Von Osten wehte ein geheimnisvoller Wind
Die Partei „Udar“ erhielt vor den Wahlen von den Gegnern aus der Partei der Regionen ein günstiges Geschäft von unglaublicher Großzügigkeit. Die Rede handelt von den Wählern der südöstlichen Regionen, welche traditionell die Regionalen unterstützen, aber gegenwärtig von ihnen enttäuscht sind.
Es ergaben sich 2 Alternativen – entweder die Wahlen völlig ignorieren und mit den Füßen abstimmen oder doch seine Stimme den Regionalen geben nach dem Motto „Er ist natürlich ein Hundesohn, aber er ist unser Hundesohn!“.
Gegen die Regionalen zu stimmen gemeinsam mit allen Übrigen gelingt bei diesen Wahlen schon nicht mehr, der Rubrik „Gegen alle“ ist ein langes Leben bestimmt.
Und so kommt es: Im Südosten gibt es hohe Erwartungen an neue politische Kräfte, aber gleichzeitig ein völliges Fehlen von Alternativen zu den Regionalen.
Deswegen ist das Mobilisierungsniveau der Wähler im Osten, Süden und besonders im Donbass im regionalen Querschnitt das niedrigste im ganzen Land. Die Wähler im Westen dagegen stehen bereit, ihre Parteien zu unterstützen.
Warum läuten bei der Partei der Regionen nicht die Sturmglocken wegen der niedrigen Wählermobilisierung in ihren Gebieten? Nun, weil die Wähler der PR (ebenso wie die Wählerschaft der KPU, „Batkiwschtschyna“ und „Swoboda“) trotz allem ohnehin Führende beim Mobilisierungsniveau sind.
Was hätte die PR denn daran gehindert, aufzuschrecken und die Sturmglocken zu läuten? Das Erscheinen eines tatsächlich gefährlichen, aggressiven Rivalen in ihren Hochburgen, den der der Regionalen müde Wähler als den seinen anerkennt und auch bereit ist, ihn aktiv zu unterstützen. Aber ein solcher ist weit und breit nicht zu sehen.
Das künstlich von der Partei der Regionen gestrickte Dilemma „Im Südosten entweder PR oder niemand“ betrachteten die Gesellschaft und die politische Klasse bis zuletzt als Axiom. Und die Partei der Regionen begann bei diesen Wahlen bereits mit der Umsetzung des vielfach bewährten Rezepts der Einfuhr einer garantierten Ernte an Wählerstimmen.
Das Prinzip ist einfach und einwandfrei: Zu erzählen von einer besonderen Verwandtschaft der Ukraine und Russlands, zu versprechen, dass die russische Sprache jeden Augenblick zweite Staatssprache wird, die Rente anheben, sich mit Veteranen treffen und mit ihnen anstoßen, beten mit dem Episkopen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) und/oder mit dem Metropoliten Kyrill, denen man einen Haufen soziale Initiativen vorschlägt.
Wer auf die alte Art?
Im Südosten auf dem Gebiet der PR zu spielen, nach ihren Regeln und Standards, kann für die Konkurrenzparteien nur eine garantierte Niederlage bedeuten. Nicht umsonst drängen die Regionalen allen potenziellen Konkurrenten ihre speziellen, ausschließlich ihnen passenden Kampfregeln auf.
Allein derjenige, der eine alternative, auf einer anderen Ebene gelegene Tagesordnung riskieren und anbieten kann, ist fähig, die PR auf ihrem eigenen Boden zu schlagen.
Aus der Liste der potenziellen Kandidaten für eine solche Rolle kann man sofort die national-demokratisch orientierte Opposition ausschließen. „Batkiwschtschyna“, „Swoboda“, Ruch und anderen oppositionellen Nationaldemokraten liegen die Forderungen der Wähler des Südostens zu sozialem Paternalismus und der Erhebung des Russischen zur zweiten Amtssprache, milde ausgedrückt, nicht gerade besonders nah.
„Enttäuschende und unbestimmte“ theoretische Chancen, seine Tagesordnung anzubringen, besaß bis vor Kurzem Arsenij Jazenjuk als quasi dritte Kraft. Aber nachdem die endgültige Entscheidung zur Vereinigung mit „Batkiwschtschyna“ getroffen wurde, schloss sich das Fenster für diese ohnehin nur hypothetische Möglichkeit.
Einen Spaltbreit geöffnet ist sie für den ehemaligen Führer der SDPU ° Viktor Medwedtschuk. Die Rückkehr der niemals allmächtig gewesenen „grauen Eminenz“ Kutschma in die öffentliche Politik zu Beginn des Wahlkampfes – dies ist ein mehrgleisiges Spiel, dazu noch auf langfristige Perspektive.
