Nord Stream, South Stream und andere Heldentaten Gazproms
Projekte von Umgehungsgaspipelines wie Nord Stream und, in erster Linie, South Stream gelten in den russisch-ukrainischen Gasverhandlungen in letzter Zeit als Hauptargumente für die russische Seite, um Druck auf Ukraine auszuüben. Das Kernkalkül der Drohung ist einfach: ein Betrieb dieser beiden Pipelines mit voller Kapazität, also mit einem Durchflussvolumen zu Vorkrisenmengen des Transits des russischen Erdgases über die Ukraine (118 Mrd. Kubikmeter), würde die Ukraine praktisch ohne Transitgas lassen. Deshalb soll Ukraine für eine Verminderung des Gaspreises den Großteil oder gar sein ganzes Gastransportsystem an Gazprom abtreten oder zu einem symbolischen Preis verkaufen.
Nehmen wir doch mal die Stärke der russischen Argumente vor dem Hintergrund einer Inbetriebnahme auch nur des ersten Bauabschnitts von Nord Stream, eines endgültigen Verkaufs des weißrussischen Gastransportsystems an die russische Gazprom, des Standpunktes der EU in Bezug auf South Stream und der Gastransitsituation insgesamt, näher unter die Lupe.
Die Hauptgefahr für einen Transit über die Ukraine stellt gerade South Stream dar. Ihr Schicksal hängt wiederum von der Strenge ab, mit der die EU-Kommission die Umsetzung der eigenen Gesetze kontrolliert. Jene steht nämlich unter Druck der einzelnen Regierungschefs der führenden Mitgliedsstaaten der Union, wie auch der transnationalen Energiekonzerne und, natürlich, Russlands.
Nord Stream: Ging die erste Charge vorbei?
Der pompöse Start des ersten Zweigs von Nord Stream schreckte die Ukraine nicht im Geringsten. Die Mehrheit der Ukrainer haben eine so weit von ihnen entfernte Gaspipeline nicht mal wahrgenommen. Experten allerdings filterten aus den Nachrichtentickern schnell die Zahl 22 Mrd. Kubikmeter für neu abgeschlossene Verträge mit Gazprom heraus. Durch einfache Subtraktion dieses Volumens aus der Maximalkapazität der Pipeline von 27,5 Mrd. Kubikmeter erhalten wir 5,5 Mrd. Kubikmeter: das ist das theoretisch mögliche Gasvolumen, um das die ukrainische Transitmenge verkleinert werden kann.
Es handelt sich also nicht um die 20 Mrd. Kubikmeter, von denen Wladimir Putin gesprochen hat. Und es ist noch lange keine beschlossene Tatsache, dass der Start des zweiten Zweigs von Nord Stream die Ukraine um dieses Transitvolumen bringen würde. Berücksichtigt man aber, dass der Bau des zweiten Zweigs von Nord Stream schon zu 70% vollendet ist, dann ist die Gefahr für den ukrainischen Gastransit wirklich gegeben. Auf das tatsächliche Gefahrenausmaß werden viele Faktoren Einfluss nehmen.
Folgende Faktoren können diese Gefahr vermindern: eine Verschlimmerung der Eurokrise, eine Erhöhung der Rohöl- und damit auch Erdgaspreise, eine Erhöhung der Importe russischen Erdgases zu ermäßigten Preisen, der Beginn der industriellen Förderung von Schiefergas in Europa oder die Unterzeichnung zusätzlicher Verträge.
Verstärkt werden kann diese Gefahr durch die Willfährigkeit Gazproms bezüglich seiner Preise für europäische Verbraucher, den Bau von Kraftwerken mit Gas als Treibstoff als Ersatz z.B. für abzuschaltende Atomkraftwerke.
Damit einhergehend wird in Richtung Nordeuropa ein Überschuss an Transportkapazitäten seitens Russland geschaffen (das Durchflussvolumen von Beltransgas, der Pipeline Jamal – Europa und von Nord Stream wird 100 Mrd. Kubikmeter überschreiten), die nicht hinreichend mit Abzweigungen und Verteilern ausgestattet sind. Mehr noch, für eine Versetzung der Gasvolumina vom ukrainischen Hoheitsgebiet ist es notwendig eine Vielzahl von Verträgen in ganz Europa umzuschreiben, darunter auch mit Ukraine, was nicht so einfach zu machen wäre.
