Die Schocktherapie der Regierung Jazenjuk
Das Ministerkabinett bereitet Reformen vor, welche jeden betreffen. Man verspricht, “unnötige Vergünstigungen” zu kürzen, Sonderrenten, ein neues Arbeitsgesetzbuch, den Ausverkauf von Staatseigentum und höhere Tarife für kommunale Dienstleistungen. Die Beamtenarmee wird sich um insgesamt zehn Prozent innerhalb von zwei Jahren verringern.
Versicherung gegen das Abheben der Regierung
“Meine politische Position bleibt unverändert: die Abschaffung der Regionalverwaltungen und Übergabe der Befugnisse an entsprechende Räte”, erklärte Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk im Parlament und erntete stehende Ovationen.
So überredete er fast die Hälfte der über Direktmandate gewählten Abgeordneten, dem Programm der Regierung zuzustimmen. Ein gewisses allgemein-deklaratives Dokument schützt die Regierung für ein Jahr vor einem Misstrauensvotum durch die Werchowna Rada (Art. 87 der Verfassung).
Die Abgeordneten stimmten dem Programm mit 269 Stimmen zu (in der ursprünglichen Fassung vermeldete LB.ua irrtümlicherweise, dass 325 Abgeordnete zustimmten), trotz dass die Parlamentarier des Blocks Pjotr Poroschenko das Dokument von Anfang an kritisierten, der Presse-Dienst der Abgeordneten-Gruppe “Wirtschaftliche Entwicklung” (unter der Führung von Witalij Chomutynnik) gab die Mitteilung heraus, dass man das Programm Jazenjuks überhaupt nicht unterstützen würde. Aber im Block-Pjotr-Poroschenko überlegte man es sich noch einmal, und die sich enthaltende Gruppe Chomutynniks konnte nichts mehr beeinflussen.
Gründe gibt es dafür einige.
Erstens hängt das Land von ausländischen Kreditgebern ab, welche auf Reformen drängen. In Kiew befindet sich die IWF-Mission und verfolgt aufmerksam die Entscheidungen der Parlamentarier und der Regierung. Im angesehenen Wirtschaftsmagazin Financial Times erschien in diesen Tagen Informationen über die Notlage der Ukraine. Angeblich benötigt das Land Mittel in der Größenordnung von 15 Milliarden $, sonst wäre Kiew zahlungsunfähig (nicht alle Analysten glauben dieser Information, siehe der skeptische Kommentar von Aleksander Parashtshij von Concorde Capital)
Zweitens besteht das Programm des Ministerkabinetts aus allgemeinen Worten mit unklarer Fristsetzung, wann die Versprechen erfüllt werden sollen, die echten Kämpfe beginnen vor der Abstimmung über die einzelnen Gesetze. Traditionell hart kämpfen werden die Abgeordneten um die Bestimmungen in den Anhängen zum Haushaltsgesetz, dessen Verabschiedung für den 26.12. geplant ist.
Drittens versprach die Regierung den Fraktionsführungen, dass die neuen Steuer- und Haushaltsgesetze bis Ende des Jahres verabschiedet werden.
Die Gesetzesvorlagen sind noch nicht ins Parlament eingebracht worden. Doch im Programm der Regierung ist die Rede von einer Reduzierung der Steuerarten von 22 auf 9 bereits im ersten Quartal 2015, von einer zweistufigen Senkung der Einheitssteuer im gleichen Zeitraum und vom Verbot der Überprüfung kleiner und mittlerer Unternehmen 2015 und 2016.
Die Änderungen im Haushaltsgesetz sollen den lokalen Behörden mehr finanzielle Freiheit geben. Sie können z.B. innerhalb des Landes mit dem stillschweigenden Einverständnis des Finanzministeriums Geld bei internationalen Organisationen leihen. Und Städte regionaler Bedeutung können dazu noch Geld im Ausland leihen.
Ebenso können lokale Behörden selbst wählen, wo sie Gelder des Entwicklungsbudgets oder der verschiedenen Haushaltskonten anlegen. Dazu fließen in die lokalen Haushalte Zahlungen für Verwaltungsdienstleistungen, die Gebühren, zehn Prozent der Gewinnsteuer von privaten Unternehmen, die Steuern auf verbrauchssteuerpflichtige Waren aus dem Einzelhandel (2-5 Prozent des Preises) und andere Zahlungen. In der Regierung geht man davon aus, dass die Änderungen im Haushaltsgesetz den lokalen Haushalten 2015 mehr als 39 Milliarden Hrywnja (derzeit etwa zwei Milliarden Euro) zusätzlicher Einnahmen bescheren.
