Die "Ukraine-AG", gemanaged von der Oligarchenregierung


Wenn man die Emotionen ausschaltet und die eigenen politischen Präferenzen ignoriert, dann sieht das, was derzeit in der Ukraine geschieht, wie ein ganz gesetzmäßiger Vorgang in der Kette der historischen Entwicklung der postsowjetischen Ukraine aus, und dies wie folgt:

Mit der Wahl im Februar 2010 endete die Ära der Herrschaft der postsowjetischen bürokratischen Elite, und es hat eine Epoche begonnen, wo die Führung des Staates von den Eigentümern der größten Finanz- und Industrie-Gruppen des Landes, die sich um die politische Figur von Wiktor Janukowytsch geschart haben, in die Hände genommen wurde.

Nun ist klar, dass genau dies bereits im November-Dezember 2004 hätte passieren können, aber das Land hatte eine fünfjährige Übergangsfrist der “virtuellen” Demokratie zu überleben, zu der es, wie sich herausgestellte, keine andere Wahl gab, als ein neoautoritäres Regime, ob unter Janukowytsch, oder unter Tymoschenko, unabhängig davon, wie sehr sie mit demokratischer Rhetorik beworben wurde.

Das Land hat innerhalb der fünfjährigen Amtszeit von Juschtschenko nicht einen Schritt in Richtung Demokratie getan, obwohl es mehr Redefreiheit gibt, die “wir korrigieren“ können. Hat etwa das ukrainische Volk den geringsten Einfluss auf die reale Formierung und Aktivität des politischen Establishments des Landes? Wurden etwa die Parteiwahllisten mindestens einer politischen Kraft während jeder Wahl nach 2004 demokratisch gebildet?

Schließlich, waren etwa die Bürger der modernen Ukraine in der überwiegenden Mehrheit zu echter Demokratie und zu realer Verantwortung für die Situation im eigenen Land, der eigenen Stadt, der eigenen Straße, dem eigenen Haus, der eigenen Familie bereit?

Laut den Ergebnissen der Studie von Experten der Politikwissenschaft und Soziologie, kann es in keinem modernen Land der Welt eine feste Demokratie geben, wenn das Niveau des Pro-Kopf-Einkommen weniger als 1.500 US-Dollar beträgt. In der Ukraine beträgt dieser Wert derzeit sogar weniger als 200 (!!!) US- Dollar (entspricht 1.217 Hrywnja im Jahr 2009). Von welcher Demokratie kann in dem ärmsten Land Europas die Rede sein?

Die Orange Revolution im Jahr 2004 wurde von den Vertretern der kleinen und mittleren Unternehmen (nicht ohne Grund wurde diese Revolution als Revolution der Millionäre bezeichnet) gemacht, das heißt von derselben Mittelschicht, die das Fundament der Demokratie in allen Ländern der Welt ist. Aber vor allem ist die Mittelschicht in der Ukraine viel zu eng und praktisch nicht organisiert.

Zweitens haben die orangefarbenen Führer all diejenigen verraten, dank derer sie an die Macht gekommen sind – Juschtschenko ergab sich auf Gnade und Ungnade der postsowjetischen Bürokratie und den kleinen und großen Gaunern für sein eigenes Wohlbefinden und den Bau von “Luftschlössern“.

Tymoschenko – ist eine Politikerin des sozialen Populismus und einer absoluten Missachtung der Bedürfnisse und Probleme von kleinen und mittleren Unternehmen. Korruption, Freizügigkeit, Straffreiheit der zentralen und vor allem lokalen Regierungen waren in der Zeit der Präsidentschaft Juschtschenkos am größten.

Es passierte das, was passieren sollte – unter den Bedingungen des totalen Durcheinanders und der Anarchie im Land, sowie der nicht genug ausgebildeten Selbstverwaltung der Gesellschaft wurde die Macht von dem neu gebildeten wirtschaftlichen Establishment des Landes ergriffen, zu dessen Zentrum die Partei der Regionen geworden ist.

