Sprachgesetz kam ohne Behinderung durch die Opposition in der ersten Lesung durch
Gestern nahm die Werchowna Rada in der ersten Lesung den Gesetzentwurf Nr. 9073 „Über die Grundlagen der staatlichen Sprachpolitik“ an, der, der Meinung der Opposition nach, der russischen Sprache die Rechte einer zweiten Amtssprache gibt. Obgleich die Opposition öffentlich versprachen alles mögliche dafür zu tun, dass das Gesetz nicht verabschiedet wird, leisteten sie keinen Widerstand. Die Annahme des Dokuments lief ruhig im Sitzungssaal ab, doch auf der Straße kam es zu massiven Zusammenstößen zwischen Verteidigern der ukrainischen Sprache und der Miliz.
Sie standen an ihren Plätzen
Der Gesetzentwurf „Über die Grundlagen der staatlichen Sprachpolitik“ Nr. 9073 wurde in der Werchowna Rada von den Parlamentsabgeordneten Sergej Kiwalow und Wadim Kolesnitschenko (beide Partei der Regionen) registriert. Das Dokument sieht vor, dass die ukrainische Sprache die einzige Amtssprache bleibt, jedoch sieht es eine breite Anwendung regionaler Sprachen vor, zu denen im Gesetzentwurf unter anderem die russische gezählt wird. Die Anwendung regionaler Sprachen sieht unter anderem die Möglichkeit einer Übersetzung von Wahl-, Gerichts- und Anwaltsdokumenten vor. Daneben schlägt der Entwurf den Organen der lokalen Selbstverwaltung vor, in diesen Regionalsprachen ihre Angelegenheiten abzuwickeln und sie beim Schriftwechsel mit den Staatsorganen der höheren Ebenen zu verwenden.
Die Prüfung des Gesetzentwurfes wurde am 24. Mai aufgrund einer Schlägerei zwischen den Abgeordneten der Opposition und Vertretern der Fraktion der Partei der Regionen verhindert (siehe Ausgabe des Kommersant-Ukraine vom 25. Mai). Der zweite Versuch das Gesetz zu beschließen wurde auf den 5. Juni angesetzt. Die Vorbereitung begann bereits am Montagabend. Gegen 23:00 Uhr tauchten beim Gebäude der Werchowna Rada einige hundert junger Leute von kräftiger Statur in sportlicher Kleidung auf, die den Platz zwischen dem Watutin-Denkmal und dem Zaun vor dem Parlament besetzten. Sie waren wortkarg. „Die Mehrzahl von uns hier ist nicht aus Donezk, sondern aus Poltawa, Kriwoj Rog und Lugansk“, gab einer von ihnen gegenüber dem “Kommersant-Ukraine” zu. „Wir sind hierher gekommen, um die Partei der Regionen zu unterstützen“. Davon erfahrend begannen sich auch Gegner des Sprachgesetzes zum Rada-Gebäude zu begeben, doch waren sie weitaus weniger – buchstäblich einige Dutzend. Gegen Mitternacht wurde die Gruschewskij-Straße, auf der sich das Parlamentsgebäude befindet, gesperrt und auf der Fahrbahn wurde eine Tribüne mit der Symbolik der Partei der Regionen errichtet. Die Milizionäre, die vor der Rada wachten, beobachteten die Vorgänge ruhig.
Das Oppositionsmeeting war für 9 Uhr angesetzt, doch begannen sich Anhänger und Gegner des Gesetzentwurfs um einiges früher vor dem Rada-Gebäude zu versammeln. So tauchten Aktivisten der Oppositionsparteien „Batkiwschtschyna/Vaterland“ und „Front Smin/Front der Veränderungen“ bereits gegen sieben Uhr morgens im Bereich der Gruschewskij-Straße auf. Die Oppositionellen planten ihre Versammlung neben dem Gebäude für die Ausschüsse der Werchowna Rada abzuhalten, jedoch sperrte die Miliz bereits in der Nach die Straße, daher erwiesen sich die Teilnehmer der Aktion als zum Regierungsgebäude abgedrängt. Zum angesetzten Zeitpunkt versammelten sich etwa viertausend Menschen – zur vereinigten Opposition gesellten sich Aktivisten der Partei UDAR, des Kongresses der ukrainischen Nationalisten, der UNA-UNSO (Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung) und ebenfalls Studenten der Kiewer Mohyla-Akademie.
