Saakaschwili auf der Suche nach einer Partei
Die Partei von Saakaschwili – das ist wie eine neue Staffel von „Game of Thrones“. Alle warten auf sie, aber es gibt sie trotzdem noch nicht. Es schien so, dass die Aussagen von Sascha Borowik, dem stellvertretenden Gouverneur des Gebiets Odessa, endlich den Start des eigenen politischen Projekts des Gouverneurs selbst bedeuteten, jedoch erklärte Saakaschwili selbst scharf und eindeutig, er habe keine Partei. Zumindest, noch nicht.
Sobald klar wurde, dass Saakaschwilis Träume vom Sessel des Ministerpräsidenten zerbrochen sind, wie das von Awakow geworfene Glas, begann der georgische Reformator sein eigenes politisches Projekt zu schaffen, und, falls es gelingt, mit diesem in die Wahlen zu gehen.
Doch wie öde Saakaschwili es auch in den engen Grenzen des Gebiets Odessa auch sein mag, kann er sich bislang mit nichts wirklich in die große ukrainische Politik einmischen. Und auch mit niemandem.
Borowik gegen Borowik
Die politische Stille der letzten drei Wochen ohne Parlamentssitzungen, während dessen Poroschenko und Jazenjuk heftige aber geschlossene Debatten über den neuen Ministerpräsidenten führen, hatte alle Chancen mit einer Sensation zu enden. In einem Interview für die Zeitung Segodnja, die (dem Milliardär Rinat) Achmetow gehört, sagte der Stellvertreter des Gouverneurs der Region Odessa Alexander Borowik: „In Kürze werden wir ein politisches Programm haben, von der Sache her, ein Wahlprogramm. Es wird ein mitte-rechts, fiskalkonservatives und sozialliberales Programm. Wir wollen eine demokratische, europäische Parteiorganisation gründen, in der die Führer auf eine demokratische Weise gewählt werden.“
Er fügte hinzu, dass alle sowieso wissen würden, dass „Poroschenko Jazenjuk nicht ertragen könne“, und zog daraus die ganz logische Schlussfolgerung, dass alles auf vorgezogene Wahlen hinausläuft. Obwohl die westlichen Partner bekanntlich gegen diese Wahlen sind.
Aber die politischen Anhänger Saakaschwilis konnten sich daran kaum erfreuen, da der Gouverneur sich dazu klar äußerte, dass es nichts gäbe, worüber man sich freuen konnte. „Ich habe nicht mit Borowik über die Errichtung einer Partei gesprochen. Ich habe auch nicht vor irgendeine Partei zu gründen. Das ist die Unwahrheit“, sagte Saakaschwili der Ukrajinska Prawda und fuhr weiter die Straße nach Reni zubauen.
Einige Zeit später kam Borowik mit Erklärungen dazu. Seinen Worten nach hätten ihn die Journalisten nicht richtig verstanden. Im Interview mit der Ukrajinska Prawda erläuterte er, dass seine Worte als seine Sicht wahrgenommen werden sollten, und nicht als eine vollzogene Tatsache. „Mir scheint, dass es niemanden überraschen sollte, dass die ‘Bewegung zur Reinigung’ ein politisches Programm hat. Eben, dass es ein solches bisher nicht gibt, müsste die Menschen mehr verwundern“, sagte Borowik. „Der Koordinationsrat hat viele Ideen, und faktisch alle seine Mitglieder haben irgendwie dazu beigetragen. Wir bereiten jetzt den ersten Entwurf vor, den man diskutieren kann, öffentlich oder nichtöffentlich. Jedoch diese Arbeit muss gemacht werden“, erklärte der Mitstreiter Saakaschwillis.
Der Diskoordinierungsrat
Die Bewegung für die Reinigung erschien am ukrainischen Horizont nach dem ziemlich resonanzreichen Antikorruptionsforum in Odessa. Danach haben Saakaschwili und seine Mannschaft eine solide Veranstaltung mit siebentausend Menschen in Kiew organisiert und sind dann durch das Land gereist.