Genau darin liegt der Hauptgrund für den Sieg der Partei der Regionen bei den letzten Wahlen – die Stabschefs sind an die Organisation der Wahlen genauso herangegangen, als ob es sich dabei um ein großes und wichtiges Business-Projekt gehandelt hat, und sie haben darüber hinaus mit der Genauigkeit von bis zu einem Prozent ausgerechnet, was ihr politischer Führer für seinen Sieg braucht: in welcher Höhe muss die Wahlbeteiligung in den Regionen im Osten und Süden der Ukraine gesichert sein, wie viele der eigenen Anhänger müssen zum Wahllokal gefahren werden, welcher Anteil der Wähler muss zu Hause abstimmen usw. Und welche Ressourcen müssen investiert werden, um das gewünschte Ergebnis zu gewährleisten, wann und wie werden diese Ressourcen zurückfließen. Und außerdem – wie muss man den eigenen Sieg rechtlich schützen.

Die Stabschefs der Partei der Regionen haben während dieser Wahl als erfahrene System-Manager gearbeitet: “Ich sehe das Ziel vor Augen – ich sehe keine Hindernisse“.

Die Art und Weise, wie die ??“Sponsoren“ der Partei der Regionen die Geschäfte organisieren können, sieht man einerseits am Beispiel Vorbereitung der Infrastruktur der Städte Donezk und Charkiw und andererseits an den Städten Lwiw und Kiew. Im ersten Fall kann man sowohl eine hervorragende Organisation als auch hervorragende Ergebnisse sehen, in dem zweiten Fall kann man nur Chaos, Streit, Korruption und fehlende Ergebnisse erkennen.

Im ersten Fall gehört einer der “Oligarchen“ zu den Organisatoren des Projekts, im anderen Fall die Kommunen.

Die 45%, die Julia Tymoschenko in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen erreicht hat, erscheinen unter diesen Bedingungen wie ein wirkliches Wunder. Es schien, als ob alles gegen sie arbeitet: die Opposition und die zu ihr loyalen Führer in den Regionen; Präsident Juschtschenko, sein Sekretariat und die zu ihm loyalen Führer der anderen Regionen; Staatsanwaltschaft, Justiz, der größte Teil der Fernsehsender und der anderen Massenmedien und letztlich die Finanz-Wirtschaftskrise in dem Land und im Ausland.

Derzeit ist klar geworden, dass der Gewinner alles bekommt. Die Tatsache, wie schnell, systematisch und beharrlich das Team des aktuellen Präsidenten die Vertikale der Macht aufbaut, manchmal sogar gegen die Verfassung ruft nicht nur und nicht so sehr Überraschung oder Bewunderung hervor, sondern eher große Besorgnis. Da stellt sich die Frage: haben sie dann keine Bremsen und Einschränkungen bei der Erreichung dieses Ziels?

Jetzt kann man behaupten, dass unter den Bedingungen, der Stabilisierung der finanziellen Situation des Landes, der Sicherung der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung und eines BIP-Wachstums von durchschnittlich 10% pro Jahr oder mehr, der Stabilisierung der Situation in den humanitären und kulturellen Bereichen (vor allem die Erhaltung des Status sowohl der ukrainischen als auch der russischen Sprache) – dieses Team an die Macht gekommen ist, um “lange zu bleiben”

Wenn das Team des aktuellen Präsidenten innerhalb eines Halbjahres oder Jahres keine echte Fortschritte in der Wirtschaft sowie im sozialen Bereich vorzeigt, wenn ukrainophobischen Absichten einiger Team-Mitglieder über die Grenzen des “wir haben geschrien, mit den Händen gefuchtelt und haben uns getrennt“ geht, wird dies einerseits Enttäuschung und dann Apathie und Gereiztheit der weiß-blauen Wählern hervorrufen, auf der anderen Seite – wird es deutlich die Proteste der National-Demokraten stärken.

Ein weiterer möglicher Faktor der möglichen Krise der Macht ist die Heterogenität des Teams. Das, was heute seine Stärke ist, kann unter anderen Voraussetzungen zu einem Zerstörer werden. Noch einmal das aktuelle Team muss innerhalb von einem halben Jahr oder Jahr dem Land konkrete Ergebnisse seiner Aktivität zeigen, insbesondere wirtschaftliche und soziale.

Ohne eine radikale Reform der Bewilligungsverfahren und der ordnungspolitischen Maßnahmen, der Verringerung der sozialen Belastung des Staatshaushalts durch Monetarisierung der Vorteile, der Erhöhung der Betriebkosten, ohne Bekämpfung der Korruption, der Verbesserung des Investitionsklimas, kann keine Rede von wirtschaftlichen Erfolgen in dem wirtschaftlich erschöpften Land sein.

