20 Jahre später


In der gesamten Zeit ihrer Unabhängigkeit schaffte es die Ukraine nicht aus dem Tal des postsowjetischen BIP-Rückgangs herauszukommen. „Lewyj Bereg“ klärte, auf welchem Wege das Land gehen muss, um Erfolge zu erzielen.

Einen Schritt zurück

Die Krise hat die Wirtschaft des Landes fünf Jahre zurückgeworfen. Im letzten Jahr verringerte sich das BIP der Ukraine um mehr als 15 Prozent und das bedeutet, dass wir erneut das Wirtschaftsvolumen der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik nicht erreichen. Im Jahre 1990 lagen die Mengen an produzierten Waren und Dienstleistungen im Inneren des Landes ungefähr um 40 Prozent über dem jetzigen. Das gleiche Verhältnis beobachteten wir im Jahre 2005. Natürlich hatte in dieser nicht unbedingt besten Zeit für das Sowjetland die Ukraine Produkte für die gesamte Union produziert. Doch wer hinderte uns daran nach der Unterzeichnung des Vertrages über die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Waren und Dienstleistungen in die traditionellen Märkte zu liefern? Zudem können wir jetzt mit der gesamten Welt frei handeln und traten dafür sogar der Welthandelsorganisation bei. Prahlen können wir mit unseren Erfolgen bislang nicht, sagt der Stellvertreter des Wirtschaftsministers, Walerij Pjatnizkij, – Schuld hat die Krise.

Ein Jahr vor dem wirtschaftlichen Tal der Jahre 2008-2009 sagte der Analyst des Investmentunternehmens Concorde Capital, Alexander Klimtschuk, voraus, dass die Ukraine zum sowjetischen BIP-Volumen im Jahr 2013 aufschließt. „Vorzugsweise über den agrarindustriellen Komplex, den Dienstleistungsbereich, den Maschinenbau und die Metallwirtschaft“, urteilte der Experte. Jetzt, nach den dem Abkommen zwischen der Ukraine und dem IWF zugrunde gelegten Erwartungen für das Wachstum des BIP urteilend, wird man wesentlich länger warten müssen. In den nächsten fünf Jahren wird die Wirtschaft nicht schneller als vier Prozent im Jahr wachsen.

Back in the USSR

Wenn man die Struktur der Industrieproduktion von 1990 und 2010 vergleicht, dann sticht einem das offensichtliche Missverhältnis der Entwicklungsrichtungen der Branchen ins Auge. Vor 20 Jahren war die entwickeltste Richtung der ukrainischen Industrie der Maschinenbau und heute ist dies die Metallwirtschaft. Der Einzelanteil der Leichtindustrie sank überhaupt von 10,8 Prozent der großen sowjetischen Wirtschaft auf 0,7 Prozent der jetzigen Marktwirtschaft. Übrigens begann die EU unsere Wirtschaft erst ab Ende 2005 als eine Marktwirtschaft zu bezeichnen.

Vor 20 Jahren stellte unser Land Produkte mit hoher Wertschöpfung her und jetzt spezialisiert es sich auf den Ausstoß von Rohstoffen und Halbfabrikaten. Die derzeitige „Spezialisierung“ ist ein Weg ins Nirgendwo. Die Orientierung auf das Rohstoffmodell der Entwicklung ohne neue Technologien könnte sogar dazu führen, dass die weiter entwickelten Länder damit beginnen „schmutzige“ Produktionen auf unser Territorium zu verlagern. Doch den ambitionierten Plänen der neuen Machthaber nach zu urteilend, wird dies nicht geschehen. Der jetzige Vertreter des Wirtschaftsministers, Walerij Muntijan, sagte dem „Lewyj Bereg“ bereits vor einem Jahr, dass man die Branchen entwickeln muss, die eine hohe Wertschöpfung haben. „Wir können ein Kilogramm Rohstoff produzieren und erhalten dafür fünf Dollar und wir können ein Kilogramm hochtechnologischer und wissensintensiver Produkte herstellen, beispielsweise Flugzeuge, und 1.000 Dollar für ein Kilogramm verdienen. Derzeit führen wir Rohstoffe aus und führen das fertige Produkt ein“, sagte Muntijan.

Alle vom „Lewyj Bereg“ befragten Ökonomen legen ihre Hoffnungen auf eine stürmische Entwicklung der Landwirtschaft, in Verbindung damit entsprechend die Lebensmittelindustrie. Wir versuchten zu klären, welche Ausrichtungen, außer dem agrarindustriellen Komplex, die ukrainische Wirtschaft aus dem Krisental ziehen könnten.

Flugzeuge

Auf der einen Seite ist die Geschichte, des Versuchs des „Antonow“ Konzerns die Ausschreibung bei Boing zur Lieferung für Flugzeuge an das Pentagon zu gewinnen, eine traurige. Aufgrund der (nicht zufälligen?) Verspätung wurden die Dokumente der Ukrainer einfach nicht angenommen. Andererseits ist das die beste Illustration dafür, dass der ukrainische Flugzeugbau damit begann, aktiv mit den Weltmarktführern in diesem Bereich zu konkurrieren und bereit ist der Welt regelmäßig Neuheiten zu liefern.

So absolvierte 2010 bereits das Mittelstreckenflugzeug AN-148 seinen ersten Flug. Ein “aber” bleibt jedoch: wir stellen die Flugzeuge gemeinsam mit den Russen her und diese Neuheit wird teilweise im Werk in Woronesh montiert. „Es gibt noch einen vollständig unentwickelten, doch perspektivreichen Bereich – den Kleinflugzeugbau“, fügt der Leiter des Zentrums für Antikrisenforschung, Jaroslaw Shalilo, hinzu.

