Rehabilitation: „zivile“ Probleme der ukrainischen Soldaten
In diesem Frühjahr begannen die ukrainischen Soldaten zurückzukehren, die vor einem Jahr in die Reihen der ukrainischen Armee berufen wurden.
Im Verlauf nur eines Monats kamen 24.500 Veteranen aus dem Krieg. Nach Abschluss der ersten Welle der Demobilisierung werden es 35.500 sein. Diese offizielle Statistik rechnet die Freiwilligen und Verletzten, die aus der Zone der ATO (Antiterroroperation – Anm. d. Übers.) im Herbst und Winter des letzten Jahres zurückkehrten, nicht mit ein.
Die Rückkehr der Kämpfer ins zivile Leben ist nicht nur von der Freude über das Wiedersehen mit Familie und Freunden begleitet. Das friedliche Leben bringt den Krieg mit dem bürokratischen Labyrinth des Staates mit sich. Der Veteran muss jetzt darüber nachdenken, wie er zu Dokumenten über die Teilnahme an Kriegshandlungen kommt und wie und wo er eine Arbeit finden kann, um die Familie zu ernähren. Und die wichtigste Frage – wie kann man sich in die Gesellschaft derer einfinden, die nicht gekämpft haben, und in ihr leben?
INSIDER hat herausgefunden, mit welchen Problemen ukrainische Soldaten nach ihrer Rückkehr aus der ATO zu kämpfen haben.
Rehabilitationszentren und psychologische Hilfe: „Soldat, du hast im Krieg gesiegt, lass uns den Frieden besiegen!“
Die Mehrheit der Rehabilitationszentren für Kämpfer der ATO wurden auf der Basis von Hospitälern und Krankenhäusern errichtet. Es gibt sie in Lwiw, Luzk, Kiew, Tscherkassy, Nikolajew. Hier können sich Patienten gleichzeitig behandeln und wieder aufbauen lassen. Die Aufgaben der Rehabilitation sind die Wiederherstellung der Bewegungsaktivität nach Trauma und Amputation, Unterstützung der körperlichen Fitness und psychologische Hilfe.
Eines dieser Zentren befindet sich in Irpen auf der Basis des örtlichen Armeehospitals. Man eröffnete es Ende letzten Jahres auf Anweisung des Verteidigungsministeriums, und im letzten Monat wurden dank freiwilligen Helfern und Sponsoren neue kanadische Rehabilitationssysteme eingerichtet. In Grunde genommen besteht das Zentrum aus zusätzlichen Räumen für Ergotherapie (Wiederherstellung verloren gegangener Bewegungsabläufe im Alltag), Kinesiotherapie (Methode zur Behandlung von Bewegung und Belastungen) und einem Physiotherapie-Saal mit Trainingsgeräten, jeweils speziell ausgestattete Räume für die Abteilung. Hierher schickt man Patienten nach medizinischer Verordnung.
So sieht sich der Patient im Raum der interaktiven Rehabilitation auf einem Bildschirm als Held eines Sportspiels, in dem für richtige Bewegungen Punkte vergeben werden.
„Bei den Teilnehmern der ATO findet man oft Folgen erlittener Verletzungen an den Extremitäten. Bei der Verwundung erfolgt eine Traumatisierung der Nervenstränge, eine Beschädigung der Gefäße, eine vollständige oder teilweise Zerstörung der Funktion der Extremitäten, oder Schädel-Hirn-Traumen durch Explosionen. Dann haben die Bewegungsstörungen zentralere Ursachen. Das interaktive System Irex imitiert die Bewegung. Es bringt den Menschen dazu sich zu erinnern, wie seine Hand, sein Bein funktioniert. Das geschieht in spielerischer Form: Fußball, Volleyball, Fallschirmspringen. Der Mensch spielt, das Spiel lenkt ihn von seinem Schmerzsyndrom ab und gibt ihm die Möglichkeit seine Extremitäten zu bearbeiten und neue Bewegungsstereotype zu entwickeln“, erzählt der abteilungsleitende Neurologe Dmitrij Warlamow über das System.
