Dieser Artikel ist ein Leitartikel der Redaktion, das heißt ein Text der keine persönliche Autorenschaft hat, aber die gemeinsame Position der Redaktionen der „Ukrajinska Prawda“, der „Jewropejska Prawda“, der „Ekonomitschna Prawda“ und „Ukrajinska Prawda – Schyttja“ wiedergibt.
Präsident Petro Poroschenko hat Micheil Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen. Und das ist überhaupt keine Frage des persönlichen Konfliktes dieser beiden Politiker. Das ist der Versuch, erneut die politische Zweckmäßigkeit über das Gesetz zu stellen. Wir erinnern daran, auf welche Weise das getan wurde.
Die erste Nachricht über den Entzug der Staatsbürgerschaft von Saakaschwili war der Eintrag des Parlamentsabgeordneten der Radikalen Partei Ljaschkos, Ihor Mossijtschuk. Im Zuge dessen verbreitete auch der Berater des Innenministers, der Abgeordnete der Volksfront, Anton Heraschtschenko, diese Information. Die Regierung nutzte bereits mehrfach diese Leute für die Verbreitung nicht eindeutiger Informationen. Der Migrationsdienst bestätigte mal diese Tatsache, mal dementierte er sie und erst nachher informierte er über die Existenz des Ukas des Präsidenten.
Grundlage für den Entzug der Staatsbürgerschaft des ehemaligen Gouverneurs des Gebiets Odessa wurde die Tatsache, dass er angeblich Fakten zur Strafverfolgung in Georgien während des Ausfüllens des Staatsbürgerschaftsantrags verheimlichte. Der Pressedienst des Präsidenten gab diese Tatsache erst am nachfolgenden Tag zu.
Zurzeit hält sich Saakaschwili in den USA auf. Vorher hatte er erklärt, dass er im Falle der Aberkennung der ukrainischen Staatsbürgerschaft plant, in der Ukraine zu bleiben. Jedoch ist es bei Weitem nicht offensichtlich, dass der Grenzschutz ihn bei der Rückkehr aus den Vereinigten Staaten ins Land lässt. (Inzwischen hat der Grenzschutz darüber informiert, dass Saakaschwili an der Grenze abgewiesen werden würde. A.d.Ü.) Saakaschwilis Fall ist dabei bei Weitem nicht der erste.
Seit Anfang 2017 schaffte Poroschenko es bereits dem „Radikalen“ Artemenko die ukrainische Staatsbürgerschaft wegen seiner Handlungen in den USA zu entziehen, wo er einen so genannten „Friedensplan“ lobbyierte, der eine zeitweilige Anerkennung der russischen Macht auf der Krim vorsah. Damals war die doppelte Staatsbürgerschaft die Grundlage – Artemenko hat einen kanadischen Pass. Mit dem gleichen Ukas entzog Poroschenko dem ehemaligen Stellvertreter Saakaschwilis, Sascha Borowik, die Staatsbürgerschaft. (Dieser hat noch die deutsche Staatsbürgerschaft. A.d.Ü.) Und vorigen Sommer lieferte die Ukraine mit unglaublicher Geschwindigkeit den Geschäftsmann Wjatscheslaw Platon an Moldau aus, seinen ukrainischen Pass für ungültig erklärend. (Die ukrainische Verfassung verbietet Auslieferungen ukrainischer Staatsbürger A.d.Ü.) In Chisinau behauptet man, dass dafür die Bitte des ehemaligen Geschäftspartners Poroschenkos, Wlad Plachotnjuk (Vlad Plahotniuc) ausreichte, der gerade einen außerordentlichen Einfluss auf die Regierung in Moldau hat.
Dagegen wird Saakaschwili im Unterschied zu allen oben aufgezählten Ex-Ukrainern zu einem Menschen ohne Staatsangehörigkeit – ein Staatenloser. Bereits im Dezember 2015 wurde ihm die Staatsbürgerschaft Georgiens wegen des Erhalts des ukrainischen Passes entzogen. Die Ukraine nahm die Verpflichtung auf sich keine Staatenlosigkeit zuzulassen – wir haben die entsprechende Konvention unterzeichnet. Doch in der Geschichte mit Micheil Saakaschwili ist Poroschenko „zwischen den Tropfen“ durchgelaufen.
