Warten auf den „ukrainischen“ Trump - Wenn die Ukrainer wieder nach Gefühl wählen werden
Der Kobsar (der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko, Anm. d. Ü.) trug uns als Vermächtnis auf, Washington mit seinem neuen und gerechten Gesetz zu erwarten. Aber vorher kommt nun der ukrainische Trump zu uns. Das wird schlecht und unumkehrbar sein. Und ich erkläre hier, warum.
Rache im Wahllokal
Die eingefleischten Liberalen dieser Welt singen wieder das alte Lieblingslied über das dumme amerikanische Volk, das mit den Instrumenten der Demokratie nicht umgehen könne. Die Ukrainer antworten mit dem Refrain von der allmächtigen russischen Lobby. In Wirklichkeit ist der Sieg von Donald Trump das folgerichtige Ergebnis innenpolitischer Prozesse in den USA. Es ist schwerlich vorstellbar, dass Trumps Wähler ihn für mehr kompetent hielten als Hillary Clinton. Darum ging es ihnen auch nicht. Es ging ihnen aber um Rache am amerikanischen Establishment, das die USA in den letzten acht Jahren regierte.
Die Rolle eines Sexisten, Chauvinisten und Rüpels, die Trump auch seit den ersten Tagen seiner Wahlkampagne sorgfältig pflegte, entsprach bestens den Erwartungen unzufriedener Amerikaner. Je respektabler und ausgewogener Frau Clinton, „dieses Mädchen von Obama“ auftrat, desto brutaler spielte Trump den Macho und machte damit keinen Fehler. Sein ganzes öffentliches Auftreten war eine Art Spott über die demokratische Etikette, offenes „Trolling“, wofür die „bösen“ Amerikaner ihn ins Herzen geschlossen hatten.
Die Mainstream-Medien, die offen auf der Seite von Hillary Clinton standen, hatten einen strategisch wichtigen Fehler gemacht, indem sie ihren Opponenten dämonisierten. Unzufriedene Wähler wollten gerade so einen Bad Boy, um ihn dann ins Weiße Haus zu setzen und vier Jahre lang zuzuschauen, wie das entwaffnete Establishment vom Fieber geschüttelt wird. Die Amerikaner brauchten ein Instrument für die Rache. Donald Trump machte alles, um dieses Werkzeug zu werden und erhielt ein hervorragendes Ergebnis.
Etwas Ähnliches gab es auch schon in der Ukraine, wenn wir zum Beispiel an den unerwarteten Erfolg der Swoboda-Partei bei den Parlamentswahlen 2012 denken. Eine chronisch erfolglose Partei bekam zehn Prozent der Wählerstimmen. Sicherlich war ein Teil der Wähler ideologisch motiviert, als sie Oleh Tjahnybok und Co. wählten. Allgemein war das aber ein Protest gegen die wachsende Alleinherrschaft der Partei der Regionen von Wiktor Janukowytsch. Bei weitem nicht alle Wähler, die damals für die Swoboda gestimmt haben, glaubten daran, dass ein neuer Stepan Bandera käme und Ordnung schafft. Viele hofften eher von Herzen darauf, dass er die Nerven der parlamentarischen „Blutsauger“ strapazieren würde.
Im Allgemeinen ist dieser Weg typisch für die Parteien und Anführer, die Unzufriedenheit ausnutzen wollen. Solche politischen Projekte sind in der Regel nur Eintagsfliegen. Denn beim nächsten Mal wählt das Publikum meist schon andere Racheausführer oder kehrt zu ausgewogener Abstimmung zurück. Das Hauptproblem besteht darin, dass die Wahl aus Rachegründen unerwartete Folgen haben kann. Die jüngste Geschichte kennt viele Beispiele von Populisten, die auf demokratischem Wege an die Macht kamen und die dann nicht nur den „Blutsaugern“, sondern auch dem ganzen Land das Leben schwer machten.
