Vereinigung von Handschuhen und Schokolade: Wie Klitschko zum Hochzeitsgeneral wurde



Bisher ist es Klitschko nicht einmal gelungen, den Namen UDAR zu bewahren und die Frage der Parteiquoten steht unter Vorbehalt.

„Wie stehen Sie zur Regierung?“, fragt Isju. „Wie zu meiner Frau: ein kleines bisschen liebe ich sie, ein bisschen habe ich Angst und die ganze Zeit wünsche ich mir eine neue.“ Mit diesem Witz eröffnete das Noch-Oberhaupt von „Solidarnost“ Jurij Luzenko die ordentliche Parteiversammlung.

Im vergangenen Jahr hat die virtuelle Partei des Präsidenten schon dreimal ihren Namen geändert und wechselt zum dritten Mal ihren Anführer.

Am 28. Juli endete der Einverleibungsprozess des Politikers Witalij Klitschko durch Pjotr Poroschenko. Der Oberbürgermeister Kiews und 19 seiner Parteikollegen unterschrieben Beitrittserklärungen zur Präsidentenpartei. Als Bonus erhielt der Box-Weltmeister einen Trostpreis – das Amt des Parteioberhaupts.

Aber schon in den ersten Minuten seines Amtes musste er erkennen, dass in dieser politischen Kraft niemand auch nur gewillt ist, seine Meinung zu beachten. Dort entscheiden nämlich ganz andere Menschen.

Noch im Frühjahr dieses Jahres stellte der Präsident den Bürgermeister der Hauptstadt vor eine einfache Wahl – er erhält Unterstützung bei den nächsten Wahlen nur, wenn er in die Partei „Solidarnost“ eintritt.

Am Anfang widersetzte sich Klitschko, zumal ihn seine Kreise schon überredet hatten, die Direktwahlkreise zu verkaufen, aber nach der Verabschiedung des neuen Kommunalwahlgesetzes gab der Bürgermeister auf.

Zudem fanden sich seine Parteigenossen mit der Zeit mit dem Tod der Partei ab. Der letzte Tropfen war, dass Klitschko und Walentin Naliwajtschenko der Entlassung des Letzteren als Chef des Geheimdienstes nicht verhindern konnten.

“Wir sind am A…, verzeihen Sie, sie drängten sich ins Fernsehen, aber hier wird uns gezeigt, dass schon alles verspielt ist. Für uns war es die letzte Chance, uns vom BPP (Block Petro Poroschenko = Partei „Solidarnost“ – Anm. d. Übers.) zu lösen und eine eigene Position zu zeigen, wenigstens eine Gruppe zu bilden. Jetzt ist das Begräbnis der Partei”, beklagten damals die Abgeordneten.

Wie das Begräbnis von UDAR und die Bildung der unbenannten Partei verliefen, verfolgte der INSIDER.

Nocturne auf der Flöte aus Abflussrohren

„Hättet ihr das Nocturne nicht auf der Wasserrohrflöte spielen können?“, mit diesen Worten Majakowskijs, verlieh der Abgeordnete Wiktor Tschumak seinem Gang zu der Sitzung, auf der er über die Vereinigung von UDAR und Solidarnost informieren sollte, Bedeutung, auch damit darauf anspielend, dass man die Parteien vereinigte.

„Vor dem 1. August versprach mir Klitschko noch, dass wir getrennt zur Wahl gehen, und nach dem Ersten habe ich ihn nicht mehr gesehen,“, klagte ein Abgeordneter gegenüber Journalisten.

In der „Championshall“ stand er abseits und unterhielt sich mehr mit Journalisten als mit Politikern.

Solche, wie Tschumak nennt, man bei Solidarnost hinter dem Rücken „Inadäquate“, damit darauf hinweisend, dass „Adäquate“ schon längst auf die Seite des Präsidenten gewechselt hätten. Das „inadäquate Verhalten“ besteht schließlich darin, dass Tschumak während des vergangenen Wahlkampf in den Kiewer Stadtrat und sagte, er werde keine Vertreter des alten Bürgermeisters Leonid Tschernowezkij unterstützen.

Tschumak, Natalja Nowak und Jegor Firsow waren die drei „UDARer“, die ihr Nichteinverständnis mit der Vereinigung der Parteien radikal bekundeten.

„Heute ist ein ziemlich trauriger Tag für mich. In diesen Minuten läuft die Sitzung, in der UDAR und „Solidarnost“ sich vereinigen sollen. Genauer gesagt will die politische Kraft des Präsidenten UDAR einfach schlucken, wonach die Partei, der ich so viele Jahre und Emotionen geschenkt habe, einfach verschwindet und ein Teil der Geschichte wird“, schrieb Jegor Firsow auf Facebook.

