Wer stoppt Tjahnybok?
Der Erfolg der rechten Partei „Swoboda“ (Freiheit) hat Interesse geweckt und brachte nicht nur die ukrainische Öffentlichkeit in Aufruhr. Das Ergebnis der Partei bei den Regionalwahlen gibt ernsthaften Anlass, um von ihrem Durchmarsch in die Werchowna Rada nach den nächsten Parlamentswahlen auszugehen. Und das käme bereits einer völlig anderen politischen Kräfteverteilung auf nationaler Ebene gleich… Darüber wurde nicht nur in der Ukraine nachgedacht: Seine Sicht der Lage hat dieser Tage der deutsche Politikwissenschaftler Andreas Umland dargelegt. Im Kern können seine Aussagen auf einen einfachen Gedanken zurückgeführt werden: Die Existenz einer solchen ultranationalistischen Kraft im zukünftigen Parlament kann dem internationalen Image der Ukraine schaden.
Ist das wirklich so? Und warum konnte „Swoboda“ im Westen und im Zentrum des Landes derart überzeugende Ergebnisse aufweisen? Dazu befragte Experten von From-UA versuchen Klarheit zu verschaffen.
Der Direktor des Europäischen Instituts für politische Kultur, Alexander Bulawin, rechtfertigt den europäischen Namen seiner Organisation unter Zuhilfenahme der Worte des ausländischen Experten:
“Ich denke, dass der deutsche Experte vollkommen Recht hat, denn jedwede Manifestation von Nationalsozialismus, Neonazismus und Neofaschismus wird nicht nur in Europa als eine ernsthafte Bedrohung angesehen, sondern auch von der überwältigenden Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung. Es existiert die tatsächliche Gefahr eines Durchmarschs in die Werchowna Rada, und deshalb wird dies unweigerlich einen Konflikt in der Gesellschaft entfachen”, sagte er.
Im Übrigen seien die Erfolge von „Swoboda“ durch die gleichzeitige Verabschiedung einer Reihe unpopulärer Maßnahmen durch die Regierung vor dem Hintergrund einer allgemein schwierigen sozioökonomischen Lage bedingt und induziert:
„Deshalb hat sie zwar einerseits nicht die erwartete Mehrheit bekommen, aber andererseits konnten neofaschistische Elemente unter Inanspruchnahme prägnanter Losungen von der Wiedergeburt des Landes, des Reinwaschens des ukrainischen Images, der Rückkehr zu nationalen Werten aus dieser Situation Nutzen ziehen. Genau auf solch einer Welle gelangte 1933 der Faschismus an die Macht“, zog Bulawin die Analogie.
Einer Meinung mit dem Deutschen ist auch der Volksdeputierte der Kompartei (Kommunistische Partei), Spiridon Kilinkarow.
„Ohne jeden Zweifel wird das Image der Ukraine sehr negativ beeinflusst, wenn eine derartige politische Partei im Parlament vertreten sein wird“, glaubt er, obgleich er gleichzeitig versichert, dass die Chancen eines solchen Erfolgs für „Swoboda“ faktisch sehr gering seien, da, seiner Meinung nach, die nationalistische Ideologie nicht die Unterstützung der Mehrheit der Ukrainer finden wird.
Und der Sieg der Partei von Tjahnybok in den westlichen Regionen wurde nach Meinung des Kommunisten durch die Enttäuschung der dortigen Wähler von der bestehenden Opposition hervorgerufen: „Der Erfolg von ‘Swoboda’ wurde in erster Linie durch die Enttäuschung vom BJuT (Block Julia Timoschenko), welcher dort de facto die dominierende politische Kraft darstellt, induziert. Ich denke, dass es sich mehr um Protestwähler als um ideologische handelt“, bemerkte Kilinkarow.
Anderer Meinung ist der BJuTler Aleksandr Gudyma. Er glaubt, dass „Swoboda“ nicht als ultranationalistische Kraft bezeichnet werden dürfe und ihr Erfolg bei den Regionalwahlen eine innerukrainische Angelegenheit sei, die niemanden jenseits der Grenzen des Landes aufzuregen habe: „Die Europäer und Russen gestalten ihre jeweilige Politik und die Ukraine ihre eigene. Deshalb sind unsere Wahlen interne Probleme und nicht die Probleme Europas“, kommentierte er die Aussagen Umlands.
Den Anstieg der Umfragewerte von „Swoboda“ führt der BJuTler auf einen einfachen Sachverhalt zurück: Das antiukrainische Verhalten der neuen Macht habe eine Abwehrreaktion in der Gesellschaft provoziert.
„Den Erfolg kann ich mit der Angst der Wähler in der westlichen Region vor der real drohenden Gefahr des Verlustes des nationalen Selbstverständnisses erklären. Und wenn eine politische Kraft, wie ‘Swoboda’ ausdrückt, was die Wähler hören wollen, und entsprechend agiert, bekommt sie auch das Vertrauensvotum“, betonte Gudyma.
