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Die Abwärtsspirale des Radikalismus

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Die ukrainische Realität der letzten Wochen ist auf keinen Fall als langweilig zu bezeichnen. Wer seine Umgebung mit offenen Augen betrachtet, sieht unmittelbar vor sich die Entwicklung ganzer Sujets. Man muss jedoch zugeben, dass der Reichtum an Material in diesem Labor ethnisch-politischer Konflikte nicht freudig stimmt. Viele der konkreten Details des Mosaiks haben den Beigeschmack einer Farce, so auch der von der Opposition lauthals angekündigte Volksaufstand, der nach einem Monat der Prozession durch die Ukraine seinen Höhepunkt in der skurrilen Szene fand, in der Frauen mit Schneebällen beworfen wurden.

Der von der Opposition angekündigte Volksaufstand ist der Versuch die Aktion “Steh auf, Ukraine!” von vor zehn Jahren zu wiederholen. Diese Aktion war seinerzeit bereits absurd, eine Wiederholung zum jetzigen Zeitpunkt hat deutlich den Charakter einer Farce. Allerdings sind all diese Absurditäten vor einem nicht allzu lustigen Hintergrund zu sehen, denn das aus vereinzelten Details zusammengesetzte Bild des politischen Lebens in der Ukraine stimmt eher traurig, als fröhlich.

Natürlich ist es unprofessionell, sich seinen Emotionen hinzugeben, anstatt eine nüchterne Bewertung dessen vorzunehmen, was um einen herum vor sich geht. Möchte man, dass die eigenen Worte ernst genommen werden, so muss man selbst alle glaubwürdigen Informationen, Fakten und Prozesse analysieren, muss mit Statistiken und genauen Zahlen arbeiten und darf sein Publikum nicht dadurch in die Irre führen, dass man die eigenen subjektiven Empfindungen als das Logische verklärt.

In der Situation, wie sie sich in der heutigen Ukraine darstellt, gibt es jedoch keinen so genannten Elfenbeinturm, der es sich gestatten könnte, sich selbst zu abstrahieren und unabhängig von dem Wind zu sein, der gerade auf der Straße weht. Die Atmosphäre innerhalb der Gesellschaft beeinflusst jeden, der sich damit beschäftigt, was in dieser Gesellschaft passiert. Auch von meiner Seite aus wäre es unehrlich, so zu tun, als sei ich unabhängig und unbefangen. Ja, ich gestatte es mir einfach, emotional und subjektiv zu sein.

Ich sage es gleich: Ich bin besorgt. Mir gefällt überhaupt nicht, was um mich herum passiert. Ich denke, die Schlüsselwörter, mit denen man die Tendenzen im gesellschaftspolitischen Leben der letzten Monate in der Ukraine beschreiben könnte, sind “Polarisation”, “Radikalisierung”, “Konfrontation” und kürzer “Hass”.

Mir scheint, es geht um ein ernsteres Problem, als der von Spannung geprägte Gegensatz zwischen Staatsmacht und Opposition. Mir scheint es angebracht, von einem Problem systemischen Charakters zu sprechen: Die Gesellschaft ist in einem schwingenden Pendel des politischen Kampfes gefangen und verliert die Fähigkeit zwischen Gut und Böse, zwischen Annehmbarem und Unzulässigem zu unterscheiden. Die Moral wird von dem Antagonismus von “Wir/Andere” aufgelöst.

Ich möchte einige Beispiele für die Problematik, die ich im Blick habe, anführen. Am 28. März hielt das Berufungsgericht in Sumy das Urteil des Gerichtes erster Instanz vom 14. Januar aufrecht, wonach die jungen Männer Wladimir Nikonenko und Igor Ganenko nach Artikel 296 des Strafgesetzbuches der Ukraine verurteilt wurden, d.h. Wegen “Rowdytums”.