Das Übel ist nur, dass die letzten Kommunalwahlen in der Ukraine (außer Kiew) noch 2010 unter Präsident Wiktor Janukowitsch stattfanden. D.h. die Gelder und Kompetenzen fallen den noch “vorrevolutionären” Regionalparlamenten zu. Die nächsten Kommunalwahlen werden erst im Oktober 2015 durchgeführt.
Die Schlüsselpunkte des Programms
Die Bedrohung durch Krieg hält die Regierung für elementar, daher verspricht sie Mittel für Verteidigung und Sicherheit in Höhe von fünf Prozent des BIP. Soviel gibt die Ukraine bereits jetzt für Verteidigung, Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte aus.
Im Verteidigungsprogramm der Regierung einbezogen sind die Festigung der Grenze zu Russland, Privilegien für die Teilnehmer an den Antiterroroperationen und die Produktion von Informationssendung, darunter auch für das Ausland.
Die Reform der staatlichen Verwaltung beinhaltet die Einschränkung der Rolle des Staates bei der Regulierung der Wirtschaft, die Verringerung der Kontrollorgane von 56 auf 28, die Reduzierung der Staatsbediensteten um zehn Prozent innerhalb von zwei Jahren bei einer entsprechenden Erhöhung der Bezahlung. Dies ist sehr wenig. Die Ökonomen von VoxUkraine schlagen vergleichsweise viel radikalere Kürzungen vor. Sogar nach einer Streichung eines Zehntels der Beamten verbleiben von ihnen immer noch mehr als es 2012 gab.
Gleichzeitig bereitet die Regierung die Schaffung eines neuen Ministeriums für Informationspolitik vor, das von dem Bekannten des Präsidenten und früheren Leiter des “5. Kanals”, Juri Stez, geleitet werden wird. Im Programm des Ministerkabinetts wird dies aus irgendeinem Grunde verschwiegen.
Ebenso schlägt die Regierung die Einführung von e-Government vor. Ob dieses Versprechen eingelöst wird, bleibt eine große Frage. So wurde bereits in der Präsidialadministration (PA) versprochen, auf überflüssiges Papier zu verzichten. Jedoch, nach Worten früherer PA-Mitarbeiter, ist nach Stand September nur die Nutzung kostenloser gemeinsamer Google-Dokumente herausgekommen.
Das Ministerkabinett verspricht, Beamte nach dem Wettbewerbsprinzip einzustellen. Doch die Wahl der Minister fand ihren Ausdruck bereits in einem kleineren Skandal bei der Auswahl der Recruiting-Agentur, über den Walentina Samar auf zn.ua schrieb.
Jazenjuk spricht vom unversöhnlichen Kampf gegen die Korruption. Ein Teil der notwendigen Gesetze wurde bereits verabschiedet, doch ob dieses Gesetzeswerk funktionieren wird, sehen wir 2015. Vorerst bleibt die Ukraine das korrupteste Land Europas.
Damit verbunden sind auch die schwierigen Reformen der Polizei und des Gerichtssystems. Allein schon die Eignungsprüfung der 9000 Richter ist ein Kraftakt.
Die neue Wirtschaftspolitik beinhaltet eine Kürzung der Staatsausgaben entsprechend den BIP-Konten in Höhe von zehn Prozent innerhalb von zwei Jahren. Nicht zehn Prozentpunkte, sondern ein Zehntel. Derzeit wird die Hälfte des ukrainischen BIP durch den Staatshaushalt umverteilt.
Die Regierung erklärte der Schattenwirtschaft den Krieg. Sie verspricht, die Einheitssozialabgabe von 41 Prozent 15 Prozent des Lohns zu senken und gleichzeitig die Haftung bei Auszahlung der Löhne in Briefumschlägen zu verschärfen.
Den Worten Jazenjuks nach erhalten derzeit in der Hauptstadt der Ukraine 40 Prozent der Einwohner weniger als 1.218 Hrywnja im Monat (derzeit etwas mehr als 63 Euro), ohne Berücksichtigung des haushälterischen Bereichs. “Das ist gelogen”, glaubt der Ministerpräsident. In Kiew aber erhalten viele in der Tat nur den Mindestlohn und leben von der Vermietung der Wohnungen, der Hilfe ihrer Nächsten und zufälliger Nebeneinkommen. Die Frage ist, wieviele solcher Menschen es gibt. Im Durchschnitt lebte im Land zu Beginn des Jahres jeder fünfte Ukrainer unter der Armutsgrenze, aber das Jahr über wuchs die Zahl der Armen nur.
