Unter Beschuss: Wie Ukrainer ihre Kulturdenkmäler restaurieren


Seit dem 24. Februar 2022 werden ukrainische Städte von Russland angegriffen. Charkiw, Kyjiw, Tschernihiw und viele andere Siedlungen leiden unter der großflächigen Zerstörung nicht nur des Wohnungsbestands, sondern auch wertvoller Kultur- und Baudenkmäler.

Nach Angaben des Ministeriums für Kultur und Informationspolitik wurden per 25. Dezember 2022 1.189 Objekte der kulturellen Infrastruktur in der Ukraine beschädigt. Davon wurden 446 Objekte völlig zerstört. Am stärksten betroffen waren die Gebiete Donezk, Kyjiw, Charkiw, Luhansk, Mykolajiw, Sumy und Cherson.

563 Klubs, 453 Bibliotheken, 63 Museen und Galerien, 18 Theater und Philharmonien, 92 Kunstvermittlungseinrichtungen wurden beschädigt.

Die UNESCO bestätigt die Zerstörung von 236 Kulturobjekten per 23. Januar 2023. Davon sind 105 religiöse Objekte, 18 Museen, 83 historische Gebäude, 19 Denkmäler und 11 Bibliotheken.

Über das Ausmaß der Zerstörung in den vorübergehend besetzten Gebieten muss die Ukraine erst noch erfahren.

Architekten, Restauratoren und Kommunalbehörden suchen aktiv nach Möglichkeiten zur Rettung des kulturellen Erbes.

Das Kulturhaus in der Stadt Irpin wartet auf seine Restaurierung

Das Zentrale Kulturhaus in der Stadt Irpin ist eine der ersten derartigen Einrichtungen in der Ukraine, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden. Sie wurde 1954 eröffnet und war bis März 2022 Zentrum des kulturellen Lebens der Stadt. Hier funktionierten Kreativstudios und -kurse, Sprachklubs, fanden Konzerte und Theaterstücke und andere öffentliche Veranstaltungen statt.

Als im Februar russische Truppen an Kyjiw heranrückten, wurde Irpin zum Schutzschild der Hauptstadt. Die Stadt wurde durch Artillerieangriffe erheblich zerstört, und auch das Kulturhaus wurde beschädigt. Mit ihren Beschüssen beschädigten die Russen die Fassaden, Innenräume und Zwischendecken des Gebäudes. Jetzt funktioniert die Einrichtung nicht, weil sie dem Einsturz nahe ist.

Von einer vollständigen Restaurierung des Kulturhauses sei noch keine Rede, sagt Jewhenija Antonjuk, Leiterin der Abteilung für Kultur, Nationalitäten und Religionen des Stadtrats Irpin. Zurzeit wird das Gebäude nicht restauriert, es steht unter Gebäudekonservierung. Die Mitarbeiter bedeckten die zerbrochenen Fenster und das zerstörte Dach mit Holztafeln. Unter Gebäudekonservierung steht nicht das ganze Gebäude, sondern nur der Teil, der den Beschuss überstanden hat.

Um einen Restaurierungsplan zu erarbeiten und das Schadensausmaß vollständig beurteilen zu können, muss eine Sachverständigenbegutachtung durchgeführt werden. Dafür gibt es aber noch keine Finanzierung.

Das Kulturministerium der Ukraine schätzte die Restaurierung des Gebäudes auf 204 Millionen Hrywnja (knapp fünf Millionen Euro), aber das ist ein Schätzwert. Ausländische Partner beeilen sich auch nicht, Mittel für die Wiederherstellung bereitzustellen.

„Bisher sind von ausländischen Partnern keine klaren Vorschläge zur Finanzierung der Restaurierung eingegangen. Es gab ein Angebot von Franzosen, aber sie sind erst bereit, nach Kriegsende zu helfen“, erklärt die Leiterin.

Um das Kulturhaus zumindest für eine gewisse Zeit vor Regen und Kälte zu schützen, wurden darin einige Konservierungsmaßnahmen durchgeführt. Daran waren auch Freiwillige beteiligt, insbesondere die Organisation „Dobrobat“. Aufgrund des Notzustands des Gebäudes konnten sie jedoch nur einmal an den Arbeiten teilnehmen. Es sei zu gefährlich, in der Einrichtung weiter zu bleiben, erklärte Dobrobat.

Daher bleibt das weitere Schicksal des Kulturzentrums in der Stadt Irpin, das seit 70 Jahren Menschen um sich vereinte, unbekannt.

Das Kaufmannshaus in Charkiw: konservieren und retten

Charkiw stand von Anfang an in der Feuerlinie der großangelegten Invasion. Deshalb wurden viele Baudenkmäler der Altstadt beschädigt.

Eines der betroffenen bemerkenswerten Gebäude ist das Gebäude der regionalen Fürsorgestelle für Haut- und Geschlechtskrankheiten in der Blahowischtschenska-Straße 17. Im März 2022 traf ein russisches Geschoss das historische Denkmal, das vom Architekten Olexij Beketow im Neorenaissance-Stil geschaffen wurde und ein Wahrzeichen der Stadt ist. Durch den Einschlag wurde nicht nur das Gebäude beschädigt, sondern auch das wertvolle Gemälde „Apotheose von Apollo“ des ukrainischen Malers Mykola Uwarow. Das Haus blieb völlig ohne Dach, ein Zimmer im zweiten Stock und Stuckfragmente waren stark beschädigt.

Die Initiatorin der Restaurierung des architektonischen Denkmals, das Charkiw seit 1889 schmückte, war die Architektin und Restauratorin Kateryna Kublyzka, Mitglied der Initiativgruppe „Save Charkiw“. Dank der systematischen Suche nach Geldmitteln und der Hilfe von Kollegen aus Lwiw und Warschau gelang es dem Team, eine Finanzierung für die Konservierung des Denkmals zu finden. Fünf internationale und ukrainische Fonds haben dafür 76.000 Euro bereitgestellt, das vermag der Staat gerade nicht.