Von der Ferne sah es aus wie Erschaffung eines politischen Projekts. Der Frontmann wäre Saakaschwili, alle anderen – junge Akteure und die Masse, die zum Aufheizen da ist. Allerdings erzählte der Abgeordnete Mustafa Najem, dass alles mit der Antikorruptionsplattform beim Block-Petro-Poroschenko angefangen hat. „Micheil wurde durch das Auftreten dieser Gruppe im Parlament inspiriert und hat vorgeschlagen ein Forum in Odessa zu organisieren. Dort bei den öffentlichen Diskussionen habe ich offen vorgeschlagen aufzuhören weiter Aktivisten zu spielen und anzufangen eine breitere Plattform zu erschaffen.“
Bei einer detaillierteren Analyse erweist sich die einige Bewegung Saakaschwilis in Wirklichkeit nicht so vereinigt und auch nicht als die seine. Es stellte sich heraus, dass Wassyl Hazko, Mustafa Najem, Switlana Salischtschuk und andere sich nicht dafür versammelt haben, um die Masse zu bilden. „Wenn jemand die Bewegung, als eine „Massenversammlung“ von Saakaschwili bezeichnet, dann ist das unwahr. Das war eine Initiative von vielen Menschen. Im Koordinationsrat haben wir ganz viele Menschen, die prinzipiell alles, was einem auf einen Führer zugeschnittenen Projekt ähnelt, nicht akzeptieren“, erklärte der Ukrajinska Prawda eines der Mitglieder des Koordinationsrates der Bewegung zur Reinigung und einer ihrer Initiatoren, Wolodymyr Fedorin.
„Saakaschwili nimmt aktiv an der Arbeit der Bewegung teil, aber er unterscheidet sich von den anderen nur dadurch, dass er viel größer ist. Im Prozess des Entscheidungstreffens wiegt seine Stimme genau so viel, wie die Stimme der anderen zehn Mitglieder des Koordinationsrates“, betonte Fedorin. Auch wenn volle Hallen in Winnyzja und Poltawa sich versammelten, um vor allem Saakaschwili mit eigenen Augen zu sehen, was von den Organisatoren der Bewegung erfolgreich genutzt wird, werden Entscheidungen nicht alleine vom Odessaer Gouverneur getroffen.
Das leitende Organ der Bewegung ist der Koordinierungsrat, und zugegeben, ist es eine bunte Gemeinschaft. Hier finden sich Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen, Vertreter der „Demokratischen Allianz“ und der „Kraft der Menschen“, Analytiker und Saakaschwili mit seiner Mannschaft, und selbstverständlich, Ruslana.
„Die Bewegung bildete sich aus Ablehnung von Korruption, die ehrliche „Linke“ und ehrliche „Rechte“ und „Zentristen“ vereint“, erklärt Fedorin diese politische Zersplitterung. „Große“ Entscheidungen, wie die die Bewegung zu einer Partei umzuwandeln, sollte eben dieser Rat treffen.
“Die Bewegung ist eine Bewegung, keine politische Partei, keine Organisation mit einer gewissen Disziplin. Bis zu dem Punkt, wenn der Koordinationsrat rauskommt und etwas sagt, ist es zu früh zu sagen , dass etwas geschehen ist“, versichert Borowik. Jedoch mit der Abstimmung über die Positionen und die Vision des Projekts hat der Koordinationsrat gerade ein Problem.
Als die Bewegung eine Art Plattform für den Austausch der Ideen war, lief alles gut. Aber nach dem sich die Frage der politischen Entscheidung stellte, geriet die Sache ins Stocken. Offensichtlich ist der ehemalige georgische Präsident nicht gewohnt im Orchester zu spielen, er zieht es immer vor die erste Geige zu spielen.
