Der passende Ort für eine Öffnung nach Europa?


Der Fußballklub Schachtjor Donezk wurde am 11. Juni 2002 erstmals ukrainischer Meister. Damals hatte der Präsident des Vereins, der ukrainische Milliardär Rinat Achmetow, verkündet, er erwarte nun von den Spielern und Trainern, dass sie auch den Europapokal gewinnen. Auf diese Worte reagierten nicht nur die Fans von Dynamo Kiew, deren Mannschaft zum ersten Mal die Goldmedaille verpasste, mit einem müden Lächeln. An einen Sieg im Kampf um die internationale Trophäe hatte man nicht mal in Donezk geglaubt, wo der Heimatverein zwar bejubelt und verehrt dennoch eher als Lokalmeister angesehen wurde. Sieben Jahre später, im Jahr 2009, musste sich der Bürgermeister von Donezk mit Vandalen herumschlagen, die regelmäßig eine geschmiedete Nachbildung des UEFA-Cups, die im Park vor der Stadtverwaltung aufgestellt wurde, als Souvenir entwendeten – des UEFA-Cups, den Schachtjor gewonnen hatte.

Dieser allen bekannte Vorfall soll an dieser Stelle nochmals in Erinnerung gerufen werden, um aufzuzeigen: Leichtfertig ist mit den Ansprüchen dieses Achmetows auch hinsichtlich der internationalen Stellung seiner Holding Metinvest nicht umzugehen.

„Wir müssen die Meisterschaft der Qualität, der Herstellungskosten und im Verkauf gewinnen… Unser Hauptziel ist wirtschaftliches Wachstum, das den Menschen würdige Arbeit, würdiges Gehalt, und würdige Wohnungen sichert.“ Diese seine Lieblings-Sportmetapher führte Rinat Achmetow abermals öffentlich in der vergangenen Woche bei der Einweihung des neuen Hochofens Nr. 3 im metallurgischen Werk von Jenakijewo an. Dieses Projekt belief sich für Metinvest auf 220 Mio. Dollar. Insgesamt wurden innerhalb von fünf Jahren 600 Mio. Dollar in das Werk investiert. Dafür können wir jetzt festhalten: zwei von fünf Hochöfen, die in den letzten 20 Jahren in der GUS von Grund auf neu mit moderner Technik errichtet worden sind, stehen in Jenakijewo. Und das wird noch nicht das Ende der technischen Aufrüstung sein, die diesem Metallgiganten mit langer Geschichte zu neuem Leben verhelfen soll. Der Modernisierungsprozess wurde nicht ausgesetzt. Um festzustellen, „dies heißt, für irgendwen ist er von Nutzen“, muss man nicht Majakowski sein.

Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch, der als Ehrengast der feierlichen Einweihung der neuen Anlage beiwohnte, sprach viel über die positiven Auswirkungen dieser Neuerung für die Anwohner seiner Heimatstadt. Er sei erfreut, dass schließlich eine deutlich spürbare Verbesserung der Umweltverhältnisse eingetreten sei, die im Donezbecken im Allgemeinen und in Jenakijewo im Speziellen von jeher schwierig gewesen seien. Und beglückwünschte seine Landsleute dazu, dass die stabile Arbeit und aktive Weiterentwicklung dieses stadtbildenden Unternehmens für Sicherheit in der Zukunft sorgten, und so weiter und so fort.

Rinat Achmetow allerdings gab mit nur einem inhaltsreichen Satz zu verstehen, dass seine Interessen und Ambitionen weit über die Grenzen von Jenakijewo, das Donezker Gebiet und die Ukraine hinausgehen. Zumal Metinvest – um die Metapher weiterzuführen – längst schon die ukrainische Meisterschaft gewonnen hat. Die Holding gibt in der heimischen Metallurgie den Ton an, sie setzt Trends und führt aktiv internationale Standards in der Ukraine ein, mit allen Mitteln die Bereitschaft signalisierend, sich unter den Besten etablieren zu wollen.

Wenn der Anspruch auf die Weltherrschaft auch wenig wahrscheinlich scheint (es gibt schließlich noch China und den den Ukrainern seit 2005 bekannten Lakshmi Mittal), so ist die Voraussage des wirtschaftlichen Meistertitels für Europa und die GUS schon eher glaubhaft, als die Chancen von Schachtjor, in den nächsten Jahren Meister zu werden.

Aus diesem „Vormarsch nach Europa“ leitet sich, gemessen an den getätigten und geplanten Investitionen, für Jenakijewo eine Schlüsselrolle ab. Der Industrieriese erneuert emsig seine modernen Betriebsanlagen (dieser Prozess wurde nicht mal während der Krise im Jahr 2008 unterbrochen, als die meisten Umrüstungen in den ukrainischen Unternehmen auf bessere Zeiten vertagt wurden), außerdem pumpt er Gelder in das Unternehmen und stellt nicht zu knapp Spezialisten ein.

Der Hochofen Nr. 3 beispielsweise vereint Technik aus ganz Europa. Vom luxemburgischen Konzern Paul Wurth stammen zwei Komponenten der neuen Anlage: die Beschickungsvorrichtung ohne Konus und das Gichtgas-Ableitungssystem. In Tschechien wurden die Elektrofilter zur Staubabscheidung gebaut, die österreichische Siemens VAI lieferte das automatische Steuerungssystem für die Produktionsprozesse. Junge Fachkräfte (130 an der Zahl) wurden eigens zu Praktika nach Europa und Russland geschickt, um in die Lage versetzt zu werden, das neue Aggregat zu bedienen.

