Stühle für IKEA aus ukrainischer Buche: Wie der Karpatenwald illegal abgeholzt wird
Die illegalen Abholzungen in den ukrainischen Karpaten hören nicht auf. Britische Forscher fanden heraus, nach welchen „Schemata“ ukrainische Wälder vernichtet werden. Das Wichtigste, was man aus der skandalösen Studie von Earthsight wissen sollte, die noch viel Aufruhr machen wird.
Im Jahr 2019 veröffentlichte die britische NGO Earthsight eine Studie, die bestätigte, dass die Ukraine illegales Holz für IKEA- und H&M-Lieferanten in die EU exportiert.
Die Forscher stellten fest, dass aus der Ukraine mehr illegales Holz in die EU exportiert wird, als aus jedem anderen Land der Welt und sogar mehr als aus Lateinamerika, Afrika und Südostasien.
Doch das ist noch nicht alles. Am 23. Juni veröffentlichte Earthsight eine neue Studie. Diese dauerte 18 Monate und bezog sich auf den Kauf von ukrainischem Holz durch IKEA.
Die Forscher verfolgten den Weg einiger populärer IKEA-Produkte von den Verkaufsregalen bis zum Wald zurück, aus dem sie stammen. Die Details sind erschütternd.
Earthsight schaffte es, nicht nur die Täter der illegalen Abholzungen, die in den Karpaten weitergehen, zu finden, sondern auch ihre Ursache festzustellen.
Ekonomitschna prawda (EP) veröffentlicht die wichtigsten Thesen der Studie.
Stühle aus ukrainischer Buche
Die meisten Holzmöbelstücke von IKEA sind aus Spanplatten gemacht, die mit Farbe oder Holzfurnier bedeckt sind. Doch die beliebtesten Modelle bestehen gänzlich aus Buchenholz orangener Abschattierung.
Der bekannte Terje-Klappstuhl ist das unverzichtbare Modell im Sortiment. Jährlich verkauft IKEA über 1,5 Millionen dieses Produkts – circa drei Stühle pro Sekunde.
Wie die Forscher anmerken, werden Terje und viele andere bekannte Stuhlmodelle von IKEA, wie beispielsweise Borje, Ingolf und Henriksdal, aus ukrainischer Buche gemacht.
Wer ukrainische Buche illegal abholzt
Die Forstwirtschaft Welykyj Bytschkiw in Transkarpatien nimmt eine Fläche ein, die zehnmal größer als Manhattan ist (50.000 Hektar), in dem dichtesten und naturreichsten Waldgebiet der ukrainischen Karpaten.
Die Revisionen der Staatlichen Umweltinspektion bestätigten, dass die Forstwirtschaft Welykyj Bytschkiw Lizenzen für „sanitäre“ Abholzungen auf mehr als 100 Grundstücken für den Zeitraum April-Juni 2018 illegal erteilte.
Die von Earthsight erhaltenen Daten zeigen, dass die Forstwirtschaft Welykyj Bytschkiw die illegalen sanitären Abholzungen im gleichen Umfang auch in demselben Zeitraum 2019-2020 durchführte. Die Erlaubnis, gesunde Bäume zu fällen, wurde mit dem Vorwand erteilt, dass sie krank gewesen seien.
Dies ist ein in der Ukraine oft verbreiteter Betrug, der es ermöglicht, den Holzeinschlag in viel größeren Mengen durchzuführen, als dies als nachhaltig angesehen wird. Außerdem wurden Beweise für Gesetzesverstöße während des Holzeinschlags festgestellt, darunter Abholzungen außerhalb der erlaubten Grenzen.
Wer die illegal abgeholzte Buche kauft
Die Forscher merken an, dass der Hauptbeschaffer von illegal abgeholzter Buche das Möbelunternehmen TOV „VGSM“ (WHSM GmbH) ist.
Bei einem Interview mit lokalen Medien erklärte die Chefin von „VGSM“, dass das Unternehmen 1992 als IKEA-Lieferant gegründet wurde. Bis 2008 war der Inhaber von „VGSM“ ein Tochterunternehmen von IKEA – Swedwood, welches IKEA 2008 wegen der lokalen Korruption schloss.