Pauschal kann die volle Kapazität von Nord Stream im Jahr 2015 erwartet werden. Und nur dann wird man die Größenordnung einer Neuausrichtung der Gasversorgung Europas abschätzen können.
Nord Stream hat Europa geteilt, da das Projekt gegen den Willen Polens und der baltischen Staaten umgesetzt wird, deren Interessen im Laufe des Projekts nicht berücksichtigt wurden. Nur dank des Gewichts Deutschlands innerhalb der Europäischen Union gelang es im Jahr 2000 eine Entscheidung der EU-Kommission „durchzudrücken“, dass dieses Projekt in die Liste der transeuropäischen Netze der EU aufgenommen wird. Eine nicht unwichtige Rolle dabei haben auch die persönlichen Beziehungen zwischen dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gespielt.
Zweifellos konnte es dabei nicht ohne Frankreich zugehen. Die „Gasachse“ Paris-Berlin-Moskau existiert bis heute, und ein Zeugnis dafür ist der Bau der politischen Gaspipeline Nord Stream und der Versuch South Stream durchzudrücken.
Ein „Integrationsrabatt“ für Weißrussland: „Wer denkt sich da was aus?“
Am 25. November 2011 haben die Unternehmen Gazprom und Beltransgas in Moskau, in Anwesenheit der Staats- und Ministerpräsidenten Russlands und Weißrusslands, Gaslieferverträge für die Republik Belarus und den Transport von Erdgas über das weißrussische Hoheitsgebiet für die Jahre 2012-2014 unterzeichnet. Außerdem unterzeichneten Gazprom und der Staatliche Vermögensausschuss Weißrusslands einen Kaufvertrag über die verbliebenen 50% der Aktien von Beltransgas zu demselben Preis wie die vorherigen 50%, die im Jahr 2007 für 2,5 Mrd. USD an Gazprom verkauft wurden. Laut dem Vertrag wird der Gaspreis für Weißrussland für die Dauer des Jahres 2012 auf 165,5 USD pro 1.000 Kubikmeter fixiert.
Zwischen 2013 und 2014 wird der Gaspreis für Weißrussland gemäß einem Index berechnet werden. Dieser berücksichtigt den von der russischen Tarifbehörde regulierten Gaspreis für Verbraucher im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen (Region im hohen Norden Russlands), Transportkosten des Erdgases aus dieser Region bis zur russisch-weißrussischen Grenze, Lagerkosten in russischen unterirdischen Lagerstätten, sowie die Vertriebskosten von Gazprom über sein Verteilernetz. Auch ist eine Inflationsanpassung der in den Index eingehenden Einflussfaktoren vorgesehen. So wird der Gaspreis bis zur weißrussischen Grenze berechnet.
Schon in Weißrussland selbst wird vom 1. Januar 2012 der „Gazprom-Aufpreis“ von 19,95 USD pro 1.000 Kubikmeter für die Kompensation von Ausgaben und Investitionen des Monopolisten gelten. Im Folgenden wird dieser Aufpreis von der Republik Belarus selbst bestimmt, darf aber nicht 11,09 USD für 1.000 Kubikmeter unterschreiten. Außerdem wird Erdgas in Weißrussland von Beltopgas vertrieben werden, welche auch Preisaufschläge für ihre Dienste festlegen wird.
Man kann davon sprechen, dass für einen 100%-Erhalt des weißrussischen Gastransportsystems Moskau wesentliche (wenn auch nur vorübergehende) ökonomische Zugeständnisse in Kauf genommen hat. Minsk wird im nächsten Jahr einen ziemlich geringen Gaspreis zahlen, fast um eineinhalbmal weniger als es in 2011 gezahlt hat (und etwa halb so viel wie die Europäer).
Zugleich kann man nicht sagen, dass Minsk denselben Preis wie die Verbraucher in den russischen Regionen zahlen wird. Für die Jahre 2013-2014 wird in dem Preisbildungsindex der niedrigste Gaspreis in Russland berücksichtigt, der in der besagten Region im hohen Norden Russlands (Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen) gilt. Zur Zeit beträgt der Tarif für industrielle Verbraucher ca. 70 USD pro 1.000 Kubikmeter, für die Bevölkerung ca. 65 USD, und in Moskau entsprechend 130 und 88 USD.
