Putins blutiger Waffenstillstand
Der Löwenanteil der nächtlichen Verhandlungen von Angela Merkel, François Hollande und Pjotr Poroschenko mit Wladimir Putin fiel der Diskussion in Debalzewo zu. Das ist natürlich keinerlei Staatsgeheimnis. Bei seinem Treffen mit Journalisten am Morgen sprach Putin eben von Debalzewo und Hauptergebnis seines Interesses an der Okkupation einer weiteren ukrainischen Stadt wurde die Entscheidung der Präsidenten Russlands und der Ukraine mit der Bewertung der Situation Militärexperten zu beauftragen. Den Vorgängen beim Brückenkopf von Debalzewo nach zu urteilen kamen die Experten zu keinem Urteil.
Man kann natürlich das Streben Putins danach Debalzewo einzunehmen mit seinem Wunsch die okkupierten Territorien «abzurunden» erklären. Möglicherweise ist es die strategische Bedeutung des Eisenbahnknotens, eines der größten in der Ukraine. Doch tatsächlich könnte Putin von komplett anderen Motiven geleitet sein.
Es musste schon mehrfach geschrieben werden, dass für Putin die Hauptsache nicht irgendeine Krim oder der Donbass ist, sondern die Destabilisierung der Situation in der Ukraine mit Hilfe der okkupierten Territorien. Den Krieg im Donbass hat er eben dafür begonnen und keine anderen Ziele verfolgt. Wladimir Putin ist überzeugt davon, dass die Ukraine früher oder später die Sinnlosigkeit der Konfrontation mit Russland begreift, schwächer wird und sich «föderalisiert» – es muss nur richtig «Benzin hinzugegossen werden». Gleichzeitig braucht Putin unter den Bedingungen der sich verschlechternden ökonomischen Situation im eigenen Lande keine zusätzliche Konfrontation mit dem Westen, neue Sanktionen und weitere Annehmlichkeiten, die sein Regime zu Fall bringen. Im Großen und Ganzen muss Putin eine nichteinfache mathematische Aufgabe lösen – wie kann er damit fortsetzen die Situation in der Ukraine zu destabilisieren und gleichzeitig den Westen beruhigen?
Er hat einen Ausweg gefunden. Wenn er mit dem Sturm von Debalzewo beginnt und gleichzeitig Merkel und Holland einen Friedensplan vorschlägt, dann kann er den Kampf um den Brückenkopf als getrennte Frage absondern. Die Kämpfer erklären, dass sie die ukrainische Gruppierung eingekreist haben und mit ihr im «Binnenterritorium» der «Donezker Volksrepublik» kämpfen, erklären sie nur, was das aus der Sicht des internationalen Rechts und der Logik der Waffenstillstand selbst ist. Putin wird mit der ihm eigenen Weisheit den ukrainischen Militärs raten Debalzewo zu verlassen, wo sie nun einmal bereits in einen Kessel geraten sind. Und dabei kann man die Situation – wenigstens zeitweise – an der gesamten übrigen Kontaktlinie der ukrainischen und russischen Streitkräfte beruhigen.
Und in Debalzewo werden Kämpfe stattfinden und Menschen sterben. Und mehr und mehr Ukrainer werden sich die Frage stellen: Was ist das für ein blutiger Waffenstillstand? Warum wird damit fortgesetzt zu schießen, wenn sie sich schon mal darauf geeinigt haben, nicht zu schießen.
Und die Kämpfer werden ein um ein weiteres Mal Unverständnis dafür zeigen, was die ukrainischen Militärs auf «ihrem» Territorium machen. Dabei ist die strategische Lage von Debalzewo derart, dass für diese endlos gekämpft werden kann. Eine Ausbuchtung ist eine Ausbuchtung, sie ist von drei Seiten eingeschlossen und zugleich kann der Weg des Lebens, der nach Debalzewo vonseiten der freien Ukraine führt, freigekämpft werden, den angegriffenen Militärs zur Hilfe durchbrechend. Wladimir Putin braucht genau das, damit irgendwie ein Waffenstillstand herrscht, aber tatsächlich irgendwie auch nicht. Das sind seine geliebten Tschekistentricks.
Und das ist eine Falle, ehrlich gesagt. Dabei wäre ich vorsichtig zu behaupten, dass Merkel, Hollande und Poroschenko nicht begriffen haben, in welche Situation sie Putin lockt. Das war sein Gegenschlag, sie lockten ihn nach Minsk und zeigten der gesamten Welt, dass er der Herr der Marionetten ist und er schuf die Situation in Debalzewo, die den Frieden zur Farce machte. Nicht zufällig diskutiert die Troika des «Normandieformats» die Frage von Debalzewo beinahe täglich.
Kann man sich aus dieser Putin’schen Falle befreien? Es versteht sich, dass man bei vorhandenem politischen Willen unschwer aus den Putin’schen Fallen herauskommen kann. Und der politische Wille besteht in der Feststellung der Verstöße des Kremls gegen Geist und Buchstaben der Waffenstillstand. Nein, eben den Waffenstillstand selbst kann man befolgen. Doch gleichzeitig die ukrainische Armee zusätzliche bewaffnen, neue Sanktionen gegen die russische Wirtschaft einführen. Mit einem Wort Putin zeigen, dass er niemanden hereingelegt hat. Und dann wird das Streben des russischen Herrschers die Situation in der Ukraine mithilfe von Debalzewo zu destabilisieren, sich gegen ihn selbst wenden.
17. Februar 2015 // Witalij Portnikow
Quelle: Lewyj Bereg