Ein kürzliches Forum Demokratischer Kräfte in Kiew könnte einen Durchbruch renommierter ukrainischer Antikorruptionskämpfer und Reformer in hohe Staatsfunktionen einleiten.
Die dezidiert antioligarchischen politischen Gruppen in der Ukraine haben damit begonnen, im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 eine breite reformorientierte Koalition aufzubauen. Am 11. Januar erklärte ein Kongress diverser reformorientierter Gruppen seine Unterstützung für die Kandidatur des ehemaligen Verteidigungsministers der Ukraine Anatolij Hryzenko. Die Versammlung wurde zwar von Hryzenkos Partei „Hromadjanska posyzija“ (Bürgerliche Position) dominiert, doch waren auch eine Reihe kleinerer Parteien und zivilgesellschaftlicher Bewegungen vertreten, die sich demonstrativ hinter Hryzenko stellten. Darüber hinaus nahmen auch einige prominente Parlamentsabgeordnete von der interfraktionellen Gruppe der Euro-Optimisten am Forum Demokratische Kräfte teil, unter ihnen Switlana Salischtschuk, Serhij Leschtschenko und Mustafa Najem.
Najem sprach sich in seiner Rede auf dem Forum für eine noch breitere Koalition reformorientierter Politiker aus und rief etwa den Bürgermeister von Lwiw, Andrij Sadowyj, und den Sänger der populären Band Okean Elsy (Elsas Ozean), Swjatoslaw Wakartschuk, auf, sich ebenfalls hinter Hryzenko zu stellen. Najem warf damit die Schlüsselfrage der ganzen Unternehmung auf: Wird das neue Bündnis letztlich groß genug sein, um tatsächlich politischen Einfluss ausüben zu können? Aus einer Reihe von Gründen bezieht sich die praktische Bedeutung und politische Relevanz der neuen Allianz eher auf die Parlamentswahlen im Herbst, denn auf die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr. Das hat mit Hryzenkos geringen Aussichten auf eine Präsidentschaft zu tun, aber auch mit der in der Verfassung vorgesehenen Aufteilung exekutiver Macht in der Ukraine.
Hryzenko wäre zwar im gegenwärtigen Kandidatenpool die womöglich ideale Wahl als Präsident. Nationale Verteidigung, Sicherheitspolitik und auswärtige Beziehungen liegen im Zuständigkeitsbereich des Präsidenten, während soziale und Wirtschaftsfragen weitgehend in der Hand des vom Parlament gewählten Ministerpräsidenten liegen. Als ehemaliger Offizier, politischer Analytiker und erfahrener Staatsmann wäre Hryzenko für das Amt des Präsidenten besonders gut vorbereitet.
Auch verfügt seine Partei Bürgerliche Position über einen offiziellen Beobachterstatus bei der ALDE-Fraktion im Europaparlament. Zu seinem Team gehört eine Reihe international gut vernetzter Politiker, die ebenfalls dabei helfen würden, die Beziehungen der Ukraine zum Westen zu vertiefen. Hryzenko ist einer der wenigen bekannten ukrainischen Politiker mit guter Reputation im Ausland und dem Image eines entschlossenen Korruptionsbekämpfers. Die EU und die Vereinigten Staaten würden es begrüßen, ihn und sein Team als neue Führung der Ukraine zu sehen.
Die Chancen, dass er bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen gewinnen wird, sind allerdings gering. Diese Wahlen werden zu einem beträchtlichen Grad von der Menge des Geldes entschieden werden, das die Kandidaten in ihre Kampagnen investieren können. Hryzenko ist hier im Nachteil. Er kann auf nur eingeschränkte Unterstützung durch ukrainische Oligarchen zählen, betont Hryzenko doch unentwegt, dass er keine Gegenleistungen für Wahlkampfunterstützung erbringen wird. Selbst wenn er es in die auf den 21. April 2019 angesetzte zweite Runde der Präsidentschaftswahlen schaffen sollte, würden die Oligarchen in einem solchen Fall gegen ihn mobil machen.
Dennoch sind seine Kandidatur und der Umstand, dass sich verschiedene Antikorruptionskräfte um Hryzenko und seine Partei Bürgerliche Position sammeln, wichtig für die Ukraine und deren Integration in den Westen. Der im Januar begonne Vereinigungsprozess bietet die Chance, eine starke Liste und effektive Mannschaft für die Parlamentswahlen im Oktober 2019 auf die Beine zu stellen. 2014 hatte Hryzenkos Bürgerliche Position eine Koalition mit der kleinen, aber angesehenen Demokratischen Allianz gebildet. Dieses politische Paar stellte sich jedoch als zu schwach heraus, um bei den damaligen Parlamentswahlen die Sperrklausel von fünf Prozent überwinden zu können. 2019 besteht nun die Hoffnung, dass ein zweiter Versuch erfolgreicher und die neue Allianz breiter sein wird.