Unter den Mitgliedern des Koordinationsrates zirkulieren Überlegungen, sich in eine Partei „ohne Micho“ zu vereinigen, weil er sowieso versuchen wird ein Projekt unter sich aufzubauen. „Mischa kann nicht im Team spielen. Somit ist eine Vereinigung ohne ihn besser als mit ihm“, erzählte privat ein Ratsmitglied.
Mustafa Najem ist in seinen Aussagen delikater, aber die allgemeine Vision des Projekts „entweder alle zusammen, oder gar nicht“ wird auch von ihm unterstützt. „Ob es aus der Bewegung eine politische Partei wird, hängt davon ab, ob ihre Teilnehmer sich ein gemeinsames Ziel stellen werden können, das sich nicht auf die Ambitionen und den Kampf für die eigene Geschichte einer konkreten Person beschränkt. Anderenfalls können alle Teilnehmer der Bewegung als Gleichgesinnte auf dem Ideenplatz bleiben, aber werden sich auf der politischen Ebene getrennt bewegen.“ Dazu verschärft sich noch in der Bewegung der alte Konflikt zwischen „linken“ und „rechten“. Beispielsweise äußerte sich der Führer der „Demokratischen Allianz“ Wassyl Hazko in einem Interview mit der Ukrajinska Prawda scharf gegen eine Vereinigung „aller mit allen“.
„Ich glaube nicht, dass es das Richtige ist, einen politischen Salat „Olivier“ aus Linken und Rechten zu machen. Für die Korruptionsbekämpfung ist es nicht prinzipiell wichtig, aber für die Änderungen im Land. Da steht die Frage der Wirtschaftspolitik an erster Stelle. Ich bin dagegen eine politische Kraft mit den Linken aufzubauen. Die sollen ihren Weg gehen. Hier ist wichtig, Zentristen und Rechtszentristen zu vereinigen“, fügte er hinzu.
Die wichtigste Frage bleibt, ob die Bewegung in die Politik gehen soll. Einige Leiter proklamieren, sie wären apolitisch, andere – andersrum, treten für aktive politische Handlungen ein. „Die Bewegung steht zurzeit vor einer wichtigen Entscheidung. Ob das eine Organisation sein wird, die einfach durch das Land reist und Treffen organisiert, oder eine politische Organisation eines Parteityps. Und diese Entscheidung muss man treffen. Ich denke, die Bewegung soll in die Politik einsteigen, zu einer politischen Partei werden“, betonte Borowik. Fedorin im Gegensatz meint, dass die Bewegung sich als eine „breite Antikorruptionskoalition“ entwickelt hat, dennoch ist er nicht dagegen, wenn sich daraus eine Partei entwickelt. Die Perspektive von vorgezogenen Wahlen hat die Diskussion angeregt, allerdings noch keine Resultate erbracht. Sachlich zu einer Parteigründung oder neuen Wahlen bereitet sich keiner vor. „Es wird keine Arbeit zur Parteigründung betrieben. Wir diskutieren in Facebook, da kommen Menschen hinzu, mit irgendjemandem der Organisationsmitglieder der Bewegung verbunden sind. Diese Menschen versammeln sich und nehmen irgendeinen Teil der Arbeit auf sich. Zumeist ist es Freiwilligenarbeit. Diese Gruppen als Urbilder von Parteizellen zu bezeichnen, bringe ich nicht über die Lippen“, sagte Fedorin.
Es gibt auch keine klare Vorstellung dazu, wer und wie die Partei finanzieren würde. Man würde doch kein Geld von den Menschen sammeln, wie es bei der Organisation der Antikorruptionsforen geschah.