Einen Behandlungsraum für psychologische Hilfe gibt es im Zentrum auch, nur kommen freiwillige Spezialisten zweimal in der Woche. Die Stelle eines stationären Militärpsychologen ist bisher vakant – die Bezahlung ist gering. Während der Psychotherapie-Sitzungen nutzt man das System der audiovisuellen Stimulation, welches dabei hilft, den Schlaf wiederherzustellen und Unruhe und Depressivität zu verringern.
„Die Patienten halten sich zwei Wochen bei uns auf. Niemand hat uns unsere anderen Verpflichtungen abgenommen: wir behandeln Rentner, Wehrpflichtige, Offiziere, die nicht an der ATO teilnahmen. Die Entlassenen überweisen wir an Sanatorien, Kriegsveteranen-Hospitale, dann gibt man ihnen Urlaub, dann nehmen wir sie wieder auf, wenn es notwendig ist.“ Erzählt der Direktor des Zentrums Alexej Woljanskij. Derzeit wird im Zentrum 147 Soldaten aus der ATO geholfen.
Die Patienten des Rehabilitationszentrums sind vollauf zufrieden mit den für sie bestimmten Übungen, obwohl sie außerhalb des Protokolls bekennen, dass sie statt zum Psychologen lieber so schnell wie möglich nach Hause in den Urlaub gehen würden.
„Ich gehe zur „Spritze“, Massage, Magnet-, Physiotherapie und zum System Irex. Mit der Rehabilitation bin ich sehr zufrieden. Im Vergleich dazu, wie ich hergekommen bin… ich fühle mich schon viel besser“, sagt Wladimir, der nach einem Wirbelsäulen-Trauma, das er sich während seines Dienstes zuzog, operiert wurde.
Jedoch denken die Spezialisten, die mit Soldaten arbeiten, dass deren Rehabilitation keinesfalls auf Hospitale, Sanatorien und Polikliniken beschränkt sein sollte.
Der Militärpsychologe Andrej Kosintschuk glaubt, dass die staatlichen Rehabilitationszentren nicht ganz die Anforderungen der Zeit erfüllen: „Mir gefällt die Idee der Einrichtung von Rehabilitationszentren auf der Basis von Krankenhäusern nicht. So zeigen wir den Soldaten: Du bist krank – wir sind die Gesellschaft, und wir werden dich heilen. Stattdessen sollte man sagen: Du hast im Krieg gesiegt, lass uns auch den Frieden besiegen. Das ist viel schwieriger. Der Krieg endet, und wie geht es weiter? Der Mensch kommt doch mit einem Stückchen Krieg zu sich. Außerdem bin ich nicht sicher, dass diese Zentren, die es gibt, mit den Familien arbeiten. Dort gibt es hervorragende Spezialisten, aber keine Programme. Und sie arbeiten nicht mit der Sozialisation des Krieges.“
Andrej möchte Ende des Sommers mit einer Gruppe Psychologen, Freiwilligen und Sozialarbeitern sein eigenes sozial-psychologisches Rehabilitationszentrum bei Kiew eröffnen, in dem Soldaten, die ein Training durchlaufen haben, mit den gleichen Jungs arbeiten, wie sie selbst sind.
„Das Prinzip der Arbeit ist: Gleiche unter Gleichen. Ein Kämpfer mag sich seiner Frau, dem Psychologen gegenüber nicht öffnen und sagt: du hast nicht gekämpft. Aber hier wird sich ein ebensolcher Kämpfer mit ihm unterhalten. In unserem „Club der Veteranen“ wird es kein medizinisches Vorgehen geben: du bist krank und wir sind gekommen, um dich zu heilen. Wir wollen sozialisieren, fragen, was gefällt. Damit der Mensch seine Talente entdeckt. Wir werden ihm zeigen, wie man eine Arbeit sucht, ihm aber keine Arbeit und Geld geben. Natürlich wird es die geben, die nichts davon wollen. Ihnen muss man eine Arbeit in einem militärischen Fachgebiet suchen.“
Privilegien: nützliche und mythische
In Übereinstimmung mit dem Gesetz über den Status von Kriegsveteranen und die Garantie ihrer sozialen Sicherung haben Teilnehmer an Kriegshandlungen das Recht auf kostenlosen Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln, 75 Prozent Rabatt auf kommunale Dienstleistungen im Bereich des Wohnortes, Anspruch auf Wohnraum und Land außer der Reihe, kostenlose Medikamente, Untersuchungen und medizinische Versorgung.