Der Prozess gegen die beiden Hooligans aus Sumy wurde in den letzten Monaten genau beobachtet und das Urteil kam auf die Titelseiten der Presse. Die Rede ist von einem das ganze Land aufwühlenden Urteil. Die jungen Männer wurden verurteilt, weil sie mit Hilfe einer Schablone Bilder an Häuserwänden und Mauern in Sumy aufgesprüht hatten, die einen Mann zeigen, der entfernt an den Präsidenten der Ukraine erinnert. Dieser hatte einen roten Punkt auf der Stirn, was offensichtlich eine Einschusswunde darstellen sollte. Die Zeitungen griffen das Urteil mit Überschriften wie “Ins Gefängnis für ein Graffito mit Janukowitsch”, “Zwei Jahre Gefängnis für ein Graffito” oder “Repressionen gegen Patrioten!” an. Ein großer Teil der Öffentlichkeit war ehrlich betroffen davon, dass das Berufungsgericht es ablehnte, das nach Meinung vieler Mitfühlender absolut ungerechte Urteil des Gerichtes erster Instanz noch einmal neu zu verhandeln. Blogger fingen an, das Porträt mit der Schusswunde als Logo bei Accounteinträgen zu benutzen, viele sammelten Geld für die Anwälte der “für ihr Gewissen Inhaftierten”. Die jungen Männer, die ins Gefängnis bzw. in die Strafkolonie gingen, wurden sofort zu Nationalhelden, Opfern politischer Verfolgung. Die Entscheidung des Gerichts wurde in der Rhetorik der Opposition gleichgestellt mit anderen zweifelhaften Fällen aus der gegenüber der Opposition befangenen Justiz.

Mir schien das Urteil, abgesehen von der nicht adäquaten juristischen Beurteilung des begangenen Verbrechens, vielen unverständlichen und unangenehmen Details aus der Ermittlung und dem Gerichtsprozess an sich, nicht so ungerecht. Wahrscheinlich war die mitfühlende Öffentlichkeit über viel wichtigere Dinge aus dem Strafverfahren nicht so gut informiert, wie über das Graffito. Ich beschäftigte mich mit den Ermittlungen bereits lange, bevor die “Patrioten aus Sumi”, wie die Verurteilten später von den Journalisten genannt wurden, in die Zeitung kamen. Der Strafprozess, in dem das Gericht erster Instanz vier junge Männer für schuldig befand, beinhaltete eine Menge Episoden, von denen aus Sicht des Strafgesetzbuches die Graffiti lediglich einen unbedeutenden Teil ausmachten. In Berufung gingen nur zwei Mitglieder der Gruppe von Hooligans, obwohl es angebrachter wäre, hier von einer “nazistischen Bande” zu sprechen. Sie hatten an dem gefährlichsten Verbrechen, der Brandstiftung im Wohnheim der Staatlichen Universität Sumy, in dem dunkelhäutige Studentinnen aus Afrika untergebracht waren, nicht teilgenommen. An einem Abend im Sommer 2011, als es bereits spät war und die Studentinnen schon schliefen, zerbrachen die Täter die Fensterscheiben in der ersten Etage und warfen einen Brandsatz, der mit greller, offener Flamme brannte, in das Zimmer. Das Zimmer und der angrenzende Korridor brannten völlig aus, die Studentinnen blieben nur durch ein Wunder unversehrt, da sie noch rechtzeitig aufwachten und fliehen konnten. Ihre Sachen ließen sie im Feuer zurück.

Die Brandstifter hatten nichts Persönliches gegen die Mädchen und beglichen keine persönlichen Rechnungen. Ihre Handlung war ideologisch motiviert und dadurch eine politische. Die jungen Männer, über die die oppositionelle Presse so mitfühlend schrieb, waren Rassisten, die der Meinung sind, dass für “Fremde” kein Platz in der Ukraine ist. Über die Motive der Brandstifter gaben Aufschriften neben den zerbrochenen Fensterscheiben und in Nähe des Gebäudes des angezündeten Wohnheims ausdrucksvoll Auskunft, noch bevor diese ihre Aussagen gemacht hatten. Unter anderem beinhalteten diese Aufschriften die Adresse einer neonazistischen Webseite, auf der offen zum Mord an ausländischen Studenten, die nicht zur weißen Rasse gehören, aufgerufen wurde. Mit analogen Aufschriften zur Propaganda eines gesunden Lebenswandels bemalten die jungen Männer im Verlauf einiger Monate die ganze Stadt und in eben diesem Zusammenhang tauchte auch das Bild mit dem “durchschossenen Kopf” auf.

