachigkeit des Landes wird wohl als dauerhaftes Phänomen akzeptiert werden müssen. Poroschenko hat dies in seiner Antrittsrede deutlich gemacht, indem er sich den Donbassbewohnern in russischer Sprache zuwandte. Letztlich ist also die angebliche Teilung des Landes weitaus weniger gravierend, als immer angenommen.

Janukowytsch war demokratisch gewählt

Die Wahl von Janukowytsch im Jahre 2010 wurde allgemein als rechtmäßig eingestuft, die nachfolgende Politik Janukowytschs weist jedoch massive Verstöße gegen die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auf. Demokratietheoretisch gesehen ist eine demokratische Wahl allenfalls eine Voraussetzung für eine legitime Regierung: So bekommt eine Regierung die Macht vom Wähler verliehen, verbunden mit der Verpflichtung, daraus das beste für das Volk zu machen. Dieser Verpflichtung kam Janukowytsch jedoch nicht nach.

Innerhalb kürzester Zeit wurde das Verfassungsgericht mit Gefolgsleuten von Janukowytsch neu besetzt, dieses neu zusammengesetzte Gericht erklärte eine Verfassungsänderung zu dessen Gunsten für rechtmäßig. Auch die Generalstaatsanwaltschaft und Gerichte wurde mit Vasallen des Präsidenten besetzt. Die Gewaltenteilung und damit der Rechtsstaat waren somit faktisch abgeschafft.

Sowohl bei den Kommunalwahlen 2010, wie auch bei den Parlamentswahlen 2012 wurden massive Wahlmanipulationen festgestellt. Die Parlamentsmehrheit für Janukowytsch kam nur durch ein geändertes Wahlrecht zustande. Dessen demokratische Legitimation war danach nicht mehr gegeben.

Korruption gab es auch unter Juschtschenko

Dies ist sicher richtig, und einer der Hauptgründe für die grenzenlose Enttäuschung der Anhänger des ehemaligen Präsidenten und damit für die Wahl von Janukowytsch. Aber: eine derart schamlose Selbstbereicherung der politischen Eliten ist – außer vielleicht im Rumänien von Nicolae Ceausescu – historisch beispiellos. Während Rentner auf ihren bescheidenen Lebensunterhalt warten mussten, baute Janukowytsch sich in Kontscha Saspa, nahe Kyjiw eine schlossartige Residenz für mehrere hundert Millionen Euro – die bisherige Villa in Meshyhirja, hat ihm offenbar nicht mehr gereicht. Der Sohn des Präsidenten wurde innerhalb von drei Jahren von einem einfachen Zahnarzt zu einem Millionär in dreistelliger Höhe. Man geht davon aus, dass dieses Vermögen in erster Linie durch Schutzgelderpressungen zustande gekommen ist, hohe Geldbeträge, welche die Unternehmer im Land an die Familie des Präsidenten abzugeben hatten.

Oligarchen gibt es auch im Westen

Das ist sicher richtig, eine derartige Verquickung von wirtschaftlicher und politischer Macht wie in der Ukraine unter Janukowytsch ist jedoch beispiellos. Zwar hatten zwei der Oligarchenclans gegen Ende Januar 2014 leise Absetzbewegungen erkennen lassen, die Hoffnung, dass sich so die Sache friedlich lösen ließe, hat sich aber nicht erfüllt. Gerade Achmetow muss man in diesem Zusammenhang ein völliges Versagen vorwerfen, denn er hätte mit seinem Geld und seinem Einfluss vieles zum Guten bewegen können. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass das postsowjetische Oligarchentum von der dortigen organisierten Kriminalität kaum zu trennen ist. Derartige Strukturen sind im Westen doch eher selten.

Der Euromaidan

Der Euromaidan war eine massive Störung der öffentlichen Ordnung

Dass eine Widerstandsbewegung nicht ganz ohne Ordnungswidrigkeiten auskommt, versteht sich von selbst, aber damit eine Ordnung gestört werden kann, muss erst mal überhaupt eine solche existieren. Hierzu zählt ein Parlamentarismus, der diesen Namen auch verdient, ein funktionierender Rechtsstaat und eine Polizei, die die Interessen der Bürger und nicht nur die einiger selbsternannter Feudalherrscher vertritt. Das Ziel der Demonstranten war der Aufbau neuer staatlicher Strukturen, also gerade die Schaffung einer neuen Ordnung.

Die Gewalt auf dem Maidan ging von den Demonstranten aus

Es gibt wohl kaum ein friedfertigeres Land in Europa, als die Ukraine. Nicht ein einziges Mal seit der Unabhängigkeit gab es bis dahin Ausschreitungen oder gar Tote bei Demonstrationen. Die Ereignisse seit dem 19. Januar 2014 waren ein absolutes Novum. Es brannten Barrikaden, Steine und Molotowcocktails wurden geworfen. Dies ist sicher eine Eskalation, die auch in Deutschland nicht ungesühnt bleiben würde. Aber in Deutschland würde es nicht so weit kommen. Den Ausschreitungen gingen zwei Monate friedlicher Kundgebungen voraus, auf die die Staatsmacht mit völlig überzogenen Maßnahmen reagierte. Unter Umgehung jeglicher Verfassungsgrundsätze wurden Diktaturgesetze geschaffen, durch die jeder friedliche Protest unmöglich wurde. Es blieb nur noch die Wahl des gewaltsamen Widerstandes. Übrigens: Auch das deutsche Grundgesetz kennt ein Widerstandsrecht für den Fall, dass die demokratische Ordnung beseitigt werden soll. Der Massenmord an den friedlichen Demonstranten durch Scharfschützen hingegen ist mit großer Sicherheit dem Machtzirkel um Janukowytsch zuzuordnen. Auch ist nicht auszuschließen, dass russische Spezialeinheiten an diesem Massaker beteiligt waren. Letztlich wird die vollständige Aufklärung der Todesschüsse auf dem Maidan noch Jahre an Anspruch nehmen und hoffentlich die dafür Verantwortlichen vor den internationalen Gerichtshof nach Den Haag führen.

Laut Recherchen der Sendung Monitor waren auch Oppositionskräfte an dem Massaker vom 20. Februar beteiligt

In der Tat wurde auch aus dem Hotel Ukrajina heraus geschossen, das sich am fraglichen Tag in Händen der Opposition befand. Das Hotel ist jedoch ein vielstöckiger, extrem unübersichtlicher Bau der über mehr als 300 Zimmer verfügt. Es ist nicht davon auszugehen, dass das ganze Gebäude angesichts des herrschenden Chaos wirklich systematisch durchsucht worden ist. Einzelne Gebäudeteile können also sehr wohl noch in den Händen regierungstreuer Einheiten gewesen sein. Die oftmals als weiterer Beweis angeführten, abgehörten Funksprüche zwischen den Scharfschützen, welche belegen sollten, dass es neben den Regierungstruppen noch weitere unbekannte Einheiten gab, sagt letztlich gar nichts aus. Selbst wenn mehrere solcher Einheiten unabhängig voneinander operierten, entbehrt es jeder Grundlage, diese automatisch der Opposition zuzuordnen.