„Das Parteibuch von ‚Solidarnost‘ brauche ich nicht – ich werde dieser Kraft nicht beitreten! Manchmal muss man, um den Weg zu finden, mit allen auf Augenhöhe sein…“, ergänzte ein Abgeordneter.

Übrigens fühlten sich auch weniger mitteilungsbedürftige Abgeordnete von UDAR bei dieser Sitzung wie Gäste auf einer fremden Hochzeit. Man händigte ihnen nicht einmal Mandate zur Teilnahme an der Abstimmung aus, weil sie keine Mitglieder von „Solidarnost“ seien.

„Nun, unterzeichnen wir die Vernunftehe?“, fragte einer der Abgeordneten von UDAR, als er am Vorsitzenden von BPP Igor Kononenko vorbeiging. Dieser lächelte nur ironisch und setzte sein Raucherpausengespräch mit einem Parteikollegen fort.

„Nun ja, am ehesten eine ungleiche Ehe, eben eine östliche Familie wird das, ohne mich – mich hat man verheiratet“, bemerkte ein weiterer junger Vertreter von UDAR.

Die UDAR Abgeordneten beklagten sich um die Wette, dass sie niemand versammelt, niemand gefragt hatte, ob sie dafür oder dagegen sind. Genauso wie auch vor den Parlamentswahlen.

„Ja, wir hätten Probleme, wenn wir allein angetreten wären – der Großteil der Ukrainer sieht UDAR nach den Parlamentswahlen ohnehin nicht mehr getrennt von „Solidarnost“. Ja, wir haben wenig Chancen, unser wackeliges Rating bis zu den örtlichen Wahlen zu erhöhen, aber ein solcher Schritt, das ist die Aufgabe von UDAR als politische Kraft. Die Reanimation der Partei wird nie wieder gelingen“, klagte ein weiterer Volksvertreter vor Beginn der Sitzung.

Der enge Mitstreiter Klitschkos, der Abgeordnete Artur Palatnyj, rechtfertigte sich auf vielfältige Weise und beteuerte, dass es eine Parteiversammlung gab und dass dies eine kollegiale Entscheidung sei.

„Haben Sie über die Frage einer Vereinigung mit allen UDAR-Abgeordneten beraten?“, fragte ihn ein Journalist, der sich an den Präsidiumstisch drängte.

„Natürlich gab es eine Parteiversammlung und wir diskutierten diese Frage“, sagte Palatnyj ruhig.

„Wann hat diese Versammlung stattgefunden?“, entgegneten die Korrespondenten lächelnd.

„Ich weiß nicht mehr, vor kurzem war das, wahrscheinlich vor einer Woche“, versuchte sich der Mitstreiter Klitschkos herauszureden.

„Und gab es welche, die mit der Vereinigung nicht einverstanden waren?“, ließen die Pressevertreter nicht locker.

„Nun, alle, die nicht einverstanden sind, das ist ihr Recht, die Mehrheit hat diese Entscheidung getroffen. Das ist alles“, zuckte Palatnyj mit den Schultern.

„Diese Sitzung war dafür da, die Umfragewerte einzelner Politiker zu retten und hat nichts mit echter Parteiarbeit zu tun. Wenn dies ein Parteiprozess gewesen wäre, wäre er nach ganz anderen Prinzipien abgelaufen, über Parteikonferenzen, Versammlungen der Ortsverbände. Aber wir, die einfache Vereinigung zweier Marken. Das ist eine Vereinigung von Schokolade und Handschuhen“, findet Wiktor Tschumak.

Durch das Sieb Kowaltschuks und Beresenkos

Auf der Versammlung war es interessant zu entdecken, wie dieser oder jener Regionalvertreter versucht, eine Audienz bei dem engen Vertrauten des Präsidenten Igor Kononenko zu erhalten, der bei dieser Wahl den Stab führt, oder bei Sergej Beresenko, der sich mit der Auswahl der Kandidaten befasst.

„Na los, versuchen wir es um sechs“, sagt Kononenko zum Odessaer Vertreter, dem Abgeordneten Alexej Gontscharenko, der sich mit dem Wahlkampf der Partei in dem Gebiet beschäftigt.

Noch ist die Frage, wer Kandidat wird, offen, und jeder versucht, mehr an sich zu reißen, unabhängig von den erklärten Quoten.

Zu Beginn der Verhandlungen sahen sie vor, dass UDAR eine Quote von 30 Prozent der Kandidaten erhält, in Kiew, Lwiw, den Transkarpaten und Poltawa jedoch 50 Prozent. Der „Volksfront“ (von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, A.d.R.) wurde eine nichtöffentliche Quote von 25 Prozent der Anteile von „Solidarnost“ versprochen.