Die Neulinge in der ukrainischen Politik, von der PR gewöhnt an heutige Standards der politischen Küche nach dem Motto „denken und handeln von heute auf heute“ und dabei die Unfähigkeit der PR aufnehmend, in einer gewissen vergleichenden, analytischen Mehrgleisigkeit zu denken und zu handeln, können ernsthaft glauben, dass es das Ziel Medwedtschuks ist, für sich ein Direktmandat zu gewinnen.
Derjenige, der die praktische Arbeit dieses „Antikrisen-Managers“ kennt, weiß, welch komplizierte strategische Projekte er in der Lage umzusetzen ist.
Wenn Medwedtschuk juristisch klar formuliert, dass er am Kampf um ein Direktmandat nicht teilnehmen wird, aber dafür seine gesellschaftliche Bewegung „Ukrainskij wybor“ an den Wahlen, dann sagt er die Wahrheit.
Im ersten Fall ist der Gewinn eines Mandats nicht sein Maßstab – aquila non captat muscas (Ein Adler fängt keine Fliege). Im zweiten Fall besitzt die gesellschaftliche Bewegung kein Recht als Subjekt des Wahlprozesses.
Aber wer sagt denn, dass die unter der Kontrolle Medwedtschuks stehenden Leute nicht über Mehrheitswahlbezirke und die Listen anderer politischen Kräfte in das Parlament ziehen? Sie werden dort keineswegs überflüssig sein, wenn die gesellschaftliche Bewegung Medwedtschuks beginnt, zum Beispiel ein Referendum über den Beitritt der Ukraine zur Zollunion zu organisieren. Oder zu anderen, für den Kreml wichtigen Fragen.
Und schon bei den derzeitigen Parlamentswahlen kann der Gevatter Wladimir Putins in den südöstlichen Regionen den Probelauf beginnen, seine neue politische Kraft in Schwung bringen und dabei seine umfangreichen Verbindungen in Russland nutzen sowie seine Fähigkeit, kurzfristig große und schwierige Projekte aufzubauen und umzusetzen.
Dieser Prozess ist technisch schwierig und zeitaufwendig. Aber niemand behauptet, dass das Hauptziel Medwedtschuks die Wahlen 2012 ist.
Die Chance gibt es nur einmal
Es ist so, dass gegenwärtig die einzige Partei einer dritten Kraft, die den Wählern des Südostens eine eigene Agenda anbieten kann, Klitschkos „UDAR“ ist. Aber in diesem Fall hat sich die potenzielle Energie „der Fähigkeit zu einem Angebot“ nicht in kinetische Energie der „Einreichung eines Angebots“ umgewandelt.
Die Anhänger Klitschkos können natürlich sagen, dass erst diese Woche Klitschko endgültig mitgeteilt hat, dass „UDAR“ eigenständig an den Wahlen teilnimmt. Aber die Entscheidung dazu wurde nicht vor einem Monat getroffen.
Und in dieser Zeit warten die Wähler des Südostens keine klaren Ansagen von „UDAR“ ab dazu, womit Klitschko in die Rada zieht und was er mit der Ukraine vorhat nach dem Einzug ins Parlament.
Vielleicht braucht die Partei Klitschkos einfach keine „herrenlosen“ Millionen von Stimmen im Osten? In diesem großen Haufen gibt es sowohl von der PR enttäuschte Stimmen als auch mit der frühzeitig sterbenden Partei Julia Timoschenkos sympathisierenden ebenso wie die unentschiedenen. Klitschko ist derzeit in einer sehr bequemen Lage, er darf sich nur keine unverkennbaren Fehlschüsse leisten und kommt in die Rada.
Ein Trittbrettfahrereffekt der Erwartungen der Gesellschaft ist, dass „UDAR“ die 5%-Hürde dank dessen nehmen kann, dass Klitschko ein neues Gesicht in der Politik ist, man liebt den Sportler Klitschko und der Politiker Klitschko ist bisher nicht mit schmutzigen Skandalen aufgefallen.
Man kann also handeln. Aber die Anhänger von „UDAR“ müssen folgendes verstehen: Der Einzug in die Rada mit bescheidenem Ergebnis – das wäre nicht einmal ein Sieg nach Punkten. Gar nicht erst zu sprechen einem Sieg nach Knockout für den Boxer Klitschko.
Allem Anschein nach erklärt sich die Trübung der Position Klitschkos und „UDARs“ im Südosten und die schwache Aktivität seiner Partei in diesen Regionen mit mangelhafter politischer Erfahrung und politischem Spürsinn der Parteiführung.
Zum Beispiel können es die Charkower nicht begreifen, warum sich die gesamte Aktivität „UDARs“ in der Region für einige Monate dieses Jahres auf eine Pressekonferenz begrenzte, auf der die Gründe für die Unterzeichnung der „Vereinbarung über abgestimmte Handlungen einer vereinten Opposition“ dargelegt wurden.