Gleichzeitig wurde ein alter Ofen außer Betrieb genommen, der den stolzen Namen Komsomolsk trug. Im Werk ziert nun ein Erinnerungsplakat die Stelle, an der er gestanden hatte: „Seit 1953 hatte er uns voller Ergebenheit gedient, dafür vielen Dank. Der Ofen hat seine Namensgeberin, die Jugendorganisation Komsomol, um einige Jahre überdauert…“

Nicht zu vergessen ist, dass der Hochofen – für sich genommen schon ein Unikum unter den ukrainischen Realia – Teil einer übergreifenden Entwicklungsstrategie des Jenakijewoer Metallwerks ist. „Ich brauche die Werksangestellten und unseren hohen Gast nicht daran zu erinnern, in welchem Zustand das metallurgische Werk und besonders seine Hochofenanlage war, als sie in die Metinvest integriert wurde. Wir waren vor keine einfache Aufgabe gestellt: einen der ältesten Unternehmenszweige, der kurz vor dem Aus stand, in ein effektives und modernes Werk zu verwandeln. Und heute weihen wir schon den zweiten neuen Hochofen innerhalb von vier Jahren in Jenakijewo ein… Und wir haben noch große Pläne“, erklärte der Generaldirektor der Metinvest Igor Syryj, als er die neue Anlage eröffnete.

Für die Realisierung dieser großen Pläne ist Achmetows Holding gewillt eine Milliarde Dollar bereitzustellen. Das Budget für den Fußballklub Schachtjor im Jahr seines europäischen Triumphes umfasse im Übrigen ein Zehntel dieser Summe.

Wofür werden diese Gelder eingesetzt? Hauptsächlich für das größte bisher bekannt gegebene Projekt: für die neue Sinteranlage. „Ich hoffe, wir sehen uns sehr bald bei der Eröffnung der neuen Sinteranlage wieder. Das ist schon lange ein Herzenswunsch von mir und der Einwohner Jenakijewos, die die Tage zählen bis endlich kein Sinter oder Abfallprodukte dessen Verarbeitung mehr auf sie niederregnet. Ich möchte, dass Rinat Achmetow auch darüber in der Öffentlichkeit spricht“, forderte der ukrainische Präsident bei einer Rede vor den Arbeitern des Metallwerks.

Achmetow verlautete voller Überzeugung: „Ich verspreche es!“, zumal der Bau der Fabrik schon mit einem Budget von fast 250 Mio. Dollar in Planung ist. Ein Drittel der für die Modernisierung des Metallwerks vorgesehenen Summe wird für Umweltprogramme verwendet, unter anderem für den Übergang zu Kohlenstaub-Einblasverfahren und zur Nutzung des Gichtgases zur Stromerzeugung in Wärmekraftwerken. Geplant sind auch eine neue Walzstraße und die Aufnahme der Fertigung von zukünftig für den Binnenmarkt vorgesehenen Bauprofilen.

Letztendlich soll die Stahlproduktion im Werk von Jenakijewo um mehr als 50 Prozent gesteigert werden: von 2,6 Mio. auf 4,5 Mio. Tonnen pro Jahr.

Erwartet wird, dass die technische Modernisierung der Produktion eine Minderung des Gesamtstaubanfalls auf nicht mal ein Fünftel der Belastung mit sich bringt (von 15.000 Tonnen im Jahr 2010 auf 2.700 Tonnen bis zum Jahr 2017). Der Berechnung der Kontrollparameter wurden europäische Umweltstandards zugrunde gelegt. Das Paket der energiesparenden Maßnahmen wird die Senkung des gesamten Energieverbrauchs in der Stahlproduktion im Jenakijewoer Metallwerk um 24 Prozent möglich machen (von derzeit 23 GJ pro Tonne auf 18 GJ pro Tonne im Jahr 2020), dabei ist eine Verringerung des Erdgasverbrauchs um 46 Prozent vorgesehen (von 316 Mio. Kubikmetern 2010 auf 170 Mio. ab 2016).

Die Höhe der bisher aufgewendeten und geplanten Investitionsmittel gibt Anlass zu der Vermutung, dass Rinat Achmetow eben Jenakijewo als Aufmarschbasis für seine eigene „europäische Integration“ ins Auge fasst. Ohne die Resultate des gemächlich arbeitenden Staatsapparats abzuwarten, bestimmt die ukrainische Geschäftswelt, verkörpert durch die Großen im Business, den Kurs auf die europäischen Entwicklungsparameter direkt und unzweideutig. Die Gründe hierfür sind offensichtlich: dort gibt es klare und nachvollziehbare Regelungen, Standards, Eigentumsschutz und so etwas wie geschäftliches Ansehen. Die ukrainischen Milliardäre sind bereit, einen Teil ihres Kapitals zu investieren, für den Einzug dieser Standards in der Ukraine und für eine sichere Zukunft.

In diesem konkreten Fall profitieren davon natürlich auch die Einwohner von Jenakijewo. Gerüchte über eine mögliche Schließung des Werks tauchen immer mit beneidenswerter Beständigkeit immer mal wieder auf. Das stadtbildende Unternehmen, das ein Drittel des lokalen Budgets ausmacht und mehr als sechstausend Arbeitsplätze stellt, ist unzertrennlich mit dem Schicksal der Stadt verbunden. Sicherlich wissen die Einwohner daneben auch die Minderung der lokalen Umweltbelastung zu schätzen – das ach so ewige Leid industriell entwickelter Regionen. Auch die 1,5 Mio. Dollar an „sozialen“ Investitionen im Rahmen der Annäherung an europäische Standards waren nicht umsonst.

Auf den ersten Blick scheint die Wahl Jenakijewos als Ort für eine Öffnung nach Europa etwas seltsam. Doch andererseits, warum denn nicht Jenakijewo?

9. Dezember 2011 // Dmitrij Krawzow

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:    — Wörter: 1371

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