Die Maidanschüsse wurden von der Übergangsregierung in Auftrag gegeben, um einen Bürgerkrieg auszulösen

Diese Behauptung ist an Absurdität kaum zu übertreffen: Oppositionspolitiker, die zum fraglichen Zeitpunkt noch gar nicht ahnen konnten, wenige Tage später selbst die Regierung zu stellen, sollen also Todesschüsse auf die eigenen Leute befohlen haben? Aus welchem Grund? Mit welchem Motiv? Hierfür gibt es keine auch nur ansatzweise nachvollziehbare Antwort.

Viel eher ist davon auszugehen, dass die Maidankämpfer demoralisiert werden sollten, oder aber dass vonseiten der damaligen Regierung ein Bürgerkrieg provoziert werden sollte, um Russland einen Vorwand zum Einmarsch zu geben. Die Strategie das Opfer zum Täter umzudeuten ist eine uralte Strategie des KGB. Wie so etwas anzustellen ist, weiß Ex-KGB-Mann Putin vermutlich sehr genau.

Auch in Stuttgart im Jahre 2010, hat die Polizei über die Stränge geschlagen

Die Vorfälle in Stuttgart sind ein einmaliger Fall, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Derartige Vorfälle waren seit Dezember 2013 in Kyjiw jedoch an der Tagesordnung. Heckenschützen schossen auf Demonstranten, Journalisten wurden verprügelt, friedliche Kundgebungsteilnehmer krankenhausreif geschlagen, Autos mit Lemberger Kennzeichen wurden willkürlich abgefackelt. Wahllos wurden Menschen entführt, einige haben das nicht überlebt, bei den Maidanschüssen kamen über 80 Leute ums Leben, zahlreiche weitere starben später an ihren Verletzungen. Bis heute gelten rund 80 Menschen als vermisst. (euromaidansos.org/en). Neben den Sondereinsatzkräften (Berkut) wurden vermehrt bezahlte Schläger aus dem Kriminellenmilieu (Tituschki) eingesetzt. Somit konnte die Polizei sich selbst als einigermaßen sauber darstellen, während die Tituschki die Drecksarbeit erledigten. Einen Fall wie die Todesschüsse vom 20. Februar in der Instituts-Straße hat es bisher in keiner westlichen Demokratie gegeben. Selbst der Blutsonntag von Derry (Nordirland) im Jahre 1973 ist weit davon entfernt.

Der Euromaidan war eine faschistisch – nationalistische Bewegung

Im Kern war der Euromaidan eine Bewegung des Bildungsbürgertums sowie der Kleinunternehmer. Für diese ist die Existenz einer nach Westen blickenden ukrainischen Nation elementarer Bestandteil ihres Selbstverständnisses. Dabei muss unterschieden werden zwischen einem imperialen, auf die Eroberung fremder Territorien ausgerichteten Nationalismus, (z.B. Nazideutschland) und einem libertären, auf den Selbsterhalt eines bedrohten Staatswesens ausgerichteten Kulturpatriotismus. Die allgegenwärtigen ukrainischen Fahnen und Schlachtrufe wie: Ruhm der Ukraine – Ruhm den Helden, mögen auf deutsche Beobachter irritierend wirken, sind jedoch eher folkloristischer Natur, freilich vor dem historischen, oftmals allzu unkritisch glorifizierten Hintergrund des Partisanenkampfes während und nach dem 2. Weltkrieg in der Westukraine.

Selbst für Swoboda (Freiheit) sind Rassismus oder Antisemitismus nicht die prägenden Elemente ihres Programms. Laut Josef Zissels, einem aus Kyjiw stammenden Bürgerrechtler, und herausragendem jüdischen Vertreter der Ukraine, hat der Antisemitismus seit dem Maidan sogar eher abgenommen, da nicht wenige Juden selber aktiv am Maidan beteiligt waren. Zudem hat Swoboda in letzter Zeit massiv an Zuspruch verloren, wie die Präsidentschaftswahlen am 25.Mai deutlich gezeigt haben. Das gilt auch für den Rechten Sektor, der führenden Rechtsextremismusexperten zufolge selbst nur ein Produkt der russischen Propaganda ist, oder zumindest von dieser massiv aufgewertet wird.

Wäre denn eine friedliche Lösung möglich gewesen?

Mit etwas gutem Willen der Regierung: Mit Sicherheit: Ja!

Die nötigen Schritte: die Wiederherstellung der alten Verfassung von 2004. Damit wäre die Allmacht des Präsidenten stark eingeschränkt worden. Als zweiter Schritt: eine Allparteienregierung, mit dem Ziel demokratische Neuwahlen für Parlament und Präsident unter Anwendung des alten Wahlrechtes vorzubereiten. Garantien für die Präsidentenfamilie oder ein geregeltes Prozedere für einen Gang ins Exil waren aushandelbar gewesen. Leider hat die Regierung es vorgezogen, auf Zeit zu spielen, das Ende der Olympiade von Sotschi abzuwarten und so auf einen Militäreinsatz von Russland zu hoffen. Dass es bereits eine Woche vor Ende der Olympischen Spiele zu einer versuchten Räumung des Maidans, und zwei Tage später zu den tödlichen Schüssen kam, hat jede Konsenslösung unmöglich gemacht. Letztlich hatte der Präsident damit jede rote Linie überschritten und selbst seine bisherigen Anhänger wandten sich von ihm ab. Der Versuch von Steinmeier, Sikorski und Fabius, auch nach den tödlichen Schüssen noch eine Verständigung zu erreichen, war wohl etwas naiv gedacht. In solch einer Situation noch weitere neun Monate eine Präsidentschaft von Janukowytsch zu ertragen, wäre den Opfern des Maidans nicht zumutbar gewesen. Mit dem Gang ins Exil beendete Janukowytsch von sich aus die Ära seiner Präsidentschaft.

Geopolitik im Allgemeinen: die Ukraine als Teil des russischen Einflussbereiches

Russland hat legitime Interessen in der Ukraine

Dieser neoimperialen Sichtweise eines Wladimir Putin steht die Tatsache des Selbstbestimmungsrechtes der Völker entgegen. Vordefinierte Einflusssphären sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr zeitgemäß und zudem höchst gefährlich. In diesem Jahr gedenkt Europa des Hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges. Wäre Europa zu dieser Zeit nicht in Einflusssphären aufgeteilt gewesen, hätte es diesen Krieg möglicherweise nicht gegeben. Eine wesentliche ideologische Grundlage und einer der Auslöser für den Ersten Weltkrieg war die Idee des Panslawismus. Der heutige neoimperiale Politikstil von Putin stützt sich auf eine von Panslawismus herrührende und von russischen Vordenkern (insbes. Alexander Dugin) mit rechtsextremistischem Hintergrund weiterentwickelte “Eurasische Ideologie”.

Im 21. Jahrhundert werden internationale Kooperationen im Allgemeinen über bilaterale Abkommen, im gegenseitigen Einvernehmen geschlossen. Stehen sich mehrere konkurrierende Modelle gegenüber, so wird derjenige sich durchsetzen, der das attraktivere Angebot unterbreitet. Im Fall der Ukraine war dies die EU. Die russische Herangehensweise: “Willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein”, ist im Jahre 2014 nicht mehr zeitgemäß.

Aber Kyjiw ist doch die Mutter aller russischen Städte

Diese Sichtweise ist historisch umstritten, wurde die Kyjiwer Rus doch von den Mongolen zerstört und das Land verwüstet. Es gibt also keinerlei historische Kontinuität zwischen der Kyjiwer Rus und dem späteren Moskauer Reich. Und selbst wenn dem so wäre: Es ist absurd, die heutige Politik aufgrund von Geschichtsmythen aus dem tiefen Mittelalter gestalten zu wollen.