Achmetow, Jaroslawskyj, Pintschuk, Tihipko, Kolomojskyj, Bojko und andere Investoren der modernen Geschlossenen Aktiengesellschaft “Ukraine“ sind die besten Manager des Landes, die es gewohnt sind, ehrgeizige Ziel zu setzen und diese zu erreichen. Sie können und wollen nicht verlieren, und werden keine prinzipielle Niederlage des Präsidenten der Geschlossenen Aktiengesellschaft und seines Teams, in den sie investiert haben, dulden.

Ein geschlossenes, totalitäres und armes Land ist für die Aktionäre und ihr Geschäft ungünstig. Daher würden Bemühungen der aktuellen Regierung gegen das Volk im Fall einer Erhöhung der öffentlichen Proteste vorzugehen eine Überempfindlichkeit auch bei den Eigentümern der finanziellen und politischen Gruppen des Landes hervorrufen, und folglich, zu einer ernsten “Unordnung und Schwankung” innerhalb des aktuellen Regierungsteams führen.

Und was ist mit der Opposition?

Aktuell hat sie mit harten Zeiten zu kämpfen. Erstens, sie ist gespalten und zerstritten. Zweitens die alten Führer sind jetzt müde, um weiter zu kämpfen und zeigen deutlich, dass sie die Seiten wechseln könnten, und die Gesellschaft ist von ihnen enttäuscht und hat jeden Glauben an sie verloren.

Drittens, die kontinuierlichen Mobilisierungswahlkämpfe haben praktisch jeden der demokratischen Keime der Aktivität der politischen Organisationen zerstört. Keine Säuberung von oben würde helfen:die korrupte Parteibürokratie ist genau aufgrund der mangelnden innerparteilichen Demokratie gebildet worden.

Ausgerechnet Julia Tymoschenko, wie niemand sonst, hat jetzt eine Chance, neu anzufangen, ihre eigene politische Kraft basierend auf neuen demokratischen Prinzipien aufzubauen, sich eingehend mit der Erfahrung der politischen Parteien und der politischen Systeme in den USA, Deutschland, Großbritannien, etc. auseinandersetzen, auch unter Berücksichtigung der Sympathie der politischen Führer dieser Länder zu ihr, als einer perspektivenreichen ukrainischen Politikerin und einer echten Alternative zu Janukowytsch und zu der Partei der Regionen. Sie sollte auch dabei nicht vergessen, dass die Allukrainische Vereinigung “Vaterland” (“Bat’kiwschtschyna“) ein Mitglied der einflussreichen Europäischen Volkspartei ist.

Die Partei der Regionen ist kaum in der Lage, etwas grundlegend zu verändern. Macht verdirbt und beruhigt. Obwohl kein Zweifel daran besteht, dass das Team der Partei der Regionen derzeit im Vergleich zu dem Team von Julia Tymoschenko (über die anderen politischen Kräfte braucht man überhaupt nicht reden!) stärker sowohl moralisch als auch im Bezug auf das Personal und auf den Willen zur “Wiederherstellung der Ordnung” im Land ist.

Aber es ist der Block Julia Tymoschenko, der als Führer einer vereinten Opposition eine Chance auf eine größere Erneuerung über eine neue Generation von Politikern, Geschäftsleuten, Intellektuellen hat, die den erneuerten Kern der ukrainischen Elite bilden könnten.

Ich zitiere einen Artikel aus dem “Dserkalo Tyshnja/Wochenspiegel”, der bereits vor fünf Jahren erschienen ist:

“Der wichtigste Erfolgsfaktor für das Land ist die Existenz einer Elite, deren Weisheit, Patriotismus, der Achtung der Gesetze und Liebe zur Gerechtigkeit nicht erlauben werden, den temporären Interessen, den Interessen ausgewählter Gruppen oder den Parteiinteressen nachzukommen”

Die Frage bleibt in der Existenz des politischen Willens der Führerin der vereinten Opposition. Der Preis der Frage ist die Rückkehr an die Macht in der Ukraine, die Chance für den Aufbau und die Entwicklung der Demokratie im Land und die Perspektive des Beitritts in die Europäische Union.

Andernfalls wird die Gesellschaft neue Führer suchen und sie als Kandidaten aufstellen.

“Erfolg – ist die Bewegung vom Pech zu Pech ohne Verlust den Enthusiasmus zu verlieren”. W. Churchill

13.04.2010 // Serhij Soroka

Quelle: Ukrajinska Prawda

Übersetzerin:   Ilona Stoyenko  — Wörter: 1664

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