Die Neuaufteilung der Ukraine
Erstaunlicherweise versuchen bis zum jetzigen Zeitpunkt viele zu erraten, welche Ziele genau Putin im Zusammenhang mit der Ukraine verfolgt. Kuriose Fragen werden gestellt: Wozu benötige Putin den armen Donbass? Die Krim sei nachvollziehbar, aber der Donbass? Sicherlich, um den Einsatz vor den Gesprächen in Genf zu erhöhen. Dies zumindest ist die populärste Version.
Politologen saugen sich komplizierte Hypothesen aus den Fingern, die erklären sollen, was Putin will und was nicht. Das ist Selbsttäuschung oder der Versuch, das Gewünschte als Tatsachen zu verkaufen.
Das Ziel Putins ist klar und er bewegt sich zielstrebig in die entsprechende Richtung.
Es existierte doch wirklich ein Plan zur Aufteilung der Ukraine entlang des Dnjeprs mit einem kleinen Schlenker im Süden. Im Kreml hatte man längst begriffen, dass man nicht die gesamte Ukraine unter Kontrolle bekommt, auch nicht unter einem prorussischen Präsidenten. Daher hatte Moskau angefangen, sich auf massive politische Destabilisierungen für die Jahre 2015 bis 2017 vorzubereiten.
Der Maidan hat lediglich die Karten neu gemischt und alles beschleunigt.
Es ist bereits jetzt offensichtlich, dass das Ziel Putins und der jetzigen Machtspitzen in der Spaltung der Ukraine besteht. Und je eher man in der Ukraine das Ausmaß der Bedrohung erkennt, desto geringer werden die Verluste.
Bis zum letzten Augenblick hätte man an den gesunden Menschenverstand glauben und davon ausgehen können, dass Russland sich nicht in dieses gefährliche Abenteuer stürzen und keine Truppen in die Ukraine schicken und sich stattdessen auf politischen Druck und die Bindung loyaler politischer Kräfte beschränken würde.
In Russland gibt es Menschen, die glauben, dass der „ukrainische Feldzug“ russischen Interessen entgegensteht und das Land in eine schwere Krise führen kann, wenn nicht sogar zu einem neuen Zusammenbruch. Bis es allerdings soweit ist, sagen wir in 5-10 Jahren, könnte die Ukraine vollständig von der Karte Europas verschwunden sein. In den heutigen Grenzen ganz sicher.
Sollen sich die Russen um ihre eigenen Probleme kümmern, die Ukrainer sollten sich auf die entstandene Gefahr konzentrieren.
Schauen Sie sich die erste Abbildung an. Wenn Sie „Plan Putins in Bezug auf die Ukraine“ in eine Suchmaschine eingeben, werden Sie unter den ersten Suchergebnissen genau diese Karte erhalten.
Die Regionen, die an Russland fallen könnten, sind rot markiert. Beispielsweise als Südöstliche Republiken oder als neue russische Gouvernements, die mittels einzelne Referenden an Russland angegliedert werden.
Es gibt noch eine bescheidenere Variante – Abbildung 2.
Hier ist eine zersplitterte Ukraine zu sehen, einige zentrale Oblaste und die Hauptstadt Kiew fallen hier nicht in die russische Zone.
Stellen Sie sich vor, dass Wladimir Putin jeden Tag auf diese Karten schaut. Er ist davon überzeugt, dass diese Mission die Mehrzahl der russischen Probleme in Osteuropa lösen wird.
Putin benötigt nicht drei Oblaste im Osten, sondern den gesamten Südosten mit Zugang zu Moldawien und Transnistrien. Das ist mit einigen Abweichungen faktisch eine Wiederholung des Ansatzes Katharinas der Großen.
Indem die Ukraine sichelartig von unten eingenommen wird, schneidet sich Russland in den ost- und zentraleuropäischen Raum. Kontrolliert vollständig das Schwarze Meer, Moldawien, verschafft sich Zugang zu Bulgarien. Die Ukraine verwandelt sich in einen drittrangigen, von allen Seiten isolierten Staat ohne irgendein ökonomisches Potenzial.
Glauben Sie, dass Putin durch die Sanktionen Europas und der USA gebremst werden kann? Das ist eine verhängisvolle Fahrlässigkeit!
Nach der Krim, die Moskau nicht nur einfach, sondern ermutigend einfach zugefallen war, hat Russland einfach die Truppen verlagert. Und kann jederzeit zuschlagen.
Der erste Schritt – Destabilisierung der östlichen Regionen der Ukraine. Dies können wir zum jetzigen Zeitpunkt im vollen Umfang beobachten.
Der zweite Schritt – eine Invasion mit einem restringierten Truppenkontingent zum Schutz der friedlichen Bevölkerung vor den außer Kontrolle geratenen „Banderowzy“ ist nicht auszuschließen. Beispielsweise die Tage um den 10-11. Mai, wenn in verschiedenen ukrainischen Städten Nationalisten „Überfälle“ auf Veteranen des großen Vaterländischen Krieges „organisieren“ werden.