W. Nikonenko und I. Ganenko hatten tatsächlich nicht an der Brandstiftung im Wohnheim teilgenommen, auch wenn Letzterer sich zum Tatzeitpunkt unweit davon aufgehalten hatte. Zusammen mit den Brandstiftern und anderen Aktivisten, die nicht gerichtlich verfolgt wurden, bildeten sie eine feste neonazistische Bande, die sich auf Verbrechen aus Hass auf andere Nationalitäten und Rassen, auch auf Antisemitismus, spezialisiert hatte. I. Ganenko, der inoffizielle Führer der extremen Nationalen in der Region Sumy, war laut Materialien, die das Gericht für glaubhaft befand, bis zum Zeitpunkt der Brandstiftung zweimal wegen Vandalismus aufgefallen (2010 und 2011). Ziel war das jüdische Wohltätigkeitszentrum in Sumy. Aus der gesamten Gruppe hatte nur W. Nikonenko ausschließlich am Aufbringen der Graffiti teilgenommen, wie aus den Materialien aus der Ermittlung hervorgeht. Womöglich hätte ihm das Gericht tatsächlich eine geringere Strafe zumessen können. Mir scheint jedoch, dass man dem Gericht im Rahmen dieses einen Strafverfahrens und unter Einbeziehung all dessen, was vorgefallen ist, nicht vorwerfen kann, “politisch motivierte Entscheidungen gegen die Opposition der Staatsmacht” getroffen zu haben. Die Öffentlichkeit, die wegen des ungerechten Urteils gegen die jungen und im Allgemeinen sympathischen Aktivisten empört war, kannte sicher nicht alle Umstände der Strafsache. Die Journalisten, die über das Urteil schreiben und die bei der breiten Leserschaft eine entstellte und falsche Vorstellung darüber erzeugen, sollten die Umstände jedoch kennen. Im Endeffekt ist eine Überschrift wie “Zwei Jahre Gefängnis für ein Graffiti” eine reine Lüge. Dass es sich bei dem Prozess um die Zerschlagung einer neonazistischen kriminellen Bande und nicht einer Gruppe junger oppositioneller Aktivisten handelt, sollten ebenso die gesellschaftlichen Akteure wissen, die die Kampagne zum Schutz der “Patrioten aus Sumy” angestoßen haben. Wie konnten Rassisten und Antisemiten, die für konkrete Verbrechen verurteilt wurden, so leicht zu Nationalhelden des Widerstandes gegen das Regime werden?

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Die Antwort liegt auf der Hand: Sie traten gegen den Präsidenten auf, was in den Augen der breiten Öffentlichkeit ausreichte, um ihnen ihre “Streiche” nachzusehen. Die Logik der allgemeinen Dynamik politischer Prozesse in der Ukraine liegt in der Polarisierung der Gesellschaft und der Radikalisierung des Gegensätzlichen, was direkt zu einer derartigen selektiven Wahrnehmung bzw. Blindheit führt. Der Fall der “Patrioten aus Sumy” ist leider kein Einzelfall, sondern symptomatisch. Ein anderes Beispiel für diese Erscheinung ist der Prozess gegen die sogenannten “Terroristen aus Wassilkow”.

Zur Erinnerung: Es handelt sich um die Anführer einer neonazistischen Gruppierung mit dem Namen “Patriot der Ukraine” aus der Stadt Wassilkow im Gebiet Kiewer, die der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen angeklagt sind. In dieser Sache kamen die Namen Igor Mosseitschuk und Sergei Bews (beide Abgeordnete des Stadtrates von Wassilkow) an die Öffentlichkeit. Nach ersten Angaben der Strafbehörden bereiteten die nationalen Extremisten einen terroristischen Anschlag vor, der entweder im Zentrum Kiews oder aber direkt in Wassilkow während der Feierlichkeiten zum Tag der Unabhängigkeit verübt werden sollte. Später kamen die Ermittlungen zu der Version, dass die Nationalisten ein Lenindenkmal in einer der Städte des Kiewer Gebiets sprengen wollten.

In der Strafsache der “Terroristen aus Wassilkow” findet man eine Menge an seltsamen Dingen. Die gerichtliche Untersuchung dauert noch an, es gibt keine umfassenden Informationen. Mir persönlich scheint die Version am glaubhaftesten, wonach der Sprengsatz dort, wo er gefunden wurde, absichtlich hinterlassen worden war, sollte ein tauglicher Sprengsatz überhaupt jemals existiert haben. Das lenkt jedoch nicht von der neonazistischen Ideologie und dem extremistischen Charakter der Organisation “Patriot der Ukraine” ab, die nicht nur systematisch zur Feindschaft zwischen den Nationalitäten beitrug, sondern auch Gewalt gegen Vertreter nationaler Minderheiten und politische Opponenten gebrauchte.