Danach wurde das Unternehmen von einem IKEA-Mitarbeiter aus Rumänien, Daniel Mihai Plopişan gekauft, der es 2010 wiedereröffnete, um Buchenstühle für den schwedischen Giganten zu produzieren.
„VGSM“ ist eines der größten Holzbearbeitungsunternehmen des Landes. Es bearbeitet jährlich 40.000 Kubikmeter Holz, aus welchem fast eine halbe Million Buchenstühle produziert werden. Fast die ganze Ware wird in die EU exportiert, zu 96 Prozent wird sie von IKEA bestellt.
„VGSM“ kauft Buche bei allen Waldwirtschaften in den Karpaten ein. Etwa 90 Prozent der Lieferungen entfallen auf die lokale Forstwirtschaft Welykyj Bytschkiw. Der Großteil dieses Holzes wird vom Unternehmen „VGSM“ beschafft, einem Auftragnehmer für die Abholzung der Forstwirtschaft.
Die von Earthsight erhaltenen Daten zeigen, dass etwa 73 Prozent des gesamten in Welykyj Bytschkiw geernteten Buchenholzes von „VGSM“ gekauft werden. Das macht die Firma zum größten Kunden des Unternehmens und ermöglicht es ihm, seine Aktivitäten maßgeblich zu beeinflussen.
Eine Studie der Ukrainischen Umweltschutzgruppe ergab Verstöße gegen die Gesetze über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei vier anderen Lieferanten von „VGSM“. 2018-2019 ernteten Unternehmen aus Chust, Peretschyn, Bolechiw und Kolomyja illegal 78.000 Kubikmeter Holz in 143 Standorten.
Die Versanddokumente, auf die Earthsight Zugriff bekam, zeigen, dass das Unternehmen „VGSM“ Borje-Stühle und Gerton-Buchentischplatten für den direkten Export für IKEA produziert sowie Buchen-Rohstoff, Eiche und Esche für die IKEA-Fabrik in der Slowakei verkauft.
Ein wesentlicher Teil der Exportprodukte sind Halbfabrikate von IKEA-Möbelstücken oder Buchenschnittholz. Über den Fluss Tyssa werden sie nach Rumänien transportiert, wo das Unternehmen Plimob sich mit ihrer Endverarbeitung beschäftigt.
Plimob arbeitet mit IKEA über 30 Jahre zusammen, 98 Prozent seiner Produkte werden auf Bestellung des schwedischen Unternehmens hergestellt und können alle EU-Zertifikate vorweisen. Das Unternehmen ist einer der zehn größten Möbelexporteure in Rumänien.
Nach Rumänien werden Teile für die Buchenstühle Ingolf, Ekedalen, Henriksdal, Norrnäs sowie für das bekannte Terje-Modell exportiert.
Auch in der Zeit der COVID-Pandemie und der Quarantäne bemüht sich „VGSM“, die Lieferungen für IKEA zu sichern.
Wie Earthsight mitteilte, seien trotz des Verbots sanitäre Abholzungen im April und Anfang Mai 2020 in Welykyj Bytschkiw mindestens an 33 Standorten durchgeführt worden. An elf davon habe „VGSM“ gearbeitet.
Der Weg illegal abgeholzter Buche
Nicht nur Buche
Die illegalen Abholzungen sind nicht nur in diesem Karpatendorf der Fall. Außerdem sind die meisten Probleme von IKEA mit ukrainischem Holz nicht nur auf Buchenstühle beschränkt. Die meisten Holzwaren werden aus billigen Platten, bedeckt mit Furnier oder Melamin, hergestellt.
Der zweitgrößte Hersteller solcher Platten in der Welt sowie ein wichtiger Lieferant für IKEA ist die Firma Egger. Im Jahr 2019 importierte sie Holz von ukrainischen Lieferanten für fast zwei Millionen Dollar.
Diese Lieferanten waren wiederholt Objekte von Strafverfahren im Zusammenhang mit illegalen Abholzungen und illegalem Holzhandel.