Für die USA ist das ganze nichts weiter als ein geopolitisches Spiel zur Schwächung Russlands

In der Tat ist das Verhältnis zu Putins Russland derzeit nicht das beste. An einer nachhaltigen Schwächung Russlands ist aber im Westen niemand gelegen. Leider sind konstruktive Gespräche zwischen Putin und dem Westen derzeit – trotz des sehr moderaten Auftretens der USA unter Obama – nicht möglich, wie die völkerrechtswidrige Annexion der Krim zeigt. Mit einer zunehmend aggressiven Außenpolitik ist in erster Linie Putin für das schlechte Verhältnis zum Westen verantwortlich. Im Fall der Ukraine sind die geopolitischen Interessen der USA – sollte es diese überhaupt in größerem Maße geben – und der Wunsch nach Einhaltung der Menschenrechte ausnahmsweise deckungsgleich. Die moderate Herangehensweise von Steinmeier, bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung verdient großen Respekt, wird aber von Russland vermutlich nicht ernst genommen. In Putins Reich zählt leider nur noch das Recht der Stärken – und sei es nur eine eingebildete Stärke.

TTIP, Guantanamo, der Irakkrieg: Die USA sollen gefälligst mal ganz ruhig sein, bevor sie Russland kritisieren

Durch die unsägliche Regierungszeit von George W. Bush haben die USA weltweit massiv an moralischer Autorität verloren. Dies als Rechtfertigung zu nehmen, um eigene Verbrechen zu legitimieren, ist jedoch nicht akzeptabel. Über die Verfehlungen der USA könnte man hier seitenweise diskutieren, aber das ist hier nicht das Thema. Bei allen Unzulänglichkeiten jenseits des Atlantiks: im Gegensatz zu einer Anna Politkovskaja lebt ein Michael Moore noch, die Daily Show wird im US-Fernsehen täglich gesendet und – auch wenn das US-Wahlsystem überholungsbedürftig erscheint – besteht in den USA eine demokratische Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Alternativen.

Die NATO hat Russland das Versprechen gegeben, sich nicht nach Osten auszuweiten

Als 1990 die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen über die deutsche Einheit stattfanden, existierte noch die Sowjetunion und auch der Warschauer Pakt bestand noch. Somit kann man Russland keinerlei Versprechen gegeben haben, da es Russland als solches zu diesem Zeitpunkt nicht gab. Da es zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar war, dass die Sowjetunion sich auflösen würde, standen Gespräche über eine etwaige NATO-Osterweiterung bei den Gesprächen überhaupt nicht auf der Tagesordnung. Selbst wenn Genscher gegenüber Gorbatschow mündlich etwas in dieser Richtung geäußert haben sollte: Es gibt keinerlei verbindliches Dokument über ein wie auch immer geartetes Versprechen gegenüber der Sowjetunion. Im Übrigen erfolgte die Aufnahme der osteuropäischen Staaten in die NATO auf deren Wunsch hin und nicht aufgrund eines Ausdehnungswillens der USA.

Russland ist in letzten Jahren eingekreist worden und fühlt sich verständlicherweise bedroht

Es ist wahr, dass es unter George W. Bush Versuche gab, die NATO in Richtung Ukraine und Georgien auszudehnen. Dies wurde aber von den Europäern, namentlich von Deutschland verhindert. Angesichts der Annexion der Krim muss man sich fragen, ob das nicht ein Fehler war.

Seit 2008 ist jede weitere NATO-Osterweiterung vom Tisch, George W. Bushs Nachfolger Barack Obama verfolgt einen sehr moderaten Kurs gegenüber Russland. Dass sich ausgerechnet in dieser Situation bei der russischen Führung ein Gefühl des Bedrängt-Werdens einstellt, ist vermutlich eher ein Fall für den Psychologen des Herrn Putin, als ein Fall von echter Bedrohung.

Russland ist über Jahre hinweg systematisch gedemütigt worden

Im Grunde ist das genaue Gegenteil der Fall: Seit der Amtsübernahme von Putin wurde Russland regelrecht hofiert: es erfolgte die Aufnahme in den Europarat, die G8, es erfolgte die Vergabe der Olympischen Winterspiele an Russland und der Fußball WM 2018, es fanden regelmäßige Regierungskonsultationen statt, es gab den NATO-Russland-Rat. Kurz: Russland war wieder da und konnte sich auf internationalem Parkett auf Augenhöhe mit dem Rest der Welt präsentieren. Über Jahre hinweg wurde über Demokratiedefizite und mangelnde Rechtsstaatlichkeit hinweggesehen und Putin mit erheblichen Vorschusslorbeeren bedacht.

Die wenig adäquate Antwort Russlands war ein permanentes Säbelrasseln und eine Dauerblockade im Weltsicherheitsrat bei der Lösung wichtiger Sicherheitsfragen. Die skandalösen Vorgänge um die Bolotnaja-Prozesse und der Umgang mit Pussy Riot jedoch zeigten, dass Russland sich immer weiter von der westlich-liberalen Werteordnung entfernt. Auch von einer dringend erforderlichen Aufarbeitung des Stalinismus war nichts zu sehen. Somit ist es wenig verwunderlich, dass der Westen nach und nach die Geduld mit diesem schwierigen Partner verlor. Größere Vorwürfe über einen zu harten Umgang mit Russland muss die westliche Staatengemeinschaft sich nicht machen.

Kritisch anzumerken ist allenfalls die Naivität des Westens zu Beginn der 90er Jahre als man alleine marktwirtschaftliche Reformen für ausreichend hielt, um eine demokratische, nach rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierende Gesellschaft aufzubauen. Dass Marktwirtschaft ohne Rechtsstaat nicht funktionieren kann, hätte eigentlich schon damals klar sein müssen. Hier sind die westlichen Berater des damaligen Präsidenten Jelzin leider einer gravierenden Fehleinschätzung unterlegen.

Putin hat dem russischen Volk sein Selbstbewusstsein wieder gegeben

Der wirtschaftliche Niedergang der Jelzinzeit war für viele Russen eine traumatische Erfahrung. Es war zugleich die Zeit der wilden Privatisierungen und des Entstehens einer unglaublichen Oligarchenmacht. Für viele ist der Begriff “westliche Demokratie” mit den Erfahrungen dieser Zeit verbunden und entsprechend negativ besetzt.

Putin trat an mit dem Versprechen, wieder Stabilität zu schaffen. Dies ist ihm auf dem ersten Blick auch gelungen: Der Lebensstandard verbesserte sich und das politische und wirtschaftliche Chaos schien zunächst gebändigt. Dabei ist anzumerken, dass der wirtschaftliche Aufschwung nicht durch einen nachhaltigen Strukturwandel eingeleitet wurde, sondern ausschließlich durch das Ausbeuten und den Verkauf von Primärrohstoffen – begünstigt durch hohe Öl-, Gas- und Stahlpreise.

Dass dies mit einer sukzessiven Einschränkung persönlicher Freiheiten und massiver Demokratiedefizite geschah, wurde Putin nachgesehen, Schauprozesse gegen führende Oligarchen als Kampf gegen die Korruption umgedeutet.