Jazenjuk schlägt vor, Ersparnisse zu legalisieren und die Kontrolle über die Bildung von Verrechnungspreisen einzuführen, damit Großunternehmen Gewinne nicht mehr ins Ausland transferieren können. Aber aus unbekannten Gründen will die Regierung diese Reform erst 2016 durchführen. In diesem Zeitraum startet die Regierung auch die elektronischen Ausschreibungen.
Es scheint, je stärker die Reform die Oligarchen und korrupten Beamten trifft, umso später wird sie eingeführt.
Ein einzelner Abschnitt handelt von der Verwaltung des Staatseigentums. Das Wichtigste ist hierbei die Reduzierung des Staatseigentums mittels Privatisierung. Die Regierung will 1.200 Unternehmen von 1.500 verkaufen, die bisher nicht der Privatisierung unterlagen. Außerdem ist die Durchführung von Auktionen als Hauptmethode für die Privatisierung und den Verkauf von staatlichen Aktienpaketen an internationalen Börsen für 2016-2017 geplant, der Verkauf von Objekten beginnt bereits nächstes Jahr.
Die neue Lebensmittelpolitik fasst das Wichtigste nicht ins Auge: die Schaffung eines Bodenmarkts. Während seines Auftritts im Parlament stellte Arsenij Jazenjuk fest, dass die Abgeordneten nicht einmal bereit sind, darüber zu reden. Übrigens versprechen die Beamten, den Markt für die Pacht von Boden transparent zu machen.
Von der Energieunabhängigkeit spricht jede ukrainische Regierung. Dieses Mal erklärt das Ministerkabinett den Verkauf von Teilen des Gastransportnetzes (unter Anwerbung von Investoren), das Erhöhen der Gaspreise für Privat- und Kommunalverbraucher sowie die Schließung, Konservierung oder den Verkauf staatlicher Minen. Gleichzeitig versprechen die Beamten gezielte Subventionen für die ärmsten Familien. Tariferhöhungen und Subventionen sind für 2017 geplant.
Die letzte Tariferhöhung wurde von der Abwertung aufgefressen, als Resultat der Dollarisierung (Gas kaufen wir in Dollar ein) sind die Kosten für Gas, Heizung und Warmwasser für die Bürger sogar gesunken. Wie auch immer sollten sich neue Preissteigerungen nicht in solch eine Blamage verwandeln.
Die Sozialpolitik birgt in sich ebenso Gefahren. Was sich hinter der “Schaffung eines gerechten Sozialsystems” verbirgt, erinnert die Ukrainer (und besonders die Ukrainerinnen im Vorrentenalter) wahrscheinlich an die Entscheidungen im Jahre 2011.
Auch schlägt das Ministerkabinett vor, 2016 Sonderrenten und “ineffiziente Privilegien” abzuschaffen sowie Privilegien zu monetarisieren.
Ein weiterer Absatz behandelt das Arbeitsgesetzbuch. Die Gewerkschaften vereitelten dessen Verabschiedung 2011 und ließen eine Vorlage zur Abstimmung 2013 nicht zu. Doch Arsenij Jazenjuk beabsichtigt, es unbedingt durchzudrücken. Während seines Auftritts im Parlament sagte er, dass “ein Wettbewerbsarbeitsmarkt vorgesehen ist”. Allem Anschein nach ist hier die Rede wieder von der Entlassung von Lohnarbeitern und der Marginalisierung der Rolle der Gewerkschaften.
In kurzen Worten werden im Sozialbereich die Probleme der Flüchtlinge von der Krim und aus dem Donbass behandelt sowie teilweise deren Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Anzahl der Flüchtlinge überstieg bereits 500 000 und wächst täglich.
Sehr spärlich und ohne konkrete Beschreibung verbleiben die Änderungen in den Bereichen Kultur, Jugend und Sport.
Letztendlich erst im letzten Punkt über internationale Hilfe spricht man von der Unterstützung ukrainischer Bürger, die auf der Krim und im Donbass zurückgeblieben sind. Und dies nicht auf Kosten des Staathaushalts, sondern auf Kosten ausländischer Wohltäter.
11. Dezember 2014 // Andrej Janizkij
Quelle: Lewyj Bereg