Die Konvention enthält eine einzige Ausnahme, wegen der ein Staat seinen Staatsbürger zum Staatenlosen machen kann – wenn sich herausstellt, dass diese Person „die Staatsangehörigkeit infolge … falscher Angaben oder der Verheimlichung irgendwelcher wesentlicher Fakten erlangte“. Eben dieser Punkt funktionierte im Fall Saakaschwilis.
In den sozialen Netzwerken entrüstet man sich aufgrund der angeblichen Verletzung der Verfassung von Seiten Poroschenkos, denn das Grundgesetz besagt, dass „niemand die Staatsbürger entzogen werden kann“ (Artikel 25), jedoch ist die Situation schwieriger. Zwei andere Artikel der Verfassung geben dem Präsidenten das Recht die Staatsbürgerschaft in Fällen zu beenden, die vom Gesetz vorgesehen sind (Artikel 4 und 106). Das ändert jedoch nicht die Tatsache, dass mit dem Ukas Poroschenkos die Ukraine zur Tradition Janukowytsch zurückkehrt, zu Zeiten der Manipulation des Rechts zum eigenen Vorteil und zur selektiven Rechtssprechung.
Die Entscheidung wurde nicht lange nach dem Besuch Petro Poroschenkos in Georgien gefällt und die Prozedur wurde am Tag nach der Rückkehr des Präsidenten nach Kiew gestartet. Der Einfluss der georgischen Partner sollte dabei auch nicht unterschätzt werden. Die „Bestrafung“ Saakaschwilis wurde, wie es aussieht, nicht nur zum Zeichen der Bekämpfung politischer Gegner von Poroschenko.
Diejenigen, die mit dem offiziellen Tbilissi nach 2015 sprachen, bekräftigen, dass jegliche Erwähnung von „Saakaschwili in der Ukraine“ bei der georgischen Regierung emotionelle Empörung hervorrief. Seinerzeit wurde die Einladung Micheils ins Team Poroschenkos zum Hauptärgernis in den Beziehungen der Ukraine und Georgiens. Die offiziellen Kontakte unserer Länder auf hoher Ebene wurden von der Sache her eingestellt. Die Ukraine hatte mehrere Jahre keinen Botschafter in Georgien. Poroschenko traf sich beinahe nicht mit den georgischen Kollegen und auf der Bankowa (Sitz des Präsidenten, A.d.Ü.) vergaß man den befreundeten Staat, wie es aussieht, darauf zählend, dass das Team Saakaschwilis wieder an die Macht kommt und alles erneuert wird.
Der dreitägige Besuch Poroschenkos in Georgien wurde für ihn zu einer kalten Dusche. Sogar öffentlich, auf Pressekonferenzen, musste Poroschenko sich zweimal rechtfertigen, warum Saakaschwili frei in der Ukraine lebt und arbeitet, obgleich Georgien mehrfach um seine Auslieferung ersucht hat. Das nimmt aber ebenfalls keines der Probleme mit dem Ukas des Präsidenten.
Wir erinnern daran, dass die formale Grundlage für den Entzug der Staatsbürgerschaft Saakaschwilis die Verheimlichung der Strafverfolgung in Georgien während des Erhalts des ukrainischen Passes war. Die Behauptung hält dabei keiner Kritik stand. Konnte etwa Präsident Poroschenko diese Tatsache im Mai 2015 nicht wissen, als er Saakaschwili „Reformhoffnung“ nannte und ihm den Pass mit dem Dreizack gab? Er konnte es einfach nicht nicht wissen – er kannte die Probleme seines Mitstreiters genau, die in seiner Anwesenheit in der Ukraine und auch in Brüssel diskutiert wurden. Außerdem hat die ukrainische Regierung Georgien zweimal die Auslieferung Saakaschwilis verweigerte von der Sache her anerkannt, dass die gegen ihn eröffneten Verfahren politische motiviert sind. Genauso wie man das in den USA und der Europäischen Union anerkennt. Das offizielle Tbilissi konnte die Verhaftung des Ex-Präsidenten in keinem einzigen der Staaten erreichen, in die dieser reiste.
