Der Westen der Ukraine steht unter Wasser
Am letzten Wochenende regnete es in den westlichen Oblasten der Ukraine in Strömen, wodurch tausende von Häusern überschwemmt wurden. Präsident Wiktor Juschtschenko erklärte gestern die betroffenen Oblaste zur “Zone einer außerordentlichen ökologischen Situation”. Allein in der Iwano-Frankiwsker Oblast beläuft sich der Schaden, verursacht durch die Naturkatastrophe, nach vorläufigen Berechnungen, auf mehr als 1 Mrd. Hrywnja (ca. 132 Mio. €). Mittel zur Beseitigung der Folgen beabsichtigt man aus dem Reservefonds des Staatsbudgets zuzuweisen, doch in der Regierung bestätigte man, dass momentan das notwendige Geld nicht vorhanden ist.
Im Ergebnis der Naturkatastrophe in der Iwano-Frankiwsker, Lwiwsker, Sakarpathija, Tscherniwzer, Ternopiler und Winnizajer Oblasten, kamen 10 Menschen um, 1.053 wurden evakuiert, 21.000 Häuser und 18.000 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche sind überschwemmt worden, 145 Auto- und 252 Fußgängerbrücken wurden beschädigt und 250 km an Straßen wurden unbrauchbar. Das letzte Mal wurde eine ähnliche Überschwemmung in der Westukraine vor etwa 100 Jahren verzeichnet.
“Vergeltung Gottes für Sünden”
In der Stadt Sambor (Lwiwska Oblast), wo etwa 40.000 Menschen wohnen, sind 350 Häuser überschwemmt, doch deren Einwohner verweigern die Evakuierung. “Das Wasser erreicht in den Häusern unterschiedliche Niveaus. Bei den einen bis zu den Knöcheln, bei anderen bis zum Gürtel, doch die Leute wollen nicht gehen. Im Ganzen gesehen ist die Lage normal. Alle helfen einander.”, erzählte dem “Kommersant-Ukraine“ der Bürgermeister der Stadt, Michail Kit. In ähnlichen Situationen befinden sich alle Städte und Dörfer der Vorkarpaten, wo es in den letzten Tagen starke Regenfälle gaben. Den Informationen des Hydrozentrums nach, stieg am Freitag faktisch in allen Flüssen der westlichen Oblaste des Landes der Wasserspiegel. In den Zuflüssen des Dnjestr in der Lwiwer Oblast um 5,5 m, in der Iwano-Frankiwsker um 4-4,7m. Die ersten Opfer gab es bereits Freitag morgen. Die Hauptverwaltung des Katastrophenschutzministeriums in der Iwano-Frankiwsker Oblast informierte darüber, dass infolge des starken Regenfalls ein Mensch umkam, ein weiterer wird vermisst. Bereits am Ende des Tages wurde klar, dass es noch mehr Opfer geben wird. In der Siedlung Witwiza im Dolinsker Kreis versuchte ein 43-jähriger Mann bei einem Erdrutsch aus dem Haus zu springen, geriet in einen Strudel, aus dem er nicht mehr hinausgelangte, und ertrank. In der Siedlung Mikulitschine im Kreis Jaremtsche versteuerte sich der 25-jährige Fahrer eines WAS-2199 und fuhr in den Fluss. Ihn gelang es zu retten, doch ein Passagier des WAS verschwand spurlos.
Bei der Hauptverwaltung des Katastrophenschutzministeriums der Lwiwer Oblast versicherte man dem “Kommersant-Ukraine“, dass, ungeachtet der Schwierigkeit der Situation, sie unter Kontrolle bleibt. “Die Retter waren bereits drei Stunden vor dem Beginn des starken Regens bereit. Die problematischste Situation gibt es in drei Kreisen, wo Siedlungen von der Außenwelt abgeschnitten wurden. Zum Beispiel, der Weg in die Siedlung Saretsche, Strysker Kreis, ist vollständig überschwemmt, die Wasserhöhe erreichte dort 2,5 m. Die Rettungskräfte bringen Trinkwasser und Nahrungsmittel per Schwimmtransporter hin. In die Siedlung wurde ein Arzt gebracht. Faktisch sind in allen Kreisen die Brücken zerstört.”, erzählte der Leiter der Presseabteilung des Katastrophenministeriums in der Lwiwer Oblast, Pawel Wasilenko.