“Unsere Großväter haben uns vorm Faschismus beschützt, jetzt sind wir an der Reihe!”, wäre doch eine perfekte Losung für eine groß angelegte Militäroperation.
Daher dreht sich in den russischen Medien jede Nachricht um ein geschändetes Denkmal oder eine abgerissene rote Flagge. Damit wird den prorussisch gesinnten Bewohnern des Südostens der Ukraine in die Hände gespielt.
In der Nachrichtensendung von Kanal 7 wiederholte ein Journalist, während er von einer unbedeutenden Auseinandersetzung in der Nähe des Büros der Kommunistischen Partei wegen der roten Flagge berichtete, fünfmal mit Pathos, dass das „Banner des Sieges“ geschändet worden war. Nicht die rote Flagge der Kommunisten, nein, das „Banner des Sieges“!
All diejenigen, die uns vom fehlenden Ernst dieser Absichten überzeugen wollen, sind entweder dumm oder Agenten.
Analytiker drohen Russland mit dem ökonomischen Zusammenbruch, europäischen Sanktionen, China und einem Partisanenkrieg auf den Zugangswegen zu Kiew. Früher wurde mit einem Krieg auf den Zugangsstraßen zu Donezk gedroht.
Briefe an das russische Volk von ukrainischen Freunden kann man bereits nicht mehr durchstöbern. Man braucht auch keine Briefe mehr zu schreiben, sie werden dort eh nicht gelesen. Die russische Gesellschaft befindet sich in einem militaristischen Taumel, weshalb Briefe des Friedens aus der Ukraine als Ausdruck der Schwäche wahrgenommen werden, während erboste Drohbriefe zusätzlich anstacheln.
Putin und Russland werden genau dort haltmachen, wo es ihnen die Ukrainer erlauben. Bislang gewinnt man aus Moskau den Eindruck, dass dies in Kiew sein wird.
Hat die jetzige ukrainische Führungsspitze einen Plan? Einen politischen, ökonomischen, militärischen, zumindest ideologischen.
Sind die neuen Machtspitzen der Ukraine in der Lage, das Blatt zu wenden? Proaktiv zu agieren, und nicht hilflos auf die russischen Offensiven zu reagieren?
Wobei auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig, synchron und mit gleichbleibender Beharrlichkeit in verschiedenen Bereichen agiert werden muss.
Die politische Krise militärisch zu lösen, ist praktisch unmöglich.
Russland hat zwei Tschetschenienkriege überstanden und erreichte dennoch eine Befriedung Tschetscheniens durch gigantische Zugeständnisse und Bestechungen der lokalen Eliten.
Der Osten der Ukraine befindet sich momentan in einer emotionalen Sublimation, ähnlich wie der Maidan Anfang Dezember letzten Jahres. Zu der Zeit hätte Janukowitsch noch Zugeständnisse machen und seine Macht erhalten können, aber er hat Zeit vergeudet, die Gefahr unterschätzt und innerhalb von wenigen Monaten alles verloren.
Jetzt sollte Kiew die Situation nüchtern betrachten, das Gesamtbild erfassen und nicht darauf hoffen, dass Moskau plötzlich das Feld räumt.
Es geht bereits nicht mehr um Janukowitsch oder Achmetow. Diese sind lediglich Werkzeuge im großen russischen Spiel.
Wir müssen uns unbedingt selbst fragen, ob wir bereits sind, um den Osten und Süden der Ukraine zu kämpfen. Für den Süden – zumindest scheinbar – ja, aber für den Osten?
Wie oft bekam man in Kiew von progressiven Leuten folgende verärgerte Aussage bezüglich des Donbass zu hören: „Sollen sie doch nach Russland gehen, wenn sie das wollen, dann stören sie uns wenigstens nicht dabei, europäisch zu leben!“ Naja, oder soll sich doch Lugansk abspalten, aber der Donbass ist trotz allem ukrainisch.
Sind die Ukrainer wirklich bereit, für den Osten zu kämpfen?
Diese Frage muss, vor allem sich selbst gegenüber, ehrlich beantwortet werden. Man kann auch hören, dass man im Osten nicht kämpfen kann und wird, aber Kiew nicht aufgegeben wird. Aber danach wird bald auch niemand mehr fragen, nach der Abtrennung des Ostens!
Indem auch nur ein Fußbreit des eigenen Bodens aufgegeben wird, riskiert ihr, alles oder beinahe alles zu verlieren.
Man muss sich doch nur anschauen, wie Russland an den Kurilen festhält. Es scheint, dass man in der Ukraine bereit ist, ganze Regionen zu verspielen. Möglicherweise ist dies ein Resultat dessen, dass sich die ukrainische Nation bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht konstituiert hat. Es gibt Ukrainer des Westens, des Zentrums und des Ostens, aber zusammen bilden sie noch keine Nation, sondern eine Gemeinschaft aus Russisch- und Ukrainischsprachigen.