Unter heutigen Bedingungen kann der Staat nur für einen Teil dieser Privilegien sorgen, die in der Theorie dafür sorgen, die materielle Situation der Soldaten zu verbessern.
Das Oberhaupt der Gesellschaft der ATO Veteranen, früher Freiwilliger des Bataillons „Ajdar“, Kirill Sergejew hält das System der Privilegien für veraltet: „Das System wurde in den 1990ern geschrieben, es ist Müll. Es gibt mehr als hundert Privilegien, aber notwendige Hilfe ist im Gesetz nicht festgeschrieben. Zum Beispiel gibt es in entwickelten Ländern zwölf Monate Rente bei Rückkehr aus dem Krieg; der Kämpfer befindet sich ja einige Monate „im Übergang“ und versucht seine Rolle in der Gesellschaft zu finden, in die er geraten ist.
Die Jungs scherzen: „Wir haben drei lebendige Privilegien: Rabatt auf städtische Wohnungen, öffentlicher Transport und einen Platz auf dem Friedhof.“ Alles andere sind tote Privilegien, die kein Mensch braucht. Das Privileg auf außerordentliche Erteilung eines Wohnraums gibt es, aber da stehen die Außerordentlichen in drei neuen Reihen, die „Afghanen“ (Afganistan-Veteranen; Anm. d. Übers.) stehen dort immer noch. Ganz zu schweigen von anderen aus Friedenseinsätzen und kinderreichen Familien.“
Das Wohnungsproblem ist hochaktuell für die ukrainischen Soldaten, die aus dem Donbass stammen: aus verständlichen Gründen können sie nicht nach Hause zurückkehren. Für diese Jungs hat die Gesellschaft der ATO-Veteranen mit Hilfe eines privaten Sponsors ein Hostel in Kiew organisiert, wo sie für ein, zwei Monate bleiben können, um in dieser Zeit die Fragen der Dokumente oder der Arbeit zu klären. Die Kämpfer, die dort wohnen, wollen nicht, dass ihre Aussagen niedergeschrieben werden. Sie sagen, dass sie in einer schwierigen Lage sind und auf den Staat spucken: Kleidung bringen Freiwillige, mit Wohnraum hilft, wer kann, aber Arbeit gibt man ihnen in Kiew ungern; die Arbeitgeber lehnen entweder ab oder zahlen meistens deutlich geringere Löhne. Viele müssen ihre Familien unterstützen, die im Donbass geblieben sind.
Der Organisation selbst, der Gesellschaft der ATO-Veteranen, die 2.500 Kämpfer vereint, fehlt im Moment auch die materielle Unterstützung für die Lösung der Probleme der Soldaten, so dass man ihnen einstweilen nur mit Beratung helfen kann.
Darüber, dass viele Soldaten Wohnraum benötigen, spricht auch die Koordinatorin des Informationszentrums der Kiewer städtischen Gesellschaft der ATO Veteranen Wiktoria Kissilenko: „Diejenigen, die in Wohnheimen leben, wollen eine eigene Wohnung haben. Sie kennen ihre Garantien, kommen und fragen: und wann? Wir können ihnen ja nicht it dem Argument kommen, dass Soldaten bei uns 15-20 Jahre in Wohnheimen wohnen. Ich wollte, dass das ganze Land mobilisiert würde, um sie zu unterstützen – sie haben uns beschützt, und jetzt brauchen sie das. Privilegien sollten realisiert werden und nicht nur auf dem Papier stehen.“
Ein weiteres wichtiges Privileg ist die Zuteilung von Land an Teilnehmer der ATO. In Kiew bewegt sich dieser Prozess nicht so schnell, wie er sollte: jetzt sind die Familien getöteter Soldaten an der Reihe. In der ersten Juniwoche unterschrieben 60 Familien die Dokumente .