“Die Katastrophe wurde den Leuten als Vergeltung Gottes für Sünden gebracht! Ich lasse mein Haus nicht zurück.”, sagte dem “Kommersant-Ukraine“ eine Einwohnerin von Saretsche, Marija Pawlenko. “Die Retter bringen Brot und Wasser; das bedeutet, ich überlebe.”
“Das Wasser fällt und steigt. In der Küche bis zum Knie und im Korridor reicht es bis zum Bauch. Und wohin sollen wir?”, teilte dem “Kommersant-Ukraine“ einer der Mitarbeiter des Drogobytscher Stadtrates mit, der anonym bleiben wollte. “Wie die schmutzigen Fluten ankamen, begann das ganze Dorf das Vieh näher an die Kirche zu treiben, welche auf einem Berg steht. Wir können ohne (Land-)wirtschaft nicht überleben, daher haben wir gerettet was möglich ist.”
“Wir müssen zusammen bleiben”
Gestern begaben sich die Leiter des Landes an den Ort der Naturkatastrophe. Präsident Wiktor Juschtschenko flog in die Iwano-Frankiwsker Oblast, seine Teilnahme an der Feierlithurgie zum 1.020. Jahrestag der Christianisierung der Kiewer Rus unterbrechend. Beim Treffen mit lokalen Einwohnern im Kreiszentrum “Galitsch” erklärte er, dass die erschwerte Situation eine “augenblickliche Reaktion des Staates” erfordert: “Wir müssen jetzt einander helfen. Ihr bleibt nicht allein, wir werden alle Probleme gemeinsam meistern. Dies ist ein außerordentliches Ereignis und wir werden außerordentliche Schritte unternehmen.” Der Präsident teilte ebenfalls mit, dass er Anweisung zur Bildung einer Kommission gab, welche ein Register der Opfer erstellt und in kürzester Zeit die Höhe der Kompensationen für die Leidtragenden festlegt.
Premierministerin Julia Timoschenko ihrerseits, “unterbrach die Kur”, um sich persönlich mit dem Gang der Beseitigung der Folgen des Hochwassers vertraut zu machen. “Ich habe tatsächlich meine Kur unterbrochen, doch, mir scheint, braucht man darüber nicht zu reden, sondern davon, wie in den geschädigten Kreisen wieder Ordnung geschaffen wird.”, erklärte sie den Journalisten am Flughafen. Dabei verzichtete die Premierin nicht auf das Vergnügen eine spitze Bemerkung in Richtung des Präsidenten zu machen. Sagend, dass sie “eng mit dem Präsidenten zusammenarbeiten wird”, unterstrich Timoschenko: “Und wenn der Präsident nach Kiew fährt, wird meine ganze Regierungsmannschaft unter meiner Führung hier bleiben und arbeiten.” Außerdem betonte die Premierin, dass “die Regierung alle notwendigen Schritte unternimmt, um den geschädigten Regionen zu helfen” und die Mittel für die Beseitigung der Katastrophenfolgen werden aus dem Reservefonds des Staatsbudgets zugewiesen.
Beim Ministerialkabinett gibt man zu, dass zur Zeit die notwendigen Mittel im Reservefonds nicht vorhanden sind. Die Situation ist so, dass die Opfer des Hochwassers zu Geiseln der großen Politik wurden. Den Worten des Ersten Vizepremiers, Alexander Turtschinow, nach, gibt es im Reservefonds etwa 280 Mio. Hrywnja (ca.36,8 Mio. €), doch dies ist selbst für die Beseitigung der Schäden in der Iwano-Frankiwsker Oblast zu wenig. “Dies, ist fraglos zu wenig für die Beseitigung der Folgen einer Katastrophe diesen Ausmaßes.”, erklärte Turtschinow. ??“Die endgültige Summe der Verluste wird nach dem Sinken des Wasserspiegels berechnet. Nach vorläufigen Berechnungen, sind allein in der Iwano-Frankiwsker Oblast mehr als 1 Mrd. Hrywnja (ca. 132 Mio. €) notwendig.