„Das alles wird sich schwer realisieren lassen, weil sich vor Ort nur sehr schwer würdige Leute finden lassen.“, sagte ein Vertreter des Präsidialamts.

„Ja, wir unterstützen in erster Linie heutige Direktkandidaten, Listenkandidaten. Wir werden auf die Leute setzen, die das Rating erhöhen, und nicht das Gegenteil tun. Das haben wir schon 2012 gelernt und jetzt läuft das sogar viel transparenter als damals.“, betonte der Abgeordnete Dmitrij Andrijewski, der für den Solomenskij-Stadtbezirk in Kiew verantwortlich ist.

„Glauben Sie, das wird ein ziemlich abgemachter Prozess. Ich persönlich werde alles dafür tun, dass dies in erster Linie würdige Personen werden“, sagte der Poltawaer-Vertreter Taras Kutowoj. Nach seinen Worten ist es noch zu früh, um über eine konkrete Kandidatenliste zu sprechen.

„Jetzt laufen sie alle um die Wette in die Bankowaja-Straße. Dort gibt es zwei Filter: Witalijj Kowaltschuk und Sergej Beresenko, wenn zwei Kandidaten durchkommen, dann gehen sie zum Präsidenten, und der wählt denjenigen, der weniger schlecht für das Image der Partei ist“??, sagte ein Gesprächspartner aus dem Präsidialamt.

„Derselbe Kutowoj kam, bat um Unterstützung für Worona in Poltawa. Aber wie können wir ihn unterstützen, wenn er den BPP kritisiert? Für den Bürgermeister hat dort Matkowskij eine gute Position, aber uns schlägt man warum auch immer Schidenko vor“, sagte der Gesprächspartner.

„In Boryspol wird Borisenko beworben, das ist der, der einen Anschlag auf sich selbst verübt hat. Sie kamen zu Parzchaladse (Oberhaupt der Organisation im Kiewer Gebiet), aber der breitet die Arme aus: „Nein, nein, geht damit zu Mischtschenko (Abgeordneter, der im Umkreis gewonnen hat), ich mische mich da nicht ein“, gab ein Vertreter des Präsidialamts Gespräche wieder.

Nach seinen Worten erboste sich Igor Gryniw so darüber, dass man UDAR in Lwiw 50 Prozent gab, dass er versprach, unter den Kandidaten eine Vorwahl abzuhalten, um zu zeigen, wer der Herr im Haus ist.

„Ja und überhaupt, diese ganzen Vereinigungen fallen uns noch einmal auf die Füße“, sagen Menschen, die dem Präsidenten näher stehen.

Frontgeschehnisse

Abgesehen davon, dass die Führer das nie zugeben würden, meinen einfache Abgeordnete, dass die Versammlung von „Solidarnost“ vom 27. Auf den 28. August vertagt wurde, weil die ganze Zeit noch Gespräche mit der „Volksfront“ liefen.

„Ich schließe nicht aus, dass bei dieser Versammlung auch die Zusammenarbeit mit der „Volksfront“ bekanntgegeben wird“, _sagte ein hochgestellter Beamter der präsidialen Administration vor einer Woche dem INSIDER.

“Wenn die „Volksfront“ den Beschluss fasst, nicht an den Regionalwahlen teilzunehmen, wäre die Teilnahme einzelner Mitglieder der „Volksfront“ an den Regionalwahlen von unserer politischen Kraft aus möglich. Was die Quoten von UDAR und der „Volksfront“ angeht, es gibt sie nicht und wird sie auch nicht geben. Wir haben ein neues Gesetz über Regionalwahlen, offene Parteilisten. Deshalb wird sich diese Frage so lösen: zur Wahl gehen die Besten!“, antwortete am Freitag der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der BPP, Igor Kononenko, Journalisten auf die Frage nach der Verschmelzung mit der „Volksfront“.

„Ich weiß, dass sie (Poroschenko und Jazenjuk) vor zwei Tagen irgendeine Vereinbarung unterzeichnet haben. Aber formal werden sie niemals einen Antrag stellen“, sagte ein Vertreter des Präsidialamts auf der Sitzung von „Solidarnost“.

„Was ist, der Kongress hat schon begonnen, der Präsident ist angekommen, aber wir sehen immer noch keine Übertragung“, traf eine SMS von einem Abgeordneter der „Volksfront“ ein.

Und schon nach einer halben Stunde tritt Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk mit der Erklärung auf, dass seine Partei an den Wahlen nicht teilnehmen wird.