Alle Zugänge zum Radagebäude waren derweil von Anhängern der Partei der Regionen besetzt worden. „Sportler“ standen um die Bühne und ein Teil des Marien-Parks, der Fahrbahn und des Bürgersteigs der Gruschewskij Straße wurde von Leuten vornehmlich studentischen Alters besetzt – es versammelten sich nicht weniger Anhänger der Partei der Regionen, als der Opposition.
Preisgabe ohne Kampf
Derweil ließen sich in der Rada keine besonderen Menschenansammlungen beobachten. Das Parlamentspräsidium wurde von den Abgeordneten der Partei der Regionen kontrolliert, die etwa 30 Personen dort positionierten. Daneben blockierten sie den Zugang zum Pult des Abstimmungssystems der Rada, das sich auf der zweiten Etage des Parlamentsgebäude befindet.
Nach 9 Uhr begann sich der Saal mit Abgeordneten der Oppositionsfraktionen zu füllen, denen nur übrig blieb, ihre Kollegen von der Parlamentsmehrheit von der Seite zu betrachten. Später gab der Abgeordnete Arsenij Jazenjuk („Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung“) zu, dass die Opposition einen Plan zur Sabotage der Abstimmung des Gesetzentwurfes Nr. 9073 vorbereitet hatte. „Ich weiß, dass (die Abgeordneten der Opposition) 30 Abstimmungskarten (der Parlamentsmehrheit) hätten nehmen müssen. Und ich weiß auch davon, dass sie sich hätten prügeln müssen“, sagte er Journalisten. Jedoch begannen sich die Ereignisse im Saal, komplett anders zu entwickeln. Von dem vorher erdachten konnten die Abgeordneten von „Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung“ nur einen Punkt realisieren – ihre Arbeitsplätze mit einer riesigen Flagge der Ukraine zu bedecken. „Leute, die gelbe Seite muss näher zu den Journalisten, damit es in den Kameras normal aussieht!“, spöttelte der Abgeordnete Wladislaw Sabarskij (Partei der Regionen) über die Oppositionellen.
Die Sitzung wurde vom Vorsitzenden der Werchowna Rada Wladimir Litwin eröffnet. Um die Anspannung im Saal zu entfernen, stellte der Sprecher die Frage der Entfernung alternativer „Sprach“-Gesetzentwürfe von der Tagesordnung zur Debatte und verkündete danach unerwartet: „Es wird der Vorschlag zur Abstimmung gestellt, den Gesetzentwurf ‘Über die Grundlagen der staatlichen Sprachpolitik’ als Grundlage zu nehmen“.
Dieser Vorschlag überrumpelte die Opposition – sie verfolgten schweigend, wie die Abstimmung ablief und wie auf der Anzeigetafel das Resultat angezeigt wurde – 234 Abgeordnete nahmen in der ersten Lesung den Gesetzentwurf „Über die Grundlagen der staatlichen Sprachpolitik“ an. Lediglich der Abgeordnete Andrej Parubyj („Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung“) versuchte die Abstimmung zu stören. Er rannte zum Bereich in dem sich die ehemals zu den Oppositionsfraktionen gehörenden Mitglieder der Parlamentsmehrheit befanden und versuchte aus dem Körbchen für die Abstimmungskarten einige der Karten herauszuholen. „Was machen Sie?“, schrie Parubyj den Vorsitzenden der Fraktion „BJuT-Batkiwschtschyna/Block Julia Timoschenko – Vaterland“, Andrej Koshemjakin und Arsenij Jazenjuk an, die mit verstörtem Blick neben der Parlamentstribüne standen.
„Die Abgeordneten haben einfach nicht begriffen, dass die Prüfung dieser Frage begonnen hatte“, rechtfertigte sich später der Erste stellvertretende Vorsitzende von „Batkwischtschyna“, Alexander Turtschinow, vor Journalisten. Arsenij Jazenjuk versprach seinerseits, dass die Opposition die Verabschiedung in der zweiten Lesung nicht zulassen wird. „Dieser Kampf wurde von uns nicht gewonnen, doch wir werden den Sieg im Krieg davontragen“, erklärte er. Und die Führerin von „Batkwischtschyna“, Julia Timoschenko, versuchte in ihrem Brief aus dem Charkower Krankenhaus die Gegner des Gesetzentwurfes zu beruhigen, indem sie schrieb, dass „dieses ‘Gesetz’ bald unbedingt aufgehoben wird“. „Und das ist nicht mein Wunsch aus dem Gefängnis heraus, sondern das ist eine Garantie“.
