Tomasz Konicz: Ukrainer sehen schwarz
Konjunktureinbruch, Abwertung der Währung, extreme Staatsverschuldung: Die Bürger des osteuropäischen Landes haben kaum Hoffnung auf Ende der Talfahrt
Die ukrainische Währung wurde vor einigen Wochen erneut stark abgewertet. Allein in den ersten Septembertagen verlor die Hrywnja gegenüber dem US-Dollar vier Prozent. Vor Beginn der Weltwirtschaftskrise konnte man einen Dollar für fünf Hrywnja erwerben. Dann ging es abwärts, und erst massive Interventionen der ukrainischen Zentralbank (NBU) konnten den Kurs bei einem Dollar zu 8,5 Hrywnja stabilisieren.
Nachdem die Wirtschaft im ersten Halbjahr 2009 um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum eingebrochen war und die Bankkunden massenweise versucht hatten, ihre Konten aufzulösen, konnte ein Notkredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Lage zeitweilig stabilisieren. Inzwischen wurden 10,6 Milliarden des 16,43 Milliarden Dollar schweren Kreditpakets ausgezahlt. Das festigte den Wechselkurs zu den wichtigsten Währungen. Ende 2008 hatte die Zentralbank zudem Beschränkungen wieder aufgehoben, durch die es Bankkunden verwehrt worden war, ihre Spareinlagen vorzeitig abzuheben. Dadurch wurden seit Anfang des Jahres Guthaben im Volumen von umgerechnet 5,4 Milliarden US-Dollar zurückgeholt und in Devisen umgetauscht.
Die Bevölkerung »glaubt nicht an die Hrywnja«, erklärten ukrainische Banker jüngst gegenüber der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza. Ähnlich verhielten sich auch ukrainische Exportfirmen, die ihre Deviseneinkünfte nicht in die Landeswährung umtauschen würden, so die polnische Tageszeitung. Bereits bei der chaotischen Systemtransformation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 90er Jahre erlebte die Bevölkerung, wie sich ihre Ersparnisse durch eine galoppierende Inflation in Luft auflösten. Eine ähnliche Entwicklung könnte sich wiederholen. Die Financial Times berichtete, daß Analysten der Commerzbank bereits vor großangelegten Spekulationsangriffen gegen die Hrywnja warnen.
Der Zentralbank in Kiew bleibt nichts übrig, als mit massiven Stützungskäufen zu versuchen, die Landeswährung vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Allein im September wird die NBU eine Milliarde US-Dollar aus ihren Devisenreserven für derartige Aktionen aufwenden. Hierdurch gehen diese Reserven rapide zurück, was zu weiteren Spannungen mit dem IWF führt und die Auszahlung der nächsten Kredittranche von 3,8 Milliarden US-Dollar verzögert.
Der Fonds verlangte, daß zum Abschluß des dritten Quartals die Devisenreserven der Ukraine mindestens 16,6 Milliarden US-Dollar betragen. Bereits am 2. September unterschritt die NBU diese Vorgabe. Die verschleppte Auszahlung weiterer Gelder wurde vom IWF auch mit Verzögerungen bei Sozialkürzungen begründet, die an die Kreditvergabe gekoppelt waren. Ein ukrainisches Gericht blockierte beispielsweise die Erhöhung der Gaspreise zum 1. September 2009. Es gilt als gewiß, daß derart unpopuläre Maßnahmen bis zur Präsidentschaftswahl im Januar nicht durchgesetzt werden können.
Der Fall der Hrywnja bringt vor allem Kreditnehmer – und somit auch die Banken – in Bedrängnis. Knapp 50 Prozent aller von Unternehmen und Privatpersonen in den vergangenen Jahren aufgenommenen Kredite wurden in Fremdwährungen abgeschlossen. Die Auslandsschulden der Ukraine sollen sich derzeit auf über 100 Milliarden US-Dollar belaufen. Das sind mehr als 2100 Dollar pro Einwohner eines Landes, in dem der statistische Durchschnittsmonatslohn bei umgerechnet etwa 300 US-Dollar liegt.
Ein enormer Teil dieser vor allem von westlichen Banken vergebenen Darlehen wird nicht zurückgezahlt werden können. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzender der NBU, Olexandr Sawtschenko, warnte vor massiv steigenden Kreditausfällen: »Bei einem Kurs von über acht Hrywnja für einen Dollar haben wir bereits nicht mehr fünf bis zehn Prozent fauler Kredite, sondern 15 bis 20 Prozent. Und dann werden nicht mehr nur zehn bis 15 Banken einen Zwangsverwalter haben, sondern 30 bis 40«, sagt der Mann, der aufgrund seiner Opposition zur Politik der Zentralbank zurückgetreten ist.
Die früheren Stützen der ukrainischen (Defizit-)Konjunktur – Baubranche und Konsum – sind weggebrochen. So soll der Bausektor in diesem Jahr um 16,3 Prozent zurückgehen. Prognosen des IWF zufolge wird die gesamte Volkswirtschaft der Ukraine in diesem Jahr um 14 Prozent schrumpfen. Drei Viertel der Bevölkerung sehen wegen der Abwertung für die nächste Zukunft schwarz. Die öffentliche Diskussion über eine »zweite Krisenwelle« lasse das Konsumentenvertrauen schnell absinken und Illusionen über eine rasche wirtschaftliche Belebung schwinden, schlußfolgerte das ukrainische Internationale Zentrum für Politikstudien (ICPS) in einer entsprechenden Untersuchung.
Immerhin konnte das staatliche statistische Komitee vermelden: Zwischen Januar und Juli 2009 sank das Handelsbilanzdefizit auf »nur« noch 3,1 Milliarden US-Dollar. Ähnlich der Situation in Rumänien hatten die Ukrainer einen großen Teil ihrer Kredite für den Konsum westlicher Waren ausgegeben. Nach Zusammenbruch der Konjunktur auf Pump werden nun auch deutlich weniger Güter importiert. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres hat sich das ukrainische Außenhandelsvolumen halbiert.