Obwohl die treuen Söhne der Partei der Regionen nicht mit Redegewandheit glänzen, verdienen ihre Äußerungen dennoch ab und an Aufmerksamkeit. Beispielsweise bemerkte der legendäre Abgeordnete Tschetschetow vor kurzem: „Wir haben ein sehr bedeutendes Publikum: Doktoren, Akademiker. Die Partei der Regionen – das ist die Elite der Gesellschaft.“ Und der frischgebackene Sprecher Rybak sagte: „Ich, der ich den Präsidenten kenne, und weiß, dass auch er die Armut erlebt hat, bin fest davon überzeugt, dass das Staatsoberhaupt seine Ziele nicht aufgeben wird.“
Derartige Sinnsprüche sind ziemlich aufschlussreich und regen dazu an, über die ukrainische Elite nachzudenken. Über anrüchige Oligarchen und hochgestellte Beamte, die irgendwann einmal gewöhnliche sowjetische Menschen gewesen waren. Viele von ihnen kamen von ganz unten und kannten Armut, aber gaben ihre gesteckten Ziele nicht auf und erreichten das Gewünschte.
Sie halten sich aufrichtig für die Besten der Besten, wenn auch die Bevölkerung sie für die Schlimmsten der Schlimmsten hält. In der allgemeinen Überzeugung haben unwürdige Personen in der Ukraine die Zügel in der Hand, die den Zusammenbruch der UdSSR nutzten, um das Volkseigentum zu plündern.
Was sagt man da dazu? Sicherlich ist die Lage der Elite nicht derem schöpferischen Potenzial geschuldet, sondern der Aufteilung sowjetischer Ressourcen. Allein das Schreien über den „ausgeraubten Staat“ und „das Abgreifen (Wortspiel mit dem russischen Wort für „Privatisierung“) des Volkseigentums“ klingt falsch. Denn in der späten UdSSR wurde das „Volkseigentum“ vom Volk nicht als etwas Heiliges und Unantastbares wahrgenommen. Die ungesetzliche Umwandlung von sozialistischem Eigentum in privates gedieh überall und wurde sogar nicht als Diebstahl angesehen. Der Sowjetbürger eignete sich staatliche Materialien, Werkzeuge, Industriegüter und Lebensmittel an, ohne auch nur geringste Gewissensbisse zu verspüren. Der Klempner einer Milchfabrik in Cherson konnte stolz einer angereisten Journalistin seine eigene Erfindung demonstrieren: „Das ist ein Tragebeutel. Ein Spezialtank mit acht Litern aus weißem Gummi mit Hähnen aus Metall. Ich lege ihn an und bringe jedes Mal Sahne durch den Kontrollausgang mit hindurch. Erstklassig!“
Anfang der 1990er erreichte die Konvertierung von staatlichem Eigentum zu privatem ein neues Level. Große und kleine Ressourcen des auseinanderbrechenden Imperiums wurden flink in Privatbesitz überführt. Dieser Prozess wurde wahrhaftig zu einer nationalen Angelegenheit, und an ihm beteiligten sich zig Millionen von Bürgern. Jemand ergatterte mehrere Säcke Zement, ein anderer staatliche Technologien und schließlich noch ein anderer ein ganzes Unternehmen.
Natürlich hat sich das sowjetische Erbe äußerst ungleichmäßig in privater Hand angesiedelt und die Personen, die um ein Vielfaches mehr als andere erhielten, riefen den Volkszorn hervor. Aber dies ist nicht die Abneigung des ehrlichen Bürgers gegen Diebe, sondern vielmehr der Hass des Privatisieres im Kleinen gegen den Privatisierer im großen Stile.
Glaubt jemand wirklich, dass ein einfacher Arbeiter, der Gegenstände durch den Werkkontrollausgang schleppte, davon Abstand nehmen würde, die ganze Fabrik sich anzueignen – falls er eine solche Möglichkeit bekommen sollte? Sein Scheitern war nicht durch sein besorgtes Verhältnis zum Volkseigentum bedingt, sondern durch den Mangel an Einfallsreichtum, Unternehmergeist, Chuzpe und guten Beziehungen. Viel wurde zwar von der Position in der sowjetischen Hierarchie bestimmt, doch auch diese hing von den persönlichen Fähigkeiten ab.