Der derzeitige Schritt Petro Poroschenkos gleicht außerordentlich der in Russland verbreiteten Methode der Herausdrängung Unbequemer. Erst vor fünf Tagen wurde die Annullierung der russischen Staatsbürgerschaft von Demjan Kudrjazew beaknnt, dessen Familie Eigentümer der liberalen Zeitung Wedomosti ist. Möglicherweise ist es ein Zufall, aber der formale Grund für diesen Schritt der Russland war der gleiche – angeblich unvollständige Angaben in den Dokumenten. Die Analogie dieser Beispiele zeigt eine unangenehme Tatsache: in ihrer politischen Entwicklung bleibt die Ukraine weiter näher an Russland, als an den Ländern der Europäischen Union.
Wir müssen gesondert unterstreichen: das Ziel dieses redaktionellen Artikels ist nicht die Verteidigung der Politik Micheil Saakaschwilis. In der Redaktion der Ukrajinska Prawda gibt es unterschiedliche Position zu seinen Äußerungen, Plänen und überhaupt seiner Effektivität. Genausowenig stellen wir uns das Ziel Artemenko, Borowik oder geschweige denn Platon zu verteidigen. Es geht um die Zukunft der ukrainischen Demokratie.
Das Problem besteht darin, dass Präsident Poroschenko als Garant der Verfassung persönlich die bestraft, deren Bestrafung für ihn von Vorteil ist. Und gleichzeitig verschließt er die Augen vor schreiende Rechtsverstöße – wenn diese seine Interessen nicht berühren. Worin unterscheidet sich das von der selektiven Rechtssprechung der Zeiten Janukowytschs? Warum wird Saakaschwili die Staatsbürgerschaft entzogen und gleichzeitig bemerkt der Präsident nicht die Existenz des britischen Passes beim Chef des Staatlichen Finanzdienstes, Roman Nassirow, der bis heute formal Chef des Fiskaldienstes ist und gegen den gleichzeitig das Antikorruptionsbüro ermittelt? Der formelle Grund ist, dass der Migrationsdienst angeblich keine Beweise der Existenz der britischen Staatsangehörigkeit von ihm hat. Doch das ist ungeachtet mehrerer offizieller Erklärungen der Botschaft Großbritanniens, die diese Tatsache bestätigte! Oder ist dem Präsidenten nicht die Existenz mehrere Pässe des Oligarchen Ihor Kolomojskyjs bekannt, worüber er sich offen lustig machte, Journalisten darüber erzählend, als er noch Chef der Dnipropetrowsker Gebietsverwaltung war. Schlussendlich hat etwa die Ukraine wenigstens irgendeinem der Flüchtigen aus dem Team Janukowytschs, die Pässe der Russischen Föderation erhalten haben, die Staatsbürgerschaft entzogen? Zumindest in den Gerichtsprozessen kam das nicht auf. Wir haben genauso das Recht Bürger anderer Staaten zu verurteilen, wie auch Ukrainer. Ja und nicht einmal gegen alle Flüchtigen wird ermittelt.
Es ist es wert, das zu wiederholen. Der Fall Saakaschwili – das ist nicht allein die Frage des persönlichen Konflikts zweier Politiker. Das ist erneut der Versuch, die politische Zweckmäßigkeit über das Gesetz zu stellen. Der Versuch sich mit unbeschränkter Macht auszustatten. Nicht umsonst wird in den sozialen Netzwerken bereits gescherzt: der Präsident beschloss die „Staatsbürgerschaft“, die in demokratischen Staaten existiert, mit der „Untertanenschaft“, die Monarchien eigen ist, zu ersetzen. Das Prinzip „für die Freunde alles, für die Feinde das Gesetz“ kam der Ukraine unter den vorhergehenden Präsidenten teuer zu stehen. Eben daher sieht dessen Rückkehr so beschämend aus. Und eben deswegen kann dazu nicht geschwiegen werden.
27. Juli 2017 // Redaktionen der „Ukrajinska Prawda“, der „Jewropejska Prawda“, der „Ekonomitschna Prawda“ und „Ukrajinska Prawda – Schyttja“
Quelle: Ukrajinska Prawda
Den ersten Kommentar im Forum schreiben