Gleichwohl wird sich der Gaspreis für Minsk in dieser Periode um die Gesamtkosten erhöhen: für den Transport (ca. 90 USD bei einem Tarif von 2,7 USD für den Transit von 1.000 Kubikmeter über 100 km auf einer Strecke von 3.262 km), Lagerung (6,2 USD für 1.000 Kubikmeter) und den Vertrieb von Erdgas (1-2 USD für 1.000 Kubikmeter). Im Ergebnis wird das Gas in Weißrussland unter Berücksichtigung des jährlichen Anstiegs der Gaspreise in Russland mehr als 200 USD für 1.000 Kubikmeter kosten, was etwa das Zweifache des durchschnittlichen Gaspreises für Verbraucher in Russland ist.
Die dargestellte Berechnungsmethode des Preises für Weißrussland wird nur bis zum 1. Januar 2015 gelten, bis zu dem Zeitpunkt, wenn Russland vorhat, die Preise im Landesinneren bis auf das Niveau der Ertragsgleichheit mit den Exportpreisen für das „Gazprom-Gas“ anzuheben. Wenn dieser Übergang gelingt, dann wierde der Gaspreis für Minsk „auch ertragsgleich“ werden, erklärte am 28. November der russische Premier Putin.
Auf der Sitzung des Obersten Sowjets der Russisch-Weißrussischen Union am 25. November 2011 erhielt Minsk noch einige „Zuckerbrote“. Erstens werden die Schulden für das verbrauchte russische Gas restrukturiert. Zweitens wird Moskau einen Kredit in Höhe von 10 Mrd. USD für den Bau des ersten Atomkraftwerks in Weißrussland gewähren. Putin, der an der Sitzung des Obersten Sowjets teilnahm, bezeichnete den Gaspreis für Weißrussland als einen „Integrationsnachlass“.
Wer hat also gewonnen? Scheinbar niemand; das Ergebnis – ein trockenes Remis. Die über viele Jahre gehende Gaskonfrontation der Russen und der Weißrussen ist zu Ende. Man kann nicht sagen, dass das weißrussische Gastransportsystem ein Symbol der Unabhängigkeit der Republik war. Erstens muss Weißrussland als Mitglied der Union mit Russland de jure unabhängig sein. Zweitens war die Hälfte des Netzes ohnehin schon in Händen von Gazprom. Dem Land wurden niedrige Gaspreise gewährt, aber nur bis 2015, was Krisenerscheinungen in dessen Volkswirtschaft abmildern helfen kann. Zugleich waren die weißrussischen Erwartungen eines niedrigen Preises nicht völlig gerechtfertigt, wenn man nicht sagen will: ganz und gar ungerechtfertigt.
Die Russische Föderation ist erhebliche ökonomische Zugeständnisse eingegangen: ca. 2,5 Mrd. USD jährlich, indem sie den Preis nur um etwa 100 USD für 1.000Kubikmeter vermindert hat, um das ersehnte weißrussische Gastransportsystem als Eigentum zu erhalten.
Unter den Bedingungen von Nord Stream hat sich das weißrussische Gastransportsystem für Gazprom strategisch längst entwertet und ist zu einem Fetisch verkommen, so dass der Gasriese beim Transport des Kohlenwasserstoffs in den Norden Europas allein mit sich selbst konkurrieren würde. Der Wert dieses Neuerwerbs für Russland besteht mittlerweile nur für die Umsetzung des veralteten Plans von Putin sogenannte „Parasitenländer“ (d.h. Transitstaaten) loszuwerden und für Ukraine ein Exempel zu statuieren.
Klar ist, dass die Ukraine nicht Weißrussland und alles andere als ein Bündnispartner Russlands ist, so dass Kiew solche Preisnachlässe wie für Minsk nicht erhalten wird. Offensichtlich macht es für die Ukraine keinen Sinn sogar für einen Preisnachlass von hundert Dollar für Gas auch nur einen Teil ihres Gastransportsystems wegzugeben. Selbst einem „Integrationszuckerbrot“ würde es nicht ähneln. Warum sich also davon kaufen lassen?
Was ist gut am South Stream und für wen ist das Projekt gut?
Im Vergleich zur Pipeline Nord Stream, die sich nur zum Teil aus südrussischen Vorkommen speist, soll „South Stream“ 63 Mrd. Kubikmeter Erdgas vom ukrainischen Transit ersetzen. Gerade dieses Projekt droht für Ukraine mit einem Verlust von mehr als 50% des Transitvolumens zu enden. In letzter Zeit kam der Siegeszug dieses Projekts über Europa formal zum Erliegen. Und das hat mehrere Gründe.