Mit den Massendemonstrationen im Vorfeld von Putins dritter Amtszeit zeigte sich jedoch, dass die Stimmen der Kritiker nicht mehr ohne größere staatliche Zwangsmaßnahmen verstummen würden. In Form der Bolotnaja-Prozesse und der sukzessiven Einschränkung wichtiger Bürgerrechte verabschiedete Russland sich endgültig aus der Gemeinschaft der demokratischen Staaten. Seitdem wird ein aggressiver Nationalismus propagiert, um von inneren Problemen und der zu erwartenden wirtschaftlichen Rezession abzulenken. Durch eine ebenso aggressive antiwestliche Propaganda werden vorhandene Ressentiments bedient oder sogar künstlich geschürt. Der derzeitige nationale Überschwang im Hinblick auf die Krim-Annexion wird jedoch irgendwann nachlassen und die tatsächlichen Probleme werden wieder zutage treten. Dann wird Putin wieder als das erscheinen, was er ist: Ein Mann der verpassten Chancen, der es versäumt hat, das Land und seine Wirtschaft nachhaltig umzubauen. Inhaltlich ist Putin auf der ganzen Linie gescheitert.

Wer Gas verbraucht, soll es auch bezahlen

Die Ukraine ist nach wie vor von russischem Gas abhängig. Diese Abhängigkeit nutzt Russland, um mittels taktischer Preispolitik politisches Wohlverhalten zu erzwingen. So sank etwa der Gaspreis infolge der Weigerung von Janukowytsch, das Assoziierungsabkommen zu unterschreiben während der Preis, nach dessen Flucht aus fadenscheinigen Gründen wieder angehoben wurden. Derzeit zahlt die Ukraine die höchsten Gaspreise von ganz Europa, selbst Deutschland zahlt einen erheblich niedrigeren Preis. Eine Klage seitens der Ukraine auf Feststellung sittenwidrig hoher Preise ist derzeit beim internationalen Schiedsgericht in Stockholm anhängig.

Besonders perfide ist die russische Argumentation, den Preisnachlass im Zusammenhang mit der Stationierung der Schwarzmeerflotte auf der Krim zu streichen: Mit der Angliederung an Russland habe sich die Vertragsgrundlage geändert, und der Nachlass sei somit hinfällig.

Für die Zukunft der ukrainischen Energieversorgung sind mehrere Punkte entscheidend: Der Energieverbrauch muss – etwa durch Energiesparmaßnahmen drastisch reduziert werden. Durch Ausbau erneuerbarer Energien muss eine Alternative zum russischen Gas geschaffen werden.
Keine Alternative hingegen sind Gedankenspiele in der Ukraine großflächig Fracking zu betreiben. Dies ist vor allem aus ökologischen Gründen auf schärfste abzulehnen.

Die Krim-Annexion

In Kyjiw ist eine faschistische Junta an der Macht

Der Begriff: Junta wird vor allem im Zusammenhang mit Militärputschen in Lateinamerika verwendet. In der Ukraine gab es weder einen Militärputsch noch ist eine Militärregierung an der Macht. Dass auch einige Mitglieder von Swoboda an der Regierung beteiligt sind, ist sicherlich unangenehm, aber keine wirkliche Gefahr für die Demokratie, zumal Swoboda vergleichsweise wenig relevante Regierungsposten innehat.

Der Kampfbegriff: Faschismus zieht sich wie ein roter Faden durch die sowjetische Geschichte: So wurde in Berlin 1953 eine faschistische Konterrevolution niedergeschlagen, die Berliner Mauer wurde zum “Antifaschistischen Schutzwall” erklärt. Auch im Umgang mit den Aufständen in Polen, Ungarn und dem Prager Frühling wurde das Argument der faschistischen Bedrohung angeführt.

In Wahrheit zeigt das Russland von Wladimir Putin mittlerweile selbst faschistoide Züge, insbesondere im Hinblick auf die “Eurasische Ideologie”, wie sie von dem sehr einflussreichen Hochschulprofessor Alexander Dugin vertreten wird. Dass im Kampf gegen die ukrainischen Faschisten quasi eine Verbrüderung zwischen Putin und den europäischen Rechtsparteien, wie etwa: Front National oder Jobbik stattgefunden hat, sollte jedem selbst ernannten Antifaschisten in Deutschland – insbesondere in den Reihen der Linkspartei stark zu denken geben.

Die faschistische Junta von Kyjiw hat die russische Sprache verboten

Diese Behauptung ist vollständiger Blödsinn! Zwar gab es unmittelbar nach der Revolution einen Parlamentsbeschluss, das unter äußerst dubiosen Umständen zustande gekommene Sprachgesetz der Janukowytsch-Regierung abzuschaffen. Durch dieses Gesetz war die ukrainische Sprache im Osten des Landes seit 2012 massiv gefährdet. Selbst ukrainischsprachige Schulen konnten auf dieser Gesetzesgrundlage geschlossen werden. Der Parlamentsbeschluss hatte also durchaus seinen Sinn, der Zeitpunkt war jedoch extrem ungeschickt gewählt.

Die lauteste Kritik an diesem Beschluss kam aber erstaunlicherweise nicht etwa aus dem Osten des Landes, sondern von Lemberger Intellektuellen, mit der Forderung: zuerst die Einheit des Landes wiederherzustellen, und dann die Sprachenfrage neu zu definieren. Der Parlamentsbeschluss wurde folglich von Übergangspräsident Turtschynow nicht unterzeichnet und so ist das alte Gesetz der Janukowytsch-Zeit bis heute in Kraft. Die Behauptung, die russische Sprache sei verboten worden oder auch nur in irgendeiner Weise bedroht, ist eine dreiste Lüge. Nach wie vor ist ein Großteil der Presseerzeugnisse, wie auch der Fernsehsender in russischer Sprache. Selbst Kyjiw, das Herz der Maidanrevolution ist zu 2/3 russischsprachig. Somit ist diese Behauptung als das zu werten, was sie tatsächlich ist: billigste russische Propaganda, ohne jeden Wahrheitsgehalt.

Bewaffnete Horden des Rechten Sektors ziehen plündernd und mordend durch Kyjiw

Diese Darstellung trifft in etwa auf die Situation im Donbass vom Mai und Juni 2014, nicht jedoch auf Kyjiw zu. Hier ist alles ruhig, allenfalls auf dem Maidan sind noch Aktivisten in Tarnanzügen zu finden, die aber mittlerweile nicht mehr bewaffnet sind. Die immer noch vorhandenen Barrikaden machen zwar einen martialischen Eindruck haben aber ihre Funktion erfüllt, und werden wohl in absehbarer Zeit abgebaut werden.

Die Krim war schon immer russisch

Die Zeitspanne zwischen 1783, dem Jahr der Eroberung der Krim durch Katharina der Großen bis maximal zum Jahre 1954 als “schon immer” zu bezeichnen, offenbart – mit Verlaub – ein gewisses historisches Kurzzeitgedächnis. Vor 1783 war die Krim tatarisch bzw. türkisch und während der Zarenzeit gab es keinen russischen Nationalstaat, sondern allenfalls Gouvernements, also Verwaltungsbezirke deren Grenzen nicht identisch mit der heutigen ukrainisch-russischen Grenze waren. So war Sumy Teil des Gouvernements Kursk, Belgorod zählte zu Charkiw und Taganrog zu Jekaterinoslaw (dem heutigen Dnipropetrowsk).