Derweil gab die siegreiche Abstimmung den „Regionalen“ Sicherheit. „Haben wir es in der ersten Lesung beschlossen, werden wir es auch in der zweiten“, versprach Sergej Kiwalow, einer der Autoren des Entwurfs.
Die Straße wurde sich ihrer selbst bewusst
Nachdem der Gesetzentwurf in der ersten Lesung beschlossen wurde, gingen die Abgeordneten der Partei der Regionen hinaus und wandten sich an ihre Anhänger, die sich vor der Rada versammelt hatten. Die ans Mikrofon gehenden Abgeordneten lobten den beschlossenen Gesetzentwurf und äußerten sich ohne Zurückhaltung über die Opposition. So verlas der Abgeordnete Boris Bilasch sein Gedicht, das dem „orangen“ Team gewidmet war und mit den Worten begann: „Opponenten unsere rostigen, was macht ihr mit dem Staat“, was lauten Beifall nach sich zog und der Abgeordnete Dmitrij Swjatasch versicherte den Versammelten, dass „mit dem Beschluss des Gesetzes nicht nur die Partei der Regionen, sondern die gesamte Ukraine gewonnen hat“.
Die Antwort darauf war eine Versammlung beim Kabinettsgebäude. Dort, im strömenden Regen auf dem Dach eines Busses stehend, wandten sich Oppositionsabgeordnete und ukrainische Schriftsteller an die Versammelten. Die Stimmung der meisten war niedergeschlagen: der Abgeordnete Jurij Stez („Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung“) hockte sich hin und bedeckte sein Gesicht mit den Händen, doch sein Fraktionskollege Oles Donij schrie wütend ins Mikrofon und bezeichnete die Abstimmung für das Gesetz als „Verrat“.
„Wir rufen bereits heute dazu auf einen Ausschuss zur Verteidigung der ukrainischen Sprache mit Unterabteilungen in allen Oblasten der Ukraine zu gründen!“, fanden die Schriftsteller Kapranow als traditionelle Lösung.
In diesem Moment versuchte eine maskierte Gruppe junger Leute die Milizabsperrung zu durchbrechen. Mit Rufen „Ruhm der Ukraine!“ probierten sie die Angehörigen der Spezialabteilung des Innenministeriums „Berkut“, die näher an der Rada dran standen, abzudrängen. Das Gedränge dauerte einige Minuten – die Miliz wendete Tränengas an und die maskierten Leute wurden zurück zum Kabinettsgebäude gedrängt. Nach einigen Minuten versuchten die Teilnehmer der Aktion auf das Gelände des Marien-Parks zu gelangen und es entsponn sich erneut ein Handgemenge: die Demonstranten rissen den „Berkut“-Leuten die Helme herunter, traten die fallenden Milizionäre mit den Füßen und rissen ihnen die Schulterstücke herunter. Nachdem die Miliz erneut Tränengas einsetzte, zogen sich die Teilnehmer der Aktion zurück.
Damit waren die aktiven Ereignisse am Gebäude der Werchowna Rada beendet. Die Anhänger der Partei der Regionen fuhren damit fort die Auftritte ihrer Abgeordneten anzuhören, die von Liedern Leonid Utjossows abgewechselt wurden, doch ein Teil der Oppositionellen – etwa 500 Leute – bewegte sich auf den Unabhängigkeitsplatz zu. Dort planten sie die Fanzone zur Euro 2012 zu besetzen, doch wurden sie von der Miliz daran gehindert. Einige Aktivisten wurden festgenommen und in einen Milizbus verfrachtet, jedoch brachen die Oppositionellen zum Bus durch, öffneten die Tür auf und ließen die Festgenommenen frei.
„Falls die Partei der Regionen die Ukrainer in Wut versetzen möchte, damit sie diese nicht nur aus dem Parlament, sondern überhaupt aus dem Land verjagen, dann erreichen sie das bald, wie es aussieht“, resümierte der Chef der Kiewer Organisation von UNA-UNSO, Igor Masur, finster, dabei beobachtend, wie die Oppositionellen eilig am Maidan auseinandergingen.
Artjom Skoropadskij, Walerij Kutscherk
Quelle: Kommersant-Ukraine