Wie viele Kämpfer sind auf dem Spielfeld
Für einen realen politischen Kampf müsste die voraussichtliche „Partei von Saakaschwili“ sich nicht nur gründen, sondern auch Verbündete finden, die fähig sind vorgezogene Wahlen durchzusetzen. „Wenn man die Bewegung anschaut, da gibt es schon Vertreter von Parteien. Aus der „Demokratischen Allianz“ , „Samopomitsch/Selbsthilfe“, aus „Kraft der Menschen“ und anderen. Es ist ziemlich schwer zu entscheiden, was man mit dem Ganzen macht. Alle diese Post-Majdan progressive Kräfte müsste man vereinigen. Alle sollten das hören und darüber nachdenken. Denn wenn es wirklich zu vorgezogenen Wahlen kommt, was dann?, fragte etwas rhetorisch Borowik. „Wir haben sehr progressive Mitglieder, zum Beispiel, aus dem Block-Petro-Poroschenko. Ob sie jedoch mit der Block-Petro-Poroschenko zur Wahl gehen würden und wollen? Ob sie denken, dass diese Partei jetzt progressiv ist? Was sollen sie machen?“, fügte er hinzu.
Die Partei „Samopomitsch“ , deren Vertreter auch in den Leitungspositionen der Bewegung sind, ist aus der Parlamentskoalition ausgetreten. Ihr Fraktionsvorsitzender Oleh Beresjuk erklärte jedoch beim letzten Vermittlungsrat der Fraktionsvorsitzenden, dass sie gegen vorgezogene Wahlen sind. Gesprächspartner der Ukrajinska Prawda aus der Fraktion „Samopomitsch“ erzählen, dass sie, falls es doch zu Wahlen kommt, bereit sind ihr Vorgehen mit dem Projekt von Saakaschwili zu koordinieren, jedoch kann keine Rede von einer Vereinigung sein.
Vorher hatte die Ukrajinska Prawda bereits darüber geschrieben, dass die Umgebung des Odessaer Gouverneurs ihm von gemeinsamem Vorgehen mit Batkiwschtschyna/Vaterland von Julija Tymoschenko abrät. In einer Situation aber, in der vorgezogene Wahlen angestrebt werden, könnten die Begeisterung und die Leidenschaft mit denen Tymoschenko das Parlament auflösen könnte, in dem sie zu wenig Machteinfluss hat, Saakaschwili nützlich sein.
Zum gleichen Zeitpunkt ruft Borowik zur Vereinigung auf und schlägt ziemlich ambitionierte Pläne vor: „Alle progressiven Menschen sollten sich vereinigen, denn wenn es tatsächlich zu Wahlen kommt, würde eine solche progressive Macht 70 Prozent der Stimmen gewinnen, um die Reformen durchzuführen, die der Block-Petro-Poroschenko und die „Volksfront“ nach dem Majdan nicht gemacht haben.“ Doch bisher können sich nicht einmal die Teilnehmer der Bewegung in eine Partei vereinigen. „Es kommt die Frage auf, was macht man mit den Menschen, die wir elektrisiert haben? Ich folge all unseren Chats an verschiedenen Orten, die Menschen diskutieren weiter, jedoch sieht es nicht wie eine Parteistruktur aus“, merkte Fedorin an.
Außer dieser Ressource hat Saakaschwili keine anderen Varianten. Entweder gründet er eine eigene Partei und transformiert seine Popularität in realen Machteinfluss oder es könnte sich bald die Situation ergeben, dass nicht er die Reformatoren unter seinen Fittichen versammelt. So wird man nach gemeinsamen Wegen für die Bewegung suchen, Kompromisse eingehen, denn wie es aussieht, möchte kaum jemand in der Bewegung in einer „Partei von Saakaschwili“ mitspielen.
„Es ist verständlich, dass Micheil Saakaschwili für den Erfolg in der Ukraine ein Team braucht, das eine Organisationsstruktur bildet und Teil des gemeinsamen Projekts werden kann. Ob er oder jemand anderer die Bewegung für eigene Ambitionen und Pläne nutzen kann? Ja, möglich. Jedoch werden die Imageverluste unersetzbar sein“, warnt Najem.
15. März 2016 // Roman Romanjuk
Quelle: Ukrajinska Prawda