Alexander Turtschinow teilte mit, dass in Verbindung damit die Regierung auf einer außerordentlichen Sitzung der Werchowna Rada besteht und einer unverzüglichen Untersuchung der Änderungen im Staatsbudget für 2008, was es erlaubt zusätzliche Mittel für den Reservefonds vorzusehen. Wie bekannt ist, scheiterte der Versuch des Beschlusses von Änderungen im Staatsbudget am letzten Tag der Arbeit der VI. Werchowna Rada vor der Sommerpause. Damals unterstützten das Staatsbudgetprojekt 216 Abgeordnete – 155 von BJuT (Block Julia Timoschenko) und 61 der 72 propräsidialen Fraktion UUNS (“Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung”). 11 Abgeordnete von UUNS, deren Stimmen für die Annahme des Dokumentes gereicht hätten, weigerten sich dafür zu stimmen, dies damit begründend, dass in diesem die Wünsche des Präsidenten für das Hauptfinanzdokument des Landes nicht berücksichtigt wurden. Jetzt die Abgeordneten zu versammeln, welche sich im Urlaub befinden und außer der Reihe das Budgetprojekt zu beschließen, an das alle Fraktionen, außer der Propremierfraktion von BJuT, Ansprüche haben, ist praktisch unmöglich.
In der zweiten Tageshälfte führten Wiktor Juschtschenko und Julia Timoschenko eine Sitzung des Stabes für den Kampf mit den Folgen der außerordentlichen Situation durch. Der Präsident verspätete sich, doch, wie sich später herausstellte, aus objektiven Gründen – sein Wagenkolonne wurde einige Male von Einwohnern von Siedlungen, welche unter dem Hochwasser leiden, angehalten. Juschtschenko wurde erzählt, dass “mit dem Wasser das Eigentum verschwunden ist und die Gärten überschwemmt wurden” und hauptsächlich fragten sie, wer die Verluste ersetzt.
“Ich fordere den Eintrag von radikalen Änderungen in das Staatsbudget 2008, insbesondere in den Artikel bezüglich des Baus von Wasserrückhaltebecken, welche man hätte in voller Höhe finanzieren können. Ich möchte, dass die aktuelle Mannschaft aus der Katastrophe Lehren zieht, aus dieser ernsthaften Prüfung durch die Natur und das sie beginnt beschleunigt zu arbeiten.”, erklärte Wiktor Juschtschenko und fügte hinzu, dass die betroffenen Oblaste zu einer “Zone der außerordentlichen ökologischen Situation” erklärt werden.
Die Regierungschefin hatte ihren eigenen Plan. Vor allem beabsichtigt sie sich an den Parlamentssprecher Arsenij Jazenjuk mit der Forderung zu wenden, eine außerordentliche Sitzung der Werchowna Rada einzuberufen. Nicht besonders auf die Abgeordneten in der Frage des Beschlusses des Budgets zählend, ist Timoschenko bereit diesen die Frage der Neuverteilung der Mittel, welche für die soziale und ökonomische Entwicklung der Oblaste zugeteilt sind, zu stellen. Diese für die Bedürfnisse der betroffenen Regionen zu verwenden. “Notwendig wird es das Ausgabensystem für UkrAwtoDoroga zu revidieren und ebenfalls die Frage auf Kosten des Energieministeriums zu lösen.”, unterstrich die Premierin. Sie gab dem Finanzministerium ebenfalls Anweisung “mit den kommerziellen Banken ein Modell der gezielten Hilfe für die betroffenen Leute auszuarbeiten.” Den Berechnungen des Kabinetts nach, benötigen momentan 30-40.000 Familien Hilfe.
Quelle: Kommersant-Ukraine