„Weißt du, vielleicht ist es auch gut, dass wir nicht gehen. Ich erinnere mich, wie es mit „Vaterland“ war, als es da mächtige Intrigen und Skandale regionaler Organisationen gab, die das Image der Partei zerstörten. Denn je mehr Vereinigung, desto weniger Kontrolle, und so wird das Verlangen alles an sich zu reißen, bei den Regionalverbänden ständig wachsen“, sagte einer der Abgeordneten der „Volksfront“, der anonym bleiben will.

„Im Moment hat das noch keinen Einfluss auf die Verteilung in den Parlamentsfraktionen, aber wenn es zur Vereinigung mit der „Volksfront“ kommt, denke ich, werden viele aus dem BPP austreten“, bemerkte der Abgeordnete.

Nach ein Uhr mittags kam der Präsident zur Versammlung. Vor der Tür traf ihn Sergej Beresenko, der die Versammlungsorganisation innehatte.

Unter dem Applaus des Publikums ging der Präsident zur Tribüne, wo er eine halbe Stunde über die Einheit der ukrainischen politischen Kräfte sprach, besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrohungen.

Poroschenko erinnerte daran, dass es in der Ukraine jetzt schon 235 Parteien gibt. „Braucht die Ukraine so viele? Es gibt keinen Zweifel daran, dass viele politische Kräfte fast übereinstimmende Programme haben und nur wegen der Führungsambitionen ihrer Anführer einzeln existieren. Wir sollten die These ‚Wo zwei Ukrainer sind, da sind drei Anführer‘ widerlegen. Das parlamentarisch-präsidiale Modell braucht starke, gut organisierte und verantwortungsvolle politische Parteien“, unterstrich Poroschenko.

Die neue Vereinigung begrüßend und unterstützend ging der Präsident. In seinem Schlepptau lief Kononenko. Im Ausgang sprachen beide einige Minuten lebhaft miteinander. Der Präsident war unzufrieden, aber herauszufinden worüber, gelang dem Korrespondenten des INSIDER nicht.

In diesem Moment übergab schon Luzenko die Führungszügel der Partei an Klitschko und es blieb eine Frage, der Name der Partei.

Noch vor der Versammlung sagte man im Präsidialamt, dass es bei den Wahlen den Namen „UDAR-Solidarnost“ nicht geben wird, er könne sich höchstens in Zukunft entwickeln.

„Wir haben 650 Einheiten, sie 300, wir schaffen es physisch nicht sie umzuregistrieren. Aber Witalijj Klitschko erhob den Wunsch, das Wort „UDAR“ in der Bezeichnung zu erhalten“, erzählte Kononenko Journalisten vor Beginn der Sitzung.

Wirklich, die „UDARler“ gingen mit der Überzeugung in die Versammlung, der Name würde gerade hier festgelegt.

Wie groß war ihre Verwunderung, als Juri Luzenko vorschlug, mit dieser Frage nicht zu eilen und sie zur Beratung nach unten zu geben.

„Und doch fühle ich, dass in der nächsten Etappe des Kongresse hier in der ersten Reihe die „Volksfront“ sitzen wird und auch ihren Namen erhalten möchte. BPP kann ich noch aussprechen, aber BPPNF wird für mich schwierig auszusprechen sein. Und wenn man bedenkt, dass es in der Ukraine 235 Parteien gibt und wenn wir diesen Weg weiter gehen, dann wird die Sache ziemlich unmöglich“, erklärte Luzenko seine Position mit der für ihn typischen Ironie.

Klitschko fuhr auf und bemerkte unmissverständlich, dass die Absprache eine andere war und das jetzige Vorgehen unethisch.

Aber Luzenko gab die Frage zur Abstimmung und der Saal vertagte sie. „Ich denke, ihr müsst jetzt gehen und das den anderen Leitern erklären“, sagte Klitschko beleidigt in Bezug auf das Präsidialamt.

„Nein, ich muss jetzt gar nichts mehr erklären. Das ist jetzt Eure Aufgabe“, parierte das Ex-Oberhaupt der Partei.

Diese fünf Minuten Diskussion in einem sehr unangenehmen Ton gaben Klitschko zu verstehen, dass er in dieser Partei nicht mehr Rechte hat als ein Hochzeitsgeneral (Ehrengast auf einer Hochzeit ohne Rechte, A.d.R.). Und das ist nur der Anfang.

In Wirklichkeit hat die Partei UDAR bisher auch niemand liquidiert….

29. August 2015 // Tatjana Nikolajenko und Olga Karetnikowa

Quelle: The Insider

Übersetzerin:   Anja Blume  — Wörter: 2234

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