„Nachdem in der letzten Sitzung des Kiewer Rates die Entscheidung über die Verteilung von Landstücken getroffen wurde, begann man, sie an Familien Getöteter zu vergeben. Die Rede ist von Land im Umkreis von Kiew, in Bykownja; man kann sie schon auf der Karte ansehen und auswählen. Dann kommt die Reihe an Verletzte und Invaliden. Dann erst alle anderen, erklärt Wiktoria die existierende Ordnung der Verteilung der Landstücke. Irgendwer hat hier auf regionaler Ebene gesagt, dass alle Landstücke bekommen, und das wars. Die Jungs haben es gehört, man hat es ihnen versprochen. Diese Frage beunruhigt sie sehr, weil gesagt wurde, alle ATO-Leute bekommen Land. Manchmal sind sie aggressiv gestimmt: denken, dass wir für alles verantwortlich sind, denken, dass wir Regierungsvertreter sind und wissen nicht, dass wir eine gesellschaftliche Organisation sind. Manchmal schickt sie sogar das Department für Landressourcen zu uns und will diese Fragen klären.“
Arbeit und Bezahlung
Psychologen und Freiwillige weisen auf ein ernstes Problem hin, das die Soldaten bei der Rückkehr aus der ATO dabei stört, den alten Arbeitsplatz wieder einzunehmen und sich weiter mit den alten Tätigkeiten zu beschäftigen – das ist der Krieg, der den Menschen verändert und zu einem Anderen gemacht hat.
„Sein ganzes Leben bis zum Krieg hat man dem Menschen gesagt:“du sollst die Universität beenden, heiraten, Kinder, Arbeit – das ist sehr wichtig“. Er gerät in den Krieg und versteht – das ist alles Unsinn. Das Wichtigste ist das Überleben, sich zu schützen. Er kommt zurück und man sagt ihm wieder: „Geld ist gut.“
„Man darf einen Kämpfer nicht dazu zwingen, in die Gesellschaft zurückzukehren und fordern, dass er den Krieg aus seinem Leben streicht. Sie sind alle normale Menschen, aber sie haben unnormale Sachen erlebt. Um das durchzuleben braucht man Zeit, Energie und Wertschätzung“, sagt der Psychologe Andrej Kosintschuk.
Kirill Sergejew stimmt ihm zu: “Wenn der Staat denkt, dass diese Leute sofort anfangen können zu arbeiten, dann vergisst er, dass bei uns diejenigen, die nicht aus dem Leben „herausgefallen“ sind, Jahre brauchen, um eine Arbeit zu finden. Und hier sind Menschen, die alle ihre Geschäftskontakte verloren haben. Nur wenige suchen Arbeit per Anzeige. Außerdem verlieren viele in dieser Zeit ihre beruflichen Fertigkeiten. Ich habe eine neunjährige juristische Erfahrung. Ich selbst kam im September, öffnete die Gesetze und meine alten Tätigkeiten und erkannte, dass man mich jetzt gerade mal als Gehilfen eines Juristen einsetzen kann.“
Kirill sagt, dass das Fehlen von Arbeit mit angemessenem Einkommen und die Unmöglichkeit, für sich und die Familie zu sorgen, die Kämpfer in die Arme krimineller Gruppen treiben kann.
„Das wichtigste ist: Der Krieg ist für viele ein Wendepunkt, der ihr Leben völlig verändert, und ein großer Prozentsatz der Jungs will nicht in den alten Beruf, das alte Fachgebiet zurückkehren. Für sie beginnt eine Zeit der Selbstfindung in diesem Leben: wer will ich sein, wohin gehen? Für diese Zeit braucht man eine Rente. Und sie sollten satt sein, Schuhe haben, Kleidung und eine Wohnung, um keinen Anreiz für Kriminalität zu schaffen.
Ein Veteran hat keine Rente, keine soziale Sicherung. Er hat für sein Land gekämpft und kommt zurück in eine nichtkämpfende Gesellschaft, die nicht weiß, wie man Veteranen begegnet. Sie machen aus ihm einen Helden und laden ihn dauernd zum Trinken ein. Andere sehen ihn als Nichtsnutz, der sich keine Arbeit suchen will, und rundherum kreisen schon die kriminellen Gruppen, die ihn zu sich hineinziehen wollen.“
Die Koordinatorin des Informationszentrums für Veteranen Wiktoria meint, dass das Zentrum, obwohl es keine schlechten Kurse zur Beschäftigung und zeitweilige materielle Hilfe anbietet, das eigentliche Problem nicht löst, so wie die dort angebotene Arbeit – das sind Stellen mit einem Gehalt von 2.000 Hrwynja (ca. 83 Euro), von denen eine Familie bei weitem nicht leben kann.
