Ungarisch-ukrainische Wahlen
Am 6. April stehen in Ungarn Parlamentswahlen an, die einen direkten Bezug zur Ukraine aufweisen: Zum Teil geben auch ukrainische Staatsbürger, die einen ungarischen Pass erhalten haben, ihre Stimme für politische Parteien des Nachbarlandes ab. Die absolute Mehrheit von ihnen sind Einwohner des Oblast Transkarpaten, der westlichsten Region der Ukraine, die an Ungarn angrenzt. ZN.UA berichtete über die Annahme eines Gesetzes im ungarischen Parlament im Mai 2010, das den Erhalt der ungarischen Staatsbürgerschaft vereinfachte (siehe den Artikel „Schweigen – ein Zeichen von Zustimmung?“, Serkalo Nedeli Nr. 6 von 19.2.2011). Eineinhalb Jahre später, im Dezember 2011, wurde den ungarischen Neubürgern das Stimmrecht zugesprochen, das sie nun zum ersten Mal bei den Wahlen an diesem Sonntag wahrnehmen können.
Natürlich wurde das neue Gesetz zur ungarischen Staatsbürgerschaft nicht nur auf die Oblast Transkarpaten angewandt, die einmal zu Ungarn gehörte (heute leben im Oblast etwa 150.000 ethnische Ungarn, die etwa 12% der Gesamtbevölkerung der Region darstellen). Ungarn besitzt eine sehr große Diaspora-Gemeinde in der ganzen Welt, die etwa drei Millionen Menschen umfasst. Die Mehrzahl der ethnischen Ungarn leben in Rumänien (etwa 1,5 Millionen), in der Slowakei (mehr als 500.000) und in Serbien (etwa 290.000). Und der derzeitige Premierminister Ungarns, Viktor Orban, der mit seiner Fidesz-Partei allen Meinungsumfragen zufolge am Sonntag überragend gewinnen wird und der die Verabschiedung dieses Staatsbürgerschaftsgesetzes initiiert hatte, wollte die Stimmen der Ungarn im Ausland für seine politische Stärkung nutzen. Auf eine bestimmte Weise ist ihm das auch gelungen. Mehr als 500.000 Menschen, die außerhalb der Grenzen Ungarns wohnen, erhielten bisher einen ungarischen Pass, und theoretisch können sie alle an den Wahlen teilnehmen. Offizielle Angaben darüber, wie viele der Neuungarn ukrainische Bürger sind, gibt es nicht. Aber, so lassen ungarische Massenmedien verlauten, es solle sich um etwa 70.000 Personen handeln. Diese Zahl wurde Vertretern der ZN.UA auch in informellen Gesprächen von den Anführern der ungarischen Organisationen in den Transkarpaten bestätigt.
Die Prozedur der Stimmabgabe der Ungarn im Ausland ist in der Gesetzgebung festgeschrieben. Man hat bereits im Sommer des letzten Jahres begonnen, den potenziellen Wählern aus den Ländern, die eine doppelte Staatsbürgerschaft erlauben, Einladungen zur Wahlteilnahme zuzuschicken. Aber dies galt nicht für die Auslandsungarn aus der Ukraine, der Slowakei und Österreichs, wo die doppelte Staatsbürgerschaft nicht erlaubt ist. Den Bürgern dieser Länder wurden keine offiziellen Einladungen zugesandt; sie erfuhren von den Wahlen durch andere Quellen, vor allem aus den Massenmedien. Diejenigen, die sich entschlossen hatten, ihr Stimmrecht wahrzunehmen, mussten sich 15 Tage vor den Wahlen im Nationalen Wählerverzeichnis Ungarns registrieren lassen (was auch über das Internet möglich war) und eine Adresse angeben, an die man ihnen die Karte zur Personenidentifizierung und den Wahlschein schicken konnte. Fast keiner der Transkarpatier, die sich entschlossen hatten, an den ungarischen Wahlen teilzunehmen, gab seine Heimatadresse an, wie ZN.UA ermitteln konnte, da man Zwischenfälle von Seiten des SBU, des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes, fürchtete, die sich zuvor zugetragen hatten (siehe den Artikel „Ich schwöre Ungarn Treue …“ Serkalo Nedeli No.16 von 28.4.2011). Die absolute Mehrheit gab die Adresse von ihren Verwandten oder Bekannten in Ungarn an. Um zu wählen, müssten diese Leute nach Ungarn fahren, ihr Dokumentenpaket abholen, die Karte zur Personenidentifizierung und den Wahlschein ausfüllen, und diese per Post an die Zentrale Wahlkommission schicken oder der Behörde für lokale Selbstverwaltung überreichen. Außerdem können die Transkarpatier ihre ausgefüllte Identifikationskarte und den Wahlschein beim Generalkonsulat Ungarns in Ushgorod, dem Oblastzentrum, und in Beregowo, einer Kreisstadt in der Oblast Transkarpaten, abgeben, welche daraufhin über deren Kanäle die Unterlagen an die Zentrale Wahlkommission weiterreichen würden. Der Prozess der Stimmabgabe begann bereits sofort nach dem Abschluss der Registrierung im Nationalen Wählerverzeichnis, d.h. 15 Tage vor den offiziellen Wahlen.