„Leider gäbe es keine direkte Finanzhilfe vom Staat, da solche Objekte zurzeit nicht prioritär finanziert werden. Das ist keine Unterkunft, keine kritische medizinische Einrichtung und keine kritische technische Infrastruktur. Die örtliche Schutzbehörde hilft und erleichtert im Rahmen ihrer Befugnisse. Sie nahm auch an der Spendersuche teil“, erklärt Kateryna Kublyzka.

Die erste Phase des Projekts war die Konservierung eines Fragments der Decke mit „Apotheose von Apollo“. Nach dem Feuerlöschen lag das wertvolle Gemälde einige Zeit auf dem Fußboden und wurde durch Wasser beschädigt. Jetzt wird es von einem Team erfahrener Künstler betreut. Laut Kateryna Kublyzka, braucht man eine Gruppe von vier oder fünf Restauratoren, die sich auf Monumentalmalerei spezialisiert haben, um nur ein Gemälde „Apotheose von Apollo“ zu restaurieren.

Zurzeit werden am Objekt vorrangige und dringende Konservierungsarbeiten durchgeführt, deren Zweck es ist, das Denkmal zu schützen, zu schließen und zu stabilisieren. Eine vollständige Wiederherstellung wird jedoch lange dauern.

„Zunächst braucht man Zeit, um eine komplexe wissenschaftliche Projektdokumentation für die Sanierung des Gebäudes zu entwickeln. Zweitens benötigen auch direkte Restaurierungsarbeiten Zeit. Daher würden diese Prozesse etwa drei Jahre dauern, davor müssten Finanzierungen gefunden werden, was ebenfalls Zeit in Anspruch nehmen wird“, sagt Kateryna Kublyzka.

Die Architektin ist überzeugt, dass es eine große Chance gibt, die Restaurierung des Gebäudes abzuwarten, bevor sich sein technischer Zustand verschlechtert. Es ist jedoch sehr schwierig, den genauen Zeitpunkt der Restaurierung vorherzusagen.

Die Konservierungsarbeiten sollen im Winter 2023 abgeschlossen seien. Der gesamte Prozess wird unter der Aufsicht von qualifizierten Fachleuten und unter der Kontrolle der Gesellschaft für Denkmalpflege durchgeführt.

Das Chanenko-Museum: Wie das ehemalige Haus ukrainischer Mäzene gerettet wird

Das Nationale Kunstmuseum von Bohdan und Warwara Chanenko ist eines der berühmtesten Museen in Kyjiw. Es befindet sich im Anwesen der Chanenkos und im Haus der Familie Sachnowskyj. Die Gebäude sind einzigartige Denkmäler der Geschichte und Architektur des 19. Jahrhunderts. Das Museum hat die größte Sammlung von Weltkunst in der Ukraine, die von der Familie ukrainischer Philanthropen und Sammler Chanenko und anderen Mäzenen gesammelt wurde.

Am 10. Oktober 2022 gegen 8:30 Uhr traf eine russische Rakete einen Kinderspielplatz in der Nähe des Museums. Beide Gebäude wurden schwer beschädigt, sagt Marjana Wartschuk, die führende Konservatorin des Museumsbestandes. Durch die Druckwelle wurden die Scheiben der historischen Fenster zerbrochen, die Deckenlampen zerschmettert und sind auf das historische Parkett gefallen. Zwei Holzbalken am Dach splitterten, an den Wänden entstanden Risse und die Alarmanlage wurde beschädigt. Die Mitarbeiter des Museums versicherten, dass die Sammlung nicht beschädigt sei, da sie noch seit Beginn der umfassenden russischen Invasion in der Ukraine gesichert worden war.

Aber das Chanenko-Haus selbst ist ein architektonisches Denkmal, das nach und nach restauriert werden muss. Jetzt wurde dort ein erheblicher Teil der Folgen des Beschusses beseitigt. Dank des Museumsteams, gesellschaftlicher Organisationen und der schnellen Reaktion der Kommunalbehörden konnten die Notarbeiten in kurzer Zeit durchgeführt werden.

„Das Museum befindet sich jedoch mitten in einem langen Prozess detaillierter Gebäudeeinmessungen, Planung und Durchführung von Konservierungsarbeiten und technischen Untersuchungen. Die Gebäude sind Denkmäler der Baugeschichte Ende des 19. Jahrhunderts und brauchen besondere Aufmerksamkeit“, erklärt Marjana Wartschuk.

Unmittelbar nach dem Beschuss hat das Chanenko-Museum viele Hilfsangebote sowohl von großen internationalen Fonds als auch von Privatpersonen erhalten.

„Instandsetzungsarbeiten in den Gebäuden werden auf Kosten der Stadt Kyjiw durchgeführt. Die Abteilung für Kultur der Stadtverwaltung Kyjiw stellt umgehend die erforderliche finanzielle Unterstützung für das Museum bereit, und im Haushalt für 2023 sind auch die Mittel für die Fortsetzung der Restaurierung des Museums vorgesehen“, stellte die Institution fest.

Konservierungsarbeiten und Bauinspektionen werden mit Zuschüssen von ALIPH, dem House of Europe, dem World Monuments Fund und dem UNESCO-Fonds durchgeführt, und gesellschaftliche Organisationen sind ebenfalls beteiligt.

Das Chanenko-Museum hält den Kontakt auch zu anderen betroffenen Institutionen aufrecht und leitet Hilfsangebote nach Möglichkeit weiter.

Quelle: Nash Kyiv

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