Maschinenbau

Die Perspektiven der Entwicklung der Landwirtschaft berücksichtigend, bedarf es auch der Landmaschinen und der Ausrüstungen für die Lebensmittelindustrie. Von den Zeiten der UdSSR her rühmt sich die Ukraine mit dem Waggon- und dem Lokomotivbau. Ebenfalls betrifft dies den Werkzeugmaschinenbau und die Produktion der Technik für die Metallwirtschaft und die Bergbauindustrie. Die Oligarchenschicht spürt den zukünftigen Reibach und investiert daher gern in den Maschinenbau. Vor kurzem erwarb die SCM von Rinat Achmetow weitere 6,4 Prozent der Aktien der OAO (Offenen Aktiengesellschaft) von „Donezkgormasch“ und erhöhte damit ihren Anteil auf 50,05 Prozent. Dieses Unternehmen produziert Fahrstühle, Hebebühnen, Fließbänder und Ventilationssysteme für Schächte.

Weltraum

Das schwimmende Kosmodrom „Sea Launch“, welches von mehreren Ländern errichtet wurde (Im Juni 2009 meldete „Sea Launch“ Insolvenz an; Anmerkung des Übersetzers), wurde zum Startplatz für die ukrainischen „Senit“ Raketen. Die Raketen stellt das Dnepropetrowsker Unternehmen „Jushmasch“ her. Das Werk produziert ebenfalls vier Typen von O-Bussen, Windturbinen und andere Produkte für produktionstechnische Prozesse (Werkzeuge, Pressformen, Automatenaggregate und anderes). Der Weltraum – das sind nicht nur Trägerraketen, sondern auch kosmische Geräte und Kommunikationsmittel selbst. Im Großen und Ganzen blieb in der Ukraine fast ein Drittel des Kosmikzweiges der Union.

Krieg und Frieden

Nicht zu vergessen der Militärindustrielle Komplex. Bereits heute gibt es im Katalog des staatlichen Unternehmens „UkrSpezExport“ hunderte von Arten an Waffen, Munition und Militärtechnik von Helmen und Schutzwesten über Korvetten und Aufklärungsschiffe. Neue Technik wird erforscht. Zur gleichen Zeit könnten die Entdeckungen, die für den Militärkomplex gemacht werden, infolge auch für friedliche Ziele genutzt werden. Man muss sich nur daran erinnern, dass auch das Internet auch selbst anfänglich von Militärs entwickelt wurde.

Geheime Materialien

Im letzten Jahr wurde im Institut für Monokristalle (Charkow) der größte Kristall – 504 kg – gezüchtet. Diese Größe erreicht er insgesamt nach 18-19 Tagen. Wissenschaftler verkaufen ihre Kristall ins Ausland, wo sie bereits in Röntgenapparaten von Krankenhäusern und Scansystemen auf Flughäfen genutzt werden.

Auf der Seite der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine gibt es eine ganze Rubrik, die dem Modewort „Nanotechnologie“ gewidmet ist. Wissenschaftler suchen neue Materialien, streben danach bekannten Materialien neue Eigenschaften zu geben. „Wir haben gebildete Leute, daher gibt es Potential im Bereich der Hochtechnologien. Und das betrifft nicht nur Flugzeuge. Beispielsweise übertrifft die ukrainische Technologie, die dem E-Booklesegerät PocketBook zugrunde liegt, die analogen Produkte der Weltmarken“, sagt die Chefökonomin der Investmentgesellschaft Dragon Capital, Jelena Belan.

Biologie und Medizin

1997 demonstrierten ukrainische Spezialisten in Louisville in den USA das Verschweißen von Weichgeweben von Tieren. Diese Operation rief großes Interesse hervor. Unsere Wissenschaftler zeigten die Erfindung des Institutes für Elektroschweißen E.O. Paton und der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Im Ergebnis interessierten sich Ausländer für die Technologie und sie wurde weiter entwickelt. Heute wurden mit der Schweißmethode mehr als 1.500 Operationen durchgeführt. Dabei gelingt es die Trennungen lebenden Gewebes ohne Anwendung von Nähmaterial, Klammern, Heftapparaten zu verbinden und die Operation verläuft ohne Blutfluss. Andere Richtungen des wissenschaftlichen Denkens sind mit der Nutzung von Stammzellen, genetischen Forschungen und Transplantationen verbunden.

Metallurgie und Chemie

Umgekehrt ihren Einfluss auf die Wirtschaft verringern werden die Metallwirtschaft und die Chemie. Mit dem ukrainischen Metall auf den Weltmärkten zu konkurrieren wird schwerer – an die Fersen haben sich die Chinesen und die Inder geheftet. Doch die Modernisierung der Werke und der Ausstoß neuer, weiter entwickelter Produkte, wird mit neuen Absatzmärkten und neuen Handelsbedingungen verbunden sein.

„Die Metallwirtschaft muss sich umgestalten“, betont der Direktor der ökonomischen Programme des Rasumkowzentrums, Wassilij Jurtschischin. Die Chemie wird ebenfalls leiden, wobei sie bereits Positionen aufgrund der Teuerung beim Grundrohstoff verliert – dem Erdgas, welches etwa 85-90 Prozent der Eigenkosten der Produktion von Ammoniak und 60-65 Prozent der Eigenkosten von Harnstoff/Karbamid ausmachen. Doch das bedeutet alles nicht, dass die Oligarchen, welche chemische oder metallurgische Unternehmen besitzen, plötzlich verarmen. Erstens werden diese Unternehmen trotzdem noch Gewinne einfahren, auch wenn sie nicht so hoch wie bisher sein werden. Und zweitens hindert niemand die ukrainischen Reichen daran in andere einträgliche Richtungen zu investieren.

Andrej Janizkij

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 1325

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