Die Ukraine in der Nahrungskette Wladimir Putins
Robin Bobbin Ali-Khan
hat gefressen vierzig Mann,
Kuh und Bullen steckt er auch,
mit dem Metzger in den Bauch…
Die Nachricht von einer weiteren durchschaubar-undurchschaubaren Äußerung des Premierministers der Russischen Föderation, Wladimir Putin, weckte bei mir sofort die Erinnerung an das lustige „englische Lied“ von Kornei Tschukowski mit dem Namen „Wie man den Vielfraß necken sollte“.
Seinen Worten nach hat die ukrainische Seite die unangemessene Summe von 40-45 Mrd. $ über zehn Jahre locker gemacht. “Für diese Summe würde ich euren Präsidenten und Premierminister aufessen, aber ich kann nicht”, gab der Premier der Russischen Föderation von sich, mit der Bemerkung, dass man „für dieses Geld einige Militärbasen bauen kann, doch für uns ist vor allem die Entwicklung einer Zusammenarbeit mit der Ukraine wichtig“.
Diejenigen, die denken, dass der Premierminister der Russischen Föderation erneut unter dem „atmosphärischen“ Einfluss politischer Flegeleien steht, die seinen italienischen Kollegen Silvio Belusconi umgibt, irren sich.
Noch mehr irren sich diejenigen, die Putins Gehabe als „blutige Geheimdienstlerei“ abtun. Menschen werden bei uns, wie mir scheint, nicht gegessen – wir sind hier nicht in Europa. Man macht sie platt, rottet sie aus, sprengt sie in die Luft, aber essen – nein.
Es ist einfach nur so eine Metapher. Einige Nachrichtenagenturen kommentierten sicherheitshalber sogar: „…bemerkte er ironisch“. Wenn es ironisch ist, dann muss es ja irgendeinen Subtext geben. Worum handelt es sich also?
Dass Wiktor Janukowitsch ein großer und nahrhafter Mann ist, ist auch so zu sehen. Er mag nicht so zart sein wie Julia Timoschenko, aber er ist doch schmackhafter, als der vermutlich mit Dioxin vergiftete Wiktor Juschtschenko. Das heißt, die Bereitschaft W.W. Putins diesen Menschen auf die eine oder andere Art zu essen, dürfte verständlich sein. Der Gesprächspartner könnte mit der gewählten Form der Äußerung nicht einverstanden sein, doch an der Ausrichtung der metaphorischen Nahrungsmittelkette wird wohl niemand zweifeln.
Und trotzdem steckt hinter der emotional erscheinenden Äußerung von Premierminister Putin ein völlig rationales politisches Theorem: 45 Milliarden für Sewastopol allein für ein Vierteljahrhundert ist einfach viel zu teuer. Für solche Summen sollte man keine Militärbasen verkaufen, sondern Präsidenten- und Premiersvollmachten für das gesamte anvertraute Gebiet.
Das Wort „aufessen“ ist hier kein gastronomischer Terminus (so nahrhaft der frisch gewählte Präsident Janukowitsch auch sein mag), sondern ein rein bürokratischer. Im russischen Sprachgebrauch kann man, beispielsweise, den Chef _„aufessen“_– das bedeutet, dessen Kündigung zu erreichen und seinen Platz einnehmen. Daher bedeuten die Worte Putins „ich esse Ihren Präsidenten mit dem Premierminister als Beilage“: „Freunde, Genossen, heute ist Euer ganzer Staat einfach keine 45 Milliarden Dollar wert. Und wir kaufen Euch vorerst nicht; wir tragen einfach nur zu Eurer Fütterung bei/sorgen uns einfach nur um Eure Entwicklung“.
Denn der Premierminister der Russischen Föderation erinnert sich noch an die Fortsetzung des Liedes über Robin Bobbin, den Vielfraß:
Wagen, Bogen aß er auch,
Besen, Feuerzange drauf,
Aß die Kirche, aß das Haus,
Und die Schmiede mit dem Schmied,
Und danach bemerkt er nur:
… “äß ´gern mehr, ich kann nicht mehr“.
Hier ruft so einiges Verdauungsstörungen hervor: all diese nach Kaviar, Pulver und Kerosin riechenden nordkaukasischen „Besen“ und „Feuerzangen“. Wie man es auch dreht, selbst die naheliegenden weißrussischen “Wagen” und “Bögen” scheinen sich nicht sonderlich nach dem heimischen Joch der leiblichen historischen Heimat zu sehnen.
Wladimir Putins neue theoretische Schlussfolgerung ist also, die Ukraine augenblicklich einfach nicht schlucken zu können. Er möchte dem Land stattdessen bei der Entwicklung helfen. Das schmeckt nach postkolonialem common sense. Schade nur, dass Robin Bobbin vierzig Mann gefressen hat.