Union der Toten
Gerade Interessen der Systemerhaltung zwingen solch unterschiedliche – und zugleich gleiche – Menschen, wie Janukowitsch, Juschtschenko, Tigipko oder Asarow zu kooperieren. Nicht sie verteidigen sich, sondern das System verteidigt sich. Das Tote zieht das Lebendige zu Boden.
Man kann die Aussage vom ehemaligen Präsidenten der Ukraine Wiktor Juschtschenko gegen Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko im Gerichtssaal nur schwerlich als Offenbarung bezeichnen: der ehemalige Politiker hat lediglich die Äußerungen wiederholt, die er und seine Vertreter bereits zum Zeitpunkt der Spannungen zwischen Juschtschenko und Timoschenko in seiner letzten Amtsperiode als Staatsoberhaupt gemacht haben. Eine andere Sache ist die, dass diese Aussagen anders geklungen haben als während des Krieges des Präsidenten und der Ministerpräsidentin. Juschtschenko ist zu einem politischen Prozess gekommen, wollte dies aber nicht bemerken. Sprechen über die politische Position des ehemaligen Präsidenten musste seine Pressesprecherin, aber sogar die Versuche Juschtschenko zu verteidigen, deuten an, dass er die Klage gegen Timoschenko ernst nimmt.
Eigentlich ist es genau das, was ich von ihm erwartet habe. Er hat seine Wahl getroffen, die durch seine frühere politische Karriere, seine Überzeugungen und Interessen vordefiniert war. Und er ist nicht der Einzige. Ich denke, dass nicht zufällig gerade jetzt die gemeinsame Pressekonferenz des jetzigen Ministerpräsidenten Nikolaj Asarow und einem seiner Stellvertreter, Sergej Tigipko, stattgefunden hat – die Pressekonferenz, im Laufe derer über den baldigen Zusammenschluss der Partei der Regionen und der Partei „Silnaja Ukraina/Starke Ukraine“ gesprochen wurde. Warum hat sich der in der Regel so vorsichtige Tigipko gerade jetzt zu einer derart drastischen Maßnahme bereit erklärt – zur Vernichtung seiner eigener politischen Kraft und der Verabschiedung von den Anhängern, die in ihm eine echte Alternative zu Janukowitsch und Asarow und im schlimmsten Fall einen Koalitionspartner und nicht einen ihrer Laufburschen gesehen haben?
Das machte er aus einem wichtigen Grund. Die Verhaftung von Timoschenko hat eine Bruchlinie im ukrainischen politischen Lager entstehen lassen, die nicht mehr wegzudenken ist, die keine Kompromisse und situative Koalitionen der Jahre 2004 bis 2010 erlaubt. Auf der politischen Bühne wird nur eine Gruppe von Menschen bleiben können – entweder die, welche die Entscheidung über die Verhaftung getroffen haben oder diejenigen, die gegen diese Verhaftung protestieren.
Hier soll man noch einmal sagen, dass hier die Rede nicht über die Person Timoschenko noch über die Details ihrer Vereinbarungen mit Wladimir Putin geht. Es ist vielmehr die Rede über die Idee der Gerichtsverhandlung als Mittel für die Erreichung eines politischen Monopols und der Abrechnung mit den Konkurrenten. Timoschenko kann einem gefallen oder nicht, die Gasvereinbarung kann entweder als das einzig richtige für den jeweiligen Moment oder als komplett irrsinnig gelten, doch es steht in keinerlei Beziehung zum Gerichtsverfahren. Diejenigen, die das verstehen und versuchen dem ein Ende zu setzen, denken an die Zukunft der Ukraine. Diejenigen, die denken, dass alles rechtens ist, ziehen das Land zurück in die Vergangenheit – und es spielt keine Rolle, welche Motive er dabei hat, ob den Wunsch die Macht zu erhalten und zu festigen oder die Gaspreise zu senken oder er hasst Timoschenko. Das geht sowohl Politiker, als auch Journalisten, als auch die Gesellschaft etwas an – man sollte zumindest das verstehen und endlich nicht mehr lächeln und denjenigen die Hände schütteln, welche die Gesetzlosigkeit befürworten, über den “fremden Krieg“ sprechen oder ähnliche Gemeinheiten oder Dummheiten sagen, in Abhängigkeit von der Entwicklung des eigenen Intellekts und der eigenen moralischen Qualitäten.
Janukowitsch macht nichts besonderes- er agiert genau entsprechend dem Paradigma der Spielregeln, die im politischen System verabschiedet wurden, das von Leonid Kutschma erstellt und gepflegt wurde. Juschtschenko – unabhängig davon, was seine Anhänger, die ihre Augen bei „einzelnen Mängeln“ des neuen Helden zugedrückt haben, über ihn gedacht haben – ist im Prinzip auch aus diesem System gekommen, einer den dieses System geschaffen hat. Er wollte – aber aus bekannten Gründen konnte er nicht – genauso so ein Herrscher wie Janukowitsch sein und genau deshalb ging er situative Koalitionen mit denen ein, die er noch vor kurzem als Verbrecher und Wahlfälscher bezeichnet hatte. Tigipkko ist einer der wichtigsten Beamten dieses Systems, der in diesem System von Anfang an gearbeitet hat.
Das System stockt, doch kann es standhalten, allein sich waffnend, allein im Land eine alternativlose Diktatur schaffend. Gerade Interessen der Systemerhaltung zwingen solch unterschiedliche – und zugleich gleiche – Menschen, wie Janukowitsch, Juschtschenko, Tigipko oder Asarow zu kooperieren. Nicht sie verteidigen sich, sondern das System verteidigt sich. Das Tote zieht das Lebendige zu Boden.
Man kann sich fragen: und Timoschenko ist sie denn kein Produkt dieses Systems? Zum einem, sie war immer eine Fremde für den größten Teil dieser Menschen. Zum zweiten, ist es jetzt nicht so wichtig. Sogar wenn man annimmt, dass sie nicht gewünscht hat, das Land zu ändern und nur an der Spitze des Systems zu stehen: heute wird über Timoschenko gerichtet und nicht umgekehrt. Und es sind sie, die den Mitbürgern jegliche Alternative nehmen wollen, bis zu dem Moment, wo sie beginnen werden sich gegenseitig zu bekämpfen, ins Gefängnis zu stecken und aufeinander zu schießen. Das ist natürlich ebenfalls keine Alternative. Es sind nur Auseinandersetzungen innerhalb des Veralteten.
Kann diese Vereinigung der Toten gewinnen? Ja, sie kann, aber das bedeutet, dass auch die Ukraine noch ein paar Jahrzehnte tot, arm und verurteilt sein wird. Ein Land, aus dem alle jungen talentierten Menschen fliehen werden, in dem alles amoralische gedeihen wird. Dies ist der eigentliche Zweck der neuen Vereinigung, der kaum mit den Wünschen und Träumen des ukrainischen Volkes übereinstimmt
18.08.2011 // Witalij Portnikow, Chefredakteur des TV-Senders TVi
Quelle: Levij Bereg