Erfolg nach Verlust: Die Geschichte dreier Flüchtlinge


LB.ua sprach mit drei Vertriebenen, die alles verloren, aber nicht aufgegeben haben. Ihr Geheimnis ist es, sich der Lieblingsbeschäftigung zu widmen und jegliche Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen.

„Für mich hat man die Entscheidung getroffen, ob ich weggehen soll oder nicht.“

Bis zum Sommer 2014 lebte Jelena Taranenko in Donezk, arbeitete als Dozentin am Lehrstuhl für Journalistik an der Donezker Nationalen Universität. Gemeinsam mit der Hochschule zog sie nach Winniza, nennt sich und ihre Kollegen untypische Umsiedler.

„Wir kennen außer ein paar Unannehmlichkeiten im Leben nicht den Schmerz der eigenen Nutzlosigkeit, wie die Menschen, die ganz von vorn anfangen mussten. Ich meine die beruflichen Ressourcen. Für viele erwies sich das als größerer Verlust als der materielle.“

Im September 2014 wurde die DonNU besetzt. Jelena erinnert sich an diese Zeit als das schlimmste in jenem Jahr. „Es brach alles zusammen, und es begann ein Zustand nah an der Verzweiflung.“

Aber bald gründeten Studenten eine Initiativgruppe zur Evakuierung der Universität. Es begann der Umzug, Informationskampagnen, Vorbereitungen der Studenten, die Organisation des Lernprozesses.

„Die erste Bezahlung erhielten wir erst im Dezember 2014. Wenn die Kollegen und ich uns daran erinnern, wie wir lebten, wovon, dann können wir das selbst nicht glauben. Nach der Verzweiflung kam das Gefühl, an einer wichtigen Sache mitzuwirken.“

Jetzt leitet Jelena den Lehrstuhl für Journalistik, da die frühere Leiterin in Donezk blieb.

„Viele von uns – ich meine alle Umsiedler – werteten, als sie zu sich kamen, die Geschehnisse in dieser Hinsicht als Chance. Es eröffneten sich Arbeits- Perspektiven in Förderprogrammen. Vielleicht gab es sie auch früher, aber jetzt wurden sie offensichtlich. Mit dem Verlust der materiellen Ressourcen eröffnete die Universität uns neue Möglichkeiten der Mobilität. Als Menschen und als Professionelle spürten wir den Wert der Wahlfreiheit.“

Im Juli 2014 kamen durch Denunziation der Nachbarn Vertreter der Russischen Orthodoxen Armee in Jelenas Haus, obwohl sie nach den Worten der Frau eher an Tschetschenen oder Osseten erinnerten. Bei der Durchsuchung fanden sie ukrainische Fahnen und Bücher. Es folgte die Verhaftung des Ehemanns und die Flucht aus Donezk.

„Der Mann, der uns denunzierte, wuchs mit mir zusammen auf. Seine Frau zwang ihn, sie wollte in unserem Haus wohnen. Wir hatten ein zweistöckiges Haus, was wir gerade fertig gebaut hatten. Unser ganzes Leben haben wir daran gearbeitet.“

Jetzt ist das Haus geplündert. Sogar die Heizkörper und Kessel haben sie hinausgetragen.

„Diese Menschen haben für mich die Entscheidung getroffen, ob ich weggehen soll oder nicht, und in gewissem Grad haben sie die Entscheidung getroffen, ob ich wiederkomme oder nicht.“, ironisiert Jelena.

In Winniza gefällt es ihr, obwohl die Stadt dem heimatlichen Donezk überhaupt nicht ähnelt.

„Mich erstaunte der andere Lebensrhythmus. Hier hastet niemand. Hier versucht dich niemand mit seinem Status zu beeindrucken. Hier sind familiäre Werte sehr wichtig. Bei Geschäftstreffen fragt man Sie unbedingt, wie Sie sich eingerichtet haben, wo Ihre Familienmitglieder sind, wie es ihnen geht.“

Die ganze Familie ist nach Winniza gezogen, mit der Mutter. Jelena weigerte sich, ohne sie zu fahren. Sie mieten eine Wohnung. Der älteste Sohn wohnt in Charkow.

Nach Donezk fuhr die Frau nicht. Es ist gefährlich, sich auf dem eigenen Hof zu zeigen und auch, die ehemals eigene Universität zu betreten. Jelena weiß, dass ehemalige Kollegen Absolventen denunziert haben, die sie zufällig auf der Straße trafen.

„Der Punkt der Umkehr ist überschritten. Diese Menschen verhalten sich, als ob sie mich nicht kennen würden.“

Auf die Frage, ob sie zurückkehrt, wenn Donezk ukrainisch wird, sagt Jelena, dass sie keine Schlösser auf Sand bauen möchte.