Die Angeklagten wurden und werden der Teilnahme an vielen rein kriminellen bzw. politischen Verbrechen verdächtigt, wie man aus den zumeist regionalen Medien erfahren kann. So wurde zum Beispiel I. Mosseitschuk bereits schon einmal verurteilt, ein anderer Aktivist der Organisation, der wegen Verdachts auf Teilnahme an der Vorbereitung des besagten Anschlags festgenommen worden war, wurde früher bereits zweimal verurteilt. Laut zahlreichen Zeugenaussagen der Bewohner von Wassilkow wurden die Aktivisten von “Patriot der Ukraine” von I. Mosseitschuk angeführt, der den Kontakt zwischen dem neonazistischen Aktiv und den Stadtbehörden sowie kriminellen Kreisen herstellte. Bei den Regionalwahlen 2010 nahmen sie aktiv an der physischen Einschüchterung oppositioneller Kandidaten, Beobachter, Journalisten und anderen regionalen Aktivisten teil, die versuchten, Kontrolle über den Verlauf der Wahlen zu gewinnen und Fälschungen zu verhindern. Die Neonazis wurden dann selbst Abgeordnete des Stadtrates.

Meiner persönlichen Meinung nach war die Zeit für die Strafbehörden schon lange reif, sich mit den Handlungen der durch ihre Unantastbarkeit beseelten nationalen Extremisten zu beschäftigen, auch wenn die konkrete Anklage nicht vollkommen gerechtfertigt sein sollte. In den Augen vieler handelt es sich dabei allerdings um eines von vielen Beispielen für Repressionen der Behörden gegenüber der ukrainischen Opposition und den Patrioten. “Freiheit für die Patrioten von Wassilkow!” wird auf den Meetings der Opposition standardmäßig skandiert, vorher waren es “Freiheit für Julija Timoschenko!” und “Freiheit für Jurij Luzenko!”.

Erwähnenswert ist, dass neben den “Terroristen aus Wassilkow” in der gesamten Ukraine in den letzten zwei Jahren etwa gegen zehn Schlüsselfiguren von “Patriot der Ukraine” Ermittlungen laufen bzw. sie bereits in Haft sind, darunter die Führung der Gruppierung aus Charkow. Sie alle sind angeklagt bzw. wurden bereits verurteilt, allerdings nicht wegen politischer Aktivitäten oppositionellen Charakters, sondern wegen konkreter Verbrechen wie geplanter Mord und Mordanschlag. Aus ihnen versucht man ebenfalls “Opfer politischer Repressionen” zu machen, der Erfolg ist jedoch geringer und ihre Prozesse sind weniger bekannt, als die oben genannten. Unter denen, die “für ihr Gewissen” inhaftiert wurden, befindet sich nicht nur der Führer von “Patriot der Ukraine” Andrej Bilezkij, zu dessen Strafsache es durchaus noch Fragen gäbe, sondern auch der Aktivist Aleksej Parschakow aus derselben Gruppierung, der bei einem gewöhnlichen Streit in einer Kneipe in einem Ferienort einen Menschen umgebracht hat.

Wie im Falle der “Patrioten aus Sumy” kann es nicht sein, dass die Mehrheit der Teilnehmer der Kampagne zur Unterstützung der “Terroristen aus Wassilkow” nicht den eigentlichen Charakter der Organisation kennen. Im Gegenteil: Als vor einigen Jahren eine Kolonne von “Patriot der Ukraine” zusammen mit Vertretern von Dmitrij Kortschinskijs “Bruderschaft” erfolglos versuchten sich vom Gebäude des Geheimdienstes zum Unabhängigkeitsplatz in Kiew durchzuschlagen, wurden sie von den heutigen Fürsprechern S. Bews und der “Terroristen aus Wassilkow” als Provokateure bezeichnet. Nun hat sich aber der politische Kontext geändert und sie wurden zu Nationalhelden.

Einfach deshalb, weil sie für die Ukraine, für die nationalen Werte und Identität und gegen die “antiukrainische” Staatsmacht der Okkupanten sind. Obwohl die weniger radikalen Konkurrenten der Extremisten aus der nationalen Bewegung in einigen Situationen selbst Opfer von Angriffen durch “Patriot der Ukraine” wurden, verteidigen sie heute die, die “für ihr Gewissen” inhaftiert wurden.