- Erstens existiert bis auf den heutigen Tag kein exakt erarbeiteter Entwurf der Pipelineroute. Es gibt lediglich verschiedene Optionen seiner Durchleitung über Bulgarien oder Rumänien, also liegt eine technische oder ökonomische Konstruktionsbasis für das Projekt noch nicht vor.
- Zweitens erlaubt die Türkei keine Durchleitung über ihren Seewirtschaftsraum.
- Drittens begann die EU-Kommission praktische Lösungen zur Umsetzung des für die EU vorrangigen Gaspipelineprojekts „Nabucco“, des Konkurrenten des South Stream zu entwickeln. Denn langfristig soll nur eine Gaspipeline in der Region gebaut werden. Es wird erwartet, das in der nächsten Zeit Verhandlungen der EU mit Turkmenistan und Aserbaidschan über die Unterzeichnung der notwendigen Verträge für die Umsetzung des „Nabucco“-Projekts beginnen.
- Viertens macht Gazprom keine ernsthaften Zugeständnisse in Bezug auf seinen Gaspreis für europäische Energiekonzerne, die große Verluste dafür tragen müssen, gezwungenermaßen das teure russische Gas gemäß ihren vertraglichen Verpflichtungen zu kaufen und nicht einen günstigeren der Weltrohstoffkonjunktur entsprechend.
- Fünftens lehnte am 24. Oktober 2011 die EU-Kommission den Vorschlag Gazproms ab, die Pipeline South Stream in das Transeuropäische Gasnetzwerk aufzunehmen. Ein solcher Status würde diesem Projekt erlauben die Gesetzesinitiativen des Dritten Energiepakets der EU zu umgehen.
Es ist klar, dass die EU-Kommission mit dieser Entscheidung nicht zielgerichtet die Ukraine unterstützt hat, sondern Russland zu verstehen gab, dass sie deren eigenes Pipelineprojekt „Nabucco“ fördern werden. Nach mehreren Überwinterungsjahren beginnt die EU nun ihre eigene Energiepolitik zu entwickeln und umzusetzen, nicht nur entgegen äußeren Widerständen , sondern auch den inneren.
- Sechstens – und das ist am wichtigsten – verkompliziert die Verabschiedung des Dritten Energiepakets durch die EU nicht nur die Umsetzung von South Stream, sondern verbietet sie de facto in der Art und Weise, in welcher Gazprom und seine europäischen Partner sie vorsehen.
Heute besteht die fundamentale Kritik des Projekts aus der Forderung einen Anschluss von Drittparteien zur Pipeline zu ermöglichen und den Gastransport vom Gasverkauf durch Gazprom zu trennen. Die Projektteilnehmer hätten untereinander die Höhen der Gasliefermengen schon gänzlich verteilt und damit auch die Durchlassfähigkeit der Pipeline ausgeschöpft. Das ermöglicht keinen weiteren Zugang zum „Rohr“ durch ein Unternehmen, das kein Mitglied am Projekt ist.
Ein freier Pipelinezugang ist aber eines der wichtigsten Elemente des Dritten Energiepakets wie auch einer Sicherstellung des Wettbewerbs insgesamt. Eine Ausnahme gewährt die EU nur für ihre bedeutendsten Projekte, die in das Transeuropäische Netz integriert sind. Diese Integration wurde Gazprom verwehrt.
So sieht es auf den ersten Blick aus, als ob das Projekt South Stream de facto blockiert worden ist. So einfach ist es in Wahrheit nicht. Gazprom und die politische Spitze der Russischen Föderation suchen nach allen möglichen Schlupflöchern in EU-Gesetzen, und versuchen auch über ihre Partner, einige nationale Regierungen und transnationale Energiekonzerne, Druck auf EU-Beamten auszuüben.
Andererseits werden Teile der EU-Richtlinien aus dem Dritten Energiepaket nach und nach umgesetzt und die EU-Gesetzgebung wird zu Gunsten der Wettbewerbsförderung und Monopolmachtbeschränkung von vertikal integrierten Unternehmen vervollkommnet.
Das Dritte Energiepaket steht. Aber Russland ist dagegen…
In das South Stream-Projekt zog Russland mit mehr als zehn Staaten fast ganz Europa ein, sei es über den Weg der Unterzeichnung bilateraler Regierungsverträge, wie auch über das Treffen von Vereinbarungen mit nationalen und transnationalen Konzernen.