Einer von ihnen, eine Forstwirtschaft in der Oblast Tscherniwzi, wurde 2018 für solche Handlungen mit mehreren Hunderttausend US-Dollar bestraft.
Über die Schemata der illegalen Abholzungen: Gespräch mit einem Insider
Ende 2019 kontaktierte ein Förster aus einer der Forstwirtschaften in den Karpaten die Ermittler von Earthsight.
Seine Aussagen sind wichtig, um zu verstehen, wie die Forstwirtschaften in der Ukraine das illegal gefällte Holz legalisieren, wie schlecht die Strafverfolgung funktioniert und wie das Problem von IKEA mit illegalem Holz über „VGSM“ und Klappstühle hinausgeht.
Dies sind Aussagen des Menschen, der im Bereich des Holzeinschlags arbeitet. Weiter direkte Rede.
„Ich habe zehn Jahre lang als Holzfäller in einer Forstwirtschaft gearbeitet. Dort habe ich vieles gesehen. Zum Beispiel, wie unsere Förster die Grenzen des Fällgebiets oder der Grundstücke für Holzeinschlag für eigene Bedürfnisse erweitern.
Wenn wir 200 Kubikmeter Holz offiziell fällen, dann sind das dank der Erweiterung der Grenzen zusätzliche 100 Kubikmeter.“
Seinen Worten zufolge seien solche Praktiken in jedem Fällgebiet innerhalb der Forstwirtschaft üblich.
„Wir markieren die Grenzen des Fällgebiets mit roter Farbe. Ein typisches Fällgebiet beträgt eine Fläche von bis zu einem Hektar, einem Hektar oder eineinhalb. Weiter können wir uns nach eigenem Ermessen weitere fünf Meter von der Grenze zurückziehen und die neue Grenze mit Farbe markieren. Also, wenn wir 300 Kubikmeter Holz zur Verfügung haben, fällen wir zusätzlich 150-200 Kubikmeter Holz“, erzählt der Förster.
Im Gespräch mit Earthsight bestätigte er, dass die Strafverfolgungsbeamten bestochen werden, damit wegen des illegalen Holzeinschlags sie ein Auge zudrücken.
„Wenn Inspektoren kommen, sehen sie, dass alles in Ordnung ist – die Bäume sind mit Farbe gekennzeichnet. Doch das Fällgebiet wurde ja erweitert. Niemand reagiert auf solche Verstöße. Inspektoren sieht man bereits am Beginn der Forstwirtschaft. Unsere lieben Förster treffen sie, geben ihnen Bestechungsgelder, und sie fahren wieder weg.“
Er bestätigte die weit verbreitete Praxis des illegalen Holzeinschlags. Ihm zufolge konnten Förster sagen, dass die Bäume vom Wind gefällt wurden und weiterhin benachbarte gesunde Bäume fällen.
Obwohl solche Schemata von Förstern in fast allen umliegenden Forstwirtschaften angewendet werden, erfuhren die Forscher vom Gesprächspartner von einer neuen Taktik: Illegale Aktivitäten werden in den Dokumenten als „tote Seelen“ registriert.
„Es gibt Menschen in der Forstwirtschaft, die dort nicht arbeiten oder gestorben sind. Alle „inoffiziellen“ Arbeiten sind auf sie registriert. In jeder Forstwirtschaft gibt es mindestens fünf solcher „Menschen“, berichtete der Gesprächspartner den Medien.
Er sagte, Förster hätten normalerweise zu viel Angst, um etwas zu sagen, und das sei aus gutem Grund. Wenn sie es schaffen würden, irgendetwas zu sagen, würden sie sofort „unter Kontrolle gebracht“.
„Alle Arbeitsgruppen versammeln sich, und in jeder wird extra gesagt, dass man schweigen muss und das tun, was gesagt wird. Alle beruhigen sich und machen das, was ihnen gesagt wurde. Die Menschen müssen arbeiten, Familien ernähren und weiterleben“, fasste der Förster zusammen.