In der Theorie können die Auslandsungarn nur für die Parteilisten stimmen, in der Praxis jedoch können viele Ungarn aus den Transkarpaten auch an der Wahl der Direktkandidaten nach Mehrheitswahlrecht teilnehmen. Dies lässt sich leicht erklären – viele Einwohner der Transkarpaten, die die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten haben, haben gleichzeitig auch eine dauerhafte Registrierung auf dem Staatsgebiet Ungarns erwirkt (in der Regel bei ihren Verwandten oder Bekannten). Dies ist beispielsweise bei dem Kauf eines Autos zu europäischen Preisen, das man in der Ukraine benutzen möchte, oder für die offizielle Arbeitsplatzvermittlung in die Länder der Europäischen Union unumgänglich. Ihnen allen, wie auch den gewöhnlichen ungarischen Staatsbürgern, wurden Einladungen zur Teilnahme an den Wahlen an den Ort der Registrierung zugeschickt. Ansonsten konnten die Auslandsungarn, die eine dauerhafte Registrierung in Ungarn vornahmen, jedoch faktisch in anderen Ländern wohnen, das Nationale Wählerverzeichnis darüber unterrichten, dass sie nur über die Parteilisten wählen würden und angeben, wo genau sie ihre Identifizierungskarte und den Wahlschein erhalten wollten.
Die Hauptfrage bezüglich der ungarischen Wahlen für die Ukraine ist, wie viele Transkarpatier an ihnen teilnehmen werden. Die ungarischen Politiker, die in den letzten Monaten in die Transkarpaten fuhren, hielten nicht ihre Hoffnung hinter dem Berg, dass sich ein Wählerbewusstsein bei der überwältigenden Mehrheit der Leute, die einen ungarischen Pass erhalten haben, zeigen würde. Einige lokale ungarische Organisationen riefen ihre Mitglieder und Sympathisanten direkt dazu auf, an den Parlamentswahlen im Nachbarland teilzunehmen. Wie das Oberhaupt der Gesellschaft für ungarische Kultur der Transkarpaten (OWKS), Miklós Kovacs, ZN.UA mitteilte, warb seine Gesellschaft für die Fidesz-Partei des amtierenden Premiers Viktor Orban, dank dem die Transkarpatier die Möglichkeit hatten, die ungarische Staatsbürgerschaft zu erhalten (in den zurückliegenden Tagen wählte die OWKS eine neue Führungsspitze und M. Kovacs ist bereits nicht mehr Vorsitzender). Zur gleichen Zeit teilte der Leiter einer konkurrierenden ungarischen Organisation, der Demokratischen Vereinigung der Ukraineungarn, der Volksabgeordnete Istvan Gaidosch, der Redaktion mit, dass seine Vereinigung keine Entscheidung bezüglich dieser Frage getroffen habe und nicht an der Wahlkampagne teilnehme.
Die ungefähre Zahl der Ukrainer, die sich dazu entschieden haben, an den ungarischen Wahlen teilzunehmen, kann man aus den offiziellen Quellen erfahren. So enthält die Webseite des Nationalen Wählerverzeichnisses Ungarns Angaben über alle Auslandsungarn, die sich zur Stimmabgabe haben registrieren lassen. Nach dem Stand von Freitag, den 4. April, sind in der Liste insgesamt 234.735 Auslandsungarn aus 79 Ländern (unter ihnen die USA, Großbritannien, Japan, Australien, Saudi-Arabien, Länder Afrikas, usw.) eingetragen (diese Angaben werden immer noch erneuert, deswegen kann es zu einer unerheblichen Erhöhung der Ziffer kommen.) Die meisten Leute, die an den Wahlen teilnehmen wollen, sind aus Rumänien (mehr als 100.000), aus Serbien (etwa 30.000) und aus Deutschland (mehr als 2.000). Die Ukraine steht nicht auf dieser Liste. Für die Länder, in denen die doppelte Staatsbürgerschaft verboten ist, ist eine gesonderte Grafik aufgestellt, der ein Richtwert zugeordnet ist: etwa 4.681 Menschen. Aus nicht-offiziellen Quellen wurde ZN.UA bekannt, dass sich darunter etwa 3.000 Ukrainer befinden, das heißt weniger als 5 Prozent all derer, die die ungarische Staatsbürgerschaft erhalten haben.
Die Teilnahme von ukrainischen Bürgern an Wahlen in anderen Ländern ist überdies keine solche Seltenheit. Beispielsweise heiraten viele Arbeitsmigranten in der EU Einheimische, erhalten die dortige Staatsbürgerschaft und geben ihren ukrainischen Pass danach dennoch nicht zurück. Sie nehmen an Wahlen im Ausland teil, aber posaunen dies Zuhause nicht laut heraus, da sie wissen, dass in der Ukraine die doppelte Staatsbürgerschaft verboten ist. Im Unterschied zu solchen recht weitverbreiteten Fällen hat Ungarn das Stimmrecht auch für solche Ausländer eingeführt, die seit Jahren nicht nach Ungarn gereist sind, sich jedoch als Ungarn im Geiste fühlen. Die Einschätzung bei Durchsetzung dieses Rechts ist nicht eindeutig – viele halten es für ein Zeichen von Separatismus und eine Bedrohung für die Sicherheit der Ukraine. Übrigens zeugt die Statistik des Nationalen Wählerverzeichnisses davon, dass der Löwenanteil der Transkarpatier nicht aufgrund eines Rufs des Herzens oder des patriotischen Anreizes, sondern aus einem zutiefst utilitaristischen Grund die ungarische Staatsbürgerschaft beantragt hat – für die Freizügigkeit und für eine offizielle Arbeitsplatzvermittlung in der EU. Sie haben kein Interesse an den Parlamentswahlen in Ungarn…
4. April 2014 // Wladimir Martin
Quelle: Serkalo Nedeli