Gazprom, auf der Grundlage seiner langjährigen Erfahrung, hat sich daran gewöhnt den Gasmarkt der EU so anzusehen, als wären es Teilmärkte der Nationalstaaten, auf denen dem Gasriesen wohl gesonnene Energiekonzerne agieren würden. Spielregeln in diesen Marktsegmenten werden von Verträgen zwischen dem Lieferanten Gazrprom und den importierenden trans-/nationalen Energiefirmen einzelner Staaten bestimmt. Dabei haben diese Verträge in der Regel einen exklusiven und nicht-öffentlichen Charakter. Die fast schon völlig strenggeheime Arbeitsweise wird vom russischen Gasriesen mit Geschäftsgeheimnis „erklärt“.
So wagte am 7. September die EU-Kommission den Versuch den Schleier der Heimlichkeit in diesem Bereich wenigstens etwas zu lüften. Es wurde ein Papier verabschiedet, dem nach die Koordinierungsrolle der EU in Energiebeziehungen ihrer Mitgliedsländer mit äußeren Partnern verstärkt werden soll. Die vorgesehenen Maßnahmen werden jedes Land daran binden, die EU über den Stand der Verhandlungen vor einem Unterzeichnen der Energieverträge zu informieren.
Das ist nur der erste Schritt in diese Richtung, deshalb ist es noch zu früh über eine Kontrolle des Prozesses der Vertragsbildung durch die EU zu reden, damit die Verträge im rechtlichen Rahmen der europäischen Staatengemeinschaft geschlossen werden. Wenn z.B. die Regierungen in GUS-Ländern mit Hilfe ihrer staatlichen Energiefirmen nach Gutdünken Politik machen, dann ist die Situation in der EU anders. In Europa geben in der Regel private transnationale Unternehmen mit dutzenden Milliarden Euro an Gewinnen nationalen Regierungen „Tipps“, welche Entscheidung abgesegnet und welche verworfen werden soll. Ebenso nicht vom Vorteil für die EU-Kommission ist das heute existierende Diktat des Produzenten oder Besitzers der Energieträger.
Bekanntlich führt die EU-Kommission einen langen und ziemlich harten Kampf mit transnationalen Unternehmen, die in den Mitgliedstaaten der Union tätig sind. Die Annahme der Direktiven des Zweiten wie des Dritten Energiepakets gestaltete sich als schwierig, obwohl die EU-Kommission sich um eine maximale Berücksichtigung aller Äußerungen bemühte.
Russland möchte nicht die Spielregeln der EU-Kommission auf ihrem eigenen Gasmarkt annehmen. In erster Linie ist das Land gegen eine Auftrennung Gazproms nach Geschäftsfeldern. Unglücklicherweise sind die Verhandlungen zwischen EU und Russland in Bezug auf das Dritte Energiepaket ins Stocken geraten. Alle russischen Vorschläge, die vor allem auf eine Schaffung von Ausnahmen für Gazprom gerichtet sind, verwarf die EU-Kommission in sechs Verhandlungsrunden.
Die Kommission zeigt sich abwartend, obwohl sie gegen Gazprom und einige seiner Partner in Europa wegen ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Regeln des EU-Gasmarkts gerichtlich vorgehen könnte. Es existieren Vorwürfe im Bereich der Gewährleistung eines freien Zugangs zu Gastransportnetzen und der Transparenz des Betriebs, eines Verstoßes gegen das Kartellrecht und der Preiserhöhung. Grundlagen für solche Klagen erhielt man sowohl während simultaner Durchsuchungen der Büros von 20 Gasfirmen in zehn Ländern aus der EU als auch anderer Durchsuchungen. Diese wurden größtenteils in Tochterunternehmen von Gazprom in Europa durchgeführt, wie auch in einer Reihe von transnationalen Konzernen.
Die Größenordnung der Untersuchungen beeindruckt zwar; ob allerdings Klagen eingereicht werden, was einer de-facto Kriegserklärung an Gazprom gleich käme, ist eine Frage des politischen Willens der Beamten der EU-Kommission.
2013 – Das Jahr der Jagd der EU-Kommission auf Gazprom?
Gazprom wird einen Beginn der Umsetzung des South Stream-Projekts mit Berücksichtigung der technischen Schwierigkeiten erst nach 2013 vorbereiten können. Zu dieser Zeit wird (ab 3. März 2013) Artikel 11 der Dritten Gasdirektive der EU „Zertifizierung in Bezug auf Drittländer“ in Kraft treten. Von diesem Zeitpunkt an wird eine Nichterfüllung dieser Direktive durch Gazprom dem vertikal integrierten Gasriesen mit einer Strafe in Höhe von bis zu 10% seines Jahresumsatzes drohen. Es sei betont, dass die Rede nicht nur von irgendeiner Tochterfirma innerhalb der Gazprom-Struktur ist, sondern vom Konzern insgesamt, und das würde Dutzende Milliarden US-Dollar bedeuten.