Ähnliche Beispiele könnte man leider noch zu Dutzenden anführen. Ich habe mich darauf beschränkt, nur einige Bruchstücke des Mosaiks zu beleuchten, die zusammengenommen ein schlimmes Bild abgeben. Die nicht in jedem Falle korrekten bzw. Fragen hervorrufenden Handlungen der Strafbehörden, die gegen Rechtsextremisten gerichtet sind, führen in der Öffentlichkeit zu einem Mitgefühl vonseiten der oppositionell eingestellten Teile der ukrainischen Zivilgesellschaft. Es ist paradox, doch eben dieses Mitgefühl ist äußerst hilfreich für die Staatsmacht, da es ihr die Möglichkeit eröffnet, die Opposition im Ganzen, oder wenigstens ihren aktivsten Teil, in der Propaganda als nationalistisch und extremistisch darzustellen. Das wiederum erlaubt der Staatsmacht, der internationalen Gemeinschaft eine Begründung für autoritäre und repressive Maßnahmen zu liefern, die gegen die politische Opposition in der Ukraine gerichtet sind und die die bürgerlichen Freiheiten außer Kraft setzen. So ist es auffällig, dass praktisch alle aktiven Teilnehmer ziviler Protestaktionen, die wegen gesetzeswidriger Handlungen juristisch zur Verantwortung gezogen werden, Aktivisten rechtsradikaler Gruppierungen sind, von den Teilnehmern an den Protesten gegen das neue Steuergesetz, über diejenigen an den Massenaktionen nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Amtssprachen der Ukraine bis hin zu den Demonstranten, die Vertreterinnen der Partei der Regionen bei ihrem Meeting vor dem Parlament am 2. April 2013 mit Schnee und Eis bewarfen.

Letztendlich entwickelt sich in den Schichten, die eigentlich weit davon entfernt sind, mit den Ansichten der nationalen Extremisten bzw. den inhaftierten und verurteilten Ultrarechten zu sympathisieren, ein richtiger Kult der “politischen Gefangenen” und der “Opfer der Repressionen vonseiten des Regimes”. Xenophobe, die schwerer Verbrechen im Zusammenhang mit Gewalt usw. verdächtigt werden bzw. dafür verurteilt wurden, werden nicht nur in extremistischen, nationalen Kreisen heroisiert, sondern auch innerhalb viel breiterer oppositioneller Kreise.

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Im Rahmen des aktuellen politischen Kontexts sind “Wir” immer im Recht und die “Feinde” werden nicht mehr als Wesen wahrgenommen, mit denen wir biologisch verwandt sind. Die Logik der Konfrontation gibt diese gnadenlose und primitive Weltsicht ohne Schattierungen vor.

In dieser Situation ist nicht nur ein zivilisierter Dialog oder ein Kompromiss zwischen den gegensätzlichen Parteien unmöglich, sondern es fehlt auch jede gesellschaftliche Nische, die es erlaubt, sich nicht für eine der beiden Seiten positionieren zu müssen. An der Linie der Fronten ist Selbstkritik unangebracht. Dabei fasst der größte Teil der Gesellschaft die Situation in ethnisch-politischer Terminologie. Die ausdrucksvolle Phraseologie der Meetings verdeutlicht die Spannung: Die Opposition führt einen nationalen Befreiungskampf, die wahrhaften Patrioten müssen sich im Kampf gegen die ukrainophobe Staatsmacht zusammenschließen usw.. Die Hysterie wird jedoch auch in der offiziösen Rhetorik der Staatsmacht angekurbelt: “Unterstützung faschistischer Kämpfer”, “demonstrativer politischer Terrorismus und Wiedergeburt des Faschismus”.

Es ist anzunehmen, dass die Hysterie durch die Schemata der wiederholten Informationskampagnen noch wachsen wird, je näher die Präsidentschaftswahlen rücken. Ich bemühe mich, die Situation nicht zu dramatisieren, trotzdem scheint mir, dass die Gesellschaft Gründe zur Besorgnis hat. Die nationale Exaltiertheit, die durch die scheinbare Bedrohung der eigenen Identität genährt wird, auf der einen Seite und die Bereitschaft zu provozieren und das “Aufschäumen” der nationalen Gefühle zu nähren und auszunutzen auf der anderen Seite können zu wirklich katastrophalen Folgen führen. Die Gesellschaft gerät in einen Kreislauf von gegenseitiger Verbitterung und Hass.

Ich sehe nichts, was diesen Prozess noch aufhalten könnte.

6. April 2013 // Wjatscheslaw Lichatschow für die Zeitung Hadashot

Quelle: Eurasischer Jüdischer Kongress

Übersetzer:   Alexander Hering — Wörter: 2732

Magister in Ostslawistik und Osteuropäischer Geschichte; Fernstudium DaF; DAAD-Sprachassistenz in Kiew von 2011-2012; Übersetzer bei den Ukraine-Nachrichten seit 2010; Dolmetscherpraktikum beim Europäischen Jugendwerk 2011; Dozent für Russisch an der Universität Leipzig seit Oktober 2012; seit Dezember 2012 Staatlich geprüfter Dolmetscher für die russische Sprache im Fachgebiet Wirtschaft, freiberuflicher Übersetzer/Dolmetscher.

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