„Dann, und nicht wenn Donezk wieder ukrainisch wird, werde ich die Entscheidung treffen. Ich bin dort geboren. Dort steht das Haus, in das man mich aus der Geburtsklinik brachte. Dort ist der Hof, den ich mit meinen eigenen Händen bepflanzte. Natürlich möchte ich dorthin zurückkehren. Aber am ehesten treffe ich die Entscheidung nicht zurückzukehren. Ich habe nicht den Wunsch, all diese Leute wiederzusehen.“

„Donezk war mein Zuhause und ich dachte, dass ich es niemals verlasse.“

Katja Woronina ist Kinder- und Familienfotografin. Während sie in Donezk lebte, träumte sie von Odessa. So paradox wie es ist, wurde ihr Traum zu Beginn des Krieges verwirklicht.

Bis zu ihrem Wechsel nach Odessa zog Katja mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern zwölf Mal um. Sie warteten auf Antwort, ob man ihren Mann dorthin versetzt. Donezk verließen sie noch Ende Mai 2014, als die Kämpfe vor dem Flughafen begannen.

„Praktisch sofort, weil alles nicht mit den Schüssen begann. Bis dahin gab es einige sehr angespannte Monate. Ich wohnte im Stadtzentrum und praktisch jeden Tag gingen Demonstrationen direkt vorbei. Die letzten zwei Wochen vor der Abreise ging ich nicht auf die Straße, weil ich Angst hatte. Als der Schusswechsel begann, hielt ich es nicht aus, sagte, dass ich so nicht weiterleben möchte.“

Katja begann über ihre Ängste auf Facebook zu schreiben, und oft boten ihr unbekannte Menschen Hilfe an. Das Haus verließ die Familie mit leichtem Gepäck, weil sie dachte, dass sie nur für zwei Wochen wegfährt. Kleidung, Spielzeug, Bücher schickten ihnen die Menschen.

„Am Anfang fühlte ich mich wie ein launisches Kind, dem alles nicht das Wahre ist. Ich fürchtete mich, jemanden zu beleidigen, die Leute taten für uns manches. Und ich hatte Angst, ihre Bemühungen nicht richtig zu werten oder genug zu schätzen.“

Die Frau erzählt, dass sie sich nicht daran erinnert, wie das Jahr verging, was sie tat, wie die Kinder wuchsen. Die einzige Erinnerung ist das Modellieren aus Ton. Katja sagt, dass es ihr den Schmerz genommen hat.

„Die Werkstatt, in der ich den Ton brenne, befindet sich vierzig Minuten Fahrzeit von meinem Haus. Ich nahm eine Tasche mit zerbrechlichem Ton mit, der in den ersten Brand geht, beide Kinder und fuhr mit ihnen im Sammeltaxi. Jetzt weiß ich, dass das schwierig war, in jenem Moment habe ich das nicht bemerkt, es zog mich einfach dorthin.“

Mit dem Modellieren fing die junge Frau schon in Donezk an. Sie brachte ihre ältere Tochter zu einem Töpferkurs, dann brachte sie ihre Freundinnen dazu. Sie saßen an der Töpferscheibe und lächelten, und Katja beobachtete sie. Selbst konnte sie sich nicht an die Töpferscheibe setzen, weil sie ihr drei Monate altes Kind auf dem Arm hielt. Darum begann sie, mit der Hand zu modellieren.

Hauptsächlich modelliert Katja Geschirr – Schüsseln, Teller, Becher, Schalen. Zuerst schenkte sie die Werke den Menschen, die ihr halfen, doch dann interessierten sich Andere für die Keramik. So begann das Geschäft. Sie eröffnete einen Laden bei Etsy.ru, ihr Geschirr kaufen Cafés und Restaurants, es gab einige Bestellungen aus dem Ausland. Um mit der Menge zurechtzukommen, bezog sie ihre Bekannten in das Geschäft mit ein. Jetzt sind sie auf der Suche nach einem Ort für eine Werkstatt mit guten Leitungen, damit man einen Ofen aufstellen kann.

Katja schließt nicht aus, dass sie in Zukunft neue Mitarbeiter einstellt. Aber sie kann sich das schwer vorstellen.

„In jedes meiner Werkstücke lege ich einen Teil meiner Seele. Es ist mir sehr wichtig, wer das tun wird.“

Die junge Frau ist sich sicher, dass sie weiterhin modellieren und fotografieren wird, aber unsicher, ob sie in Odessa bleiben wird.

„Einst lebten wir in Donezk und sagte, dass dies unser Zuhause sei, und wir von dort nie weggehen werden. So etwas kann ich nun nie wieder sagen.“

„Wir wollen die Seele der Krim bewahren“

Im Januar dieses Jahres eröffnete die Krim-Bewohnerin Oksana Nowikowa das Café „Krim-Backwaren“ in Lwiw. In dieser Stadt ist sie schon fast zwei Jahre, aber zur unternehmerischen Tätigkeit entschloss sie sich erst jetzt.