Die Krim war zu dieser Zeit kein autonomes Gebilde, sondern Teil des Gouvernements Taurien, die auch weite Teile der heutigen Südukraine umfasste. Zu sowjetischer Zeit wurde die Krim zwar zu einem Teil der Russischen SSR, hatte aber einen Autonomiestatus.

Die Angliederung an die Ukrainische SSR im Jahre 1954 erfolgte aus simplen geografischen Überlegungen. Alle Infrastruktur, alle Verkehrs- und Siedlungsströme verbinden die Krim mit dem ukrainischen Festland. Dies offenbart ein einfacher Blick auf die Landkarte. Die Darstellung der Ukrainer Chruschtschow hätte die Krim “einfach so” der Ukraine geschenkt ist eine extreme Vereinfachung. Chruschtschow war Sowjetbürger durch und durch, stammte ursprünglich aus Westrussland und kam erst als Jugendlicher nach Donezk. Ihm einen ukrainischen Nationalismus zu unterstellen, geht völlig an der Realität vorbei.

Aber die Bevölkerung der Krim besteht mehrheitlich aus Russen

Die Russen stellen in der Tat rund 58 Prozent der Bevölkerung. Unter diesen 58 Prozent befinden sich allerdings auch viele nach 1992 Geborene, also Menschen, die Zeit ihres Lebens ukrainische Staatsbürger waren. Zudem ist der Unterschied zwischen Ukrainern und Russen in dieser Region marginal: Faktisch alle Ukrainer auf der Krim sprechen Russisch und gehören der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates an. Auch haben sie faktisch alle die Partei der Regionen gewählt. Hier einen Unterschied zu konstruieren ist letztlich absurd. Auf der Krim hat es auch nie größere Ukrainisierungsbemühungen seitens der Zentralregierung gegeben und die russische Sprache hatte Verfassungsrang. Übrigens: die letzten veröffentlichten freien Umfragen vom Februar 2014 ergaben eine Mehrheit von 60 Prozent für den Verbleib bei der Ukraine. Mit Wahlergebnissen im einstelligen Bereich hatten separatistische Parteien in der Vergangenheit nur eine sehr geringe Wählerbasis.

Und um auf die Demografie zurückzukommen: Die Tataren, die mittlerweile wieder rund 15 Prozent der Bevölkerung stellen, standen immer loyal zur Ukraine.

Den Ureinwohnern sollte man zumindest ein Mitspracherecht über den Status der Halbinsel einräumen. Doch das tragische Gegenteil ist der Fall: Mit der Annexion der Krim ist eine erneute Verfolgung der Krimtataren sehr wahrscheinlich geworden und ist teilweise sogar schon in vollem Gange. Schon jetzt ist der Bestand des Medschlis, des Selbstverwaltungsorgans der Tataren bedroht, dem Tatarenführer Mustafa Cemilev (Dschemilew) wird die Einreise auf die Krim verweigert und zum 70. Jahrestage der Deportation wurden sämtliche Großdemonstrationen verboten.

Gemäß des Selbstbestimmungsrechtes der Völker ist die Angliederung der Krim an Russland völlig legitim

Das Selbstbestimmungsrecht ist ein wichtiges Gut im internationalen Völkerrecht. Im Hinblick auf die außenwirtschaftliche Orientierung der Ukraine sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu berufen, ist legitim. Unter Hinweis auf selbiges Recht handstreichartig in einer Nacht- und Nebelaktion bestehende Grenzen zu ändern, jedoch nicht.

Das Selbstbestimmungsrecht steht immer in Wechselwirkung mit dem Prinzip der territorialen Integrität der Staaten. Dieses Prinzip ist eine der wichtigsten Garanten für Sicherheit, Stabilität und Frieden. Sollte also in einem Teil eines Staates der Wunsch nach Unabhängigkeit bestehen, muss ein Prozedere für ein nach internationalen Grundsätzen abgehaltenes Referendum entwickelt werden. Ein solches Referendum wird im Herbst 2014 in Schottland stattfinden, in der kanadischen Provinz Quebec haben derartige Referenden – übrigens zugunsten des Zentralstaates bereits stattgefunden. Grundvoraussetzung für ein solches Referendum ist die Berücksichtigung elementarer demokratischer Standards. Diese Standards wurden bei dem Referendum auf der Krim noch nicht mal ansatzweise eingehalten.

Auf der Krim kam es – aus dem Nichts heraus zu einem Staatsstreich einer bis dato völlig irrelevanten politischen Kraft, ohne sich um eine friedliche Konfliktlösung, wie Autonomieregelungen, Rechte für sprachliche Minderheiten und eine verstärkte lokale Selbstverwaltung überhaupt zu bemühen. Eine Unterdrückung der russischen Bevölkerungsmehrheit gab es auf der Krim nicht, weshalb die Behauptung Russlands, seine bedrohten Landsleute schützen zu müssen, jeder Grundlage entbehrt. Die Angliederung der Krim an Russland ist also weder legal noch in irgendeiner Weise legitim.

Jahrzehntelang haben die Krimbewohner den Moment herbeigesehnt, wieder zu Russland zu gehören

Laut den letzten freien Umfragen vom Februar 2014 waren weniger als 40 Prozent der Bevölkerung für einen Anschluss an Russland. Ausschlaggebend für diese immer noch hohe Zustimmungsrate war das Versprechen von höheren Löhnen und höherem Wohlstand, sowie eine gewisse, aus Sowjetzeiten stammende emotionale Verbundenheit mit Russland.

Die Realität nur drei Monate später präsentiert sich wie folgt: Die relative Freiheit, die die Menschen in der Ukraine genossen, ist dahin, der Rechtsstaat ist abgeschafft, die Mafia bestimmt den Alltag. Von höheren Löhnen ist bisher nichts zu sehen, dafür sind bereits jetzt die Preise massiv angestiegen. Die Möglichkeit, Privatzimmer an Gäste zu vermieten, wurde stark eingeschränkt und von Touristen – immerhin die wichtigste Einnahmequelle der Region – ist bislang nichts zu sehen. Die Landwirtschaft leidet unter Wassermangel und wichtige Verkehrsverbindungen sind gekappt. Wenn ab 2015 die Visapflicht für die EU für ukrainische Staatsbürger fällt – nicht jedoch für russische – wird eine große Zahl von Krimbewohnern wach werden. Das Heulen und Zähneknirschen wird kommen. Aber ob das dann noch etwas nützt, sei dahingestellt.

Im Kosovo hat der Westen auch das Völkerrecht gebrochen

Die Situation im Kosovo ist mit der Situation auf der Krim nicht vergleichbar. Zum einen ist die Bevölkerungsstruktur im Kosovo eine völlig andere als auf der Krim: dort stellen ethnische Albaner mit 90 Prozent eine überaus große Bevölkerungsmehrheit. Zudem ging dem Konflikt im Kosovo eine sukzessive Abschaffung jeglicher Autonomie voraus und der serbische Diktator Milosevic hielt während der 90er Jahre den gesamten Balkan mit permanenten Kriegen in Atem. Im Kosovo gab es eine fest in der Bevölkerung verankerte Rebellenbewegung und ein Bürgerkrieg stand kurz bevor. Nach dem hoch umstrittenen, da ohne UNO-Mandat erfolgtem Kosovokrieg, welcher durch eine konstruktivere Haltung Russlands, wie auch Frankreichs im Weltsicherheitsrat u.U. hätte verhindert werden können, kam der Kosovo zunächst unter eine mehrjährige internationale Verwaltung, welcher ein von internationalen Beobachtern kontrolliertes Referendum über die Unabhängigkeit folgte. Von einer Angliederung des Kosovo an das albanische Mutterland ist im übrigen bislang nichts bekannt geworden.
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h3. Das Ergebnis des Krim-Referendums ist eindeutig: 96 Prozent der Bewohner der Halbinsel haben für Russland gestimmt

Das sogenannte Referendum hat diesen Namen nicht verdient.