Idiotensicherung
In wirtschaftlich entwickelten Staaten gibt es jede Menge an institutionellen Machtbegrenzungsmechanismen, die einen neu gewählten Spaßvogel in seinem Wahnsinn zähmen können. Der Alarm wegen des Siegs von Trump wurde mehr durch Emotionen, als durch Verstand ausgelöst. Die USA haben ziemlich starke demokratische und rechtliche Institutionen. Der neue Präsident ist nicht in der Lage, sie zu zerstören. In der Ukraine jedoch gibt es diese Sicherungen nicht. Mehr noch, unser schwaches und korruptes Land ist ein gutes Milieu für dekonstruktive Handlungen aller Art.
Das Paradebeispiel dafür ist die Präsidentschaft von Wiktor Janukowytsch. Eine Analogie zu Trump zu ziehen ist wahrscheinlich nicht korrekt, aber die Hilflosigkeit der Ukraine vor dem Wahnsinn der Herrschenden ist offensichtlich. In einer Amtszeit hätten Janykowytsch und Co. das Land beinahe zum Kollaps geführt. Alles deswegen, weil das Parlament, die Gerichte und die Militärstrukturen und andere Staatsinstitutionen (geschweige denn die Zivilgesellschaft) sich gegenüber den „Donezkern“ als hilflos erwies. Dabei war Janukowytsch kein Radikaler. Er träumte davon, ein ukrainischer Lukaschenka zu werden, und nicht Chavez oder Tsipras. Was ein richtiger Abenteurer in der Ukraine anrichten könnte, will man sich dabei kaum vorstellen.
Dabei ist angesichts der politischen Lage in der Ukraine ein solches Szenario nicht so unrealistisch. Das Ansehen der jetzigen Regierung sinkt. Das Wichtigste aber ist, dass es in der ukrainischen Politik keine nennenswerten Alternativen gibt. Die Wähler können nur denselben schon abgegriffenen und schweißigen Kartenstapel der Gesichter der Politik neu durchmischen.
Je größer die Unzufriedenheit mit der jetzigen Regierung ist, und Alternativen fehlen, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Gesellschaft eine überraschende Wahl macht. Und ein neuer politischer Star unvorhergesehen, aus heiterem Himmel, erscheint.
Das Problem liegt darin, dass ein erfolgreicher Kandidat der Unzufriedenen automatisch programmiert ist, sich destruktiv zu verhalten. Während Trump Witze über Minderheiten machte und mit Sexismus schockierte, wird der ukrainische Trump auf anderem Feld spielen, auf einem Minenfeld. Die ukrainische Gesellschaft ist voller starker Widersprüche, sehr gespalten und großer sozialer Unterschiede und, was wichtig ist, sie bereitet sich innerlich auf die nächste politische Krise vor. Die Müdigkeit vom Krieg und von den Majdan-Revolutionen ist nur eine Seite der Medaille, die andere sind Kriegs- und Majdan-Erfahrungen.
Auf diese Weise kommt es in der Ukraine zu einer besorgniserregenden Situation. Einerseits wächst die Unzufriedenheit mit der neuen Regierung im Land. Daneben wuchs die Neigung zur Radikalisierung in den letzten zwei Jahren, gleichzeitig sank die Bereitschaft zu überlegtem Handeln. Wir haben keine Angst mehr weder vor Kandidaten mit Mistgabeln noch vor Kandidaten mit Gewehren, geschweige denn vor exotischen und schockierenden Parteiprogrammen. Deswegen würde Trump in der Werchowna Rada nicht so radikal erscheinen.
Auf der anderen Seite fehlen im Staat institutionelle Abwehrmaßnahmen, die das Land im Falle, dass unzufriedene ukrainische Wähler die Wahl nicht mit Verstand, sondern aus beleidigten Gefühlen heraus machen, absichern könnten. Die Folgen dieser Wähler-Rache könnten viel schwerer ausfallen. Schwierigkeiten würden nicht nur unbeliebte Politiker haben, sondern das ganze Land. Die USA können sich einen Trump leisten, für die Ukraine wäre er ein zu hohes Risiko. Die aktuellen politischen Tendenzen zeugen davon, dass wir mit einem wie Trump konfrontiert werden könnten. Es ist wichtig dabei, solche aktuell marginalen, aber lauten Politiker nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Vielleicht wird einer von ihnen der nächste Präsident oder Ministerpräsident der Ukraine sein.
10. November 2016 // Hryhorij Schwez
Quelle: Zaxid.net