Es versteht sich von selbst, dass der Gedanke, dass man arm ist, gerade weil man ehrlich ist, sehr angenehm ist, ebenso wie der Gedanke, dass es das eigene Gewissen nicht zuließ, zu den unwürdigen Methoden der ukrainischen Elite zu greifen. Indem er das demütigende „Ich konnte nicht“ in ein stolzes „Ich wollte nicht“ verändert, bewahrt der Mensch seine Selbstachtung und hebt das eigene Selbstwertgefühl. Dies ist eine typische psychologische Rationalisierung im Geiste des Fuchses bei Äsop, der keine grünen Trauben essen wollte.
Leider ist der Anteil der Ukrainer, die unrechtmäßiges Wohlergehen aufgrund von moralischen Überlegungen ablehnen, nicht groß. Die Mehrheit konnte sich einfach nicht bis zu den ersehnten Trauben strecken und erklärte sie deswegen zu grünen Trauben. Wäre ein Mann von der Straße auf die Position von Juschtschenko oder Janukowitsch gelangt, hätte er wahrscheinlich das gleiche getan wie diese Herren – Fleisch vom gleichen Fleische des Volkes.
Und wenn einem durchschnittlichen Bürger der Besitz eines Oligarchen angeboten wird – unehrlich erworben, doch bereits fertig und ohne dass es ihn irgendwelche Anstrengungen gekostet hätte – würde er ihn zurückweisen? Natürlich nicht. Lebhaft greift er nach den schmutzigen Millionen und überzeugt sich selbst davon, dass es ebenso auch in aller Gerechtigkeit sein muss…
Man muss den betrüblichen Schluss ziehen: die ukrainischen Oligarchen und hohen Beamten sind ihrer hohen Stellung würdig. Und würdig der Gesellschaft, in der sie Erfolg hatten. Paradoxerweise erwiesen sie sich wirklich als Beste. Sie wurden die Besten in einem Lande, in dem die Achtung des Eigentums bis heute ein leeres Wort geblieben ist. Wo es üblich ist, das Geschaffene mit jemand anderem zu teilen. Wo alle auf den Staat bauen, und man nicht um die Gunst des Marktes, sondern um den Zugriff auf administrative Hebel konkurrieren muss. Keine andere Elite hätte in der Ukraine entstehen können, und es ist dumm, zu rufen, dass „nicht diese Leute“ an die Spitze hätten geraten sollen. Leider sind genau diese dort – so ergaben es nun einmal die historischen Voraussetzungen.
Einst wurden große Hoffnungen auf den Generationenwechsel gesetzt: Es komme eine neue Generation, die nicht durch die Sowjetsitten und die absolute Gesetzlosigkeit der 1990er Jahre verdorben wurde, und dann leben wir auf zivilisierte Art und Weise. Ich gratuliere, der Prozess hat begonnen! Der Zustrom hochrangiger Söhne, der aufgehende Stern von Aleksandr Janukowitsch, der Drang der „Familie“ (ein Spitzname für das Netzwerk um den derzeitig amtierenden Präsidenten Janukowitsch) – dies ist die berüchtigte Erneuerung der ukrainischen Elite. Und nichts anderes war wiederum zu erwarten.