In dieser Zeit hätte „UDAR“ wie in jeder südöstlichen Region bereits seit vorigem Jahr aktiv eine neue Kommunikation aufbauen müssen, eng mit den unentschiedenen Wählern arbeiten und die Führungspersönlichkeiten der Region zusammenziehen, aus gesellschaftlichen Organisationen wie auch aus Behörden. Solch eine Arbeit findet bisher nicht statt.
Eines ist klar – wenn nicht die notwendigen Schritte in der nötigen Zeit und am notwendigen Ort unternommen werden, wird es eine Niederlage geben. Entweder was die Größe der verbrauchten Ressourcen angeht oder mit einem endgültigen Ergebnis.
„Vorstoß nach Südosten“
„Die Wählerschaft Klitschkos gehört zu niemandem“, sagt die Soziologin Irina Bekeschkina, „Das sind diejenigen Leute, die von jedweder Politik enttäuscht sind. Und derzeit gibt es mehr als genug von solchen, am meisten in den Regionen, die traditionell Janukowitsch unterstützt haben. Dort gibt es auch die meisten Unentschlossenen und Nichtwähler. Klitschko kann die Wähler aus dem „weichen Osten“ leicht aufsammeln.“
Klitschko besitzt im Osten tatsächlich keine schlechten Karten. Aktuellen Forschungen der soziologischen Gruppe „Rating“ zufolge würden bei Präsidentschaftswahlen Ende März dieses Jahres und bei einem zweiten Durchgang Janukowitsch und Klitschko erfolgreich sein, so würden 28,1 % der Befragten den derzeitigen Präsidenten unterstützen, aber 36,6 % den Führer von „UDAR“.
Dabei erhöhte Klitschko im letzten Halbjahr sein „Ergebnis des 2. Durchgangs“ von 28 auf 37 %. Allerdings geschah dies nicht dank eines Wachstums seiner Popularität im Osten. Klitschko wie sein Rivale Janukowitsch sind bereit, ihre Nächsten in der Opposition zu unterstützen – die Anhänger von Timoschenko, Jazenjuk und Tjagnibok.
Doch 35 % der Vertreter Tigipkos würden nicht für Klitschko stimmen, sondern für Janukowitsch. Und wenn Janukowitsch im Osten des Landes 38 % erhält (im Donbass noch mehr, 44 %), dann Klitschko 23 %. Nur ein Viertel der Unentschlossenen sind bereit, einen Einsatz bei einem hypothetischen Duell mit Janukowitsch für den Führer von „UDAR“ zu wagen.
Aber diese Stimmen könnten nur ein Vorschuss bleiben oder gar zusammenschrumpfen, wenn von Seiten „UDARs“ keine für die Wähler des Südostens verständliche und naheliegende Agenda entsteht, unterstützt durch aktives Handeln der Partei vor Ort in den Regionen.
Mit anderen Worten, die Partei Klitschkos muss unbedingt eine klare „Ostpolitik“ erarbeiten, ein gewisses separates Mega-Programm „Vorstoß nach Südosten“. Die Notwendigkeit eines solchen Programms wird bedingt durch die hohe Erwartungshaltung der Wähler in den südlichen und östlichen Regionen.
Wie Viktor Neboschenko voraussagt („Ukrainskij Barometr“), dann könnte bereits in naher Zukunft im Südosten der Ukraine eine neue politische Partei erscheinen. „Der Südosten ist schwanger mit einem neuen Projekt. Dieses Projekt wird regional sein und es wird nach Russland orientiert sein. Dabei wird sich die Partei ihrer Orientierung nach Moskau nicht schämen. Es gibt noch keine politische Kraft, aber die Erwartung in der Gesellschaft ist stark.“
Die Regionalen bewahrten den Südosten im Bereich ihres unbedingten Einflusses, der im Jahre 2002 begann.
Bei den Parlamentswahlen im März 2002 gelang es den Stärksten, Juschtschenkos „Nascha Ukraina“, mit 23,57 % nicht, den Südosten zu erobern.
Das erfolgreichste war das Ergebnis in der Chersoner Region mit 12 %, auf der Krim waren es 10 %, in Saporischschja 8 %, in den Regionen Nikolaev, Dnepropetrowsk, Odessa und Charkow etwa 6 %. Über den Donbass muss man nicht sprechen.
In zehn Jahren verlor die PR einen bedeutenden Teil der loyalen Wählerschaft. Und bei den Wahlen in diesem Jahr gibt es zum ersten Mal für eine andere politische Kraft eine reale Chance, die führende Position der Partei der Regionen im Südosten zu erschüttern.
Aber das gelingt nur unter einer Bedingung: Wenn der Wähler des Südostens entsprechende Angebote von einer für ihn angemessenen politischen Kraft erhält. Und zuletzt muss man sehr aktiv arbeiten, um die Menschen von seiner „Redlichkeit“ zu überzeugen, der Fähigkeit, die Forderungen der Menschen aus den entlegeneren Regionen zu verstehen und zu realisieren.
07. Mai 2012 // Andrej Misseljuk
Quelle: Ukrainskaja Prawda