Der Status quo stand nicht zur Abstimmung, die Abstimmung fand unter der Anwesenheit schwer bewaffneter Kämpfer statt. Unabhängige Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen, es gab keine amtlichen Wählerverzeichnisse, Ukrainische Fernsehkanäle waren zum Zeitpunkt der Abstimmung bereits abgeschaltet, die Ukrainebefürworter durften noch nicht mal Plakate kleben und wurden auch sonst massiv eingeschüchtert, Mehrfachabstimmung war möglich. Man gab sich bei der Verkündung des Ergebnisses noch nicht mal die Mühe, das Ergebnis so zu fälschen, dass es rechnerisch plausibel ist: In Sewastopol wurde von findigen Journalisten aus den veröffentlichten Zahlen eine Zustimmungsrate von 123 Prozent ermittelt. Unabhängig davon ist ein solches Referendum mit der ukrainischen Verfassung nicht vereinbar und somit auch formaljuristisch irrelevant. Mittlerweile hat selbst Russland die Fälschung des Referendums zugegeben: bei einer Wahlbeteiligung von ca. 30 Prozent stimmten ungefähr die Hälfte der Teilnehmer für einen Anschluss an Russland.

Der Konflikt im Donbass

Der Donbass finanziert die gesamte Ukraine

Dies mag zu Sowjetzeiten so gewesen sein, mittlerweile ist der Donbass ein regelrechtes Subventionsgrab. Die Kohlegruben sind marode, der Strukturwandel ist ausgeblieben und der Aufbau mittelständischer Industrie wurde verschlafen. Um den Donbass nicht zu einem Armenhaus mit Hunderttausenden von Arbeitslosen zu machen, fließen derzeit – vergleichbar mit der Kohlesubvention im Ruhrgebiet – staatliche Subventionen in die Region. Hinzu kommt, dass korrupte, eng mit der Mafia verwobene Oligarchen, die die Region faktisch unter ihrer alleinigen Kontrolle haben, einen nachhaltigen Strukturwandel vehement ablehnen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Separatisten von den lokalen Oligarchen zunächst finanziert wurden, um den Status quo von Korruption und Vetternwirtschaft – eines der wesentlichen Geschäftsmodelle der dortigen Oligarchen – zu erhalten und der Zentralmacht in Kyjiw Zugeständnisse abzupressen, das ganze aber aus dem Ruder gelaufen ist.

Die Ostukraine hat keine Stimme im Land

Nach der Flucht von Janukowytsch war geplant eine Allparteien-Regierung der nationalen Einheit zu installieren. Dieser sollte auch die Partei der Regionen angehören, was diese jedoch abgelehnt hat. Somit kann niemand der Übergangsregierung den Vorwurf machen, einseitig strukturiert zu sein.

Im Übrigen: Innenminister Awakow stammt aus Charkiw und der Übergangspräsident Turtschynow aus Dnipropetrowsk. Somit ist der Vorwurf an die Regierung, einseitig, westukrainisch geprägt zu sein, nicht haltbar.

Im Donbass wiederholt sich derzeit der Maidan, nur unter entgegengesetzten Vorzeichen

Während der Maidan eine Grassrootsbewegung der Zivilgesellschaft war, gab es im Osten des Landes eine solche Bewegung nicht. Dass einzelne Bilder vom Maidan (Barrikaden, Vermummte in Tarnanzügen etc.) nun auch als schlechte Kopie in Donezk anzutreffen sind, ändert nichts an dieser Tatsache. Pro-russische Demonstrationen brachten es bis Mitte April auf wenige Tausend Teilnehmer und die Situation spitzte sich erst in dem Moment zu, als schwerbewaffnete Spezialkräfte aus dem Nichts heraus öffentliche Gebäude einnahmen. Es ist von einer massiven Beteiligung von Sondereinheiten des russischen Geheimdienstes FSB auszugehen.

Zwar ist von einem gewissen Rückhalt für die Separatisten in der Bevölkerung auszugehen (man schätzt deren Anhänger auf ca. 30 Prozent im Donbass) aber im Zuge der gewalttätigen Eskalation der letzten Wochen, hat dieser Rückhalt stark abgenommen. Während in Kyjiw während des Euromaidans über Wochen nicht eine Fensterscheibe zu Bruch ging, ziehen in der Ostukraine plündernde, marodierende Banden durch die Städte und bauen eine Schreckensherrschaft auf. Es genügt bereits das Äußern pro-ukrainischer Ansichten, um ins Fadenkreuz dieser Kriminellen zu geraten. Morde und Entführungen haben seit April im Donbass massiv zugenommen und zahlreiche Bürger fliehen mittlerweile nach Kyjiw.

Im Donbass herrscht ein Bürgerkrieg

Bei Bürgerkriegen kämpfen üblicherweise unterschiedliche Gruppierungen eines Staates gegeneinander. So etwa im Spanischen Bürgerkrieg von 1936 – 1939. Im Donbass hingegen ist davon auszugehen, dass die Kampfhandlungen der Separatisten von Russland aus koordiniert werden. Laut Igor Strelkow, dem Separatistenchef in Slowjansk, beträgt die Zahl der einheimischen Kämpfer nur wenige Tausend Menschen. Die Toten hingegen werden nach Russland gebracht, was für einen reinen innerukrainischen Konflikt doch eher ungewöhnlich ist. Gleichzeitig wurden Durchbrüche von gepanzerten Fahrzeugen über die ukrainische Grenze hinweg – die derzeit nur äußerst unzureichend gesichert ist – beobachtet. Auch ein Großteil der Waffen stammt offenkundig aus Russland. Trauriger Höhepunkt bisher ist der Abschuss einer Transportmaschine der ukrainischen Luftwaffe, bei dem alle 49 Insassen zu Tode kamen. Insofern muss mittlerweile von einem verdeckten, unerklärten Krieg Russlands gegen die Ukraine ausgegangen werden. Der Westen muss nun aktiv werden und umgehend Wirtschaftssanktionen verhängen.

Russland fordert eine Föderalisierung der Ukraine. Da ist doch nichts gegen zu sagen!

Was Russland fordert, ist nicht etwa ein Bundesstaat nach deutschem Vorbild, sondern ein lockerer Staatenbund mit einem hohen Maß an Autonomie für die Teilstaaten. Man stelle sich vor, Horst Seehofer beschlösse in München die Angliederung Bayerns an Italien. Jeder Teilstaat soll über ein Vetorecht gegenüber der Zentralregierung verfügen und selbst auch außenpolitische Entscheidungen treffen können. Wie gut ein solcher Föderationsstaat funktioniert, ist am Beispiel Bosniens ganz hervorragend zu beobachten. Zurück zur Ukraine: Der ukrainische Staat wäre in einem solchen Falle gelähmt und unregierbar – ein echter “failed state”. Genau einen solchen zu erzeugen, ist das Ziel von Wladimir Putin.