Über die Kontrolle durch IKEA und Legalität der Holzherkunft
IKEA ist der größte Holzverbraucher und der weltweit größte Einzelhändler für Holzmöbel. Im Rahmen seiner eigenen Strategie verpflichtete sich das Unternehmen, bis August 2020 entweder Sekundärrohstoffe zu verwenden oder den ökologischen Ursprung des Holzes nachzuweisen.
Zu diesem Zweck nahm IKEA die Unterstützung des Forest Stewardship Council (FSC) in Anspruch, eines führenden internationalen Systems zur ökologischen Kennzeichnung von Holz und Papier.
Alles illegal geerntete Holz, das IKEA aus der Ukraine erhält, ist FSC-zertifiziert. Die Forstwirtschaft Welykyj Bytschkiw, der größte Buchenlieferant für IKEA-Stühle, ist seit 2005 FSC-zertifiziert.
IKEA allein kann die Verwendung von illegalem Holz nicht verhindern, da die Firma es nicht zertifiziert, sondern auf die FSC-Zertifizierung angewiesen ist.
Warum das internationale Holzmarkierungssystem in der Ukraine nicht funktioniert
90 Prozent der Karpatenwälder, die von der Staatlichen Agentur für Waldressourcen der Ukraine kontrolliert werden, sind FSC-zertifiziert.
Buche, die von der „VGSM“ GmbH während der Schonzeit im Jahr 2018 illegal geerntet wurde, verließ das Werk mit dem FSC-Stempel. FSC-Prüfer in Welykyj Bytschkiw bemerkten keine Verstöße.
„Die Schonzeit“. Seit 2014 gibt es in der Ukraine ein Gesetz „Über die Tierwelt“, welches das sanitäre Fällen in Wäldern von April bis 15. Juni verbietet – während der Brutzeit einzigartiger Waldtiere und -vögel.
Verstöße gegen die Gesetze über den Holzeinschlag sind nicht das einzige, was der FSC nicht feststellen konnte. Während der Präsidentschaft von Wiktor Janukowytsch (2010-2014) zahlten ausländische Importeure Bestechungsgelder an den Leiter der Staatlichen Forstbehörde für alles Holz, das aus den von ihm kontrollierten Wäldern gekauft wurde.
Es war ein Multimillionen-Dollar-Verbrechen, aber ein Großteil des Holzes war FSC-zertifiziert.
Warum sehen denn die FSC-Prüfer bei der Holzernte in der Ukraine keine Gesetzesverstöße?
Die FSC-Prüfungsgremien sind konkurrierende Unternehmen. Sie konkurrieren um Jobs von Holzunternehmen, die sie für die Zertifizierung bezahlen. Dies führt zu einer „Abwärtsspirale“, das die Qualität der Audits verringert.
Inspektoren sollten als unparteiische unabhängige Beobachter auftreten. Stattdessen erklärten ukrainische NGOs Earthsight, dass sie sich eher wie Anwälte staatlicher Holzunternehmen verhalten.
Außerdem setzt sich laut Forschern der FSC bei der ukrainischen Regierung für die Aufhebung der Umweltgesetze ein, die in zertifizierten Wäldern bereits systematisch ignoriert werden.
Wo ist der Ausweg?
Earthsight ist der Ansicht, dass IKEA seine Strategie zur weiteren Senkung der Preise seiner Produkte überdenken sollte. Die Unternehmen, die IKEA-Buchenstühle herstellen, sind fast ausschließlich davon abhängig und nicht in der Lage zu handeln.
Solche Unternehmen, wie die „VGSM“ GmbH, müssen entweder die IKEA-Preise akzeptieren oder pleitegehen. Die meisten von ihnen wählen den Verstoß gegen Umweltvorschriften.
Darüber hinaus sollte IKEA die Verwendung von bearbeitetem Holz aktiver unterstützen, betonen die Forscher.
Die Hauptaufgabe für Möbelunternehmen ist die Umgestaltung des FSC, der seine Unwirksamkeit bei der Bekämpfung des illegalen Holzeinschlags in der Ukraine und auf der ganzen Welt bewies.
24. Juni 2020
Quelle: Ekonomitschna Prawda