Berücksichtigt man diese Gefahr riesiger Strafen (in erster Linie für Gazprom und erst dann für seine Partner), könnten Investoren, also vor allem westliche Banken, vor einer Finanzierung des South Stream zurückschrecken. Und die Finanzierungspraxis von Energieprojekten dieser Größenordnung sieht so aus, dass 30% der Kosten Energiefirmen selbst tragen müssen und alle anderen Projektkosten über Fremdkapitalgeber finanziert wird.
Einen formalen Anlass zur Untersuchung und der Einreichung einer Klage gegen Gazprom in Bezug auf die Umsetzung von South Stream kann bereits die Inbetriebnahme des ersten Objekts der Pipeline, einer unterirdischen Gaslagerstätte in Serbien, durch den russischen Gasriesen und seinen serbischen Partner Serbiagas am 21. November 2011 liefern. Trotz der verhältnismäßig geringen Bedeutung dieser Lagerstätte für Europa, kann ihre Inbetriebnahme als Baubeginn von South Stream gewertet werden. Da Serbien kein EU-Mitglied ist, kann die Klage nicht gegen das Land, sondern nur gegen eine beliebige westliche Energiefirma eingereicht werden, die an South Stream beteiligt und in einem EU-Mitgliedsstaat tätig ist.
Das ist allerdings nur eine hypothetische Variante, da die EU-Kommission die Umsetzung des Projekts South Stream jederzeit stoppen kann mit der Begründung es würde nicht den Gesetzen der EU entsprechen.
Ukraine: zwischen EU und Russland
Mittlerweile ist die Ukraine kaum noch eine Brücke zwischen EU und Russland, sondern viel eher eine Fähre, die weder am einen noch am anderen Ufer anlegen kann. Europa gibt kein Geld für die Modernisierung des ukrainischen Gastransportsystems, da Ukraine weder Reformen im Gassektor noch Verhandlungen mit Russland in diesem Bereich abgeschlossen hat. Einerseits sind Reformen nicht abgeschlossen, da ein ökonomischer Kooperationsmechanismus mit Russland und der EU in Bezug auf das Gastransportsystem nicht ausgearbeitet ist. Andererseits sind die leeren Kassen des ukrainischen Staates nicht zuletzt den niedrigen Gaspreisen im Landesinneren zu verdanken. Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst und Ausgaben für kommunale Dienstleistungen wie Heizkosten im Winter haben einen großen Anteil am Haushalt. Die Gaspreise werden wegen bevorstehender Parlamentswahlen nicht erhöht. Der IWF seinerseits gibt der Ukraine kein Geld, weil das Land seine Gaspreise nicht nach oben anpasst. In der Folge ergibt sich ein Teufelskreis.
Die Zukunft des Gastransits durch das ukrainische Hoheitsgebiet wie die Struktur des Gassektors des Landes insgesamt hängt in großem Maße von einer Unterstützung durch die EU ab. Wenn in Bezug auf Gazprom doppelte Standards und Ausnahmen angewendet werden, dann kann Gazprom das Gasdreieck EU – Ukraine – Russland in eine gerade Linie verwandeln, die im Grunde ein russisches Rohr sein würde.
Die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland haben sich schon in ein Diktat der russischen Seite verwandelt, zum Teil auch wegen der fehlenden Unterstützung der EU sowohl in Fragen einer Modernisierung des Gastransportsystems als auch beim Einfrieren des Projekts South Stream. Im Ergebnis ist es keinem ukrainischen Präsidenten gelungen den gordischen Knoten der Gasprobleme auseinanderzuwickeln. Ideen eines Auswegs aus der „Gasstagnation“ hat jeder, die beste Lehre darauf liefert nach wie vor eine alte Anekdote: „Eine Idee! Eine Idee! Und wo befinde ich mich?“ Mit anderen Worten ist es für die Ukraine notwendig, sich zunächst geografisch zu orientieren: will sie zu Europa oder zu Asien gehören? Denn die eigentlichen Lösungswege für Gasprobleme liegen schon längst ausformuliert auf dem Tisch.
16. Dezember 2011 // Wladimir Saprykin
Quelle: Serkalo Nedeli