Wir sitzen in diesem Café, es ist geräumig, mit großen Fenstern. Oksana ist in eine Arbeitsuniform gekleidet.

„Als ich umzog, hatte ich nicht vor, ein Geschäft in diesem Land zu eröffnen, solange es nicht einige Änderungen gibt“, sagt die Frau.

Oksana ist seit 18 Jahren selbständig. Es führte sie dazu, Erntemaschinen in die Ukraine zu importieren und Lederkleidung zu nähen, und sich mit dem Großhandel von Konditorei-Zutaten zu beschäftigen. Während der Annexion der Krim musste die Frau ihr Geschäft schließen und schnell umziehen.

„Wir waren auf dem Maidan, und bei Demonstrationen auf der Krim im Januar, und am 23. Februar bei einer Gedenkveranstaltung für Noman Çelebicihan. Am 28. Februar sollte ich aus der Türkei zurückkommen, aber unser Flugzeug landete nicht in Simferopol. Wir kehrten über Donezk zurück. Am 1. März zogen unsere Freunde weg, und wir reisten in die schon fast okkupierte Krim ein. Mit Aktivisten des Euromajdan führten wir Aktionen durch, standen vor dem Stab der Bürgerwehr (russische Nationalisten, A.d.R.) in Simferopol. Ab dem 8. März wachte vor meinem Haus der «Selbstschutz» (russische Nationalisten, A.d.R.).“

Zuerst brachten sie die Kinder weg, und einige Tage später verließen sie und ihr Mann gemeinsam mit der Familie der Schwester die Halbinsel.

„Wir wählten Lwiw, weil wir Angst hatten, dass das alles die halbe Ukraine erreicht – und Lwiw ist weit weg.“

Hier gründete Oksana gemeinsam mit anderen Aktivisten die Organisation „Krymska Chwylja (Krim-Welle)“. Es war eine Unterstützung beim Finden von Arbeitsplätzen für die Umsiedler, eine Zeit arbeitete auch ein Lager für humanitäre Hilfe.

Im gesellschaftlichen Aktivismus wurde die Frau enttäuscht. Sie sagt, dass sie sich oft in Abgreifen von (westlichen) Geldern verwandelt. Sie dachte in die Politik zu gehen, aber die Arbeit mit den Lwiwer Beamten nahm ihr diesen Wunsch.

„Es entwickelte sich eine depressive Situation. Aber nachdem in der Gesetzgebung Vereinfachungen für die Unternehmensführung auftauchten, beschloss ich, dass dies positiv ist, die Herbeiführung von etwas Hellem und Gutem in diese Welt.“

Das Café eröffnete auf Sychiwska (Straße), in einem Wohngebiet, denn im Zentrum ist ohnehin ein riesiges Angebot. Ungeachtet dessen, dass es erst vor kurzem eröffnete, sind hier viele Gäste.

„Die Aufgabe ist es, den Menschen in Lwiw zu zeigen, was die Krim ist, dass es nicht nur Krimtataren, Separatisten und nicht nur Jalta und das Meer sind. Die Krim ist vielfältig. Tatsächlich weiß man sehr wenig über sie. Wir sammeln Bücher über die Krim. Es wird einen Ausstellungsbereich geben. Außerdem werden hier Treffen von Umsiedlern abgehalten.“

Offiziell läuft das Café im Testbetrieb. Für die Besucher sollte es später eröffnet werden, aber den zufälligen Verkostern gefiel das Gebäck so sehr, dass das Personal sich nicht halten konnte und die Arbeit voll aufnahm. Im „Krim-Backwaren“ ist lediglich das Beifügen von natürlichen Zutaten unveränderlich, festgeschriebene Rezepturen gibt es bisher nicht. Heute ist die Marmelade im Brötchen aus Kirschen, morgen aus Moosbeeren.

„Die Krim ist eben vielfältig“, lachen wir.

Lwiw gefällt Oksana. Ihr fehlt nur der schnelle Umgebungswechsel. Wenn man 30 Kilometer aus Simferopol hinaus fährt, kann man an Orte mit anderer Landschaft, mit anderem Klima geraten. Hier muss man dafür deutlich weiter fahren. Die Frau war einige Male Zuhause, aber sie kann die Krim, auf der sie geboren wurde, nicht wiedererkennen.

„Wir wollen hier die Seele der Krim bewahren, und wenn sie (in die Ukraine) zurückkehrt – und sie kehrt unbedingt zurück – können wir unsere neuen Erfahrungen dorthin übertragen.“

4. Februar 2016 // Wiktorija Topol

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzerin:   Anja Blume  — Wörter: 1804

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