„Die Jungs interessiert die soziale Unterstützung. Wenn die materiellen Probleme des Lebens nicht gelöst sind, wie soll man da an seelische Ruhe denken? Er hat keinen Halt. Du weißt nicht, was morgen sein wird, wie du die Kinder ernähren sollst und wo wohnen“, sagt die junge Frau.
Bürokratische Labyrinthe
Nach Wiktorias Worten ermöglichen oft falsch ausgestellte Dokumente „zur Übergabe“ den Soldaten nicht, den Status eines Teilnehmers an Kriegshandlungen zu erhalten und infolgedessen werden ihnen zeitweise die gesetzlichen Privilegien gestrichen. „Zu uns kommen Leute, die noch nicht einmal offiziell in ihren Bataillonen eingeschrieben sind. Das Problem ist, dass die Führung in der Zone der ATO nicht weiß, wo die Stempel sind, die Truppen vielleicht auf der anderen Seite. Die Menschen sind mit dem Krieg beschäftigt, manchmal auch ohne Registrierung. Alles wird auf später verschoben. Wir schicken Rundschreiben an die Bataillone und bitten darum, die Kämpfer offiziell zu registrieren zum Erhalt des Status Teilnehmer an Kriegshandlungen.“
Allerdings nimmt das Ausfüllen von Anträgen und Eingaben an die staatlichen Abteilungen kein Ende. Selbst wenn man die Statusbestätigung hat, muss man die Dokumente für den Rabatt von 75 Prozent auf die Wohnnebenkosten beim Wohnungsamt beantragen, eine Kur für das Kind bei der Abteilung für soziale Dienste für Kinder und Jugendliche, Land und einmalige Kompensation von 2,500 Hrwynja vom Kiewer Rat in der Kiewer Stadtverwaltung, und Arbeitslosengeld beim Arbeitsamt.
Wiktoria sagt, dass die Kommunikationsprobleme zwischen staatlichen Strukturen die Soldaten zu „Geiseln“ macht: „Wir haben den Plan, einen einzigen Schalter zu machen, und nicht Papiere von hier nach da zu tragen. Wir stoßen oft darauf, dass Informationen über Entscheidungen, die vom Kiewer Rat getroffen wurden, erst spät bei den Kreisabteilungen für Arbeit und soziale Sicherung ankommen. Zum Beispiel kam zu mir ein junger Mann, der eine einmalige Hilfe für Kriegsteilnehmer von 800 Hrwynja bekommen wollte. Im Wehramt hat man ihn zur Abteilung für soziale Sicherung geschickt. Dort haben sie geantwortet: wir können Ihre Dokumente nicht annehmen, weil wir die Auszahlungsliste vom Ministerium bekommen, und das von der Wehrabteilung.
Ein zweiter Fall: vor kurzen beschloss der Kiewer Rat, den Jungs Freifahrtscheine auszustellen, bis die ihre Dokumente als Veteranen erhalten. Nachdem der Beschluss in Kraft trat, riefen sie dort an und man sagte ihnen: nein, bei uns wird nichts ausgegeben. Drei an einem Tag hatten das gleiche Problem.“
In der Gesellschaft der Veteranen der ATO ist man der Meinung, dass alle Informationen über die festgelegten Privilegien und darüber, wie man diese beantragt, im Wehramt erteilt werden sollten. Bisher werden die Soldaten nur schlecht informiert.
Der Kampf um den Invaliditätsstatus – geh bis zum Äußersten, gib niemals auf
Bis zu Mobilisierung war Maxim Koch und Konditor in Kiewer Elite-Restaurants. Er hat zwei Mal versucht, sich freiwillig zum Dienst zu melden. Am Schluss händigte man ihm eine Abordnung in die Reihen der ukrainischen Armee aus, wo er Sanitäter im 12. Kiewer Bataillon wurde. Nach fünf Monaten Dienst schickte man Maxim mit Quetschungen ins Hospital. Im neurochirurgischen Institut erhielt er eine Notoperation am Gehirn. Im Dezember hat UNIAN über seine Verletzung geschrieben. Jetzt hat Maxim eine erworbene Epilepsie und richtig sehen kann er nur aus der Ferne – nähere Gegenstände sieht er doppelt.