Falls die Bürgerliche Position ins Parlament einzieht, würde die Werchowna Rada einen wichtigen Akteur gewinnen, auf den man sich bei der Implementierung von Wirtschafts- und Justizreformen, des Assoziationsabkommens mit der EU sowie der angelaufenen Dezentralisierung der Ukraine stützen kann. Ein starkes Abschneiden von Hryzenkos Liste könnte sogar bedeuten, dass sie Teil einer neuen Koalitionsregierung wird. Hryzenko oder auch so angesehene Politikveteranen wie Wiktor Tschumak, Direktor des renommierten Institute for Public Policy, Mykola Tomenko, ein Politikwissenschaftler und ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident, oder Taras Stezkiw, eines der Gründungsmitglieder der Oppositionsbewegung Ruch der späten Sowjetjahre, könnten Ministerämter oder andere hohe Posten in der ukrainischen Legislative oder Exekutive erhalten, falls die Partei im Oktober gut abschneidet.
Um dies zu erreichen, werden die radikalreformerischen Kräfte der Ukraine sich enger zusammenschließen und weiter konsolidieren müssen. Im Feld der Bewerber um Parlamentssitze wird es aller Wahrscheinlichkeit nach eng werden. Die drei führenden Präsidentschaftskandidaten Julija Tymoschenko, Petro Poroschenko und Wolodymyr Selenskyj werden wahrscheinlich Listen aufstellen und beträchtliche Ressourcen in ihre Wahlkämpfe investieren. Darüber hinaus dürften Oleh Ljaschkos berüchtigte populistische Radikale Partei, das rechtsextreme Lager und mindestens eine Nachfolgerorganisation der Partei der Regionen bei den Wahlen zur Werchowna Rada beträchtliche Chancen auf Erfolg haben. Dies wird den vorhandenen politischen Raum limitieren, und es könnte letztlich zu wenig gebildete urbane Wähler geben, um auch nur eine radikaldemokratische Antikorruptionspartei ins Parlament zu bringen. Dies könnte insbesondere dann passieren, wenn die dezidiert antioligarchisch eingestellte Wählerschaft durch zwei oder mehr derart orientierte Parteien gespalten wird. Dies könnte dazu führen, dass keine der Parteien, die für besonders radikale Reformen eintreten, letztlich mit einer eigenen Fraktion im Parlament vertreten sein wird.
Die Euromaidan-Gruppen werden politische Klugheit, Koalitionspragmatismus sowie strategische Weitsicht beweisen müssen, um es im Oktober gemeinsam über die Fünfprozenthürde zu schaffen. Zum einen müssten Hryzenko und sein Team einladend, tolerant und großzügig beim Einschluss weiterer Gruppen in ihre Koalition auftreten. Zum anderen müssen alle Akteure realistisch, zurückhaltend und auf das gemeinsame Wohl ausgerichtet sein. Das bekannte ukrainische Sprichwort „Tun sich zwei Ukrainer zusammen, gibt es drei Hetmane (Anführer)“ ist eine passende Warnung.
Auch dem Westen fällt hier eine Rolle zu. Die führenden ukrainischen Reformpolitiker frequentieren häufig westliche Botschaften und Hauptstädte. Die amerikanischen und europäischen Partner der Ukraine sollten ihren Freunden in Kyjiw, Lwiw und anderen Städten deutlich machen, dass vor den Parlamentswahlen 2019 in besonderem Maße konstruktives Verhalten gefragt ist. Denjenigen, die aus der sich gegenwärtig herausbildenden Allianz ausbrechen, um konkurrierende Listen anzumelden, oder die sich in der werdenden Koalition wenig hilfreich verhalten, sollte schon heute angekündigt werden, dass destruktive Alleingänge Folgen haben werde.
Westliche Diplomaten, Aktivisten und Politiker könnten etwas deutlich machen, dass für jene, die Stimmenlager für Reformen spalten oder politische Bündnisse verhindern und damit im zukünftigen ukrainischen Parlament die antioligarchischen Kräfte schwächen, keine Einladungen zu Botschaftsempfängen in Kiew oder politischen Treffen in westlichen Hauptstädten mehr erhalten werden. Es geht um viel bei den beiden nationalen Stimmabgaben in der Ukraine dieses Jahr. Und entsprechend viel Aufmerksamkeit sollte der Westen den ukrainischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 schenken.
Der Beitrag erschien zuerst auf der Webseite “Ukraine verstehen” des Zentrums Liberale Moderne in Berlin.
Den ersten Kommentar im Forum schreiben