Es gibt keinerlei Beweise, dass Russland irgendetwas damit zu tun hat

Wenn schwer bewaffnete Separatisten mit russischen Fahnen öffentliche Gebäude besetzen, ist zumindest von einem moralischen Rückhalt vonseiten Russlands auszugehen. Doch vermutlich ist es weit mehr: Die Rebellen sind im Besitz modernster Maschinengewehre und Präzisionswaffen, die nur aus Russland stammen können. Es wurden bereits Hubschrauber der ukrainischen Armee abgeschossen. So etwas können nur hochprofessionelle Spezialisten. Auch haben sich zahlreiche Führungskräfte der Separatisten als russische Bürger zu erkennen gegeben. Prominente Beispiele sind etwa Igor Strelkow in Slowjansk und Alexander Borodaj in Donezk.

g3. Die ukrainische Armee schlachtet mit brutalsten Methoden die örtliche Zivilbevölkerung ab

Die Krise im Donbass ist nicht in der Region verwurzelt, sondern wurde von außen hereingetragen und wird von außen koordiniert. Sich dagegen zu wehren ist das Recht eines jeden Staates und auch die Pflicht der Regierung, ihren Bürgern gegenüber. Auch in Deutschland wäre die GSG 9 in einer vergleichbaren Situation sehr schnell zu Stelle.

Die Donezker und die Luhansker “Volksrepubliken” sind von der ukrainischen Regierung zu terroristischen Organisationen erklärt worden. Diese arbeiten, gemäß der Ankündigung von Wladimir Putin in seiner berüchtigten Rede vom 18. März, mit der perfiden Taktik der menschlichen Schutzschilde. Die Separatisten verschanzen sich dabei in Wohnungen und machen selbst vor Kindergärten, Krankenhäusern und Kirchen nicht halt. Somit ist es für die ukrainische Armee kaum möglich, eine zielgerichtete Antiterroraktion durchzuführen, ohne in hohem Maße das Leben unbeteiligter zu gefährden. Aus diesem Grund ist die Zahl der zivilen Opfer bislang sehr gering geblieben. Schockierende Fotos von verstümmelten Leichen, brennenden Städten und Kampfhubschreibern im Einsatz haben sich bislang weitgehend als Fälschungen herausgestellt. Die Kyjiwer NGO: Stop Fake! (www.stopfake.org) widmet sich diesem Thema und konnte bereits wiederholt die russische Propaganda als Lüge entlarven.

Aber die ukrainische Regierung weigert sich doch, mit den Separatisten zu reden

Präsident Poroschenko hat wiederholt angeboten, mit örtlichen Politikern und den wirtschaftlichen Eliten vor Ort zu verhandeln, nicht jedoch mit bewaffneten Terroristen. Eine höhere Autonomie, Direktwahl der Gouverneure und ein verfassungsmäßig garantierter Schutz der russischen Sprache stehen als Entgegenkommen im Raum. Selbst eine Amnestie wurde den Separatisten angeboten, sofern sie nicht an Morden und Entführungen beteiligt waren. Von der Sache her wäre der Konflikt also ohne Probleme zu lösen. Aber wie es scheint, ist eine schnelle, friedliche Lösung nicht im Interesse Russlands.

In Odessa sind bei einem Angriff des Rechten Sektors 48 friedliche Bürger bei lebendigem Leibe verbrannt.

Die Tragödie von Odessa ist noch längst nicht aufgeklärt. Genauso wenig aufgeklärt ist die tatsächliche Todesursache der Opfer. Fakt ist jedoch, dass die Aggression von pro-russischer Seite ausging und bei mehrstündigen Straßenschlachten mehrere Menschen erschossen wurden. Die Straßenschlachten verlagerten sich daraufhin auf das Kulikowo Pole am Rand des Stadtzentrums. Die Separatisten zogen sich in das mächtige Gewerkschaftshaus zurück, in dem kurze Zeit später Feuer ausbrach. Die wahrscheinlichste Brandursache sind von außen durch die Fenster hineingeschleuderte Molotowcocktails. Dass es aber zu einer derartigen Katastrophe kam, ist maßgeblich auf das Versagen der Sicherheitskräfte zurückzuführen. Die Polizei deckte die Angreifer zunächst und zog sich zurück, als es die ersten Toten gab und die Feuerwehr war erst eine Stunde nach Ausbruch des Brandes zur Stelle. Die 48 Toten hätten jedenfalls leicht vermieden werden können.

Die Bedeutung der Ukrainekrise für Deutschland

Ist das ganze nicht auch ein massives Versagen der EU?

Die EU hat in der Vergangenheit einige recht gravierende Fehler begangen. Die Attraktivität des Freihandelsabkommen für die Regierung Janukowytsch wurde maßlos überschätzt, Menschenrechtsfragen auf den Fall Tymoschenko reduziert. Eine Aufhebung der Visapflicht war allenfalls fakultativ vorgesehen und weitere EU-Perspektiven für die Ukraine waren nicht zu erwarten. Zudem drohte der Ukraine eine neoliberale Austeritätspolitik à la IWF, der die EU wenig entgegenzusetzen hatte. Vor diesem Hintergrund ist die Weigerung Janukowytschs, das Abkommen zu unterzeichnen zumindest nachvollziehbar. Es bleibt zu hoffen, dass die EU aus diesen Fehlern gelernt hat, und der Ukraine nunmehr eine echte Unterstützung zukommen lässt. Die demonstrative Einladung von Poroschenko zu den Feierlichkeiten in der Normandie am 6. Juni 2014 weist in die richtige Richtung. Auch eine Aufhebung der Visapflicht zum Januar 2015 ist nicht mehr ausgeschlossen.

Deutschland ist von Russland wirtschaftlich abhängig

Die EU ist von Russland weit weniger wirtschaftlich abhängig, als immer angenommen. Im Ranking der der deutschen Exporte steht Russland erst an 11. Stelle nach der Schweiz, Polen und Belgien.

Selbst die hohe Energieabhängigkeit von Russland ließe sich durch einen gezielten Ausbau alternativer Energien schnell, einfach und effektiv reduzieren.

Demgegenüber stehen die deutschen Importzahlen aus Russland an siebter Stelle. Die Abhängigkeit der russischen Wirtschaft gegenüber Deutschland ist also wesentlich höher als umgekehrt.

Vor diesem Hintergrund sind Wirtschaftssanktionen gegen Russland, sollte dessen aggressive Politik anhalten, vor einem ganz anderen Hintergrund zu sehen.

Gregor Gysi und die Linken haben recht

Für Menschen aus dem linksalternativen Spektrum ist die Position der deutschen Linkspartei nicht nachvollziehbar. Anstatt gegenüber der Ukraine permanent die Faschismuskeule zu schwingen, gäbe es mannigfache Möglichkeiten, sich hier positiv zu profilieren. So könnten die Linken dazu beitragen, dass die Ukraine kein zerstörerisches neoliberales Austeritätsprogramm übergebraten bekommt – die entsprechenden Konzepte des IWF (Senkung von Renten und Staatsgehältern, Privatisierung von Grundbedürfnissen) stehen leider im Raum. Vielmehr müssten sich gerade die Linken, wollen sie wenigstens ansatzweise glaubwürdig bleiben, dafür einsetzen, dass die Ukraine bei einem effektiven Strukturwandel geholfen wird. So sind es derzeit vor allem die Grünen, die sich als die wahren Freunde der Ukraine präsentieren.