Es existiert einfach noch keine ukrainische Nation bzw. diese ist in den existierenden Grenzen noch nicht bewusst, das Territorium ist einfach zu groß, das Territorium des heutigen ukrainischen Staates.
Es ist möglich, dass die Ukrainer aus diesem Krieg als Nation hervorgehen. Mit Glück vielleicht auch in den heutigen Grenzen. Aber dafür müsste man buchstäblich über sich hinauswachsen, die gesamten intellektuellen und physischen Kräfte des Volkes einsetzen.
Der Osten fordert für sich Garantien und zusätzliche Rechte. Also, redet mit den Menschen, schleicht euch nicht buchstäblich aus Donezk, Lugansk, Odessa, Cherson. Erklärt euch bereit, die beinahe gesamte Macht an die Regionen abzugeben. Hört zu, überzeugt, stimmt um.
Schließlich führt ein Referendum durch. Zwei Fragen:
- Sind Sie für eine Föderalisierung und Aufspaltung der Ukraine in Regionen?
- Sind Sie für eine geeinte Ukraine mit starken Rechten aufseiten der Regionen?
Ihr wünscht kein Referendum, dann führt eine Verfassungsreform und eine Reform zur lokalen Selbstverwaltung durch, aber erklärt den Menschen jeden Tag, wenn’s sein muss stundenlang, was wie ihr plant, damit diese nicht aufschrecken und in alle Richtungen davonlaufen.
Fühlt eure eigene Stärke, kämpft! Nein? Dann gebt auf und geht in die im Voraus vorgesehene Ecke.
Aber macht bitte keine Politik, intrigiert nicht gegeneinander. Das sind alles Sandkastenspiele. Die Einsätze sind bereits höher als das Leben.
Jetzt ist nicht wichtig, wer der nächste Präsident der Ukraine wird, entscheidend ist, ob es überhaupt eine Ukraine geben wird.
Die Ukraine verliert auf ganzer Linie den Informationskrieg gegen Russland. Die russische Propaganda beherrscht nicht nur den Osten der Ukraine, sondern auch Europa. Kürzlich hat ein Autor in Warschau von Freunden gehört, dass die Scharfschützen auf dem Maidan in verschiedene Richtungen geschossen haben sollen. In Warschau!
Diejenigen, die auf dem Maidan waren, wissen sehr genau, dass die Scharfschützen von Janukowitsch kamen und ihre Befehle vom Innenminister Sachartschenko erhielten. Nun, holt doch für die Untersuchung der Ereignisse internationale Experten der NATO oder Interpols! Diese werden nicht zur Unterstützung benötigt, weil ukrainischen Experten unfähig sind, sondern zur Legitimierung der Untersuchungsergebnisse, damit die Welt diesen glaubt.
Im Land ist alles momentan nicht besonders einfach – der Hrywnjakurs fällt, die Menschen leiden und sind verärgert. Aber die ukrainische Wirtschaft war bereits vor dem Maidan am Rande des Abgrunds. Noch im vergangenen Herbst haben alle mit dem Staatsbankrott der Ukraine gerechnet. Also erzählt und zeigt jeden Tag, wohin das „goldene Brot“ (gemeint ist Wiktor Janukowitsch, in dessen Residenz ein vergoldeter Brotlaib gefunden wurde, A. d. R.) mit seiner Familie das Land geführt hat.
Erzählt den Menschen, welche Reformen durchgeführt werden sollen und wann mit einem positiven Effekt zu rechnen ist. Genug mit dem Geklüngel um Posten und der Besetzung dieser mit unfähigen Leuten, nur weil diese doch angeblich „echte Patrioten“ sind. Morgen bereits wird es nichts mehr geben, um das man feilschen könnte.
Fehlt es an gescheiten Fachkräften? Dann gewinnt entschlossene junge Menschen. Insbesondere im militärischen Bereich. Es ist doch offensichtlich, dass die übergewichtigen Generäle und dickwanstigen Oberste versagen. Fördert die Jungen und Forschen, gebt ihnen Raum zur Verwirklichung.
Fehlt es an intellektuellen Ressourcen? Gewinnt für die Alltagsanalysen Spezialisten aller Couleur, Journalisten, Funktionäre, nischenspezifische Experten. Jetzt ist nicht die Zeit für Marotten und Erholung. Dem Land bleibt so gut wie keine Zeit, ein bis anderthalb Monate.
Und wenn die Ukraine geeint sein soll, nehmt euch an die Hände, findet euch im Westen und im Osten, telefoniert miteinander, besucht einander. Es gab doch einen solchen Versuch im Vorfeld der Annexion der Krim, aber dieser wurde irgendwie vergessen, anscheinend wurde entschieden, dass das Schlimmste bereits vorbei sei.
Dabei hat alles erst begonnen.
14. April 2014 // Pawel Scheremet
Quelle: Ukrainskaja Prawda