„Es ist nicht an deutschen Politologen uns darüber zu belehren, wen wir in das Parlament zu wählen haben. Dies wird das ukrainische Volk entscheiden“, erklärte übereinstimmend mit dem Oppositionspolitiker der Direktor des Forschungszentrums für Probleme der Zivilgesellschaft, Witalij Kulik. Er sei überzeugt, dass der Erfolg von „Swoboda“ mit mehreren Komponenten korreliere: „Erstens ist eine große Anzahl von Menschen von den nationaldemokratischen Kräften in der Westukraine und im Zentrum enttäuscht, und es herrscht das Bedürfnis nach einer Kraft, die diesen Standpunkt widerspiegelt. Solch eine einflussreiche politische Kraft existiert nicht, daher wird auf die ‘Swoboda’-Partei gesetzt. Zweitens existiert ein konkreter aktivistischer Leerraum, ein Fehlen von attraktiven politischen Entwürfen im Westen und im Zentrum, welche eine Jugend annehmen könnte, die von einem gemäßigten nationalistischen Standpunkt aus handeln könnte. Drittens besteht ein Problem in der wachsenden Neigung Kiews sich vom ‘Ukrainertum’ abzuwenden, und dies radikalisiert die westukrainische Öffentlichkeit”, meint Kulik.
Keine Probleme sieht der NU-NSler (“Nascha Ukrajina-Narodna Samoobrona”) Oles Donij im Erfolg von „Swoboda“: „Hierbei handelt es sich um eine stabile Wählerschaft, welche bereit ist, wegen ihres fehlenden Glaubens in die Parteien, die im Parlament vertreten sind, unter anderem BJuT und Nascha Ukrajina – Narodna samooborona, für patriotische Ideen zu votieren; und diese hat sich einer neuen außerparlamentarischen Kraft zugewandt, welche momentan von ‘Swoboda’ verkörpert wird. Aus dieser Sicht ist der Erfolg von ‘Swoboda’ vollkommen vorhersehbar gewesen“, glaubt der Politiker.
„In vielen europäischen Staaten sind die rechten Parteien recht stark in den Parlamenten und Wahlen vertreten. Erinnere man sich an Frankreich, die Niederlande, Ungarn. Insofern sollte man sich nicht um eine Verschlechterung des internationalen Images sorgen. Jetzt sind Kräfte an der Macht, die das Land faktisch in einen Satelliten Russlands verwandeln, womit zur allmählichen Demontage des nationalen Selbstverständnisses beigetragen wird. Und wenn eines Europa aufschrecken sollte, dann ist es vor allem die momentan vorherrschende Situation“, ist Donij überzeugt.
Der Direktor des Nationalen Instituts für Strategische Studien, Andrej Jermolajew, hat eine eigene Erklärung für das Geschehene: „Ein erster Aspekt besteht in der Enttäuschung und dem faktischen Zusammenbruch der Mehrheit der alten nationaldemokratischen Kräfte. Jede hat ihre eigene Geschichte, aber zu diesen Wahlen traten sie geschwächt, mit einem zerstörten Image, zerstritten und mit einem Vertrauensverlust an. Ein zweiter Aspekt besteht in der bei uns traditionell beständigen und starken nationaldemokratischen Gesinnung unter den Wählern“, betont er.
So habe es sich historisch ergeben, dass der Platz der Volksbewegung (Narodnyj Ruch Ukrajiny) und der Partei Juschtschenkos von „Swoboda“ eingenommen wurde, glaubt er.
„Das ist in der Tat eine radikale Kraft. Ihre Besonderheit besteht darin, dass sich ihr Kern bereits aus einer jungen Politikergeneration zusammensetzt, die frei von irgendwelchen Stereotypen und den Restriktionen der politischen Kohorte ist, die mit der alten Dissidentenbewegung in Zusammenhang gebracht wird. Ich glaube jedoch zum Einem, dass Grenzen für das Wachstum einer solchen politischen Kraft existieren. Zum Anderen scheint mir, dass aus dem breiten Spektrum der Spielarten des Nationalismus, des sozialen, ökonomischen, ethnischen, politischen, bürgerlichen, gerade der ethnische sowohl elektoral als auch politisch stark restringiert ist. Daher würde ich mich vorerst hüten, regenbogenfarbene Zukunftsperspektiven der ‘Swoboda’ für die Parlamentswahlen zu zeichnen. Sie muss noch beweisen, dass sie es als politische Partei zu etwas bringt, dass sie stabil ist“, warnte Jermolajew.
Die Meinungen und Erklärungen sind vielfältig. Aber, ungeachtet einer gewissen Skepsis der Experten bezüglich der strahlenden Zukunft von „Swoboda“, ist ein Schluss zu ziehen: Steigt die Popularität dieser politischen Kraft weiterhin in dem bisherigen Tempo, kann bald ausgerechnet die Partei Tjahnyboks die wichtigste Oppositionskraft des rechten Flügels werden, während nicht nur „Nascha Ukrajina“ (was de facto bereits gelang), sondern auch BJuT aufs politische Abstellgleis abgeschoben wären. Und siehe da, aus Tjahnybok wird zum Jahr 2015 ein echter Präsidentschaftskandidat.
Was, im Übrigen, dem derzeitigen Staatschef sehr gelegen käme: einen Radikalen als Konkurrenten im zweiten Wahlgang zu bekommen, wäre fast eine Garantie für den Sieg. Das wurde mehrfach erprobt, sowohl in der Ukraine als auch im Ausland …
Andrej Generalow
Quelle: FromUA