Neun Monate hat der junge Mann zur Beantragung der Dokumente als Kriegsteilnehmer gebraucht und zeigte mir freudig das heiß ersehnte Schreiben. Ohne es fuhr er sogar zur Heilbehandlung ins Krankenhaus auf seine Rechnung. Er sagt, dass das Problem in falschen Formularen bestand, die man ihm und seinen Kameraden in der Truppe gegeben hatte.
„Buchstäblich war irgendwo ein Feld nicht ausgefüllt – und schon wurde das gesamte Dokumentenpaket nicht angenommen. Die richtigen Bestätigungen über Ein- und Ausreise in die Zone der ATO erhielten wir im letzten Moment“, beschwert sich der junge Mann. Er glaubt, dass diese Behandlung beabsichtigt war.
Für die Invalidität dritter Gruppe musste Maxim mit Hilfe von Fernsehsendern und Rundschreiben an alle möglichen Staatsinstitutionen kämpfen. Beim ersten Versuch erteilte die Kommission eine Absage: kein Grund für eine Einstufung. Die Gründe erklärte man ihm nicht. Beim zweiten Versuch bekam er eine Einstufung, mit Wiederholung der Untersuchungen nach zwei Jahren.
„So ist es oft: die Leute sind entlassen, aber noch nicht hinausbefördert. Und wenn es keine Daten zur Entlassung gibt, kannst du keinen Veteranen-Status bekommen. Wie kannst du den Entlassungsschein bekommen, wenn du schon entlassen bist? Rückwirkend schreiben sie dich nicht aus der ATO frei. So kommt es, dass du entlassen bist, aber keinen Entlassungsschein hast“, erzählt Maxim.
„Wir haben Probleme mit der SMEK (sozial-medizinische Expertenkommission – Anm. d. Red.): sie beschränkt die Jungs allesamt, stuft sie nicht ein. In der Armee zieht man sie bis zuletzt mit, um sie ohne SMEK zu entlassen. Haben bis zur Entlassung durchgehalten, sind ausgetreten, und jetzt muss der Mensch selbständig nachweisen, dass es ein Kriegstrauma war. Solange er bei der Armee war, hätte er unbedingt zur SMEK gemusst. Wenn er die nicht durchlaufen hat, heißt das, die Verletzung heilte normal. Es ist praktisch unmöglich, im Zustand des „Staatsbürgers“ die Kommission zu durchlaufen und die Behinderung mit dem Krieg in Verbindung zu bringen. Die Beamten machen das extra so, der Staat will nicht zahlen“, glaubt Maxim.
„Einige Zeit nach meiner Entlassung habe ich mit Hilfe eines Fernsehauftritts die Kommission durchlaufen und bewiesen, dass ich Invalide bin. Ich habe die Gesundheit in der Armee zurückgelassen: im Kopf – Eisen, zerstörte Gefäße, nichts über fünf Kilogramm heben, mich nicht der Hitze aussetzen. Ich kann wegen der eingeschränkten Sehfähigkeit, der beschädigten Augenmuskeln, nicht am Computer arbeiten. Ich habe mir die Invalidität buchstäblich erkämpft und weiß nicht einmal, wo ich arbeiten kann. Solche Kerle gibt es viele“, gesteht der Kämpfer ein.
Jetzt hat Maxim gemeinsam mit einem Gleichgesinnten einen gemeinnützigen Fond „Würde der Freiwilligen“ gegründet, der sich auf juristische und beraterische Hilfe für solche wie ihn spezialisieren wird, die der Ungerechtigkeit schon zu Hause als „Bürger“ ausgesetzt sind.
Darüber, dass die Soldaten sich über die Prozedur zum Erhalt der Invalidität beklagen, sagt Wiktoria, die Koordinatorin des Informationszentrums der Kiewer Gesellschaft der Veteranen der ATO: „Es gibt Probleme: es erfolgt nicht die richtige Einstufung. Vor kurzem war bei uns ein junger Mann mit amputiertem Bein, aber ihn haben sie in die 2. Gruppe eingestuft. Und von solchen Fällen gibt es sehr viele. Wir schrieben eine Anfrage an die SMEK, haben aber bis jetzt keine Antwort bekommen. In solchen Fällen werden wir bis zum Äußersten gehen und Gerechtigkeit herstellen.“
9. Juni 2015 // Tatjana Uschinina, Journalistin
Quelle: The Insider