Ja, eine ungestüme Epoche ursprünglicher Anhäufung geht oft einer zivilisierten Entwicklung voraus. Aber dies geschieht, wenn es der Markt ist, der alles entscheidet. Gold, Brillanten, Fabriken, Zeitungen, Dampfer kann man als Erbe vermachen, aber nicht die (unbeständigen) Marktbedingungen. Gleichgültig woher das Kapital stammt, muss der Erbe und Nachfolger die Interessen einer millionenfachen Armee von Konsumenten berücksichtigen. Wenn er damit nicht umzugehen weiß, dann erodiert die Familienmacht nach und nach. Aber in der Ukraine ist die Rolle des Marktes durch beispiellose staatliche Eingriffe in die Wirtschaft auf ein Minimum reduziert. Das höchste Kapital, das als Erbe vermacht werden kann, sind bürokratische Hebel. Ohne sie bedeuten Geld und Wertanlagen nichts und werden leichthändig in fremde Beute verwandelt (erinnern wir uns an den Vorfall bezüglich des Milliardärs Aleksandr Wladilenowitsch Jaroslawskij vor kurzem, der den Fußballverein „Metallist Charkow“ plötzlich verkaufte). Es versteht sich, dass ein solcher Generationenwechsel nicht geeignet ist, Zivilisierung voranzutreiben.
Was wird die Erneuerung der vaterländischen Elite nach sich ziehen?
In den 1990er – 2000er Jahren geschah in der Ukraine eine Selektion der Elite, und die talentiertesten Leute gelangten nach oben. Die Atmosphäre von bürokratischer Allmacht und Rechtsnihilismus verlangte spezifische Fähigkeiten, so dass unsere Elite nach Weltmaßstäben widerlich aussieht. Aber obwohl diese Auswahl dem Land nichts gebracht hat, so hat sie die Elite selbst gestärkt. Macht erhielten die Leute, die über die optimalen Qualitäten zum Schutz und Bewahrung der Macht verfügen. Energische und findige Ukrainer, die fähig waren, das Establishment zu bedrohen, wurden Teil des Establishments.
Jedoch mussten die Sprösslinge der neuen Elite nicht mehr selbstständig um die Startpositionen in der UdSSR Krieg führen und sich ihren Platz an der Sonne in den 90ern erkämpfen. Die jungen Herren des Lebens werden zu solchen durch das Recht der Geburt und der Freundschaft.
Wenn ihre einflussreichen Väter sich nicht ohne Zugang zur Staatsmaschine bereichern konnten, so können die reichen Kinder diesen Zugang nicht ohne Erlaubnis der Väter erhalten. Falls früher die Auslese der Elite nicht nach der Natur des Marktes erfolgte und deswegen nicht die ökonomische Entwicklung förderte, so verschwindet heute die Auslese ganz – sie wird durch familiäre Gefühle ersetzt.
Und vor allem macht der Generationenwechsel der Elite selbst zu schaffen, er untergräbt ihr inneres Potenzial. Vetternwirtschaft bedeutet, dass sich oben nicht die listigsten, geschicktesten und zähesten einfinden, sondern die Familie und Freunde. Die Vetternwirtschaft erlaubt der Elite nicht sich selbst zu schützen, indem sie in ihre Reihen potenzielle Rivalen aufnimmt. Für sie ist einfach kein Platz da – denn es ist unmöglich, General zu werden, wenn der General einen leiblichen Sohn hat.
Schließlich und endlich gebiert die Vetternwirtschaft einen bitteren Konflikt zwischen den Generationen. Für die alte Garde ist die neue Logik des Zugangs zu Ressourcen nicht annehmbar. Welch anrüchige Personen Dmitrij Firtasch und Igor Kolomojskij, zwei der reichsten ukrainischen Oligarchen, auch sind, ihre Fähigkeiten sind nicht mit denjenigen von Sascha Janukowitsch zu vergleichen. Nichtsdestotrotz verringert sich ihr Einfluss, und derjenige Saschas wächst…
Eine solche paradoxe Situation bringt das System aus dem Gleichgewicht und muss Krieg in den obersten Rängen provozieren.
Und wo einst die Elite die Ukraine zu Stagnation verurteilte, droht nun der Elite die Selbstzerstörung. Natürlich warten Millionen Ukraine nur darauf. Aber es ist schwer zu sagen, ob hierbei am Ende der durchschnittliche Bürger gewinnen wird – der die vaterländische Elite abgründig hasst und doch gerne mit ihr den Platz tauschen würde.
1. Februar 2013 // Michail Dubinjanskij
Quelle: Ukrainskaja Prawda
Kommentar im Forum schreiben