Völlig abzulehnen sind die populistischen Montagsdemos der neuen deutschen Friedensbewegung. Diese Leute – oft auch als Querfront bezeichnet – sind trotz einiger linker Rhetorik – vor allem als Antisemiten, EU-Gegner und antiamerikanische Verschwörungstheoretiker bekannt. In Gestalt von Personen wie Ken Jebsen oder Jürgen Elsässer und Presseerzeugnissen wie: Die Junge Welt oder die Rote Fahne treffen hier rechts- und linksradikale Inhalte aufeinander, die erstaunlich gut miteinander harmonisieren zu scheinen. Angesichts der Tatsache, dass nahezu die gesamte Prominenz europäischer Rechtsparteien (Front National, Jobbik, FPÖ etc) unter die Putinversteher gegangen ist, sollten Herr Gysi und Frau Wagenknecht sich fragen, ob sie sich in dieser Gesellschaft wirklich politisch zu Hause fühlen. Ein Lichtblick ist allenfalls die ebenfalls linke Jungle World, die eine bemerkenswert konstruktive und kompetente Sicht der Dinge präsentiert.

Die Presseberichterstattung in Deutschland ist einseitig und antirussisch

Dass ein solcher Vorwurf an Deutschland ausgerechnet von russischer Seite erhoben wird, entbehrt nicht einer gewissen Komik, ist es doch gerade das russische Fernsehen, dass seit Monaten rund um die Uhr antiamerikanische und antieuropäische Hasspropaganda verbreitet. Zudem sind zahlreiche Fakemeldungen über die Ukraine enttarnt worden, mit dem Ziel ein tendenziöses Bild einer blutrünstigen, faschistischen Junta in Kyjiw zu erzeugen.

Demgegenüber sind gerade deutsche Medien um eine ausgewogene Sicht der Dinge bemüht. Insbesondere in den Talkshows kommen immer wieder auch russlandfreundliche Stimmen zu Wort und in den Printmedien sind alle Positionen anzutreffen. Im Gegensatz zu Russland, wo die Presse mittlerweile weitgehend gleichgeschaltet ist, ist es in Deutschland problemlos möglich, sich ein neutrales Bild des Geschehens zu machen.

Nach Griechenland jetzt die Ukraine – die wollen doch nur unser Geld

Jeder halbwegs gebildete Bürger der Ukraine weiß, dass eine unmittelbare Mitgliedschaft in der EU nicht bevorsteht, zu viele Baustellen sind auf dem Weg dahin noch zu beseitigen. Eine mittelfristige Mitgliedschaftsperspektive würden sich viele Ukrainer aber sehr wohl wünschen, aber erst am Ende eines Prozesses in dem die rechtsstaatliche Ordnung und eine funktionierende Demokratie wiederhergestellt sind. Gegen Ende des Jahres 2013 sahen sich der Menschen in der Ukraine mit einer Situation konfrontiert, in dem alles käuflich war, angefangen von Baugenehmigungen über Gerichtsurteile, Parlamentsmehrheiten bis hin zu Hochschuldiplomen. Ebenso war man es leid, für eine – eigentlich selbstverständliche – adäquate ärztliche Behandlung und für das Bestehen von Prüfungen an der Uni Geld zahlen zu müssen. Es ging darum, als Bürger eines europäischen Staates leben zu dürfen wie alle anderen europäischen Bürger auch. Mit dem Sturz von Janukowytsch und der Wahl von Petro Poroschenko gibt es nun zumindest einen Hoffnungsschimmer.

Aber die EU kann doch sowieso nichts machen

Die EU unterschätzt ihre Macht gegenüber Russland. Russland ist wesentlich stärker von der EU abhängig, als umgekehrt. Sanktionen müssen kommen. Nur so kann Russland zum Einlenken gebracht werden. Die Sprache der Diplomatie wird von Putin leider nicht verstanden. Hier zählt nur das Recht des Stärkeren, also sollte Russland gezeigt werden, wer tatsächlich der Stärkere ist. Dass Russland nun zum wiederholten Male gegenüber der Ukraine einen Gaskrieg anzettelt, ist in Wahrheit ein Zeichen der Schwäche. Europa ist gefordert, sich gegenüber der Ukraine solidarisch zu zeigen.

Im Moment ist eine Reise in die Ukraine ein tödliches Risiko

Blödsinn! Außerhalb der Donbassregion läuft das Leben in völlig geregelten Bahnen. Sowohl in den Städten wie auch in der Provinz ist so gut wie nichts von den Unruhen zu spüren. Gerade jetzt ist eine Reise in die Ukraine zu empfehlen. Wann überhaupt hat man eine solche Chance, unmittelbar vor den Türen der EU zu erleben, wie Geschichte geschrieben wird?

Nicht zu empfehlen ist derzeit eine Reise auf die Krim, da die Annexion der Halbinsel international nicht anerkannt ist, und somit keinerlei konsularischer Schutz gewährt werden kann. Der Rechtsstaat auf der Krim ist faktisch außer Kraft gesetzt. Zudem ist ein russisches Visum erforderlich. Ferner stellt eine Einreise auf die Krim via Russland nach ukrainischem Gesetz eine illegale Einreise auf ukrainisches Territorium dar, die u.U. massive Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Die Ukraine ist ein “failed state” und wird auseinanderbrechen

Nie war die Chance für einen wirklichen Wandel in der Ukraine größer, als im Moment. Auf dem Maidan ist eine echte demokratische Wende gelungen, und das Land entwickelt derzeit ein nie gekanntes Zusammengehörigkeitsgefühl. Die antiterroristischen Aktionen der ukrainischen Streitkräfte gegen die Separatisten müssen weitergeführt werden und unter keinen Umständen darf die Krim-Annexion akzeptiert werden.

Ende Juni wird die Ukraine den noch fehlenden wirtschaftlichen Teil des Assoziierungsabkommen mit der EU unterschreiben. Die Wahl von Poroschenko ist eine echte Chance für das Land. Dessen Antrittsrede weckt hohe Erwartungen. Folgende Schritte sind nötig und es besteht die Hoffnung, dass diese nun endlich angegangen werden: Die Korruption muss bekämpft werden, Neuwahlen des Parlamentes sind nötig, der Rechtsstaat muss wiederhergestellt werden. Von besonderer Bedeutung ist es, mit einer effektiven Wirtschaftsförderung zu beginnen, um eine mittelständisch geprägte Wirtschaft aufzubauen. Eine Schlüsselrolle spielt auch der Tourismus, für den es riesige, unerschlossene Potenziale gibt. Wenn dies alles gelingt, hat die Ukraine gute Chancen auf eine europäische Zukunft. Diese europäischen Zukunft, will Putin unter allen Umständen verhindern. Alle Bürger Europas sind aufgefordert, die Ukraine auf ihrem Weg nach Europa zu unterstützen. Putin darf aus diesem Konflikt nicht als Sieger hervorgehen! So wie der Maidan gesiegt hat, wird auch die Ukraine siegen!

21. Juni 2014 // Peter Koller, Mitglied von PRAVO. Berlin Group for Human Rights in Ukraine, Reiseführerautor über die Ukraine

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